Mecklenburgs Neutralität. Durchmärsche

In Mecklenburg waren bei Besetzung der Churhannöverschen Lande durch eine französische Armee, zur Bezeichnung der Neutralität, schon früher Grenzpfähle längs der Ämter Dömitz, Hagenow, Wittenburg, Boitzenburg, Zarrentin, Gadebusch und Rehna aufgerichtet worden.*) Nach dem zu Petersburg verabredeten Kriegsplane sollten aber Russen in Pommern landen, und mit ihnen die für englische Subsidien in Pommern aufgestellten Schweden gemeinschaftlich handeln. Der Durchmarsch gegen das besiegte Hannover musste Mecklenburg treffen; deshalb erging am 19. Oktober 1805 eine Aufforderung an die Obrigkeiten, „den Anordnungen der Marschkommissarien die genaueste Folge zu leisten,“ und an die Landeseinwohner, „bei solchem Durchmarsch sich ruhig zu verhalten, und den Truppen alle Willfährigkeit zu beweisen.“ Die fremden Truppen gingen am 20. und 24. Dezember in mehreren Kolonnen, teils von Triebsees über Sülz, Gnoien, Tessin, Lage, Schwaan, Bützow, Sternberg, Güstrow, Krivitz, Hagenow, Wittenburg und Boitzenburg nach Lauenburg; teils von Dammgarten über Ribnitz, Rostock, Kröpelin, Neubukow, Wismar, Grevismühlen, Rehna und Gadebusch nach Ratzeburg und Mölln; teils von Fürstenberg über Röbel, Plau, Lübz, Parchim, Grabow, Eldena und Dömitz nach Hitzacker und Danneberg in die hannöverschen Lande.

*) Mecklenb. Schwerin. Staatskalender von 1804. Thl. 2. pag. 189. Die den Staatskalendern beigegebenen Mecklenburg-Schwerinschen Annalen sind von jetzt an größtenteils benutzt.


Weil Mecklenburg seit langer Zeit das Glück des Friedens genossen und keine fremden Truppen gesehen hatte, so waren die Einwohner auf deren Erscheinung in dem Grade gespannt, dass sie meilenweit an die Heerstraße wanderten. Bei Tieplitz stand das Wischholz an einem Sonntagsmorgen voll Menschen aus Boitin, Tarnow, Grünenhagen, welche die bunten Massen der Fremdlinge mit blitzenden Waffen und klingendem Spiel vorüberziehen sahen, ohne sich aus dem Busch hervorzuwagen, weil das Gerücht ging, es gäbe unter den Russen ganze Kalmückenregimenter, welche nur Menschenfleisch und besonders Kinder fräßen. O wie bald verschwand diese glückliche Unschuld eines langen Friedens!

Am 25. Oktober ward eine Konvention zwischen dem herzoglichen Ministerium und dem russisch-kaiserlichen Minister am königlich-schwedischen Hofe, wegen der Bezahlung für die Verpflegung der durchmarschierenden russischen Truppen geschlossen.

Die Schweden und Russen standen fast ein halbes Jahr müßig da, weil Preußen Frankreich hatte versprechen müssen, das von Franzosen besetzte Hannover nicht beunruhigen lassen zu wollen;*) aber nach der Neutralitätsverletzung hielt es sich seiner Verpflichtungen entbunden, und schickte am 31. Oktober ein Hilfskorps von Strelitz, über Penzlin, Waren, Plan, Lübz, Parchim und Grabow nach Lenzen; die 15.000 Russen unter Tolstoi setzten sich mit dem schwedischen Korps in Bewegung und gingen am 10. November über die Elbe, um das nördliche Deutschland von den Franzosen zu befreien; englische Truppen wurden an der Weser erwartet, und Napoleon befahl am 8. November die Errichtung einer Nordarmee auf den Grenzen von Holland.

*) Darneben auch wegen Gustavs IV. Eigensinn: Voß Zeiten 1810. B. 24. Nov. S. 184.

Am 26. Oktober wurden die Bewohner des platten Landes von Mecklenburg-Schwerin aufgefordert, den Städten, durch welche die Truppen marschierten, mit Lebensmitteln und sonstigen Bedürfnissen möglichst zu Hilfe zu kommen; ferner erging am 19ten November eine öffentliche Aufforderung an alle Obrigkeiten, ihre und ihrer Unterbehörigen Forderungen für die, zur Verpflegung der durchmarschierenden Truppen, gelieferten Bedürfnisse und geleisteten Fuhren und Dienste, mit den gehörigen Quittungen oder Bescheinigungen einzureichen, um nach Liquidierung derselben durch landesherrliche Kommissarien und ritter- und landschaftliche Deputierte mit dem russischen Kommissariat, deren konventionsmäßige Bezahlung, zur Verteilung an die respektiven Kontribuenten, zu gewärtigen. — Die Ratifikation einer Konvention zwischen königlich-schwedischen und herzoglich-mecklenburgischen Bevollmächtigten, wegen Verpflegung der königlich-schwedischen Truppen gegen bare Bezahlung der Bedürfnisse, Fuhren und Dienste erfolgte am 25. November.

Diese Gastfreundschaft, mit welcher die Fremden und besonders die Russen, als Landsleute unserer unvergesslichen, durch Tugend, Geist und Schönheit ausgezeichneten Erbprinzessin Helena Paulowna aufgenommen wurden, musste in der Verkettung der menschlichen Dinge eine der vornehmsten Veranlassungen der Leiden werden, welche das Vaterland im nächsten Jahre trafen. —