Die Lage Mecklenburgs bei Ausbruch des Krieges

Während so die Kriegswetter von allen Seiten heraufzogen, hatte im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin am 31. Mai 1756 Herzog Friedrich den Thron seiner Väter bestiegen.

Es war eine schwere Zeit für die mecklenburgischen Lande, als dieser edle, pflichtgetreue Fürst, welchen sein Volk „den Frommen“ beigenannt hat, die Zügel der Regierung in seine Hände nahm. Wenn der Ausbruch eines Krieges zwischen zwei Großmächten schon an und für sich eine missliche Situation für ein kleines Land schafft, welches durch seine geographische Lage in der Machtsphäre beider oder auch nur eines der kriegführenden Staaten liegt und eine strikte Neutralität oft beim besten Willen nicht aufrecht zu erhalten ist, so war die Lage Mecklenburgs beim Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und Österreich eine im höchsten Grade gefahrdrohende, weil der Krieg mit der gewaltsamen Besitznahme des Staates eines anscheinend gänzlich unbeteiligten Reichsgliedes durch die preußische Armee begann und dadurch dem deutschen Kaiser eine Handhabe gegeben wurde, die Angelegenheit als einen Friedensbruch innerhalb des deutschen Reiches anzusehen und vor das Forum des Regensburger Reichstages zu bringen. Dort mußte jeder, auch der kleinste und friedlichste Staat Farbe bekennen und konnte durch Majoritäts-Beschluss gezwungen werden, sich aktiv an einem Kriege zu beteiligen, an dessen Entstehen er nicht die allermindeste Schuld trug. Dazu kam, dass Herzog Friedrich von Mecklenburg sich bei seiner Thronbesteigung in Folge der von Preußen gegen sein Land wegen der Werbestreitigkeiten ausgeübten Gewalttätigkeiten tatsächlich fast im Kriegszustande mit seinem mächtigen Nachbar befand und die Stimmung zwischen den beiden Regierungen eine hochgradig erbitterte war. Zwar hatte der Herzog, dessen Charakter-Grundzug die aufrichtigste Friedensliebe war, nach seinem Regierungsantritt unverzüglich Schritte getan, um die widrigen Werbestreitigkeiten beizulegen und seinen fortgesetzten Bemühungen war es auch Anfang August dieses Jahres gelungen, einen Vertrag zustande zu bringen; allein, da der König sich weigerte, den Vergleich in der Fassung, in welcher derselbe zwischen den beiderseitigen Comitialgesandten in Regensburg, dem Freiherrn von Plotho und dem Baron Teuffel von Pürkensee abgeschlossen war, zu ratifizieren, so waren, als der Krieg zwischen Österreich und Preußen ausbrach, die Zwistigkeiten nicht nur nicht beigelegt, sondern die langjährigen gespannten Beziehungen zwischen beiden Fürstenhäusern hatten an Schärfe erheblich zugenommen. Man hatte das Spiel, welches Preußen mit Mecklenburg getrieben, am Schweriner Hofe jetzt völlig durchschaut. Der Freiherr von Plotho hatte den Vertrag, welcher die mecklenburgischen Forderungen fast ausnahmslos zugestand, abschließen müssen, um zu verhindern, dass die, wie man sich in Berlin nicht verhehlen konnte, durchweg begründeten Beschwerden über die bei Gelegenheit der preußischen Werbungen in Mecklenburg verübten Gewalttaten, welche die Schweriner Regierung im Februar und März dieses Jahres bei Kaiser und Reich vorgebracht hatte, bei der Reichsversammlung in Regensburg zum Diktamen gebracht wurden. Geschah dies, so war, da das Haus Österreich über eine erdrückende Stimmenmehrheit im Reichstage frei verfügte, ein gegen das Kurfürstentum Brandenburg gerichtetes Reichsgutachten, und demnächst die Reichsexekution leicht herbeizuführen, welche König Friedrich nun seinerseits nicht abgewartet, sondern durch einen raschen Angriff beantwortet haben würde. Einen wesentlich anderen Verlauf würden dadurch allerdings die Ereignisse nicht genommen haben, denn im August, als der König die Ratifizierungen des Vertrags verweigerte, war die Eröffnung des Feldzugs bei ihm festbeschlossene Sache. Aber es war in den Augen Europas doch ein Unterschied, ob König Friedrich den Krieg als Reichsfürst begann, welcher Gewalt und Unrecht getan und sich nun gegen Kaiser und Reich auflehnte, oder ob er als Herrscher einer Großmacht das Schwert zog, um eine Provinz zu verteidigen, welche er allerdings erst vor kurzem erobert, aber deren Besitz ihm durch die Friedensschlüsse von Breslau und Dresden feierlich zugesprochen war. Lediglich aus diesem Grunde hatte der König den für Mecklenburg so günstigen Vertrag abschließen lassen, mit der bestimmten Absicht, demselben durch Verweigerung der Ratifikation keine bindende Kraft beizulegen.


In Mecklenburg dagegen hatte man die Sache ganz anders aufgefasst. Von Ministern und Diplomaten liegen Briefe bei den Akten, in welchen über den abgeschlossenen Vertrag als über einen erfochtenen Sieg triumphiert wird. Um so größer war die Enttäuschung und Erbitterung der Regierung, als man sich so gründlich getäuscht sah, und ganz frei wird Herzog Friedrich von diesem Gefühle auch nicht gewesen sein.

Dazu kam beim Herzog ein tief eingewurzeltes Misstrauen gegen die Absichten des Königs von Preußen und die lebhafte Befürchtung, selbst ein Opfer seines gewalttätigen Nachbars zu werden. Was hatte er von einem mächtigen König, dessen Schwadronen mitten im tiefsten Frieden sein Land von einem Ende zum anderen durchzogen hatten, um sich Rekruten zu holen und welcher höhere Beamte und die Pächter seiner Domainen als Missetäter auf die Festung Spandau hatte bringen lassen, beim Ausbruch eines Krieges zu erwarten, welcher ganz Europa in Flammen zu setzen drohte? Konnte seinem Lande nicht dasselbe Schicksal bereitet werden wie Sachsen, welches der König, wie der Herzog annahm, ohne Grund überfallen hatte?

Für die mecklenburgische Regierung gab es drei Wege, welche sie einschlagen konnte, wenn der Kaiser den Einfall der Preußen in Sachsen zur Reichssache machte: sie konnte sich auf Seite Österreichs stellen, sie konnte mit Preußen gehen oder sie konnte endlich für eine Vermittelung durch das Reich stimmen, wie es mit anderen Reichsständen Mecklenburg-Strelitz tat, welches durch dies Verfahren die Leiden des Krieges fast ganz von seinen Grenzen fern hielt. Wäre die Schweriner Regierung nur den oben geschilderten Gefühlen der Gereiztheit, des Misstrauens und der Furcht gefolgt, so würde sie dem Baron Teuffel in Regensburg dieselbe Rolle zugewiesen haben, wie sie dem Comitial-Gesandten, welcher die Stimme von Mecklenburg-Strelitz führte, von der dortigen Regierung zu Teil wurde. Dadurch würde aber die Schweriner Regierung sich das Wohlwollen des Wiener Hofes und seiner Verbündeten völlig verscherzt haben. Und dies Wohlwollen glaubte man in Schwerin schlechterdings nicht entbehren zu können, denn man knüpfte dort an den glücklichen Ausgang des Krieges eine Hoffnung, deren Erfüllung für das Land von hervorragender Wichtigkeit war.

Im Jahre 1735 hatten die hannöversch-braunschweigischen Executionstruppen, sowie diejenigen preußischen Regimenter, welche König Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1733 in Mecklenburg hatte einrücken lassen, das Land geräumt. Beiden Staaten waren aber, weil der Herzog-Administrator Christian Ludwig nicht im Stande gewesen war, die Exekutionskosten zu zahlen, 12 Ämter verpfändet worden und zwar 8 an Hannover 1) und 4 an Preußen. 2) Später hatte der Herzog wiederholt versucht, die Ämter auszulösen, hatte dies aber nicht erreichen können, trotzdem er die volle Summe mit Zinsen offerierte. Jetzt schien die Gelegenheit günstig. Siegten Österreich und seine Bundesgenossen und ging die Schweriner Regierung mit ihrer Stimme in Regensburg den noch schwankenden evangelischen Reichsständen mit gutem Beispiel voran, sekundierte überhaupt alle Pläne des Kaiserhauses, so war anzunehmen, dass der Wiener Hof als Gegenleistung dem Herzog Friedrich beim Friedensschluss die 4 an Preußen verpfändeten Ämter sicher, vielleicht auch die 8 an Hannover verpfändeten wieder verschaffte.

Die Regierung ging aber in ihren Hoffnungen noch weiter; sie gedachte sich das Herzogtum Sachsen-Lauenburg, welches jetzt der Krone Hannover gehörte und auf welches das mecklenburgische Fürstenhaus einer alten Erbverbrüderung zu Folge Anrecht zu haben glaubte, beim Friedensschlusse durch anderweitige Entschädigung Hannovers zu verschaffen, und die Stadt Wismar mit den Ämtern Poel und Neukloster, welche im westfälischen Frieden an Schweden abgetreten war, wieder zu erlangen.

1) Boizenburg, Grevesmühlen, Gadebusch, Rehna, Wittenburg, Mecklenburg, Zarrentin und Bakendorf.

2) Plau, Eldena, Marnitz und Wredenhagen.


Dies waren die Gefühle, die Wünsche und die Hoffnungen Herzog Friedrichs und seiner Räte, als im September des Jahres 1756 die Notwendigkeit an sie herantrat Farbe zu bekennen und sich für Österreich oder für Preußen zu entscheiden. Wir sehen aus Allem, dass der Herzog nicht, wie manche Geschichtsschreiber demselben vorgeworfen haben, lediglich von Hass und Rachsucht geleitet, in verblendetem Leichtsinn handelte, als er in die erste Linie derer trat, welche gegen Preußen Front machten, sondern dass er nach einem wohl überlegten Plane verfuhr, dessen Chancen er nach allen Richtungen hin mit seinen Räten auf das Sorgfältigste geprüft hatte.

Der Herzog verkannte die Gefahren, welche seine Stellungnahme gegen den mächtigen Nachbar im Gefolge haben konnte, keineswegs und es ist wohl denkbar, dass er nicht so unbedingt den Ratschlägen seiner Minister gefolgt wäre und nicht so hartnäckig an dem gefassten Entschlusse festgehalten hätte, wenn nicht seine ganze Sinnes- und Gemütsart in vollem Einklang mit dem gewesen wäre, was ihm die Räte seiner Krone als vorteilhaft für das Ansehen seines Hauses und das Wohl des Landes dargestellt hatten. Herzog Friedrich war ein frommer und gottesfürchtiger Herr, welcher sich täglich in ernsten Betrachtungen und eifrigen Forschungen in der Bibel die schweren Pflichten, welche Gott auf seine Schultern gelegt hatte, vor Augen führte. Er hasste Gewalt und Unrecht, und Blutvergießen, selbst in dem gerechtesten Kriege, widerstrebte dem Fürsten auf das Äußerste. Bei solcher Sinnesart war es erklärlich, dass dem Herzog der Krieg, den Friedrich der Große zur Eroberung Schlesiens unternommen hatte, als schwere Versündigung gegen Gottes Gebot erschienen war, und als nun derselbe König in Sachsen einfiel, ohne Grund wie er annahm, da er die hervorragende Tätigkeit König Augusts für die Koalition gegen Preußen nicht kannte, erblickte er in Friedrich II. wiederum den Störer des europäischen Friedens und stand mit seinem Herzen voll und ganz auf der Seite Österreichs und seiner Verbündeten. Da seine religiöse Überzeugung billigte, was ihm sein Verstand als vorteilhaft für das Wohl seines Landes hinstellte, wurde ihm sein Entschluss nicht allzu schwer.

Eine andere Frage ist es freilich, ob der Weg, den die Regierung einschlug, im gegebenen Augenblick auch wirklich der Staatsklugheit gemäß war. Auch hier können wir nicht so unbedingt in den Tadel derer einstimmen, welche dem Herzog vorwerfen, er habe durch seine Parteinahme gegen Preußen das unsägliche Elend, welches über Mecklenburg hereinbrach, allein verschuldet, wir finden im Gegenteil diesen Vorwurf hart und ungerecht, denn der so Urteilende versetzt sich nicht in die Zeit und die Lage der handelnden Personen, was doch jeder gerechte Kritiker tun soll, sondern urteilt einzig und allein nach dem Erfolg. Und wie war denn im September 1756 die politische Lage in Europa? Der König von Preußen, welcher sich wohl in zwei Feldzügen als tüchtiger Heerführer gezeigt hatte, aber noch keineswegs, wie nach dem 7jährigen Kriege, als weltbewegendes Genie von ganz Europa angestaunt wurde, war im zweiten schlesischen Kriege nur mit großer Mühe und unter enormen eigenen Verlusten der österreichischen Armeen Herr geworden. Nun sollte er den vereinten Heeren Russlands, Österreichs, Frankreichs und wahrscheinlich auch Schwedens die Spitze bieten, ohne Bundesgenossen, denn auf Englands Hülfe, welches unter dem energielosen Ministerium Newcastle im Seekriege gegen die Franzosen Schlappe auf Schlappe erlitt, konnte man mit Sicherheit nicht rechnen. War es unter diesen Umständen dem Herzog und seinen Räten als politische Kurzsichtigkeit zuzurechnen, wenn sie an den Sieg der übermächtigen Koalition glaubten und auf die Seite der mächtigen Freunde traten, von denen sie sich Schutz gegen einen gewalttätigen Nachbar und außerdem gewichtige Vorteile versprachen?

Eins müssen wir hier noch erwähnen, um die unbedingte Fügsamkeit der mecklenburgischen Regierung unter den Willen Österreichs zu erklären. Seit der Thronentsetzung der beiden Herzöge während des dreißigjährigen Krieges und der Suspension Carl Leopolds von der Regierung im Jahr 1728, hatte sich die kaiserliche Autorität in Mecklenburg so fühlbar gemacht, wie in keinem anderen Staate des Deutschen Reichs. Während der langen Administration des Landes unter Herzog Christian Ludwig regierte sogar der Kaiser durch den Reichshofrat, welcher wiederum mit den mecklenburgischen Ständen in enger Verbindung stand, in so unumschränkter Weise, dass er sich dem Herzog Friedrich sehr ungnädig bezeigte, als dieser die Werbestreitigkeiten mit Preußen, welche sein Vorgänger bereits bei Kaiser und Reich anhängig gemacht hatte, durch einen Vertrag gütlich zu begleichen suchte, weil dem Kaiser dadurch die Gelegenheit genommen wurde, den König von Preußen in den Augen Europas eklatant ins Unrecht zu setzen. „Wenn man so wankelmütig in Schwerin ist, wird Kaiser und Reich auch nicht eine Hand zur Hülfe rühren, wenn es dem König wiederum gefallen wird, seine Schwadronen in Mecklenburg einfallen zu lassen“, hatte der Graf Coloredo gedroht. Nur mit Mühe war es dem Herzog durch eine eigne Abschickung nach Wien gelungen, den Kaiserlichen Unwillen, vor dem man zitterte, zu besänftigen. Dies war im August 1756 geschehen und die drohende Kaiserliche Ungnade noch in so frischer Erinnerung in Schwerin, dass im Ministerrate die Frage, ob man sich der Machtsphäre des Kaiserlichen Willens entziehen könne, immer mehr in den Hintergrund trat, wohl aber eifrig erörtert wurde, welche Vorteile das Land aus einer bedingungslosen Hingabe an das Haus Österreich ziehen könne.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und der 7jährige Krieg