Abschnitt 17

Daraufhin bat Plessen alsbald den Grafen Cobenzl um eine Besprechung, die ihm sofort gewährt wurde. In dieser Konferenz führte er aus, daß auf Grund der russischen Note Österreich wohl selbst davon Abstand nehmen werde, Mecklenburg wegen der Wahlstimme zu verpflichten, da es nur in Übereinstimmung mit Rußland zu Werke gehen könne, und das Wohlwollen, welches der kaiserliche Hof durch die unbedingte Erteilung der Kurwürde dem Hause Mecklenburg erzeige, werde dieses „zur Erreichung des gleichen Endzwecks weit dauernder, nur auf eine angenehmere Weise verbinden“. Cobenzl aber erwiderte: Bei den veränderten Verhältnissen in Deutschland müsse Österreich alle Maßregeln ergreifen, sich die Kaiserkrone auch fernerhin zu sichern; sollte die nächste Erledigung des Kaiserthrones bei Lebzeiten der jetzigen Mitglieder des herzoglichen Hauses erfolgen, so bezweifle er zwar nicht, daß alsdann Mecklenburg sich erkenntlich bezeigen werde, aber in der Politik müsse man sich auf alle möglichen Ereignisse gefaßt machen. Was Österreich verlange, sei ja eine wahre Kleinigkeit, denn wenn Mecklenburg wirklich gesonnen sei, eintretenden Falles für Österreich zu stimmen, so mache es keinen Unterschied, wenn es sein Wort im voraus gebe. Was Rußland über die unbeschränkte Wahlfreiheit nach der Goldenen Bulle äußere, sei zwar theoretisch richtig, aber dem ständen zahlreiche Tatsachen gegenüber, deren merkwürdigste sei, daß Kurbrandenburg sich im Hubertusburger Frieden durch einen geheimen Artikel verbunden habe, dem damaligen Erzherzog, nachherigen Kaiser Joseph seine Wahlstimme zu geben. Österreich stehe mit Rußland im besten Einvernehmen, aber wenn Rußland von Österreich einen Freundschaftsbeweis fordere, könne es seinerseits auch Österreich gefällig sein, und schließlich könne keine Freundschaftsforderung für Österreich ein Zwang werden, Mecklenburg zur Kurwürde zu erheben. Wolle der mecklenburgische Hof aber das besagte Versprechen geben, so müsse das mit größter Verschwiegenheit behandelt werden und nur Österreich, Mecklenburg und Rußland dürften darum wissen.

Von Cobenzl begab sich Plessen zu Anstett und erfuhr von diesem, daß Cobenzl die Entscheidung des Kaisers einholen wolle. Cobenzl habe ihm gegenüber geäußert, nach seinem Ermessen müsse der Wiener Hof auf dem Versprechen der Wahlstimme fest beharren und in Petersburg neue Vorstellungen machen. Es sei übrigens dabei um so weniger etwas versäumt, als die Introduktion der neuen Kurfürsten gewiß in den nächsten Tagen erfolgen und gleich darauf die Reichsversammlung auf ein paar Monate Ferien machen werde; das Kommissionsdekret wegen Mecklenburg könne doch immer nicht vor dem Wiederzusammentreten der Reichsversammlung erlassen werden. Der Kaiser entschied denn auch in dem von Cobenzl angedeuteten Sinne und Plessen wurde davon in Kenntnis gesetzt mit dem Beifügen, es werde in der nächsten Woche ein Kurier mit Aufträgen an den kaiserlichen Gesandten nach Petersburg abgefertigt werden.


Unter diesen Umständen ging nun Plessens Meinung dahin: Man müsse die wiederholten neuen Auseinandersetzungen zwischen dem kaiserlichen und dem russischen Hofe sich zwar allerdings gefallen lassen und vorerst den Erfolg abwarten, zugleich aber auch Maßregeln treffen, um durch einen freiwilligen Entschluß den Ausschlag zu geben, denn aus eigener Bewegung könne der Herzog unstreitig sich zu dem entschließen, was man ihm in Rußland nicht als Zwang auferlegt wissen wolle. Sollten daher die Unterhandlungen zwischen den beiden Kaiserhöfen nicht zu einem Endresultat und zur unverzögerten Erreichung der Kurwürde führen, so erscheine es geraten, lieber den Wiener Hof durch Abgabe des verlangten Versprechens zu beruhigen, als den gewissen Ausgang noch längeren Diskussionen und unberechenbaren Zwischenfällen zu unterwerfen. Auch bleibe noch ein sehr glimpflicher Ausweg übrig, wenn nämlich der Herzog ein ostensibles Reskript an Plessen erlasse, etwa des Inhaltes: wie ihm aus seinen Vortrag zu erkennen gegeben würde, daß der Herzog sowohl durch das Gefühl der Erkenntlichkeit bestimmt wäre, als auch die Überzeugung hegte, daß kein deutsches Fürstenhaus mehr als das Erzhaus Österreich würdig sei, den deutschen Kaiserthron einzunehmen, und daß er daher im Fall der Erhebung zur Kurwürde schon im voraus den festen Entschluß gefaßt habe, bei der nächsten Thronerledigung seine Stimme für den Erbfolger in den österreichischen Staaten abzugeben. Deshalb erhalte Plessen den besonderen Auftrag und die spezielle Vollmacht, dieserhalb eine verbindliche Zusage auszusprechen und dem kaiserlichen Ministerium alle Zusicherungen zu geben, die zu dessen Beruhigung dienen könnten. Von dieser freiwilligen Erklärung werde allerdings der russischen Gesandtschaft Mitteilung zu machen sein. Möglich sei es ja freilich, daß das Wiener Ministerium dem Verlangen Rußlands nachgebe und seine Bedingungen fallen lasse, aber dann werde es so viele Schwierigkeiten und Verzögerungen zu machen und seinen Widerwillen dergestalt zu zeigen wissen, daß es viel geratener sei, vorweg einen Schritt zu tun, der dem herzoglichen Hause ein gutes Einvernehmen mit Österreich und dadurch vielleicht für die Zukunft die eine oder die andere Begünstigung sichere. Der Geschäftsgang bei der Wiener Kanzlei sei übrigens erstaunlich schleppend; man scheine dort grundsätzlich alles in die Länge zu ziehen, um Zeit zu gewinnen und abzuwarten, ob sich nicht inzwischen die Umstände änderten, und dann immer und ewig auf dieselben schon wer weiß wie oft widerlegten Vorstellungen und Einwendungen zurückzukommen. Die Antwort aus Petersburg könne erst nach 4 bis 6 Wochen eintreffen; bis dahin sei gar nichts zu machen und Plessen werde daher einstweilen nach Regensburg zurückkehren.

Gegen Schluß dieses langen Berichtes, dessen Postskriptum wirklich aus Regensburg datiert ist, teilt Plessen dann noch mit, der Herzog von Mecklenburg-Strelitz habe ihn beauftragt, den Vortrag zur Kurwürde so einzurichten, daß mit der eventuellen Sukzession in die Kurlande auch die kurfürstliche Würde selbst auf die jüngere und abgeteilte Linie des Hauses Mecklenburg übergehen möge, was ohne besondere Konzession sonst nicht geschehe. Er habe dieses Ansuchen zwar vorgebracht, aber noch keine Auskunft darüber erhalten können, weil in der russischen Instruktion ausdrücklich immer nur von Mecklenburg-Schwerin die Rede sei und die Gesandtschaft sich daran halte, der Wiener Hof aber nichts ohne hinlänglichen Beweggrund tue. Plessen habe daher dem Herzog von Strelitz geraten, sich mit einem eigenen Ansuchungsschreiben an den Kaiser zu wenden, was man überdies in Wien als eine unerläßliche Förmlichkeit ansehe.

In Schwerin waren die beiden letzten Berichte Plessens Gegenstand ernstlichster Erwägung. An sich fand das Ministerium die Abgabe der vom Kaiser verlangten vorgängigen bindenden Erklärung unbedenklich; derartige vorherige Stimmenversicherungen seien üblich gewesen seit es Kaiserwahlen gebe. Aber schon jetzt damit vorzugehen, in einem Augenblick, wo über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer solchen Bindung zwischen Wien und Petersburg verhandelt werde, sei doch nicht ratsam, und ohne die Billigung des Kaisers von Rußland dürfe die Zusicherung wohl nicht gegeben werden. Demnach wurde zunächst unterm 23. August Plessen angewiesen, den Wortlaut der österreichischen Antwort - die in Wahrheit niemals erfolgt ist - auf die russische Note zu erkunden und baldmöglichst einzusenden. Am 7. September ging dann ein Promemoria an den Herzog, in dem nach Darlegung der Bedenken des Ministeriums der Herzog gebeten wurde, durch den Erbprinzen an den Kaiser von Rußland schreiben zu lassen, daß der Herzog nicht abgeneigt wäre, sich der vom kaiserlichen Hofe gemachten Bedingung zu unterziehen, jedoch vorher der Zustimmung des Kaisers von Rußland um so mehr versichert zu sein wünschte, als er der russischen Protektion allein die Erhebung seines Hauses zu verdanken haben würde. Sollte sodann in der zu erwartenden Antwort aus Rußland die Bewilligung der kaiserlichen Forderung genehmigt oder auch nur der eigenen Entschließung des Herzogs überlassen werden, so könne ja an Plessen der besondere Auftrag und die spezielle Vollmacht erteilt werden, die verlangte bestimmte Erklärung und Zusicherung in Wien abzugeben. Allenfalls könne Plessen instruiert werden, beim kaiserlichen Hofe die Versicherungen zu bewirken, daß erstens alle aus der kaiserlichen Macht fließenden Verfügungen ungesäumt erlassen würden, zweitens dem herzoglichen Hause alle möglichen Begünstigungen angedeihen sollten, wenn sich etwa künftig eine günstige Gelegenheit zu territorialer Vergrößerung finden möchte, und daß drittens das spätere Erhalten der Kurwürde und der Introduktion in das Kurkollegium dem bisherigen Rang mit den inzwischen eingeführten Kurfürsten ganz unnachteilig sein sollte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und die Kurwürde