Abschnitt 12

Aber zur selben Zeit machte der Herzog die trübe Erfahrung, daß er sich in seiner Rechnung auf die werktätige Unterstützung der beiden Höfe, von denen er alles erwartete, Preußens und Rußlands, getäuscht hatte. Gewiß, beide waren bereit, ihm zur Erlangung der Kurwürde behilflich zu sein, aber den von ihm so heiß begehrten Zuwachs an Land und Leuten wollten oder konnten sie ihm nicht verschaffen. Das ging aus Plessens Bericht vom 11. November mit aller Deutlichkeit hervor. Daher also das andauernde, von Bühler selbst als unbegreiflich bezeichnete Ausbleiben der Instruktionen aus Petersburg, daher das hinhaltende Benehmen des Grafen Goertz. In diesem Bericht hieß es: „Indem ich gestern Abends schon die durch einen französischen Courier überbrachte Nachricht wegen des Elsflether Zolles . . . in Erfahrung brachte, so glaubte ich hieraus Veranlassung nehmen zu können, um mich von der Stimmung derjenigen Höfe, auf deren Verwendung Ew. herzogliche Durchlaucht vorzügliche Rechnung machen müßen, im voraus zu überzeugen. Der Russische Gesandte v. Bühler beharret auf seiner Meinung, daß er ohne die bestimmten Befehle seines Hofes keinen so wichtigen Antrag thun dürfe, dessen Erreichung ohnedem, bei der gegenwärtigen Unzulänglichkeit des EntschädigungsFonds äußerst schwierig seyn würde. Auch durch ein Schreiben, welches Herr von Bühler vor ein paar Tagen von Herrn von Alopaeus aus Berlin erhielt, ist er auf keinen anderen Gedanken gebracht. Obgleich er mir deßen Inhalt nicht anvertrauet, so ist mir der Zufall so günstig gewesen zu erfahren, daß darin die Abschrift eines Briefes des Rußischen Ministers Grafen Worontzoff an Herrn von Alopaeus mitgetheilt ward, welche ungefähr dahin lautet: er hielte nicht dafür, daß die Ausgaben des herzoglichen Hauses Mecklenburg durch die Annahme der Churwürde besonders vermehrt würden, und daß daßelbe daher von den Vorzügen welche man ihm dadurch wolte zu Theil werden laßen, auch ohne weitere Acquisition Gebrauch machen könte; fände sich jedoch Gelegenheit demselben noch etwas zuzuwenden, ohne dadurch den Plan zu derangiren, oder die schon genommenen Maaßregeln zu verändern, so mögte er darauf Rücksicht nehmen.' Ich will nicht entscheiden ob dieser Brief nicht auch eine günstige Deutung litte, aber so viel weiß ich, daß er eben keinen besonderen Eindruck hervorgerufen hat. Der Preußische Gesandte von Görtz hat mir geäußert, wie er Vermöge seiner Instruction nur die von Rußland für das Herzogliche Interesse gemachten Vorschläge bestens unterstützen solle, und solches auch mit Vergnügen thun würde, die förmlichen Anträge deshalb aber, welche in der gegenwärtigen Bedrängniß sehr vieles Aufsehen machen würden, von seiner Seite zuerst zu thun, sey er nicht angewiesen. Endlich hat mir auch noch der Churbaierische Gesandte von Rechberg mit Freimütigkeit gestanden: daß er wegen des eigenen Intereße seines Hofes eher dahin stimmen müste, daß die beiden Ämter im Niederstift Münster, im Falle der Erledigung, angewandt würden, die große Masse der Rentenzahlungen zu vermindern. Ich bin bemühet gewesen, von diesen Gesinnungen mir die möglichste Kenntnis im voraus zu verschaffen, um nicht, durch täuschende Erwartungen hingehalten, die, vielleicht für den Augenblick noch möglichen, Mittel zu verabsäumen. Sollte ich nach der Uebersicht, welche die hiesigen Verhältniße gewähren, mir einen unterthänigsten Vortrag erlauben, so würde ich als einen zweckdienlichen Versuch anrathen: daß man sich von seiten Ew. Herzoglichen Durchlaucht noch izt unmittelbar an des Rußischen Kaisers Majestät mit dem Ansuchen wenden mögte, daß in dem Falle der Beibehaltung des Elsflether Zolles die beiden Ämter Kloppenburg und Vechte dem Durchlauchtigsten Hause, unter Erlangung der Churwürde, beigelegt, und daßelbe dadurch mit anderen verwandten Häusern wieder in gleichem Range gesetzet würde. Wenn dieses Schreiben per Estaffette besorgt würde, so könte es noch zu rechter Zeit in Petersburg eintreffen.“

Das Ministerium trat der Ansicht Plessens bei. Freilich nicht einstimmig, vielmehr gab Rudloff ein Separatvotum ab: „In der an Ueberzeugung grenzenden Besorgnis, daß alle auf Vergrößerung abzielenden Anträge und Versuche nur auf Abwege hinführen, die izt nicht mehr zu erreichen sind, inhärire ich . . . dem treudevotesten Wunsche: daß die KuhrWürde (um von dem gegenwärtigen, nimmer wiederkehrenden Augenblick doch einigen Nutzen für die Zukunft zu ziehen) ohne alle Bedingung pure anzunehmen, das übrige aber Gott und der Zeit zu überlassen hochstgefällig werden mögte.“ Aber über dieses Votum hinweg erging unterm 19. November ein Promemoria an den Herzog des Inhalts: Aus dem Plessenschen Bericht ersehe man, daß sowohl der preußische als der russische Gesandte, allen Versicherungen durch andere Quellen entgegen, noch immer Anstand nähmen, das Interesse des herzoglichen Hauses dadurch zu befördern, daß Sie bestimmt auf Beilegung des Amtes Willershausen - von dem bisher noch gar nicht die Rede gewesen war - und der Ämter Kloppenburg und Vechta auf den jetzt wahrscheinlich eintretenden Fall antrügen, wenn der Herzog von Oldenburg sie nicht annähme und der Elsflether Zoll von Bestand bliebe. Sollte der Herzog nicht etwa noch immer hoffen, daß Bühler die bestimmte Instruction erhalten werde, zugleich mit der Kurwürde eine Vergrößerung an Land und Leuten und namentlich die Beilegung der genannten Ämter nachzusuchen, so dürfte es sich empfehlen, eine solche Instruction für Bühler noch jetzt durch ein mit Estaffette zu beförderndes Schreiben des Erbprinzen an den Kaiser zu bewirken, da sonst über die Ämter anderweitig verfügt und dadurch dem herzoglichen Hause es unmöglich gemacht würde, die Kurwürde mit der beträchtliche und den gegenwärtigen Umständen ganz und gar nicht angemessene Ausgaben und Aufwendungen verbunden sein würden, anzunehmen. Ein gleicher Schritt möge auch in Berlin gethan, Plessen aber von allem benachrichtigt und dahin instruiert werden, daß er sowohl Bühler als Goertz ersuche, den Antrag wegen der Kurwürde nur in Verbindung mit dem auf Vergrößerung des herzoglichen Hauses zu stellen, da der Herzog dazu bei beiden Höfen die niedermünsterschen Ämter für den Fall in Vorschlag gebracht habe, daß der Herzog von Oldenburg deren Annahme unter den gestellten Bedingungen ablehne.


Der Herzog stimmte dem Promemoria bei und beauftragte den damals in Hamburg weilenden Erbprinzen mit der Abfassung der an den Kaiser von Rußland und den König von Preußen zu richtenden Schreiben, die beide am 21. November an ihre Adresse abgingen.

In der Zwischenzeit hatte Plessen zu berichten, daß die französische Regierung dem Protest des Königs von England gegen die Belegung der osnabrückschen Stifter mit einer Rente zum Vorteil des Herzogs keine besondere Bedeutung beimesse und der Meinung sei, der König werde schließlich seine Einwilligung nicht verweigern; auch die neueste Instruktion der französischen Gesandten berechtige sie nicht, den Stiftern diese Belastung abzunehmen. In dem Supplement des Entschädigungsplanes bleibe es daher bei der bisherigen Anweisung, nur sei der Vorbehalt gemacht: sauf à prendre des arrangemens ultérieures entre les puissances médiatrices et le Roj d'Angleterre. Dagegen sei der Zusatz wegen des Amtes Neuhaus gestrichen, um die Einwilligung des Königs nicht zu erschweren, und das habe Plessen geschehen lassen müssen. Das schlimmste sei nur, daß die Entschließung des Londoner Hofes sich sehr verzögern und dadurch alle weiteren Schritte aufhalten dürfte. Weiter heißt es in dem Bericht, der Lübecker Abgeordnete, Senator Rodde, könne die Abtretung der Hospitalgüter, deren Wichtigkeit er nicht müde werde zu schildern, gar nicht verschmerzen. Im Geheimen sei er bemüht, seine Stadt von der Verbindlichkeit gegen Mecklenburg, alljährlich einen Martensmann dorthin abzuschicken, zu befreien und wolle dies in das Supplement aufgenommen haben, mit der Motivierung, es sei das eine auf den abgetretenen Dörfern ruhende Servitut. Glücklicherweise habe Plessen davon Wind bekommen und die Aufnahme in das Supplement verbeten. Sollte übrigens, wie es beabsichtigt sei, von den vermittelnden Gesandten mittels einer Note an Plessen das Ansuchen an den Herzog ergehen, die Stadt Lübeck von dieser Obliegenheit zu befreien, so gedenke er den Irrtum in der Begründung Roddes darzutun, im übrigen aber sich dahin zu äußern, daß der Herzog wohl geneigt sein werde, sich darüber mit der Stadt Lübeck in Güte auseinanderzusetzen. Letzteres bestätigte die nächste Instruktion für Plessen vom 25. November, in der zudem ausgeführt wurde: der Ertrag der Hospitaldörfer sei nur geringfügig und bestehe größtenteils nur in Naturalien; die Servitut des Martensmannes aber habe mit diesen Dörfern gar nichts zu tun, sei vielmehr eine der Stadt Lübeck unmittelbar, nicht dem Hospital zur Last stehende uralte Servitut. 12)




12) Die Stadt Lübeck war verpflichtet, alljährlich am Martini-Tage (10. November) nachmittags nach 1 Uhr eine Tonne oder ein Ohm rheinischen Mostes durch einen Ratsdiener unter vielen Ceremonien an das herzoglich mecklenburgische Hoflager in Schwerin zu liefern, woher der Überbringer auch der „Martensmann“ genannt wurde. Was diese Mostlieferung zu bedeuten hatte, darüber findet sich keine bestimmte Nachricht, es wird in früheren Zeiten nur wiederholt gesagt, daß die Lieferung ein „alter“ Gebrauch sei, und es ist gewiß, daß die „Entstehungszeit schon im 16. Jahrhundert nicht mehr bekannt“ war. Es wird angenommen, daß sie ein Zeichen der Anerkennung, eine Recognition für irgend eine Oberherrlichkeit, ein Hoheits- oder Schirmrecht war, wie denn in der Tat mecklenburgische Fürsten mehrfach (nachweislich zuerst Fürst Heinrich II. 1291) die Schirmvogtei der Stadt Lübeck übernommen haben. Die Sendung des Martensmannes ward 1817 durch Staatsvertrag zwischen dem Großherzog Friedrich Franz I. und der Stadt Lübeck aufgehoben. S. Lisch im 23. Jahrg. der Jahrb. f. meckl. Geschichte und Altertumskunde (1858) S. 81 ff.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und die Kurwürde