Kapitel 07 - Um nicht zu verhungern, mußte ich Zuflucht bei meinem Vater suchen, der zu dieser Zeit in ...

Kapitel 07 - Um nicht zu verhungern, mußte ich Zuflucht bei meinem Vater suchen, der zu dieser Zeit in Würzburg lebte, selbst in kümmerlichsten Umständen. Als wahrer verlorener Sohn kehrte ich zurück; wenn es auch ohne Dramatik abging, ohne Schmerz und Demütigung ging es nicht ab. Er ließ mich fühlen, daß ich seine wesentlichste Hoffnung zunichte gemacht hatte und zeigte sich mir noch finsterer und kälter als vordem. Am erbittertsten war die Stiefmutter über den unwillkommenen Kostgänger, an den sie Wohlwollen ohnehin nie verschwendet hatte. Es war schlimm, gleichsam betteln zu sollen um die Mahlzeit und das Bett zum Schlafen, aber so war alles von da ab.

Ich trieb mich planlos herum, viele Wochen lang in den alten Gassen und Weinbergwegen am Ufer des Stroms, auf dem Hofgartenwall, im Veitshöchheimer Schlosspark und verschanzte mich, da ich keinen Gefährten hatte, kein Paar Augen, die mich freundlich grüßten, in Einsamkeitswollust und Einsamkeitshochmut. Draußen waren Geister in Bewegung, ich spürte es wohl, Ruf und Anruf der Jugend jener Jahre drang auch zu mir, die Parole von neuer Zeit, neuer Wahrheit und neuen Menschen, aber ich wagte es nicht, mich inbegriffen zu denken und sah keinen Weg zu ihnen hin. Ich wagte es nicht, aber es war auch ein sonderbarer Stolz im Spiel, der Traum vom heimlichen Kaiser, den gerade die Verstoßenen manchmal selbstverliebt in sich nähren.


Indes wuchs die Sorge meines Vaters über das arbeitsscheue Treiben, und er forderte, daß ich dem Onkel einen Abbittebrief schreiben und ihn durch das Gelöbnis der Besserung bestimmen solle, mich wieder aufzunehmen. Mich zu sträuben war umsonst, die Quälereien wurden zu arg. So fügte ich mich ins Unvermeidliche und verfasste mit schriftstellerischer Gewandtheit einen jener Briefe, von denen mein Onkel verächtlich sagte, die seien schöne Wortfeuerwerke. Doch willigte er in eine Probezeit. Sein Haus und seine Fabrik sollten mir verschlossen bleiben, bis meine Führung bewiesen, daß ich von den „Wahnideen“ geheilt sei. In der Familie eines seiner Beamten verschaffte er mir Kost und Wohnung. Es waren einfache, aber lärmende und triviale Menschen, denen ich als Neffe ihres Brotgebers Respektsperson, als angehender und zugleich missglückter Literat lächerliches Geschöpf war. Ich trat als Lehrling in ein Exportgeschäft, was von Beginn an eine kaum erträgliche Fron war. Der Chef war ein cholerischer Halbnarr, Spekulant, Leuteschinder, stadtbekannter Wüstling. Im ganzen Betrieb herrschte eigentümliche Tücke und Aufsässigkeit. Man verlangte die niedrigsten Dienstleistungen von mir, und ohne zu wissen wie, war ich alsbald das Ziel eines niedrigen Intrigenwesens, der Verleumdung und der Bosheit. Zehn Monate nahm ich mich zusammen, um meinem Versprechen treu zu bleiben. Ein frecher Bubenstreich machte der Sache ein Ende. Der Prokurist fand eines Tages während meiner Abwesenheit in meinem Pult einige pornographische Photographien, ich wurde vor ein Tribunal zitiert, ich wußte von nichts, ich hatte dergleichen Bilder nie gesehen, ich verschmähte es, mich zu verteidigen, verließ den Posten und erklärte meinem Onkel rundweg, daß ich mit solchen Menschen nichts mehr zu schaffen haben wolle. Eine junge Praktikantin, die mir ihre Zuneigung geschenkt hatte, ruhte nicht, bis sie die Verschwörung aufgedeckt und den Schuldigen zum Geständnis gezwungen hatte, aber das war nunmehr zu spät. Der Familienrat war in Verlegenheit: ich war zur Kalamität geworden, und man wollte mich los sein, wenn nicht auf gute Manier, so auf schlechte. Es wurde beschlossen, daß ich mein Militärjahr absolvieren und, falls ich nach Verlauf dieses Jahres nicht zur Vernunft gekommen sei, meinem Schicksal überlassen werden sollte. Ich wurde also wieder nach Würzburg geschickt, stellte mich dort in der Kaserne und wurde aufgenommen. Zur Bestreitung der Kosten wurde die Hälfte eines kleinen mütterlichen Erbteils flüssig gemacht, etwa tausend Mark; und davon sollte ich nicht nur ein ganzes Jahr leben, sondern auch die unerlässlichen Ausgaben für den Dienst, die Uniformierung, die Repräsentation aufbringen. Ich trat sonach in die Armee als mittelloser Privilegierter ein, unglückselige Mischung, wie ich bald spüren sollte. Jude und arm, das erregte doppelte Geringschätzung, bei der Mannschaft wie bei den Offizieren. Im übrigen beging ich gleich zu Beginn eine Torheit und Einfältigkeit, von der das Odium während des ganzen Jahres an mir haften blieb. Lächerlicherweise nämlich schloss ich das schriftliche „Curriculum vitae,“ dessen Anfertigung in den ersten Tagen verlangt wurde, mit einem schwermütigen Gedicht, das, soweit ich mich erinnere, die Vergeblichkeit irdischen Strebens und des meinen insbesonders zum Motiv hatte. Der Feldwebel las die gereimten Verse beim Rapport unter allgemeinem Hallo vor und hielt mir eine niederschmetternde Standrede, als hätte ich das gesamte deutsche Heer verhöhnt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mein Weg als Deutscher und Jude