Napoleons Eroberungen und Herrschaft

Die große Idee des heiligen römischen Reichs hatte die Völker des Abendlandes in den Jahrhunderten des Mittelalters zu unsterblichen Taten begeistert; sie verlor sich aber, da der erhabene Gedanke des allgemeinen Vaterlandes der Deutschen, als eines selbstständigen Staates, oder Staatenvereines, in dem Streben nach Absonderung und Beschränkung, staatlicher Unabhängigkeit und fürstlicher Landeshoheit unterging. Die Kirchenverbesserung zerriss Deutschland auf immer in zwei große Gegensätze. Die tridentinische Kirchenversammlung und der Westfälische Friede waren Scheinmittel, welche die alte Krankheit in Sachen der Religion und des Staates unheilbar machten, indem das erstere eine finstere Kluft zwischen dem Alten und Neuen, dem Grundsatze des Stillstandes und der Bewegung öffnete, der zweite aber die staatsrechtlich zum Teil ungesetzmäßig erstiegene Höhe fürstlicher Unabhängigkeit durch ein Reichsgrundgesetz heiligte. Seitdem wurden die Reichsgesetze vom Volke immer weniger und endlich nur noch von den Rechtsgelehrten gekannt. Die goldene Bulle, die Churfürstenvereine, die Landfrieden, Reichsabschiede und Wahlkapitulationen waren Trümmer der Vorzeit; die Regensburger Reichstage Sprichwort und Gespött. Mancher deutsche Fürst glaubte, auf seine erbliche Herrschaft trotzend, nun ein Ludwig XIV, zu sein; baute sich ein Versailles im Sande, als ewiges Denkmal der Fürstengewalt und Volksknechtschaft; hielt nach byzantinischer Hofsitte eine Oper und Kapelle von Kastraten und Bajaderen, und gleich Ludwig XV. einen Sultansharem. Da öffneten der amerikanische Freiheitskrieg und die französische Revolution Fürsten und Völkern die Augen; große Menschheitsideen entsprossen dem vom Blute der Guillotine gedüngten Boden, bis Napoleon sich des Freiheitswahnsinns der französischen Nation bemächtigte und ihn, unter dem Vorwande der Demütigung Englands und der Eroberung des Weltfriedens, mit unerhörtem Genie und Glück zur Erschütterung der größeren und kleineren Feudalmonarchien Europas, wie zur allmählichen Umgestaltung dieses Weltteils gebrauchte. Karls des Großen heilige Krone ward geraubt und ging auf Frankreich über. Napoleon ward am 18ten Mai 1804 durch ein organisches Senatuskonsult zum Kaiser der Franzosen erklärt.

So begann Napoleons Kaiserreich, ein Reich auf List und Gewalt gegründet, durch Eroberungssucht erhalten, ins Unendliche vergrößert, und nach kaum einem Jahrzehnt gestürzt. Bald gelüstete den Imperator nach einer zweiten Krone. Es hieß, „die italienische Republik“ verlange eine schließliche Einrichtung, die dem gegenwärtigen und den künftigen Geschlechtern die Vortheile des gesellschaftlichen Vertrages sichere.“ Und etwas später, „die Lyoner Verfassung sei nicht auf die Dauer berechnet gewesen; der allgemeine Wunsch der Republik sei eine Monarchie, und deren Bedingung der Kaiser.“ Dieser ließ sich erbitten, der erste König der italienischen Republik zu werden, und „vorläufig die Krone zu behalten, weil die Trennung Italiens von Frankreich zu gefährlich sei; doch sehe er dem Augenblick mit Velangen entgegen, wo er sie auf ein jüngeres, von seinem Geiste beseeltes Haupt werde setzen können.“ Darauf krönte er sein Haupt am 16ten Mai 1805 zu Mailand mit der eisernen Lombardischen Krone; sprach die bedeutungsvollen Worte: „Gott hat sie mir gegeben; wehe dem, der sie berührt!“ und ernannte seinen Stiefsohn Eugen Beauharnois zum Vizekönig. Die Ligurische Republik ward mit Frankreich vereinigt, „weil die Republik nur durch die Vereinigung mit Frankreich gegen das neue Seerecht der Engländer und die Beeinträchtigung der Barbaresken geschützt werden könne.“ Es ward schon jetzt klar, dass Napoleon ein europäisches Föderativsystem beabsichtige, dessen Zentralstaat Frankreich werden sollte. Darum hieß es bald auch, „Batavien seufze unter einer oligarchischen Regierung ohne Einheit in ihren Absichten, ohne Macht, ohne Vaterlandsliebe,“ und der Republik ward eine neue Konstitution diktiert. Alle Frankreich einverleibte und von ihm abhängige Länder erlagen unter Handelsbeschränkungen, Steuern und Truppenaushebungen, als Russland und Österreich der Übertretungen des Friedens zu Lüneville endlich müde wurden. Napoleon klagt, statt auf Vorschläge zu hören, das Kabinett von St. James eines geheimen Einverständnisses mit Russland an, verhaftet einen russischen Gesandtschaftsrat, misshandelt den russischen Gesandten, welcher Paris verlässt, ermordet den Herzog von Enghien, als endlich Alexander ihn auffordert, „eine Ordnung der Dinge in Europa aufhören zu lassen, die für die Sicherheit der Staaten, und die ihnen gebührende Unabhängigkeit so beunruhigend sey,“ und von Talleyrand zur Antwort erhält, „Napoleon wolle den Krieg nicht, werde ihn aber immer einer Herabwürdigung Frankreichs vorziehen,“ und bald darauf, am 28. Juli, „Frankreich sei zum Kriege bereit.“ Die Gesandten erhielten ihre Pässe, und der russische erklärte: „sein Kaiser sehe sich gezwungen, alle Verhältnisse mit Frankreich abzubrechen; ob Krieg entstehen solle, werde von Letzterem abhängen.“*) Der König von Schweden hatte sich am 14. Mai 1804 gleichfalls über die Verletzung der deutschen Reichsverfassung beklagt, und ward deshalb von Napoleon pöbelhaft gemisshandelt. **) Schweden und Russland rüsteten also, und Österreich ließ unter dem Vorwande einer Gesundheitslinie Truppen nach Italien aufbrechen. Napoleon sandte einen Brief an den König von England, der ihn zum Frieden einladen sollte, aber so voll Trotz und Hohn, dass er den Krieg beschleunigte, den der Kaiser in der Tat allein wünschte. Englands Plan ging aber nicht bloß auf die Befreiung seiner Insel, sondern des ganzen Europa; deshalb schloss es am 11. April 1805 mit Russland einen Konzertvertrag ab,***) dem Preußen, bei seiner Neutralität beharrend, den Beitritt versagte, Österreich aber am 9. August ebenfalls beitrat. Bayern, Württemberg und Baden verließen die Sache des deutschen Vaterlandes und schlossen sich mit ihrer Macht an Napoleon an. Murat, Lannes, Ney, Soult, Davoust und Vandamme gingen mit französischen Armeen, und Marmont mit der batavischen, bei Straßburg, Durlach, Speier, Mannheim und Mainz am 25. und 26. September über den Rhein; Bernadotte zog mit einem Heer von Hannover durch Hessen nach Würzburg, wo er mit Marmont zusammentraf. Die österreichische Macht in Deutschland war diesen französischen Heersmassen schon der Zahl nach nicht gewachsen, geschweige denn ihr Anführer Mack der Kriegserfahrenheit der napoleonischen Feldherren. Ein allgemeiner Angriff auf die Stellungen der Österreicher bei Ulm, am 14. Oktober 1805, hatte die berüchtigte Kapitulation zur Folge, welche ein ewiges Schandmal unserer neuesten Geschichte bleiben wird. Durch die Schlacht bei Austerlitz am 2. Dezember wurden die Russen geschlagen, und der Friede zu Preßburg am 26. Dezember 1805 vernichtete die Hoffnungen der Vaterlandsfreunde.


*) Notes du Chargé d’affaires de Russie. Paris 1804. 8. Oubril’s Noten vom 16. July und 28. August sind in den Zeitungen unterdrückt.
**) Europäische Annalen 1804. Stück VII. Seite 18.
***) de Martens Suppl. tom IV., pg. 160. – Voß, Zeiten V., 1.


Indessen hatten Bernadotte, Marmont und die Bayern, ohne auf Grenzpfähle, Manifeste und Vorstellungen zu achten, zwischen dem dritten und sechsten Oktober das neutrale preußische Gebiet verletzt. Der preußische Minister Graf Haugwitz ward aber erst nach der Schlacht bei Austerlitz von dem Sieger angehört und kehrte mit einem demütigenden gebotenen Vertrag nach Berlin zurück.