De Hex

In einem großen, der Elde nahe gelegenen Kirchdorfe des südwestlichen Mecklenburgs trieb um die Moskowiter-Zeit eine bitterböse Hexe ihr arges Wesen. Dem Einen wurden die Kinder krank und auch die erfahrensten Frauen des Dorfes wussten weder Ursache noch Namen der Krankheit anzugeben; ein Anderer ward in jeder Nacht vom Alp gedrückt 3); dem Dritten ward sein bestes Pferd im stillen Stehen hinkend; dem Vierten fraß die Sau die Ferkel auf; dem Fünften wollte das Brauen und Backen, dem Sechsten der Korn- und Flachs- Bau nicht geraten: kurz, es geschah so viel und mancherlei Unheil im Dorfe, dass auch ein Blinder sehen konnte, wie hier nicht Alles mit rechten Dingen zugehe. Und, was das Schlimmste war, so wollten auch die besten Mittel hier nicht anschlagen, wodurch man sonst doch die Hexen sich vom Leibe hält.

"Schultenmutter" hatte eine Menge "Witten Ohrand" 4) zwischen die Milchschalen und in's Butterfass gelegt; aber dennoch hatte sie lange oder blaue Milch, oder auch schmierige Butter. Der Krüger hatte mitten in der Altjahrsnacht von sieben verschiedenen Holzarten die nötigen Reiser zum "Hexenbesen" geschnitten und all sein Vieh vom Kopf bis zu Füßen damit abgekehrt; aber trotz dessen blieben ihm Kälber tot und Kind und Rind war von oben bis unten mit Läusen besetzt. Des Küsters Frau hatte ihrem neugebornen Kinde mit einer Erbscheere den "Käkelriemen" geschnitten, auch Teufelsdreck in die Wiege gelegt und des Kindes Nabelschnur, in einen Hemdezipfel gewickelt, zur Kirche tragen lassen; aber dessen ungeachtet wollte der Junge durchaus nicht saugen, und sog auch nicht, sondern hungerte sich schier zu Tode. Natürlich war mehr als das halbe Dorf darnach aus, der unheilbringenden Hexe unter die Kunde zu kommen. Doch wollte das lange Zeit nicht glücken. Zwei Weiber im Dorfe mit lahmen Beinen, buckelichten Leibern und "Leckaugen" waren allerdings verdächtige Weiber. Denn mit denen, welche der liebe Gott gezeichnet hat, pflegt es gewöhnlich nicht ganz richtig zu sein, und vor solchen muß man sich hüten 5). Überdies war des einen Weibes Kinn und Nase spitz, wie eine Schuster-Ahle, und - "spitz Nähs un spitz Kinn, do sitt de Düwel in". Indes dieses Mal waren diese Wahrzeichen denn doch nur trügliche Zeichen, wie sich am nächsten Sonntage nach Mainacht ergab. Unterschiedliche Personen waren an diesem Tage zur Kirche gegangen mit Eiern in der Tasche, die in der Walpurgisnacht von schwarzen Hühnern nicht gelegt, sondern die ihnen aus dem Leibe genommen worden waren. Die beiden verdächtigen Weiber waren auch zugegen. Allein unter dem priesterlichen Segensspruche zeigte sich weder Topf, noch Scheffel, noch Butterfass auf ihrem Kopfe, in welcher Kopftracht sie doch den Eierleuten hätten erscheinen müssen, wenn sie wirklich Hexen gewesen wären. Sie waren aber ehrliche Christenleute, wie anderer eins: das nun wohl wurde hieraus klar; doch über die Dorfhexe blieb man immer noch im Dunkeln stecken, und diese trieb ihr schlimmes Wesen nach wie vor zum großen Schrecken der Dorfleute. Da kam abermals Walpurgisnacht ins Land, in der die Hexen zum Blocksberge reiten, und ungesäumt ward nun die "Hexenprobe" vorgenommen. In Mitten der Nacht zogen Zwillingsbrüder ein Paar neue Eggen aus Kreuzdornen von einer und derselsben Stätte aus, der Eine rechts, der Andere links, ums Dorf. Wo beide Brüder zusammentrafen, wurden die Eggen aufrecht gegen einander gestellt, so dass das ganze Dorf umeggt war, den geringen Raum ausgenommen, der zwischen den aufgestellten Eggen lag. Über einen Acker, der auf solche Weise geeggt ist, kann keine Hexe und selbst der Teufel nicht hinweg. Folglich musste auch das mehrbesagte Teufelsweib, wenn es bei ihrer Heimkehr vom Blocksberge ins Dorf zurück wollte, jedenfalls unter die aufgestellten Eggen durch und musste von den danebenstehenden Zwillingsbrüdern gesehen werden. Allein sei es nun, dass die Brüder irgend ein Versehen bei ihrer Arbeit begingen, wodurch die Kraft des Mittels geschwächt ward, oder auch, dass diese Allerweltshexe selbst gegen die probatesten Mittel immer noch ein Gegenmittel zur Hand hatte, genug, die Brüder standen bis zum Aufgange der Sonne bei ihren Eggen und sahen keine Hexe hindurch ziehen. Natürlich stieg die Angst vor diesem bösen Weibe immer höher, und als nun selbst ein Schäfer in der Nachbarschaft gewonnen ward, gegen die schlimme Hexe anzuarbeiten - ein Mann, dessen Meisterschaft im "Hexenbannen" weit und breit bekannt war, dessen Kunst und Mühe aber in diesem Falle auch nicht das Geringste fruchten wollte, da ließ es sich mit Händen greifen: man habe es hier nicht mit einer gewöhnlichen Hexe, sondern so zu sagen mit des Teufels eigener Großmutter zu tun. Doch "ken Köter löpt negen Joar dull, he löpt all vehl ihrer an" und der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.


Der Großknecht eines Bauern im Dorfe schlief mit dem Ochsenjungen in einem und demselben Bette Der Knecht lag hinten im Bette und der Junge mußte vorne liegen, hatte also die Bettseite inne, welche die bösen Geister am liebsten anfechten. Am Maitagsmorgen nun, als beide Schläfer wach wurden, war der Junge wie gebadet im Schweiß und sein Herz klopfte wie ein Lämmerschwanz. Hans, sprach er, nur einigermaßen zu Odem gekommen, mir ist, als sei ich in dieser Nacht ein Pferd gewesen und als habe die Hausfrau sich meiner zum Reiten bedient. Du träumst! fuhr dieser ihn an; du dummer Junge wirst unsere Hausfrau doch nicht zu den bösen Weibern zählen wollen, die in dieser Nacht den Blocksberg bereis'ten? Darum, schweig! sag ich dir, und halt das lose Maul! Der Junge wollte aber nicht; blieb steif und fest dabei, die Nacht über in Hexenhand gewesen zu sein, so daß Hans, wenn auch Stillschweigen ihm auferlegend, das Ding doch für verdächtig hielt und sich's wohlweislich hinter die Ohren schrieb, bis die Mainacht des nächsten Jahres herbeikam. In dieser Nacht nahm er die vordere Seite des Bettes ein und ließ den Jungen hinten schlafen. Der Junge schlief auch bald ein; aber Hans suchte sich wach zu halten, um abzusehen, ob auch in diesem Jahre die Hausfrau einen Ritt zu machen gesonnen sei. Und kaum, dass ein halbes Stündchen verlaufen war, da öffnete sich leise die Kammertür und auf den Zehen schleichend trat die Hausfrau ein, - einen Zaum in der Rechten und in der Linken eine Peitsche haltend. Hans richtete sich sofort empor und schickte sich an, ihr den unerbetenen Besuch gehörig einzutränken. Allein er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht und nicht das Sprüchelchen genugsam in Acht genommen: Hinterm Berge wohnen auch Leute. Die Hexe machte nicht viel Federlesens mit ihm; sie packte ihn an, warf im Umsehen den Zaum ihm über die Ohren, und plötzlich sah er sich in einen stattlichen schwarzen Hengst verwandelt. Nun merkte Hans wohl, wie schlimm es sei, sich mit Hexenweibern einzulassen, hätte sich wohl gerne aus der Affaire gezogen, aber da wollte weder Sträuben noch Bäumen, weder Springen noch Schlagen helfen; mit kräftiger Linke hatte die Hexe die Zügel gefasst, im Nu schwang sie sich auf ihn, regulierte den Widerspenstigen mit scharfen Peitschenhieben und fort gings im sausenden Galopp über Stock und Stein, durch Rusch und Busch zum Blocksberg hin. Der forcirte Ritt hatte die Reisenden ungewöhnlich früh auf des Berges Höhe gebracht. Ringsum herrschte noch tiefe Stille und noch war die Geisterstunde nicht angebrochen, als bei einem Holunderstrauche angehalten und des Rosses Zügel festgeschürzt ward. Hier stand nun der dampfende Gaul und fand Muße genug, sich abzukühlen und nebenbei Betrachtung über sein unergötzliches Schicksal anzustellen. Inmittelst aber ward es lebhaft in der Luft. Ein Pfeifen und Sausen ließ sich hören, wie wenn ein Hagelwetter heranstürmt, und mit dem Schlage zwölf Uhr sausten aus allen vier Winden unzählige Hexen herbei, mit losgebundenen Haaren und fliegenden Röcken, auf Besenstielen oder Ofengabeln, Feuerzangen oder Dreschflegeln, Ziegen oder Ziegenböcken reitend 6). Mit ihnen kam auch der Teufel angefahren und zwar in seiner natürlichen, unverstellten Gestalt. Ein weiter blutroter Mantel umhüllte die starken Glieder des langen Leibes; ein spitziger, mit Hahnenfedern gezierter Hut bedeckte das grimmige Haupt. Aus dem Hute guckte ein Hörnerpaar, lange Krallen ragten aus den Fingerspitzen, aus dem After ein Kuhschwanz, aus dem bocksledernen Beinkleide ein Krähenfuß und ein Pferdefuß hervor. Des Bösen schwarzes Antlitz mit dessen tierischer Schnauze beschien eine gelblich-grüne Flamme, die seinem aufgesperrten Maule entfuhr, und als der Flamme Schwefelgeruch zu der Nase unsers Hansen drang, da war ihm ganz und gar nicht wohl zu Sinne; er hätte wohl Alles darum gegeben, an der Stelle des guten Ochsenjungen zu sein.




3) Das "Alp-Drücken" bezeichnet die platte Sprache durch "Mort-Rieden". Nach der Vorstellung des Volks ist "de Mort" ein marderartiges, auf den Hinterbeinen gehendes, schwarzes Tier, das der Teufel den Hexen zu Gebote stellt. Diese lassen es zur Nachtzeit auf Menschen reiten, die wachend im Bette liegen, sie umklammern und die Beängstigten mit solcher Gewalt drücken, dass die Spuren des Drucks sich oft am Morgen noch durch blaue Flecke am Leibe zeigen.
4) Witten Ohrand, eine Feldblume, wahrscheinlich eine Art campanula - ein Hauptmittel gegen alle Behexung.
5) Das Sprichwort sagt: "Hör sick ener vör son' de Gott tekent hett".
6) Das Ziegen-Vieh ist Lieblings-Vieh der Hexen. Vormals hielten die Bauern der hiesigen Gegend zwischen dem übrigen Viehe im Stalle immer auch eine Ziege oder lieber noch einen Ziegenbock, als Präservativ gegen die Viehbeherung. Kam dann eine Hexe in den Stall, so erwählte sie ihr Lieblingsthier, die Ziege oder den Bock, ritt darauf und ließ das übrige Vieh ungeschoren. Nach dem Mecklenb. Prakt. Wochenbl. . v. 1841, St. 39, soll dieser Aberglaube noch heutzutage in einzelnen Gegenden Württembergs gang und gebe sein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburgische Volkssagen und Volksaberglaube,