August von Lützow - Carl August

Die Dienste, die August von Lützow dem Herzog 1799 und 1800 in Petersburg geleistet hatte, erwarben ihm das enge Vertrauen Carl Augusts. "Der ehrliche Mann hat wacker an mir gehandelt, mich von allem Nötigen unterrichtet, meine Erkenntlichkeit für ihn ist ohne Grenze", schrieb der Weimarer Herzog an Friedrich Franz 6). Der Eindruck, den er von der Umsicht und Zuverlässigkeit des mecklenburgischen Diplomaten gewonnen hatte, wird von den Zeitgenossen bestätigt.

Rudolf Friedrich August von Lützow 7) aus dem Hause Groß-Salitz war als Sohn des Oberstallmeisters von Lützow 1757 in Schwerin geboren worden und hatte zuerst als württembergischer, dann als preußischer Offizier und Hofmann eine jener Laufbahnen im Dienste verschiedener deutscher Fürsten durchmessen, wie sie im Adel und Beamtentum des 17. und 18. Jahrhunderts allgemein üblich waren. Von 1783 ab stand er in mecklenburgischen Hofdiensten, seit 1785 als Oberhofmeister der Herzogin; dieses Amt behielt er bis an sein Lebensende (1835). Daneben aber bestand seine Haupttätigkeit in diplomatischen Unternehmungen. Seit 1794 vertrat er seinen Herzog am Berliner Hofe (mit einigen Unterbrechungen bis 1835). Daneben erwarb er sich Verdienste auf mehreren Sondergesandtschaften in Petersburg (1799 bis 1800, 1806/07 und 1808), in Paris (1808 bis 1813) und vor allem in den Verhandlungen mit Schweden, die 1803 im Malmöer Vertrag zur Rückgewinnung Wismars führten. Trat in seiner früheren Zeit die diplomatische Routine und kluge höfische Gemessenheit und Diskretion, die als berechnende Kühle empfunden werden konnte 8), sichtbarer in Erscheinung, so erschienen diese Züge im Alter ganz eingeschmolzen in die vornehme Gesamthaltung eines aufrechten und ausgeformten Aristokraten; der Prinzenerzieher Gotthilf Heinrich von Schubert, der 1817 an den Hof in Ludwigslust kam und im Hause Lützows verkehrte, vergleicht ihn - etwas romantisch angehaucht - mit "einer alten mächtigen Edeleiche seines Vaterlandes, unter deren Schatten man gerne ausruht" 9).


So würdigte auch Herzog Carl August ihn seines freundschaftlichen Vertrauens. Schon in dem Brief vom 13. Juli 1799 10) spricht er von "unserer alten Bekanntschaft, Freundschaft" und den "tätigen, häufigen Proben, welche Sie mir von letzterer gegeben haben", und diese Haltung zu Lützow zeigen vor allem 10 Briefe Carl Augusts an Lützow aus den Jahren 1805 und 1806, die im Geheimen und Hauptarchiv in Schwerin erhalten und sicher auch nur ein Teil aus einer umfangreicheren Reihe sind 11). Auch in diesen Briefen plaudert der Herzog von persönlichen und Familienangelegenheiten, aber doch mehr gelegentlich; der politische Inhalt steht durchaus im Vordergrund.

In seinen Lebenserinnerungen sagt der spätere Generalfeldmarschall Carl von Müffling, der von 1806 bis 1813 in Carl Augusts Diensten stand: "Die vielen literarischen Korrespondenzen, welche in Weimar mit allen Teilen von Deutschland unterhalten wurden, die alte Gewohnheit des Herzogs, sich von seinen Chargés d'Affaires oder besoldeten Korrespondenten Nachrichten aus allen Teilen Europas mitteilen zu lassen, erleichterte das Nachrichtenfach" 12). Diese von Carl August über die Köpfe seiner eigentlichen Beauftragten hinweg "allenthalben geführten Korrespondenzen" wurden von diesen zuweilen unangenehm empfunden 13). Lützow war kein eigentlicher Agent Carl Augusts; er gehörte zu jener Reihe von Staatsmännern befreundeter deutscher Staaten wie Frankenberg in Gotha, Edelsheim in Karlsruhe, Hardenberg in Preußen, die Carl August seiner politischen und oft auch persönlichen Mitteilungen würdigte. Mehr als diese, mit denen als leitenden Ministern der Herzog unmittelbar verhandelte, gehörte aber Lützow als Gesandter mit guten Beziehungen in sein System der Nachrichtensammlung und der mittelbaren Einflußnahme hinein. Lützow spricht von "unserem Verhältnis", das man in Paris nicht ahnen würde 14); als 1802 Napoleon Preußen nahelegte, sich Mecklenburg einzuverleiben und dafür das Fürstenhaus in Westfalen zu entschädigen, um Preußen damit vom Westen abzudrängen, benutzte Lützow dieses Verhältnis zu Carl August, um seinerseits durch Wolzogen aus Paris Nachrichten über diese beunruhigende Angelegenheit zu erlangen. Bei Carl August war dieses System von Beziehungen ein Ausdruck zugleich des weitaus greifenden politischen Wollens wie der überall vorsichtig herumhorchenden Machtlosigkeit des Kleinfürsten in seiner bedrohten und zugleich Gewinnmöglichkeiten in sich bergenden Lage zwischen den großen Mächten und im Geschiebe der deutschen Kleinstaaterei. Diese Haltung zeigen die Briefe an Lützow aus den Jahren 1805/06 recht deutlich. Soweit sie die politische Stellung Carl Augusts in dieser unheilvollen Epoche der preußischen Zauderpolitik vor dem Zusammenbruch beleuchten, sind sie wert, im Auszug mitgeteilt zu werden 15).

An der dritten Koalition, zu der sich 1805 Rußland, Österreich, England und Schweden gegen den immer bedrohlicher vordringenden Napoleon verbanden, nahm Carl August mit seinen leidenschaftlichsten Wünschen teil. Seit Anfang Oktober 1805 war seine Verwendung im mobil gemachten preußischen Heer, das die preußische Neutralität verteidigen sollte, und zwar damals vor allem schon gegen Frankreich, vorgesehen; mit Ungeduld und heftiger Kritik verfolgt er in den Briefen an Lützow die politischen und militärischen Operationen, als General, als Landesfürst, als Deutscher. Der Groll und die Ungeduld der Machtlosigkeit, die sich in Schimpfen und Klagen Luft macht, mischt sich in ihnen mit echter politischer Leidenschaft und Urteilsschärfe. Von der schmerzlichen Hoffnung auf die Teilnahme Preußens, an dessen Politik das kleine Sachsen-Weimar Anlehnung suchen mußte 17), und dann von bitterer Resignation ist ihr Grundton bestimmt. Mit Lützow verstand Carl August sich in diesen Fragen gut, weil auch Mecklenburg in ähnlicher Weise von Preußen abhängig war und weil gerade Lützow eine mecklenburgische Politik im Anschluß an Preußen verfocht 18).

Als Kaiser Alexander I. von Rußland vom 28. Oktober bis 5. November 1805 in Potsdam weilte, um Preußen auf die Seite der Koalition zu ziehen, war auch Carl August dort anwesend. Die Verbindung Preußens und Rußlands lag ja ganz in der Linie seiner Politik; schon vorher hatte er zwischen Kursachsen und Preußen eine Vereinbarung wegen des militärischen Zusammenschlusses gegen Frankreich herbeiführen wollen, und nun wurde verabredet, daß er den Zaren nach einem Aufenthalt in Weimar nach Dresden begleiten sollte.


Das teilte er Lützow in seinem Brief vom 3. November von Potsdam aus mit. Über den Potsdamer Vertrag von diesem Tage, der Preußen zu bewaffneter Neutralität zugunsten der Verbündeten und zum Druck auf Napoleon durch Verhandlungen verpflichtete, schreibt er in seinem Brief nichts. Vielleicht wußte er auch nichts Näheres, weil der Vertrag zunächst streng geheim gehalten werden sollte, wie Carl August denn zu den großen politischen Verhandlungen wohl nicht zugezogen wurde. Auf die besonderen Interessen des mecklenburgischen Vertreters in Berlin aber ging er ein, wenn er die Lage der Russen streifte. Damals stand nämlich das russische Landungskorps des Grafen Tolstoy, das Hannover besetzen und die russische Hauptarmee unter Kutusow am Inn dadurch entlasten sollte, auf seinem Marsch von Stralsund nach Hannover in Mecklenburg; Carl Augusts Mitteilung, daß es dort erst Verstärkungen abwarten werde, findet in einem Brief Lützows aus Berlin an die Regierung in Ludwigslust vom 7. November 1805 Verwendung. Der Durchmarsch der Russen und damit der Bruch der mecklenburgischen Neutralität war für das kleine Land eine politische Lebensfrage und daher in den letzten Wochen der Gegenstand vieler angstvoller Überlegungen gewesen, aus denen Preußens Anschluß an Rußland die mecklenburgischen Staatsmänner erlöste. Carl Augusts Kritik an der russischen Unüberlegtheit bezieht sich wohl auf das isolierte Vorgehen der Russen im Norden, die nun erst durch den inzwischen erfolgten Einmarsch der Preußen in Hannover und überhaupt durch die preußische Reservestellung Rückhalt fanden. Es heißt in dem Brief:

Potsdam, 3. November 1805.

- - Die Russen bleiben stehen, weil man hier überein
gekommen ist, die Sache etwas vorsichtiger zu betreiben,
den König von Schweden heranzulassen, der in Stralsund
ist, und Truppen, zumal Kavallerie, aus den russisch-
polnischen Provinzen zu erwarten, die zu Tolstoy stoßen
sollen. Die ganze Sache ist so zweckwidrig und jung und
unüberlegt angefangen worden, daß jetzt die Russen Gott
danken werden, wenn man sie ein bißchen zurecht hilft,
ehe sie en détail geschlagen werden. - -


Der Potsdamer Vertrag machte die Teilnahme Preußens am Krieg von dem Ausgang der Verhandlungen mit Napoleon abhängig, in denen Preußen als Vermittler die Wiederherstellung der früheren Vertragslage von dem bisher siegreichen Kaiser fordern sollte. In dieser Schwebesituation, in der alles auf die Einsatzbereitschaft und Entschlußfähigkeit des preußischen Königs ankam, äußert sich im nächsten Brief an Lützow die ungeduldige Hoffnung des deutschen Patrioten Carl August. Der Brief bringt auch die Nachricht von seiner Verwendung im Korps des Fürsten Hohenlohe, der die preußischen und sächsischen Truppen befehligen sollte. Die allgemeine Wertschätzung, die Hohenlohe genoß 22), klingt auch hier an, und überhaupt tritt Carl August seinen neuen Posten hoffnungsfreudig an.

In seinem Brief heißt es:

- - "Mich hat der Fürst Hohenloh mit Auszeichnung bei
seinem Korps angestellt; gewiß soll dieser rechtschaffene
Herr erfahren, daß er an mir einen ehrlichen Mann habe,
der nichts scheuen wird, um zu beweisen, daß es nicht
der Individuen Schuld sei, daß sich der deutsche Name
auf der Tafel der Geschichte im V..sch... befinde. Gott
der Herr gebe nur, daß, da die Sachen nun einmal dorten
sind, wo sie sich befinden, das Herz des Königs geleitet
werde, das Notwendige zu vollbringen. Schreiben Sie mir
doch immer gelegentlich. Durch den Vetter 23) lasse ich
schon die détails melden, wenn etwas der Mühe wert
vorfällt.

Adieu alter Freund.
Weimar, 17. November 1805.
Carl August


Der nächste Brief dagegen spiegelt vor allem die Nöte des weimarischen Landesherrn wieder, dessen Volk unter der drückenden Einquartierung der mobilisierten preußisch-sächsischen Truppen leidet, die in Thüringen auf das Vorgehen nach Franken hinein warten sollten. Aber auch jetzt ist Carl Augusts Stimmung noch hoffnungsfroh, vor allem durch den großen Sieg Nelsons über die französische Flotte bei Trafalgar (am 21. Oktober), aber auch durch die Schlappe der Franzosen auf dem Rückzug der Österreicher und Russen bei Dürrenstein an der Donau, wo der österreichische Befehlshaber, Feldmarschallleutnant Schmidt, den Heldentod starb (am 11. November 1805).

Carl August schrieb u. a.:

Weimar, 23. November 1805.

- - Die hiesigen Lande und das Erfurtische sind sehr
drückend belegt, ich sehe aber nicht ein, wie dem
abgeholfen werden könne.
Die Lieferungen sind auch ganz unerschwinglich, und
die Preise der Dinge über alle Beschreibung hoch. Der Scheffel
Hafer kostete heute drei Taler, das Korn sieben Taler. Unser Scheffel
um ein Fünftel größer wie der Berliner; was aus allem diesem
werden solle, mag Gott wissen. - - Morgen - mache ich mich – auf
die Straße und gehe auf 24 Stunden nach Erfurt, um dem Fürsten von
Hohenloh aufzuwarten.

- - Die Kavallerie klagt gewaltig über lahme Pferde, die
Eskadrons sind sehr schwach, die Infanterie hat ziemlich
Desertion, Regiment Hohenloh 40 Mann, das von
Schimansky 60.

Endlich scheint doch md. fortuna dem großen Napoleon
etwas untreu werden zu wollen; Nelson hat sie stark
herumgedreht, und es wäre fast, als wenn die
Österreicher und Russen nun auch dran wendeten. Die
Affäre bei Crems und Stein scheint doch wichtig zu sein.
Schade für den braven General Schmidt. - -

Leben Sie recht wohl und behalten mich lieb. C. Aug.


Carl Augusts nächster Brief an Lützow ist aus der völlig veränderten Lage heraus geschrieben, die durch den großen Sieg Napoleons über die verbündeten Russen und Österreicher bei Austerlitz am 2. Dezember 1805 geschaffen wurde. Bahls hat gezeigt, wie Carl Augusts militärisches Interesse auf Nachrichten über die Schlacht bedacht war, die der Herzog zu einem Aufsatz verarbeitete; aus unseren Briefen ergibt sich, daß auch Lützow ihm mit Einzelheiten diente.




6) Brief an Friedrich Franz I. vom 23. Dezember 1799.
7) Über Lützow s. Hirschfeld a. a. O. Bd. 1 S. 71 ff., und H. v. Lützow in: Lützowsches Familienblatt 1. Bd. Nr. 4 (1922), 2. Bd. Nr. 29 (1932).
8) So von Lily von Campenhausen, einer Hofdame Helene Paulownas; s. Hirschfeld a. a. O. Bd. 1, "Aus dem Tagebuch einer Hofdame".
9) Gotthilf Heinrich v. Schubert, Der Erwerb aus einem vergangenen und die Erwartung von einem zukünftigen Leben, Erlangen 1856, Bd. 3, S. 61. Mitgeteilt von H. v. Lützow in: Lützowsches Familienblatt, 2. Bd., Nr. 29.
10) Abschrift Großherzogl. Sächs. Hausarchiv in Weimar. A XIX Nr. 77.
11) Außer ihnen konnte ich zur Ergänzung einige Briefe Lützows an Carl August und Maria Paulowna aus dem Großherzogl. Sächs. Hausarchiv in Weimar (Fasz. A XIX Nr. 77, 96 und 177) benutzen; die Gegenbriefe zu unseren Schreiben sind dort nicht vorhanden.
12) F. C. F. von Müffling, Aus meinem Leben, Berlin 1851, S. 21.
13) U. Crämer, Der politische Charakter des weimarischen Kanzlers Friedrich v. Müller und die Glaubwürdigkeit seiner "Erinnerungen" 1806-1813, Jena 1934, S. 22.
14) Brief an Carl August vom 12. April 1802 aus Hannover (Abschrift); Sächs. Hausarch. A XIX Nr. 77.
15) Drei von den Briefen, vom 11. und 25. Februar und vom 11. April 1806, sind teils technisch-unpersönlicher Art, teils enthalten sie rein familiäre Erzählung, so daß auf Auszüge aus ihnen verzichtet wurde. Die Orthographie der abgedruckten Briefe ist modernisiert; die "Grundsätze für die äußere Textgestaltung bei der Herausgabe von Quellen zur neueren Geschichte" von der Konferenz der landesgeschichtlichen Publikationsinstitute wurden beachtet, soweit sie für den beschränkten Zweck dieser Veröffentlichung in Frage kamen.
17) Vgl. über dieses Grundverhältnis von Carl Augusts Politik W. Andreas, Preußen und Reich in Carl Augusts Geschichte, Rektoratsrede, Heidelberg 1932.
18) Vgl. dazu R. Asch, Mecklenburgs auswärtige Politik und insbesondere seine Beziehungen zu Preußen vom Reichskrieg gegen Frankreich (1792) bis Jena (1806), Rostocker Diss. (Masch.-Schrift) 1922, S. 10.

22) Vgl. das Charakterbild bei Max Lehmann, Scharnhorst, Bd. 1, Leipzig 1886, S. 364.
23) Von diesem Vetter, einem preußischen Offizier, den Carl August auf Lützows Empfehlung in seinem Befehlsbereich unterbrachte, ist in den Briefen oft die Rede.