Luitgard

Der Schrecken über des jungen Gemahls unerwarteten Tod soll jedoch nach der allgemeinen Erzählung so nachteilig auf die Gesundheit der Fürstin gewirkt haben, dass das Kind, welches sie im J. 1290 gebar, eine Tochter, welche in der Taufe den Namen Luitgard erhielt, schwächlich war und noch in demselben Jahre starb. Es sei darauf, heißt es, bei dem Vater, mithin, wenn dieser im Grauen Kloster, gleichfalls daselbst begraben worden. Schröder beruft sich wieder auf das Chronicon Msct. Wism. oder auf das „Kerckenböck“. Unsere Tafel nun in diesem hat allerdings die Worte: „Froichen Lutgard filia ducis Johannis submersi Im kor begraben“, jedoch ohne Angabe des Jahres, wenn man nicht annehmen will, dass die Jahreszahl 1318, bei welcher der Tod der Gräfin Mechthild von Schwerin angezeigt ist, und hinter welcher Anzeige die Nachricht von der Prinzessin Luitgard unmittelbar folgt, ohne abgesetzt zu sein, mit auf letztere zu beziehen sei, in welchem Falle sie freilich ein Alter von 28 Jahren erreicht hätte. Nun ist auch wirklich Kirchberg der Meinung, dass Johanns Tochter länger gelebt habe und sogar dreimal verheirathet worden sei. Er sagt (Westphalen Mon. Jned. T. IV. p. 781.):

Hinrich der Lewe hatte irkant
einen bruder was Johan genant,
der nam zu wybe eyn tochtir da
von Ruygen des fürsten Wysla,
von der geborn eyn tochtir wart,
dy waz geheiszen Luthgart,
dy gab irs vatir bruder so,
den man hiez Hinrich Leo,
dren grafen zu echtir dinge tad,
ir eyne nach dem andirn drad,
der erste von der Hoya Gerhard,
Greve Adolf von Holtzten der andir ward,
der dritte von Lindowe Günther
zuleist do nam dy frowen her.


Diese Angabe unsers auch sonst zuverlässigen Kirchbergs wird nun durch zwei Urkunden sattsam bestätigt. Die eine, oben schon erwähnte, d.d. Meklenb. 1317, Oct. 18, zufolge einer Mittheilung des Herrn Dr. Dittmer zu Lübeck in dem Archiv des Heil.-Geisthospitals daselbst befindlich, in welcher Fürst Heinrich der Löwe den Bewohnern der Insel Pöl die Mahlfreiheit gewährt,7) enthält die Worte: Nos igitur dei gratia Hinricus dominus Magnopolensis et Luitgarda filia dilecti fratris nostri bone memorie, relicta comitis de Segeberg; der Schluß ist: Ut autem hec omnia stabilia maneant et inconvulsa, presentem paginam inde confectam inclite domine Luitgarde fratruelis nostre charissime supra dicte et sigillo nostro ordinauimus communiri. Datum et actum in curia Mekelenborch anno domini MCCCXVII, in die Luce evangeliste.

Offenbar weist uns diese Urkunde die Nachricht, dass Johanns Tochter bald nach der Geburt gestorben sei, als einen, wenn auch Jahrhunderte alten Irrtum nach. Luitgard, sehen wir, lebt nach 1317 als Witwe des Grafen von Segeberg, oder, was einerlei ist, des Grafen von Holstein, und so wird Kirchbergs Erzählung vollkommen gestützt, nach welcher Luitgard übrigens vorher schon einmal Witwe von dem Grafen Gerhard von Hoya gewesen war. Luitgard lebte aber als Witwe des Grafen Adolf von Holstein auch noch am 22. Nov. 1318. Den Beweis führt die im Wismarschen geistlichen Archiv aufbewahrte, von Heinrich d. L. ausgestellte Urkunde, zufolge welcher dieser an dem genannten Tage den Verkauf der Insel Pöl und mehrerer Dörfer (Friedrichsdorf, Altbukow, Rakow, Russow, Vorwerk Russow, Warkstorf und Gr. Strömckendorf) an Helmold v. Plessen, Bernhard und Gottschalk Preen, Friedrich v. Stralendorf und die Kinder Heyno's v. Stralendorf für 30,000 slav. Mk. bestätigte. In dieser Urkunde heißt es: quod nos de maturo concilio nostrorum fidelium accedente voluntario consensu seu beneplacito nostre predilecte fratruelis domine Lutgardis vendidimus justoque venditionis tytulo dimisimus; und am Schlusse: presentes litteras inde confectas sigillorum appensionibus nostri videlicet ac predilecte nostre fratruelis domine Lutgardis predilecte in signum sui voluntarii consensus et beneplaciti testiumque subscriptionibus duximus muniendas.8) Also wieder ein Zeugnis für Kirchberg auf der einen und gegen das Kirchenbuch und die gewöhnliche Meinung auf der andern Seite. Man möchte zwar, wenn man bloß die letztere Urkunde berücksichtiget, der gewöhnlichen Erzählung zu Gunsten sich gern geneigt fühlen, den Ausdruck fratruelis für Vaterbrudertochter zu nehmen, welche Bedeutung das Wort auch wirklich hat (S. Scheller's ausführliches lateinisch-deutsches Wörterbuch unter diesem Worte), wornach denn unsere Luitgard eine Tochter des Johann von Gadebusch sein könnte, eines Bruders von Heinrich dem Pilger, wie denn auch Johann von Gadebusch eine Tochter dieses Namens gehabt haben soll; allein die erstangeführte Urkunde hat das eine Mal zwar auch die Benennung fratruelis gebraucht, das eine Mal aber ausdrücklich filia fratris nostri bone memorie, wodurch aller Zweifel gehoben und zugleich unwiderleglich bewiesen wird, dass fratruelis im Mittelalter mit Brudertochter gleichbedeutend ist.

Wenn also wirklich eine Prinzessin Luitgard neben Johann im Grauen Kloster begraben wurde, so musste es eine andere sein, als Johanns Tochter. Das sagt auch der Ausdruck Froichen, welcher nicht von verheirateten Frauen gebraucht werden konnte. Wäre Johanns Tochter aber auch später und verheiratet daselbst begraben worden, so wäre wenigstens nicht wahrscheinlich, dass es im J. 1318 geschehen wäre. Denn zufolge der Urkunde lebte sie am 22. Nov. dieses Jahres noch; sie ward aber nach Kirchberg später noch an den Grafen Lindau (-Ruppin) verheiratet, und es ist schwerlich anzunehmen, dass diese Verheiratung, so wie ihr Tod und Begräbnis, alles noch in den letzten 5 bis 6 Wochen desselben Jahres geschehen sein sollte. Wer denn aber die im Grauen Kloster begrabene Luitgard gewesen, möchte schwerlich auszumitteln sein; der Name Luitgard war übrigens bei den weiblichen Mitgliedern unserer Fürstenfamilie damaliger Zeit sehr gebräuchlich. Beiläufig mögen wir aus unserer Urkunde, verglichen mit der Kirchbergschen Nachricht, zugleich lernen, dass die auswärts verheirateten Töchter unseres Fürstenhauses, wenn ihnen der Gemahl starb, wieder in die Heimat zurückkehren durften und wieder Ansprüche auf das Dominium hatten, oder wenigstens für ihren standesmäßigen Unterhalt gesorgt werden musste, dass sie aber auch wieder unter die Vormundschaft des männlichen Hauptes der Familie traten, wiewohl alles vielleicht nur in dem Falle, dass sie ohne männliche Erben blieben. So geschieht denn die Wiederverheiratung der Luitgard unserer Urkunde an den Grafen von Lindau-Ruppin nach Kirchberg durch ihren Vaterbruder Heinrich, der übrigens selbst im Jahr 1328 eine Tochter dieses Grafen zur dritten Frau nahm, woraus hervorgeht, dass Luitgard nicht des letztern erste Gemahlin ward.

Wer nun aber auch immer die im Chor des Grauen Klosters begrabene Luitgard gewesen sein mag, oder ob die Nachricht von ihr überall ein Irrtum gewesen sei: wir wollen, da wir ohne urkundliche Nachweisungen durch Kombination nur leicht auf einen neuen Irrtum geraten könnten, ihre Gebeine in Frieden ruhen lassen und unsere Untersuchung zu andern, mehr beglaubigten Nachrichten von fürstlichen im Kloster begrabenen Personen wenden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburgischer Fürsten Gräber zu Wismar