Die Beschwerdeschrift des Herzogs von Mecklenburg

Die Beschwerdeschrift des Herzogs von Mecklenburg; Verhandlungen und Streitschriften in Regensburg.

Wir haben gesehen, dass der Freiherr von Plotho durch die schneidige Art seines Auftretens und durch die Rücksichtslosigkeit seiner Ausdrucksweise, mit welcher er die Interessen seines Königs verteidigte, alle preußenfeindlichen Reichsstände auf das Äußerste gereizt hatte. Man hatte gehofft, er würde nach dem Reichstags-Beschluss vom 17. Januar 1757 Regensburg verlassen; allein weit entfernt, freiwillig das Feld zu räumen, trat er kampfeslustiger und schroffer auf denn je. Da ward denn von verschiedenen Seiten die Frage aufgeworfen, ob es zulässig sei, dass der Baron Plotho, da sein König sich mit Kaiser und Reich im Kriegszustande befinde, überhaupt noch an den Sitzungen des Reichstages teilnehmen dürfe? Auch der mecklenburgische Comitialgesandte wurde von seiner Regierung aufgefordert, sich über diesen Punkt zu äußern. Baron Teuffel berichtete, der brandenburgische Gesandte sei deshalb noch nicht aus Regensburg entfernt, weil nur die Reichsexekution gegen den König von Preußen erkannt, derselbe aber noch nicht durch die Reichsacht zum Reichsfeind erklärt sei.


Von einer so milden Auffassung der Sache wollte der Baron Dittmar aber schlechterdings nichts hören. „Der Herr Gesandte muss gründlich belehrt werden!“ schrieb er und verfasste zu dem Ende ein Promemoria, in welchem mit großer dialektischer Schärfe der Beweis geführt wurde, dass der Krieg gegen den König von Preußen keine Reichsexekution, sondern ein wirklicher Reichskrieg und folglich der König ein Reichsfeind sei. „Aus diesem Prinzip kann man ihm in unserem Interesse mehr beikommen!“ fügte er erläuternd hinzu.

Die Denkschrift des Vizekanzlers wurde im Beisein des Herzogs im Ministerrate verlesen und beraten. Der Graf Bassewitz äußerte sein lebhaftes Bedenken und fragte, ob es nicht geratener sei, dergleichen theoretische Abhandlungen einem anonymen Schriftsteller zu überlassen, als dieselben, mit Seiner Durchlaucht Unterschrift versehen, durch den Gesandten in Regensburg der Öffentlichkeit zu übergeben? Und ob nicht das Odium, welches sich der Herzog dadurch zuziehen würde, dass er die Feindschaft gegen Preußen weiter treibe, als selbst Österreich und Sachsen es tun, nicht gar zu groß sein würde? Es ist ein bemerkenswertes Zeichen für die Stimmung des Herzogs, dass trotz der sachgemäßen und staatsklugen Auseinandersetzungen des Grafen Bassewitz dies Schriftstück, welches nichts Anderes bewirken konnte, als die Erbitterung des Königs zu steigern, ohne in der Sache das Geringste zu nutzen, an den Baron Teuffel zur Bekanntmachung in Regensburg abgesandt und außerdem eine Abschrift in französischer Sprache - diese allerdings ohne Unterschrift des Herzogs und ohne Datum - dem Mr. de Champeaux zum beliebigen Gebrauch übergeben wurde.

Der Graf Bassewitz sah die Sache so ernst an, dass er bat, dass sein abstimmiges Votum bei den Akten aufbewahrt bleiben möge, als Beweis für spätere Generationen, dass die Frage im Ministerrate nach allen Richtungen hin erwogen und beleuchtet sei.

Währenddessen war die preußische Invasion erfolgt und als die mecklenburgische Regierung sah, dass es nicht auf einen bloßen Durchmarsch, sondern auf eine dauernde Okkupation des Landes abgesehen war, hatte sich dieselbe mit einer ausführlichen Beschwerdeschrift und mit der dringenden Bitte um Hülfe an den Kaiser gewandt.

In Wien kam diese Klage sehr gelegen. Durch die offiziellen Verhandlungen am Reichstage konnte man dem entrüsteten Europa ein neues Beispiel vor Augen führen, wie schnöde der Kurfürst von Brandenburg von neuem Recht und Gesetz mit Füßen getreten habe. Dem Herzog aber war es mehr um werktätige Hülfe durch österreichische Truppen oder deren Alliierten zu tun, als den ganzen wirkungslosen Apparat von Kaiser und Reich in Regensburg für sich in Bewegung gesetzt zu sehen. Die Besetzung seines Landes hatte ihm zur Genüge gezeigt, wie gefährlich es sei, stets an der Spitze der Feinde des Königs von Preußen zu marschieren. Der Herzog verhielt sich daher anfangs ablehnend, als der Kaiser ihn unter der Hand durch verschiedene Kanäle bearbeiten ließ, die Sache dem Reichshofrat zu übergeben. So vergingen mehr als zwei Monate, ohne dass die Regierung Antwort oder Hülfe erhielt. Man fing an, in Schwerin ungeduldig zu werden: „Wenn der Kaiser uns im Stiche lässt,“ schrieb Baron Dittmar an den Hofrat Schmidt, „müssen wir wider Willen die Wege ergreifen, die unserer Stellung und Sicherheit die nächsten sind.“

Der Vizekanzler zielte auf eine Verständigung mit Preußen ab, ernstlich war aber diese Drohung nicht gemeint; im Gegenteil, als sich beim Abzuge der Preußen aus Mecklenburg das Gerücht verbreitet hatte, es sei die Räumung des Landes in Folge einer zwischen dem König und dem Herzog abgeschlossenen Konvention geschehen, hatte die herzogliche Regierung dies überall, namentlich aber in Wien und Versailles lebhaft in Abrede nehmen lassen und versichert, dass man wie bisher treu zu Kaiser und dessen Verbündeten stehen werde. Deshalb vermied auch der Hofrat Schmidt bei seinen Vorstellungen in Wien alle Schroffheit und am Ende mußte man doch seine Zustimmung geben, dass die Sache durch den Reichshofrat in Fluss kam.

Darüber war aber viel Zeit vergangen und erst am 11. September kam ein kaiserliches Hofdekret in der Reichstagsversammlung zum Dictamen, welches die Klagen des Herzogs Friedrich, ein Mandat an den Kurfürsten von Brandenburg, seine Truppen aus Mecklenburg herauszuziehen, und ein Protectorium an den König von Dänemark enthielt, in welchem Letzterer als Herzog von Holstein aufgefordert wurde, die Preußen aus Mecklenburg mit Gewalt zu vertreiben.

Das kaiserliche Mandat an den Kurfürsten von Brandenburg wurde dem Herzog Friedrich zur Beförderung an seine Adresse eingehändigt und von diesem durch die Post an den König von Preußen ins Lager befördert. Nach Verlauf von 4 Wochen langte in Schwerin ein Packet mit der Hamburger Post an, welches an die mecklenburgische Regierung adressiert war: in demselben lag uneröffnet das Mandat des mächtigen deutschen Reichs, auf welches man so große Hoffnungen gesetzt hatte.

Auch das „kaiserlich-oberst-richterliche“ Protectorium gelangte nicht an seine Adresse. Es ist ein Irrtum, wenn angenommen wird, der König von Dänemark sei dem kaiserlichen Befehle ungehorsam gewesen; der König hat in Wirklichkeit das Protectorium niemals gesehen. Wir kommen hierauf zurück.

In der Reichstagsversammlung beschäftigte man sich demnächst damit, die Reichsarmee operationsfähig zu machen. Im Frühling 1758 war die Letztere, welche auf 30.000 Mann gebracht werden sollte, kaum 12.000 Mann stark, und stand bei Bayreuth. Aber auch von diesen 12.000 Mann war nur 1/3 gut bewaffnet, 1/3 hatte unbrauchbare Musketen und 1/3 war gänzlich ohne Waffen. In der Operationskasse befanden sich kaum 13.000 Gulden und schon hatte der Wiener Hof Vorschüsse geben müssen, um die laufenden Ausgaben zu decken. „Es ist ein recht skandalöses Spektakel, die Reichsarmee. Es sieht dort confus und toll aus!“ schrieb Baron Teuffel. Für die kaiserlichen Gesandten in Regensburg war es unendlich schwer, die Reichsstände zur Bewilligung der Matrikular-Beiträge zu bewegen. Wo es galt gegen Preußen zu votieren, fand sich leicht eine Majorität, aber zahlen wollte Niemand, selbst die mecklenburgische Regierung sträubte sich lange, bis es endlich Dittmars Einfluss gelang, die Bedenklichkeiten des Herzogs zu besiegen. „Wenn Eure Durchlaucht gegen die Bewilligung der Gelder stimmen und Österreich siegt, so verlieren Eure Durchlaucht beim Friedensschlusse jeglichen Anspruch auf kaiserliche Hilfe!“ argumentierte der Vizekanzler. Am 28. August bewilligte die Reichsversammlung 20 Römermonate mit großer Mehrheit, aber nicht ohne heftigen Protest seitens des Baron Plotho. „Der König, mein Herr wird Jeden für einen öffentlichen Feind Preußens ansehen, der für die Bewilligung der Römermonate stimmen wird!“ hatte er mit drohender Gebärde und mit lauter Stimme seinem Votum hinzugefügt. Der Baron Teuffel schrieb seiner Regierung: „Plothos Votum ist ein unanständiges, der deutschen Freiheit zuwiderlaufendes Votum! Es ist der krasseste Despotismus!“

An diesen Verhandlungen im Reichstage knüpften sich noch andere wichtige. Der Kaiser hatte Mandate an den Kurfürsten von Hannover, den Herzog von Sachsen-Gotha, den Landgrafen von Hessen-Cassel und den Grafen zu Lippe-Bückeburg erlassen und zum Dictamen in der Reichsversammlung gebracht, welche diese Fürsten ermahnte, von ihrer Verbindung mit dem Kurfürsten von Brandenburg abzulassen. Ferner nahm der Kaiser, da sich der Kurfürst von Brandenburg vor Kaiser und Reich nicht gestellt hatte, das Achtsverfahren nunmehr allen Ernstes in Angriff. Dasselbe wurde am 11. September in Form eines Contumacialverfahrens beim Reichstage eingeleitet.

Es ist die Behauptung aufgestellt worden, Mecklenburg habe im Reichstage für die Achterklärung gegen Preußen gestimmt. Ganz so verhält sich indessen die Sache nicht.

Zu einer Abstimmung in den 3 Collegien über das Achtsverfahren ist es überhaupt nicht gekommen. Es war nämlich in der Wahlcapitulation des Kaisers ausdrücklich bestimmt, dass bei eintretendem Achtsverfahren gegen einen Reichsstand vor der Verhandlung im Plenum, eine aus Ständen beiderlei Religion zu gleicher Anzahl bestehende Reichs-Kommission niedergesetzt werden und dass, wenn dies nicht geschehen, die Achtserklärung null und nichtig sein sollte. Dies Verfahren aber hatte der Kaiser nicht beliebt; deshalb trat nun das corpus evangelicorum zusammen und die Majorität desselben legte am 29. November 1758 Verwahrung gegen das verfassungswidrige Verfahren ein. Eine kleine Minderheit, mit Mecklenburg-Schwerin an der Spitze, stimmte gegen die Einlegung dieses Protestes, somit indirekt allerdings für die Achtserklärung.

Am Kaiserhofe war man im hohen Grade aufgebracht über die Opposition der evangelischen Reichsstände. Da aber alle Bemühungen der kaiserlichen Gesandten, den Beschluss des corpus evangelicorum rückgängig zu machen, scheiterten, beschränkte sich der Wiener Hof darauf, ein Kommissionsdekret an die Reichstagsversammlung zu richten, in welchem die Rechtsgültigkeit des Beschlusses der evangelischen Stände bestritten wurde, da eine itio in partes nur in Religions- nicht aber in politischen Sachen statthaft sei.

Gegen dies kaiserliche Dekret erhob sich ein gewaltiger Sturm unter den evangelischen Reichsständen. Von verschiedenen Seiten wurden Streitschriften gedruckt, um die Ansicht der kaiserlichen Regierung zu widerlegen. Selbst der französische Gesandte mischte sich hinein und riet den Kaiserlichen, die Sache nicht weiter zu treiben. Baron Teuffel berichtete seiner Regierung ausführlich und bewies in einer sehr gründlichen und gelehrten Abhandlung über die betreffenden Paragraphen des Westfälischen Friedens, dass die evangelischen Stände zwar das jus eundi in partes in causis politicis hätten, aber dass der Beschluss derselben in diesem Falle nur dann Gültigkeit habe, wenn derselbe einstimmig gefaßt sei, während in Religionssachen eine einfache Majorität genüge. So verlief die mit so vielem Eklat gegen den Kurfürsten von Brandenburg in Szene gesetzte Achtscomödie langsam im Sande akademischer Abhandlungen.

Während in der Reichstagsversammlung in erbitterter Weise gestritten wurde, bekämpften sich auch außerhalb derselben die Diplomaten in Schmäh- und Streitschriften. Man erstaunt schier ob der Menge der äußerst voluminösen Abhandlungen pro et contra Preußen, welche aus offizieller Feder herstammend in Berlin, Regensburg und Wien gedruckt und in den Handel gegeben wurden. Da wurden die Sünden und Missetaten der Häuser Habsburg, Hohenzollern und Hannover bis in die grauen Vorzeiten hinein verfolgt und jede Blöße schonungslos dargelegt.

Anfangs Oktober veröffentlichte der Baron Plotho eine mit seinem Namen unterzeichnete Denkschrift: die Antwort Preußens auf die Klageschrift, welche die mecklenburgische Regierung an den Kaiser gerichtet hatte. Er führte dem Herzog sein ganzes Schuldregister vor: seit seinem Regierungsantritte sei derselbe trotz der erst vor 4 Jahren erneuerten Hausverträge stets feindselig gegen den König aufgetreten; er habe ein Bündnis mit Frankreich geschlossen und Preußen dadurch den Krieg mit Schweden auf den Hals gezogen; er habe die schwedische Armee mit allen Subsistenzmitteln versehen, die Ausfuhr des Getreides aus Mecklenburg aber verboten zum größten Schaden seiner Ritterschaft, lediglich um den Überfluss den Schweden zu Gute kommen zu lassen; im Reichstage habe er durch seine Abstimmungen seinen bösen Willen gegen Preußen gezeigt, nachdem er sich geweigert, den Vertrag zu ratifizieren, welchen die beiderseitigen Bevollmächtigen in Bezug auf die friedlichen Werbungen der preußischen Truppen in Mecklenburg abgeschlossen hätten. Sodann wies der Gesandte die Beschuldigungen der mecklenburgischen Regierung mit großer Schärfe teils als übertrieben, teils als unwahr zurück; 2 1/2 Millionen Thaler Kontribution seien niemals gezahlt, 8.000 Rekruten niemals gefordert worden und die verlangten Lieferungen seien dem gesegneten und kornreichen Lande durchaus „proportionirlich“ gewesen. Der König würde aber darnach das Schicksal „der Provinz“ erleichtert haben, wenn nicht das mehr als feindliche Betragen, die Infraction der Hausverträge und die widrige Gesinnung Seiner Durchlaucht sich dies selbst zugezogen, trotz der nachdrücklichen Vorstellungen des Königs und seiner Alliierten. „Die Alliierten des Wiener Hofes,“ Schloss der Baron Plotho, „saugen die occupirten Länder ganz anders aus, wie der König Mecklenburg. Wie wird Hessen-Cassel gemisshandelt durch die Intendanten Foullon und de la Porte des Marschalls Soubise! Warum soll es einem Reichsstand und seinen Alliierten erlaubt sein zu sengen, brennen, plündern und rauben und dem anderen nicht?! Übrigens ist Mecklenburg jetzt geräumt, also der ganze Lärm post festum.“

Die mecklenburgische Regierung blieb die Antwort nicht schuldig; noch in demselben Monat erschien aus der Feder des Vizekanzlers eine Rechtfertigungsschrift. Um dieselbe möglichst weit zu breiten, wurde dieselbe in 3.000 Exemplaren - zum Teil in französischer Sprache - gedruckt und an alle europäischen Höfe, aber auch an die Altonaer Zeitungen versandt, von wo man dieselbe unentgeltlich beziehen konnte.

Mit seltener dialektischer Schärfe und Gewandtheit widerlegte Baron Dittmar, Punkt für Punkt die preußischen Beschuldigungen. Er tat dar, dass der Herzog sich niemals feindselig gegen den König von Preußen gezeigt und dass er in Regensburg nur für die Wiederherstellung der Ruhe im Reiche gestimmt habe. „Ist das nicht seiner Durchlaucht Recht als freier Reichsstand?!“ Den Vertrag über die Werbungsstreitigkeiten habe der Herzog faktisch ratifiziert, aber der König habe anstatt dem Traktate durch seine Namensunterschrift Gültigkeit zu verleihen, willkürlich einen Artikel zugefügt, den der Herzog aus Rücksicht auf Kaiser und Reich nicht habe ratifizieren können; die Bitte um Aufhebung des Kornausfuhrverbots habe der Herzog abgeschlagen, weil im Lande selbst Kornmangel gewesen; unwahr sei es aber, dass man den Schweden Korn verkauft.

Die Wirkung der Rechtfertigungsschrift war eine durchschlagende, selbst in der preußischen Hauptstadt, wie der Hofrat von Hövel von dort an seine Regierung berichtet: „Nun kann ich das Haupt doch wieder frei erheben und man zeiht mich nicht mehr, wie bisher, der Unverschämtheit, wenn ich den preußischen Beschuldigungen widerspreche.“

Aber es gab einen Punkt, der nicht wegzuläugnen war: das französische Bündnis. Dies fühlte auch der Vizekanzler, denn er gab sich in seinem Exposé ganz besondere Mühe, das Recht Mecklenburgs, nach Gefallen Allianzen mit auswärtigen Mächten abschließen zu dürfen, zu beweisen. „Es ist eins der größten ständischen Kleinodien, welche der Westfälische Friede uns gebracht hat!“ schrieb er. Von der Befugnis aber des Königs von Preußen, welche ihm das Völkerrecht unzweifelhaft verlieh, nämlich, den Verbündeten Louis XV. als seinen Feind behandeln zu dürfen, war allerdings nicht die Rede.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und der 7jährige Krieg