Der russische Feldzug Napoleons 1812 und seine unmittelbaren Folgen.

Als im Jahre 1812 Napoleon seinen Zug nach Rußland begann, dessen Kaiser Alexander sich dem Gebote der Kontinentalsperre widersetzte, da mußten auch die mecklenburgischen Truppen als Rheinbundtruppen Folge leisten und das traurige Los der großen französischen Armee teilen. Nur einige Strelitzer kamen bis nach Moskau, alle übrigen erreichte schon 400 km vor dieser Stadt bei Dorogobusch die Nachricht von dem Brande Moskaus und der deswegen begonnenen Umkehr Napoleons. Der Starrsinn dieses Mannes, der selbst Sturm und Wetter hatte trotzen wollen, die sich immer steigernde Kälte und vor allem der Übergang über die Beresina, bei dem allein Zehntausende in den eisigen Wellen des Flusses umkamen, weil die Brücke brach, ließen von der ganzen Armee, die bei ihrem Auszuge über eine halbe Million Krieger aus allen Ländern zahlte, kaum ein Zehntel übrig. Davon waren die meisten noch Krüppel und Lahme, und uur etwa 10.000 kehrten in Waffen zurück. Von den 1.700 Schweriner Truppen sahen, außer etwa 100 Kranken und Gefangenen, nur 35 Mann in Waffen, von den Strelitzern noch weniger die Heimat wieder: bleiche, wankende Gestalten, ausgezehrt und mit zerrissenen Kleidern. Zweitausend junge blühende Söhne des Mecklenburger Landes, einst der Stolz der Eltern und Geschwister, fanden in den Eisfeldern Rußlands, wo Napoleon mehrere hunderttausend Meuschenleben leichtfertig und nutzlos seinem Ehrgeiz opferte, ein frühes Grab; verhungert, erfroren oder auch von den gierigen Wölfen zerfleischt, das war das Schicksal der meisten unter ihnen gewesen. So hatte Mecklenburg zu all den Verlusten an hab und Gut noch den Schmerz über den Tod so vieler hoffnungsvoller Landeskinder. In der Tat, der Jammer und das Elend waren unbeschreiblich. Trübe Niedergeschlagenheit und dumpfe Verzweiflung konnte man wohl in den Augen der armen Bewohner lesen. Alles war dahin, nichts hatte man ihnen gelassen, und der konnte von Glück sagen, der in dieser Zeit Leben und Gesundheit gerettet hatte.

Aber wo die Not am größten, da ist Gottes Hilfe am nächsten. Wenn jemals, so gilt gerade hier dieses herrliche Trostwort. Von Rußland her, aus dem Laude, das dem ganzen Elend der letzten Jahre gleichsam die Krone aufgesetzt hatte, kam durch den Untergang der großen Armee Ende des Jahres 1812 der erste Schimmer der Befreiung. Diese entsetzliche Katastrophe, wie die Kriegsgeschichte sonst nicht ihresgleichen aufzuweisen hat, der Tod Hunderttausender sollte die Rettung vieler Millionen werden, die alle unter dem Joch der Franzosenherrschaft schmachteten.


Am 3. Dezember verkündete Napoleon in dem 29. Bulletin des russischen Feldzuges der Welt, daß die große Armee verloren, die Gesundheit seiner Majestät aber nie besser gewesen sei. Am 4. Dezember verließ er dann herzlos und selbstsüchtig die Trümmer seines Heeres. Am 18. war er in Paris. Es war ein Gottesgericht, wie es die Welt bisher nicht wieder gesehen hat. Selbst einsichtigen Franzosen war dieses Unternehmen Napoleons als etwas Widersinniges erschienen. So faßt z. B. ein französischer Schriftsteller sein Urteil hinsichtlich des russischen Feldzuges über Napoleon dahin zusammen: „Er hatte ihn schlaff begonnen, hartnackig fortgeführt, sorglos beendigt und gefühllos abgebüßt. Der erste beste Offizier seines Heeres hatte die Überbleibsel von jenen siebenmalhunderttausend Mann, die eines anderen Xerophon würdig waren, besser geführt oder besser zurückgebracht. Er war mit der Post von der Beresina nach den Tuilerien zurückgekommen, ohne nur einmal sich umzusehen. Er schien dem Glücke alles geopfert zu haben an dem Tage, wo es ihm den Besitz der Welt verweigerte. Ähnlich einem Spieler hatte er den ganzen Kontinent daran gesetzt und alles im Stiche gelassen, als ihm der große Wurf nicht gelungen war. Seine Diplomatie war nicht weniger blind und unentschlossen gewesen als sein Feldzug.“ *) Lamartine, Gesch. der Restauration.

Die Jahreswende 1812/13 bedeutet zugleich einen der größten Wendepunkte in dem Gang der Weltgeschichte. Am 30. Dezember 1812 bereits schloß der russische General Diebitsch mit dem Führer des preußischen Korps in dem russischen Feldzuge eine Konvention in der Poscheruner Mühle bei Tauroggen an der russisch-deutschen Grenze. Zwar mußte der König Friedrich Wilhelm von Preußen, obgleich sein General York ganz in seinem Sinne handelte, diesen wegen der von ihm eigenmachtig vollführten Tat äußerlich vor aller Welt aus Furcht vor der Rache Napoleons und der ihn in Berlin um-gebenden Franzosen absetzen, dann aber entzog sich der König selbst durch seine Übersiedlung von Berlin nach Breslau dem Machtbereich der Franzosen. Von hier aus erließ er schon am 3. Februar 1813 den Aufruf zur Bildung freiwilliger Jägerkorps und setzte zugleich York wieder in seine alte Stellung ein.

Dieser war indes zusammen mit dem aus Rußland heimgekehrten Freiherrn vom Stein in der Provinz Preußen tätig gewesen. Auf den 5. Februar wurden dort die Provinzialstände berufen, denen Stein und York die Lage der Dinge klarlegten, und dann mit dem Hinweis auf die augenblickliche günstige Gelegenheit alle Bewohner zur Teilnahme an einer Erhebung mit Wort und Tat aufgefordert. Die Wirkung war eine über Erwarten große. Die ganze Provinz offenbarte eine solche Opferwilligkeit, wie sie bisher nie gesehen war. Ihrem Beispiele folgten bald ganz Preußen und mehrere deutsche Länder. Aus allen Ständen drängten sich Tausende von Freiwilligen zu den Waffen. In Berlin allein stellten sich 370 Gymnasiasten. Besonders groß war die Zahl der Studenten, die unter die freiwilligen Jäger traten. Dazu kam, daß trotz der Armut des Volkes, das in den letzten Jahren durch die französische Herrschaft wie ausgesogen war, bald etwa zehn Millionen Taler in bar oder an Wertsachen aller Art für den Krieg zusammenflossen. Wer noch Geld hatte, brachte, so viel er noch irgend entbehren konnte, auf den Altar des Vaterlandes. Sonst gab man Silbersachen und jede Art von Hausgerätschaften. Frauen und Mädchen spendeten ihr Haar, Neuvermählte oder Verlobte ihre goldenen Ringe und nahmen dafür eiserne mit der Aufschrift: Gold für Eisen. Zünfte und Vereine taten sich zusammen und sammelten für die heilige Sache.

Am 28. Februar schloß der preußische König durch den Kalischer Vertrag ein Bündnis mit Rußland, zugleich gingen die russischen Truppen auf Berlin vor. Ende des Monats erschienen auch in Mecklenburg bereits die ersten Kosaken und erregten hier die Herzen und Gemüter zu immer größerer Ungeduld. Am 26. schon hatten die letzten französischen Besatzungen mitsamt den Douaniers Rostock unter Fluchen und Drohen verlassen und so die Stadt von jahrelangen Mühsalen und Bedrückungen befreit. Dennoch war vorerst große Vorsicht geboten, überall noch lauerte der Feind. Gelegentlich aber trat im Volke der Haß gegen alles Französische deutlich hervor. So wurde Anfang März der Nachtrab der französischen Division Morand, als sie sich auf die Nachricht von dem Anrücken der russischen Vorhut unter Tettenborn aus Pommern durch Mecklenburg zurückzog, in Rostock wie auch in anderen Städten vom wütenden Volk mehrfach mit Kot und Steinen beworfen.

Am 4. März räumten die Franzosen die Hauptstadt Berlin, und einige Tage darauf begann der Einzug der russischen und preußischen Heeresabteilungen. Der erste von allen war der General Tettenborn mit der russischen Vorhut, der bereits am 12. März mit seinen Kosaken wieder von Berlin nach Hamburg aufbrach und auf diesem Zuge seinen Weg durch Mecklenburg nahm (§ 3). Am 10. März, dem Geburtstage der Königin Luise, stiftete der König Friedrich Wilhelm den Orden des Eisernen Kreuzes, am 16. erging die Kriegserklärung an Napoleon, und tags darauf, am 17., erfolgten die bekannten Aufrufe: „An mein Volk“ und ,,An mein Kriegsheer“. Da beide zu den schönsten Urkunden aus der großen Zeit der Freiheitskriege gehören, so mag wenigstens der erstere hier nach seinem Wortlaut wiedergegeben werden:

„So wenig für mein treues Volk als für Deutsche bedarf es einer Rechenschaft über die Ursachen des Krieges, welcher jetzt beginnt. Klar liegen sie dem unverblendeten Europa vor Augen.

Wir erlagen unter der Übermacht Frankreichs. Der Friede, der die Hälfte meiner Untertanen mir entriß, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ausgesogen. Die Hauptfestungen blieben vom Feinde besetzt, der Ackerbau ward gelähmt sowie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer Stüdte. Die Freiheit des Handels ward gehemmt und dadurch die Quelle des Erwerbes und Wohlstandes verstopft. Das Land ward ein Raub der Verarmung.

Durch die strengste Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten hoffte ich, meinem Volke Erleichterung zu bereiten und den französischen Kaiser endlich zu überzeugen, daß es sein eigener Vorteil sei, Preußen seine Unabhüngigkeit zu lassen. Aber meine reinsten Absichten wurden durch Übermut und Treulosigkeit vereitelt, und unr zu deutlich sahen wir, daß des Kaisers Verträge mehr noch wie seine Kriege uns langsam verderben mußten. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo alle Täuschung über unseren Zustand aufhört.

Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litauer! Ihr wißt, was ihr seit sieben Jahren erduldet habt, ihr wißt, was euer trauriges Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. Erinnert euch an die Vorzeit, an den großen Kurfürsten, den großen Friedrich. Bleibet eingedenk der Güter, die unter ihnen unsere Vorfahren blutig erkämpften: Gewissensfreiheit, Ehre, Unabhängigkeit, Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft. Gedenkt des großen Beispiels unserer mächtigen Verbündeten, der Russen, gedenkt der Spanier und der Portugiesen. Selbst kleinere Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen. Erinnert euch an die heldenmütigen Schweizer und Niederländer.

Große Opfer werden von allen Ständen gefordert werden, denn unser Beginnen ist groß und nicht gering die Zahl und die Mittel unserer Feinde. Ihr werdet jene lieber bringen für das Vaterland, für euren angeborenen König als für einen fremden Herrscher, der, wie so viele Beispiele lehren, eure Söhne und eure letzten Kräfte Zwecken widmen würde, die euch ganz fremd sind. Vertrauen auf Gott, Ausdauer, Mut und der mächtige Beistand unserer Bundes-genossen werden unseren redlichen Anstrengungen siegreichen Lohn gewähren.

Aber welche Opfer auch von einzelnen gefordert werden mögen, sie wiegen die heiligen Güter nicht auf, für die wir sie hingeben, für die wir streiten und siegen müssen, wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu sein.

Es ist der letzte entscheidende Kampf, den wir bestehen, für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unseren Wohlstand. Keinen anderen Ausweg gibt es als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet ihr getrost entgegengehen um der Ehre willen, weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag. Allein wir dürfen mit Zuversicht vertrauen, Gott und unser fester Wille werden unserer gerechten Sache den Sieg verleihen, mit ihm einen sicheren, glorreichen Frieden und die Wiederkehr einer glücklichen Zeit.“
Breslau, den 17. März 1813.
FriedrichWilhelm.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und die Mecklenburger.