Abschnitt 3

In dieser Denkschrift war ausgeführt, daß, wenn die obwaltenden Verhältnisse dazu führen müßten, eines der altfürstlichen Häuser zur Kurwürde zu erheben, Mecklenburg-Schwerin darauf gerechte Ansprüche habe, um so mehr, da seine glückliche Verbindung mit dem russischen Kaiserhause es unter den besonderen Schutz des Kaisers stelle, dem Deutschland seine Erhaltung werde zu verdanken haben. Aber die Mittel des herzoglichen Hauses seien beschränkt und ständen außer Verhältnis zu einer solchen Rangerhöhung; durch die Opfer, die es beim Westfälischen Frieden habe bringen müssen, durch die während des Siebenjährigen Krieges erlittenen Verluste und durch die großen Kosten, die der jüngste Krieg verursacht habe, sei es schwer geschädigt, und so sei die Kurwürde für den Augenblick unverträglich mit den gegebenen Verhältnissen. Schon die Erhebung zur Kur an sich sei kostspielig und die neue Würde werde dem herzoglichen Hause auch für die Zukunft große Ausgaben auferlegen, wie die Teilnahme an den Kaiserwahlen, die ständigen Gesandtschaften bei verschiedenen Höfen und bei der Reichsversammlung, die Stellung von 4000 Mann bei Reichskriegen und eine Menge anderer, schwer zu detaillierender Dinge. Anders liege die Sache, wenn durch Fürsprache des Kaisers dem herzoglichen Hause eine Gebietserweiterung zuteil werde. Bei der geographischen Lage der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Güstrow könne dafür nur das Herzogtum Lauenburg in Frage kommen, auf welches das herzogliche Haus ohnehin gerechte und von Preußen wiederholt anerkannte Ansprüche habe.

Mit dem Inhalt dieser Denkschrift erklärte man sich in Schwerin im ganzen einverstanden und Lützow erhielt den Auftrag, sie Krüdener zu übergeben, was am 17. März geschah. Auch Krüdener fand „alles sehr anpassend und gut gesagt“, behielt sich aber vor, die Sache mit Lützow noch zu besprechen. Dann aber gerieten diese Verhandlungen ins Stocken, denn am 23. März fiel Kaiser Paul durch Mörderhand, und nun hielt es der Herzog für angemessen, sobald die amtliche Anzeige von diesem Ereignis und der Thronbesteigung des Nachfolgers eingegangen sein werde, Lützow in besonderer Mission nach Petersburg zu schicken. In Lützows vom 9. April datierter Instruktion heißt es in Betreff der Kurwürde: „Vorläufig, und um sich darnach in Petersburg nach Befinden äußern, erklären und eventualiter unterhandeln zu können, verhalten Wir ihm gnädigst nicht, daß der bei Uns veranlaßte Wunsch einer Erhebung Unsers Herzoglichen Hauses sich lediglich auf den Fall beschränke wenn solche von andern Altfürstlichen Häusern mit Hoffnung eines gewierigen Erfolgs in Anrege gebracht werden sollte, und mit dieser Erhebung eine angemessene Vergrößerung Unserer Herzoglichen Lande verbunden seyn könnte. Sollte das Chur-Haus Hannover bewogen werden, seine Besitzungen abzutreten, so würde das Herzogthum Lauenburg, worauf Unser Herzog-liches Haus aus älteren Zeiten ohnehin gegründete Ansprüche hat, eine Gelegenheit darbieten, Unserm Herzoglichen Hause eine Entschädigung und Verbesserung zu verschaffen, allein immer noch zu unbeträchtlich seyn, um davon die mit einer Erhebung verbundenen Lasten und Kosten tragen zu können. Würde sich daher eine etwanige Vergrößerung nur darauf beschränken können, so ist der Gedanke einer Erhebung zu unterdrücken. Wäre indessen die höchste Absicht auf eine Erhebung Unsers Herzoglichen Hauses und damit verbundene angemessene Vergrößerung desselben gerichtet und nach eintretenden Umständen erreichbar, so hat er dazu den Theil der Hannoverschen Lande bis an die Aller und Weser in Vorschlag zu bringen. Aber auch in dem Fall, daß mit den Hannoverschen Landen eine Veränderung nicht geschehen sollte, ist wo möglich die Abtretung des Herzogtums Lauenburg entweder ganz, oder in der Maaße, daß die Elbe die natürliche Grenze zwischen den Hannoverschen Landen und Mecklenburg mache, nachzusuchen.“


Auf dem Wege nach Petersburg sprach Lützow in Berlin bei Krüdener vor und erlebte dort die erste unangenehme Überraschung. Krüdener teilte ihm unumwunden mit, „nun müsse der Herzog die Idee der bewußten Akquisition fahren lassen“. Vielleicht sei noch etwas anderes zu machen: möglicherweise könne man sich das Hildesheimische geben lassen und dann ein Tauschgeschäft machen, doch das seien alles so weit aussehende Pläne, daß nur an Ort und Stelle darüber geurteilt werden könne. Seinen Eindruck von der Unterredung mit Krüdener faßt Lützow in seinem ersten, undatierten Bericht in die Worte zusammen: „So viel ist gewis, daß ohne diesen schrecklichen Vorfall das herzogliche Haus mehr eine Wahrscheinlichkeit zur Erlangung seiner Wünsche hatte.“ Unter diesen Umständen erhielt denn auch die von Lützow dem Vizekanzler Grafen Panin übergebene, vom 28. Mai datierte Note einen anderen Wortlaut als den, der ihr ursprünglich hatte gegeben werden sollen. Das herzogliche Haus Mecklenburg-Schwerin - so war in ihr ausgeführt -, obwohl die Vergrößerungspläne anderer deutscher Höfe kennend, habe bisher in dieser Hinsicht völlige Enthaltsamkeit geübt, sei aber im Februar des laufenden Jahres darauf aufmerksam gemacht, daß ein so altes Fürstenhaus, welches außerdem das Glück habe, mit dem russischen Kaiserhause blutsverwandt zu sein, nicht zurückstehen dürfe, wenn andere deutsche Höfe, die bis dahin mit ihm in gleichem Range gewesen seien, es durch Vergrößerungen und durch Erhebung zur Kurwürde zu überholen im Begriff ständen. Das herzogliche Haus, welches die Kurwürde nach ihrem ganzen Wert zu schätzen wisse, würde dennoch eine solche Erhöhung ohne eine gleichzeitige angemessene Vergrößerung, für welche seine geographische Lage nicht günstig sei, rundweg abgelehnt haben, wenn es nicht geglaubt hätte, es werde gefährlich sein, die ihm eröffneten Aussichten unbeachtet zu lassen, und wenn nicht die damaligen Konjunkturen, wo Preußen sich anschicke, Hannover zu besetzen, der Krieg mit England auszubrechen drohe und England voraussichtlich seine deutschen Besitzungen verlieren würde, das herzogliche Haus gezwungen hätten, sich in einer dem Baron v. Krüdener im März übergebenen Denkschrift zu äußern, in der es seine Ansprüche an das Herzogtum Lauenburg erneuerte und betonte, daß selbst mit diesem Gebietszuwachs die Annahme der Kurwürde nicht möglich sein würde, in der aber zugleich alles dem Ermessen und der Entscheidung des Kaisers Paul anheimgestellt wurde. Jetzt nun, wo die Gefahr eines Zusammenstoßes mit England beseitigt und ein Übergang des Kurfürstentums Hannover in andere Hände nicht mehr zu befürchten sei, wo in den deutschen Verhältnissen sich eine Wendung vollzogen habe und durch die Erhaltung der geistlichen Kurfürsten die Bemühungen deutscher Fürstenhäuser um die Kurwürde hinfällig geworden seien, jetzt begnüge sich das herzogliche Haus gern mit dem Besitz seines Landes, sei indessen überzeugt, daß beim etwaigen Eintritt günstiger Konjunkturen - wenn z. B. das Haus Hannover für eine Abtretung von Lauenburg an Mecklenburg-Schwerin durch das Hildesheimische entschädigt werden könnte - alsdann der Kaiser dem herzoglichen Hause hilfreich zur Seite stehen, es in gleichem Range mit andern Fürstenhäusern, die es jetzt zu überflügeln strebten, erhalten und überhaupt die Sache des Hauses Mecklenburg wie seine eigene Angelegenheit betrachten werde.

Den Schluß dieser Note bildet die Bitte um eine schriftliche Zusicherung der kaiserlichen Protektion und des Versprechens, vorkommenden Falles für eine „amélioration“ des herzoglichen Hauses eintreten zu wollen. Diese Zusicherung aber war trotz aller Bemühungen Lützows weder vom Grafen Panin noch, als Panin in dieser Zeit zurücktrat, von seinem Nachfolger, dem Grafen Kurakin, zu erlangen. Ebenso erging es freilich allen den vielen Abgesandten anderer deutscher Fürsten, die mit ähnlichen Aufträgen sich in Petersburg zusammengefunden hatten: auch sie klagten, wie Lützow am 21. Juli berichtete, daß man sie hartnäckig ohne Antwort lasse.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und die Kurwürde