Der Reichstags-Beschluss vom 17. Januar 1757

Am 29. August 1756 hatte die preußische Armee die sächsische Grenze überschritten und bald darauf Dresden besetzt. Der Kurfürst von Sachsen hatte sein Land verlassen und sich mit einer Klageschrift und mit der Bitte um Hülfe an Kaiser und Reich gewandt. Daraufhin war vom Kaiser „aus obristrichterlicher Machtvollkommenheit“ durch den Reichshofrat jenes Dehortatorium vom 13. September 1756 erlassen, durch welches der Kurfürst von Brandenburg ermahnt wurde, „von seiner Gewalttat gegen Sachsen und von seiner sträflichen Empörung gegen das Reich abzulassen“. Diesem Dehortatorium waren in rascher Reihenfolge Monitoria, Excitatoria, Exhortatoria und Prohibitoria an sämtliche kreisausschreibende Fürsten gefolgt, „sie sollten sich in die Verfassung setzen, dass sie dem bedrängten Kurlande Sachsen Hülfe leisten und das deutsche Vaterland vor schwerem Schaden bewahren könnten“; endlich ein Avokatorium, in welchem „alle brandenburgischen Generale, Offiziere und Soldaten vom Kaiser ihres Fahneneides entbunden und aufgefordert wurden, die Reihen ihres Kurfürsten zu verlassen“. Durch diesen Schritt des Kaisers war der Krieg des Königs von Preußen gegen Österreich zu einer Reichsangelegenheit gemacht, und sämtliche Reichsstände mußten darauf gefaßt sein, da an eine Nachgiebigkeit Preußens nicht zu denken war, in nächster Zeit auf dem Reichstage zu Regensburg ihr Votum abgeben zu müssen, ob für oder wider Österreich.

Am Schweriner Hofe hatte man seinen Entschluss gefaßt und wurde in dieser Gesinnung noch durch den Bericht des Comitialgesandten in Regensburg, des Baron Teuffel von Pürkensee, bestärkt.


Baron Teuffel war ein kluger, gelehrter, in der Verfassung und dem Herkommen des Reichs wohlbewanderter Diplomat, eng liiert mit den Kaiserlichen Ministern in Regensburg und persona gratissima am Wiener Hofe. Er hatte es mit großer Geschicklichkeit verstanden, die im August dieses Jahres eingetretene Trübung der Beziehungen zum Kaiserhofe, im persönlichen Verkehr mit beiden Majestäten, sowie mit dem Kanzler Grafen Kaunitz, zu beseitigen, und gehörte mit Leib und Seele jener Partei an, welche in dem engsten Anschluss an das Haus Österreich das Heil des deutschen Vaterlandes erblickte und Preußen als den Erzfriedensstörer in Europa so recht von Herzen hasste. Obwohl Protestant, war er stets an der Spitze derjenigen evangelischen Reichsstände zu finden, welche einen einstimmigen Beschluss des corpus evangelicorum zu hindern suchten, wenn derselbe gegen Österreich gerichtet war. Sein persönliches Verhältnis zu dem preußischen Comitialgesandten, dem Freiherrn von Plotho, war ein besonders gespanntes, seit er den bekannten, für Mecklenburg so überaus günstigen Vertrag zur Beilegung der Werbestreitigkeiten mit demselben abgeschlossen hatte, sich hinterher aber gründlich düpirt sah, als der König die Ratifikation dieses Vertrags verweigerte.

Schon am 25. September berichtete der Baron Teuffel, dass demnächst ein Kaiserliches Kommissionsdekret, in welchem die Reichsexekution gegen Preußen wegen seines Einfalles in Sachsen und Böhmen gefordert würde, zum Diktamen in der Reichstagsversammlung gebracht werden solle und bat um Instruktion. Der Gesandte beklagte „das horrible Anwachsen der Macht Preußens“ und warnte dringend, doch nicht freiwillig den Hals unter das Joch zu beugen. „Ich zweifle auch keineswegs“, schloss der Bericht, „dass Eure Durchlaucht, da doch der Kurfürst von Sachsen der Erste gewesen, der Eure Durchlaucht in den Werbestreitigkeiten so kräftig soutenirt, Eure Herzogliche Durchlaucht mich jetzt instruieren werden, per omnia die kursächsische Sache zu unterstützen.“

Als der Herzog an diese für sein fürstliches Haus, wie sein Land gleich folgenschwere Entscheidung herantrat, standen ihm drei durch Klugheit und Kenntnisse gleich ausgezeichnete Männer als Berater zur Seite: der Minister und Geheime-Rats-Präsident Graf von Bassewitz, der Vizekanzler Baron von Dittmar und der Geheime-Rat Johann Peter Schmidt. Während Letzterer sich vorwiegend den Verwaltungsangelegenheiten des Landes widmete, lag es dem Vizekanzler ob, die Verhandlungen mit den fremden Regierungen zu führen, sowie die Instruktionen für den Comitialgesandten in Regensburg und die Geschäftsträger an auswärtigen Höfen, deren Zahl sich bei Ausbruch des Krieges auf zwei beschränkte, Berlin und Wien, zu bearbeiten. Da nun in dieser Periode die auswärtigen Angelegenheiten die Herzogliche Regierung ganz besonders in Anspruch nahmen, und der Leiter derselben hervorragende diplomatische Geschicklichkeit und staatsmännische Einsicht besaß, so war es erklärlich, dass Letzterer den größten Einfluss auf den Herzog gewann und als die Seele des mecklenburgischen Geheimen-Rats-Collegium betrachtet werden muss. Die sehr zahlreich bei den Akten liegenden Briefe, Exposés, Pro Memorias und theoretischen Streitschriften sind alle eigenhändig von dem Vizekanzler verfasst und sind, was Gedankenfülle, logische Schlussfolgerung und Klarheit der Diktion betrifft, als wahre Meisterstücke der Staatskunst zu betrachten; bekunden aber auch einen solchen Feuergeist und sind so scharfen und schneidigen Inhalts, dass der Graf Bassewitz seine klar besonnene und ruhiger erwägende Feder mitunter einsetzen muss, um zu weitgehende Maßregeln, welche sein heißblütiger College in Vorschlag bringt, zu bekämpfen oder doch zu mildern. So entstanden oft bogenlange Dispute zwischen den beiden scharfsichtigen Ministern, welche aber nie zu einem Konflikt führten - wenigstens nicht bis zur Mission Dittmars nach Wien -, da beide Minister prinzipiell auf demselben Standpunkte standen und nur in der Wahl der Mittel zu Zeiten auseinander gingen. Die Entscheidungen des Herzogs fielen fast immer im Sinne Dittmars aus, und so kann man wohl die Behauptung aufstellen, dass die schlimme Wendung, welche der Lauf der Ereignisse für das Land nahm, dem Einfluss dieses hervorragenden, aber leidenschaftlichen Staatsmannes beizumessen ist.

Schon Anfang Oktober platzten in Regensburg die Geister in einem Vorposten-Scharmützel auf einander. Das kurmainzische Direktorium hatte der Geschäftsordnung entgegen eine Sitzung der Reichstagsversammlung während der Ferien, welche bis Ende Oktober währten, angesetzt. Der kurbrandenburgische Comitialgesandte protestierte hiergegen auf das Lebhafteste und suchte die evangelischen Gesandten zu bewegen, die Sitzung nicht zu besuchen. Da ihm dies bei Einigen derselben gelang, Andere aber der Ferien wegen abwesend waren, so traf es sich, dass in der Versammlung, außer den katholischen Reichsständen, welche sämtlich zu der Sitzung herbeigeeilt waren, von den evangelischen nur der mecklenburg-schwerinsche Gesandte anwesend war. Der Baron Teufel wurde dieserhalb von allen Seiten freudig beglückwünscht und konnte seiner Regierung berichten, dass sein Verhalten von den kaiserlichen Ministern ungemein wohl aufgenommen und lobend nach Wien berichtet sei. Alle Zeitungen Deutschlands und Europas aber durchlief die Kunde, dass sich der Herzog Friedrich von Mecklenburg-Schwerin an die Spitze der evangelischen Feinde des Königs von Preußen gestellt habe. Den König berührte diese entschiedene Stellungnahme Mecklenburgs um so unangenehmer, als er bisher noch gehofft hatte, einen für ihn ungünstigen Beschluss des Reichstags, welcher den Reichskrieg gegen ihn zur unmittelbaren Folge haben mußte, dadurch abzuwenden, dass es ihm gelang, die Stimme aller evangelischen Reichsstände für sich zu gewinnen. Zwar war die Mehrzahl der katholischen Stände, welche zweifelsohne unisono gegen ihn stimmen würden, noch immer eine erdrückende, aber wenn der König der Stimmen des corpus evangelicorum sicher war, so konnte er eine itio in partes beantragen und dadurch jeden bindenden Beschluss hindern.

Über die Anwendbarkeit dieser itio in partes war man in der Reichstagsversammlung sehr verschiedener Ansicht. Die Fassung des §. 52 des Westfälischen Friedens, über welchen bei den Friedensverhandlungen lange und lebhaft gestritten worden war, ließ es Einigen unzweifelhaft erscheinen, dass die itio in partes nur in religiösen Angelegenheiten zulässig sei, Andere aber - zu diesen gehörte auch der Baron Teuffel -, legten den Paragraphen so aus, dass die itio in partes auch bei Abstimmungen über politische Dinge anzuwenden sei, der Beschluss aber nur in dem Falle Gültigkeit haben solle, wenn derselbe einstimmig gefaßt wurde. Da sich nun der Einfall des Königs von Preußen in Sachsen und Böhmen auf das religiöse Gebiet nicht füglich verlegen ließ, so kam für Preußen Alles darauf an, sämtliche evangelische Stimmen zu gewinnen. In diesem Sinne bemühten sich der Freiherr von Plotho und die allerdings wenig zahlreichen Freunde Preußens in Regensburg; zunächst aber erging eine Circular-Note an sämtliche Reichsstände, in welcher der König erklärte, er führe lediglich Krieg mit der Kaiserin von Österreich und den Durchmarsch durch Sachsen habe er nur unternommen, um nach Böhmen zu gelangen; gänzlich falsch sei es, wenn das kaiserliche Kommissionsdekret ihm die Absicht imputire die Reichsverfassung umstürzen zu wollen. „Preußen hat doch noch immer vor dem Riss gestanden“, schloss das Schreiben, „wenn es die Erhaltung der Prärogative und Freiheiten der Reichsstände gegolten hat!“

Die sehr kräftige Sprache dieser Circular-Note scheint ihre Wirkung auf die evangelischen Reichsstände nicht gänzlich verfehlt zu haben; wenigstens zögerten ihre Gesandten, mit ihrer Ansicht und mit ihrem Votum ans Licht zu treten.

Auch die mecklenburgische Regierung, ohnedies stutzig gemacht durch den Eclat, welchen die Anwesenheit ihres Gesandten in der oben erwähnten Feriensitzung gemacht, beeilte sich dem Baron Teuffel zu schreiben - 1. November -, er sollte ja vorsichtig und mit allem erdenklichen Menagement vorgehen und sich zuvor nach der Instruction der anderen unparteiischen Stände erkundigen, auch zu erforschen suchen, wie diese die preußische Circularnote zu beantworten gedächten. Man wolle in Schwerin nicht der Erste oder gar der Einzige sein, der die Kastanien für Österreich aus dem Feuer hole. Für den Baron Teuffel war es aber keine leichte Sache, die Kollegen auszuforschen, welche ebenso wie er, zur Belustigung der katholischen Gesandten, welche aus ihrer Instruction kein Hehl zu machen hatten, bis an den Hals zugeknöpft dahergingen, sich wandten und krümmten und Verstecken spielten.

Auf der anderen Seite drängten die kaiserlichen Minister die Gesandten ungestüm auf die Abgabe ihrer Voten, besonders den Baron Teuffel, wohl weil sie wussten, dass dieser sich gern drängen ließ. Aber nicht allein in Regensburg, auch von Wien aus setzte man den Hebel an. Der Hofrat Edler von Schmidt, welcher Mecklenburg in Wien vertrat, berichtete, der Reichs-Minister, Vizekanzler Graf Coloredo, habe ihm die feste Überzeugung ausgesprochen, dass der Herzog, in dessen Landen doch die brandenburgischen Gewalttätigkeiten begonnen und noch im frischen Andenken sein müßten, standhaft zu Kaiser und Reich stehen würde; man könne dagegen fest überzeugt sein, dass der Kaiser nichts gegen die evangelische Religion unternehmen würde. Graf Coloredo betonte Letzteres ganz besonders, da ihm wohl bekannt war, dass dem frommen Herzog die Aufrechterhaltung des Glaubens seiner Väter noch mehr am Herzen liegen würde, als die Sicherheit von Kaiser und Reich.

Ganz ohne Besorgnis war übrigens auch der Baron Teuffel nicht. Er stellte den kaiserlichen Ministern in dringlicher Weise die gefährliche Lage vor, in der Mecklenburg sich dem übermächtigen Nachbar gegenüber befände. Aber die österreichischen Diplomaten beruhigten ihn, die russischen und französischen Heere ständen schon an der Grenze, der König sei unrettbar verloren; auch brauche ja der Herzog seine Truppen nicht zu stellen, aber stimmen müsse er unter allen Umständen mit dem Kaiser. Der Gesandte berichtete dies nach Schwerin und schloss: „Die Kaiserlichen sprechen in einem sehr hohen Ton; Gott gebe, dass der Ausgang damit übereinstimme; ich fürchte, es werden noch mehrere Staaten das Schicksal Sachsens teilen!“

Am 12. November erhielt der Baron Teuffel endlich seine Instruktion, zu welcher er selbst den Entwurf eingesandt hatte: Mecklenburg stimme Allem bei, was der Kaiser infolge der Exekutionsordnung zur Wiederherstellung des Friedens im Reich proponiren werde und es wäre nötig, dass die Kreise ihre Contingente um das dreifache vermehrten - armatura ad triplum - und in marschfertigen Zustand setzten; „insofern die Zustände es erlaubten“, hatte die Regierung vorsichtig hinzugesetzt. Da aber der Gesandte zum Schluss wieder auf die Instruction vom 1. November verwiesen wurde, welche Vorsicht und Abwarten empfahl, so blieb seine Verlegenheit dem täglichen Drängen des kaiserlichen Principal-Kommissars, des Fürsten Thurn und Taxis, gegenüber genau dieselbe. In heller Verzweiflung schickte er noch an demselben Tage einen Kurier nach Schwerin mit der dringlichen Bitte um bestimmte Instruction. Er solle sich nicht vor anderen Ständen äußern, schrieb er, die katholischen hätten sich aber Alle erklärt, gegen Preußen stimmen zu wollen und von den evangelischen hüte sich Jeder mit der Sprache herauszugehen. „Nach welchen Ständen soll ich mich denn nun richten?“ Schloss der Gesandte. „Die Kaiserlichen sagen, das Rescript Euer Durchlaucht vom 1. November sei doch unmöglich anders zu verstehen, als dass ich mich nach der Majorität richten solle. Fällt die Entscheidung, ehe ich Antwort habe, muss ich so stimmen“. Man sieht, der Baron Teuffel war völlig in den Händen der Kaiserlichen.

Aus der mit umgehendem Kurier einlaufenden Antwort seiner Regierung, er solle gemäß der Instruction vom 12. November votiren, nahm der Gesandte die Veranlassung, den Fürsten Thurn und Taxis wegen Abgabe seines Votums völlig zu beruhigen und wiederum durchlief die Kunde Regensburg, der Herzog von Mecklenburg-Schwerin habe sich an die Spitze der Feinde Preußens gestellt.

In Regensburg zweifelte Niemand mehr daran, dass die bevorstehende Entscheidung im Sinne Österreichs ausfallen würde. Dennoch gaben die mit Preußen befreundeten Staaten die Hoffnung nicht auf, durch eine Reichs-Vermittelung die gegen Preußen beabsichtigte Exekution abwenden zu können. Im November versuchte der Herzog Friedrich zu Sachsen-Gotha die evangelischen Stände durch ein Circularschreiben für diese Absicht zu gewinnen und im Dezember schrieb die hannöversche Regierung nach Schwerin, sie hätte gehört, der Herzog wolle ganz anders votieren, als die übrigen evangelischen Stände; sie bäte, Seine Durchlaucht möge doch keine heftige, offenbar das Unglück vermehrende Mittel unterstützen, sondern für friedliche Vermittelung stimmen. Beiden Regierungen wurden höflich ausweichende Antwortschreiben übersandt.

Auch die preußische Regierung versuchte eine direkte Verständigung mit Mecklenburg herbeizuführen. „Wir hoffen“, schrieben die Geheimen Etatsräte Graf von Podewils und von Finkenstein am 27. Dezember nach Schwerin, „dass Mecklenburg so votieren wird, wie es nach den noch kürzlich erneuerten Hausverträgen und im Interesse der evangelischen Sache zu erwarten ist. Es würden Eure Durchlaucht hierdurch dem Könige ein ganz besonderes Merkmal Ihrer Freundschaft geben“.

Die herzogliche Regierung erwiderte kurz und kühl, ihr Gesandte sei bereits instruiert, versicherte dabei aber, dass seiner Durchlaucht reichsfürstlich -patriotische Gesinnung in dieser Sache nie von der besonderen Hochachtung Seiner Majestät getrennt werden würde.

An demselben Tage ließ der Herzog nach Wien melden, er würde allemal so votieren, dass er dadurch des kaiserlichen Allerhöchsten Beifalls und Schutzes sich würdig mache.

Die Nachricht, dass Mecklenburg-Schwerin auf die Seite der katholischen Stände treten würde, durchlief wiederum alle Zeitungen. Der Altonaer Merkur schrieb, dass alle evangelischen Stände preußisch gesinnt seien, mit Ausnahme Mecklenburgs, und dem Reichspostreuter, welcher ebenfalls in Altona erschien, wurde dieselbe Nachricht mit folgendem Zusatz mitgeteilt: „Der Freiherr von Plotho hat gesprächsweise an den Orten, wo man Preußen entgegen ist, erklärt, er werde ruhig abwarten, wie sie votieren und ob sie Preußen als Reichsfeind erklären würden; täten sie dies, könne man seine Majestät nicht verdenken, wenn Sie diejenigen Stände, welche sich feindselig wider Sie darstellten, auf demselben Fuße nähme, als sie sich seiner Majestät zu erkennen gegeben hätten“.

Diese offiziöse Warnung, aber auch unverhohlene Drohung allarmierte den Schweriner Hof sehr, änderte aber nichts in seinen Entschlüssen.

Am 10. Januar 1757 fand die Abstimmung über das kaiserliche Kommissionsdecret im Reichstage statt. Seit Menschengedenken hatten diese an öde, unfruchtbare Langweiligkeit gewöhnten Räume eine so wild erregte Versammlung nicht gesehen. Lange währte es bis das Direktorium die Ruhe soweit hergestellt hatte, dass die einzelnen Gesandten ihr oft recht ausführliches Votum zu Protokoll geben konnten. Denn anstatt, wie Viele geglaubt, sich dem allgemeinen Sturm zu beugen, wich der Freiherr v. Plotho nicht einen Zoll zurück und hörte nicht auf, mit weithin schallender Stimme und so drohenden Gebärden, dass mancher ältere Herr besorgt seine Nähe mied, gegen dies Verfahren zu protestieren, welches gegen die Reichsverfassung und gegen die Wahlcapitulation verstoße.

Am 17. Januar wurde das in allen drei Collegien - der Kurfürsten, der Fürsten und der Städte - mit großer Majorität gefasste Reichsgutachten, „dass gegen Preußen mit der Reichsexecution vorzugehen sei und dass die Reichsstände ihre Kontingente in dreifacher Stärke in marschfertigen Stand setzen sollten“ publiziert. Dafür hatten die Katholiken und von den Evangelischen Mecklenburg-Schwerin, Pfalz-Zweibrücken, Brandenburg-Anspach, Holstein-Gottorp, Schwarzburg und Darmstadt gestimmt; die übrigen evangelischen Stände unter Führung Hannovers hatten sich für eine friedliche Vermittelung des Reichs ausgesprochen.

Aus dem Bericht des Baron Teuffel über diese Sitzung ersehen wir, welch großer Jubel über den errungenen Sieg im Lager der Kaiserlich Gesinnten herrschte. Der Gesandte riet seiner Regierung, die freudige Stimmung des österreichischen Hofes auszunutzen und in Wien streng vertraulich an die Rückgabe der hypothekarisch an Preußen verpfändeten Ämter zu erinnern. „Das Tempo ist jetzt günstig“, schloss der Bericht, „da Eure Durchlaucht soeben durch Dero Votum dem Kaiser einen so großen Dienst erwiesen haben; aber ganz secret muß es geschehen, sonst könnte es uns wie Sachsen ergehen, wo man auch das Fell der Bären schon geteilt hatte, ehe derselbe noch erlegt war.“

Die Folge des Reichstagsbeschlusses war, dass der Freiherr von Plotho auch schriftlich seinen Protest zum Dictamen bringen wollte. Es kam hierüber zu den heftigsten Auseinandersetzungen mit dem kurmainzischen Direktorium, denn das preußische Promemoria war so derb gehalten und die Ausdrücke gegen Kaiser und Reich so anstößig, dass manche Gesandten schon darüber zu Rate gegangen waren und bei ihren Regierungen angefragt hatten, ob sie dasselbe nicht dem Freiherrn von Plotho zurückschicken sollten. Es bestand nämlich am Reichstage die Sitte, dass alle Schriftstücke, welche in der Versammlung zum Dictamen gebracht werden sollten, vorher den einzelnen Gesandten zur Kenntnis ins Haus gesandt wurden.

Bei Gelegenheit des Dictamens dieses Protestes kam es zu einer äußerst stürmischen Szene im Kurfürsten-Kollegium. Als der Freiherr anfing zu diktieren, erhob das Direktorium Einsprache; der Protest sei zu lang, ob denn der Herr Gesandte verlange, dass man 24 Stunden lang seine Schmähungen anhören solle? Plotho diktierte unbeirrt weiter. „Wenn der Herr Gesandte nun nicht aufhöre, sehen sich alle Mitglieder des Collegiums, auch der Secretair veranlaßt, den Saal zu verlassen!“ rief erregt der Vorsitzende. Mit einem Achselzucken und einer Miene, welche sein schmerzliches Bedauern hierüber ausdrückte, fuhr Plotho fort zu diktieren und diktierte so lange, bis er mit dem kurbraunschweigischen Gesandten allein das Feld behauptete. Ähnliche Szenen waren nicht selten; Friedrich II. verstand es die richtigen Männer auf den richtigen Platz zu stellen. Scharf und schneidig wie Seidlitz bei Roßbach mit dem Schwert, führte der Freiherr v. Plotho in Wort und Schrift die Sache seines Königs am Regensburger Reichstage.

Schwer beleidigte aber der preußische Gesandte in diesem Dictamen, welches bald darauf gedruckt in alle Welt ging, den Herzog Friedrich von Mecklenburg und seinen Comitialgesandten. Den Letzteren hatte er einen reichskundigen Partisan des kaiserlichen Hofes genannt, der nicht ermangelt hätte, seine Durchlaucht seinen Privatabsichten gemäß zu dem abgegebenen Votum zu verleiten und wenn man zugleich andere bekannte domestique Umstände des Herzogs - derselbe war beim Reichshofrat in Wien wegen der von Herzog Carl Leopold contrahirten Schulden verklagt -, weshalb er den kaiserlichen Hof oder vielmehr dessen Reichshofrat zu fürchten hat, betrachtete, so sähe wohl ein Jeder ein, dass das mecklenburgische Votum kein reichssatzungsmäßiges freies, sondern ein parteiisches, wenn nicht gar animoses genannt werden müsse.“

Baron Teuffel fühlte sich tief beleidigt. „Ich will das Benehmen des Freiherrn von Plotho mit genereusem Stillschweigen übergehen“, sagt er in seinem Bericht, „denn es ist unanständig; wenn die Argumente fehlen, nimmt man zum Schmähen und Lästern seine Zuflucht.“ Um aber die teuflische Bosheit des preußischen Gesandten in das rechte Licht zu stellen, schickt er ein in Wien auf denselben erschienenes Pasquill ein, betitelt:

Kydyrefnisacton (?), ein Höllengedicht mit dem Motto:

Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo, dessen letzter Vers hier Platz finden möge:

„Hier sah man Pluthos Hand nach jener Feder langen,
Um die sich schon zur Zier zehn Vipern schwangen,
Prinz Griphael gab sie der wohlgeklau'ten Faust
Und Plutho schrieb, dass Kiel und Blatt gesauft.
Er unterschrieb den Namen Plutho so erhitzet,
Dass noch anstatt des „U“ ein „O“ dort sitzet.“ -




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und der 7jährige Krieg