Schwerin

Die durch die Grafenresidenz, den Bischofssitz und das Stadtrecht so berühmt gewordene Stadt Schwerin beschränkte sich in altern Zeiten auf die Altstadt, welche etwa ein Dutzend unregelmäßiger Straßen hatte, die ihren Namen von Oertlichkeiten oder Ständen, meistentheils aber von den Gewerben trugen, welche seit den frühesten Zeiten in den Landstädten betrieben wurden: Burg-, Ritter-, Bader-, Salz-, Filter- (später Königsstraße), Mühlen-, Schuster-, Schmiedestraße, (Faule) Grube, Glaisin, die kleinen Straßen um das Rathhaus, die engen Verbindungsgassen zwischen der Königsstraße und der Faulen-Grube und die von der zahlreichen Geistlichkeit bewohnten Räume um den Dom. Fast die ganze östliche Hälfte, ein Moor, auf welchem jetzt zwei Hauptstraßen, der große und der kleine Moor, mit den Verbindungsstraßen der beiden Glaisin, und die grüne und die Scharfrichterstraße stehen, war noch unbebaut; einige Gebäude am Glaisin und am Moor nannte man auch wohl die Neustadt. Das war Schwerin des Mittelalters! Diese Stadt war ohne Zweifel dicht bebaut und stark bevölkert. Sie war auf den Landseiten mit Mauern, Wällen und Gräben umgeben, welche dort gingen, wo jetzt die Fließgraben-, Friedrichs- (früher Neue-), Scharfrichter- und Theater- (früher Armensünder - ) Straße stehen, an den andern Seiten vom Burgsee, Pfaffenteiche und dem Moor und dem großen See. Die dem Dom-Capitel gehörende Neustadt Schelfe war bis gegen die jetzige Schelfkirche hin in drei Straßen weitläuftig bebaut und gehörte nicht mit zur Stadt. Die Vorstadt bestand aus einigen Häusern, welche um das Beguinen-Hospital zu St. Georg vor dem Thore gebauet waren. Dem Dom-Capitel gehörte der ganze Raum rund um den Dom und den Bischofshof (die Domfreiheit): vom Schmiedethore an die ganze nördliche Seite der Schmiedestraße, die nördliche Seite des Marlies und die Domstraße in einer Linie vom Markte bis an den Anfang der jetzigen Scharfrichterstraße. Zunächst um den Dom standen die Wohnungen des Bischofs, der 12 Dom- herren und der vielen Priester und Vicare, welche den Dienst an den 48 Altären des Doms versahen; viele der letzteren wohnten jedoch auch auf der Schelfe. Innerhalb der Stadt vor der Burg, wo gegenwärtig das Collegien-Gebäude steht, lag das Franziskaner- oder Graue-Mönchs-Kloster mit seinen Umgebungen, auf denen jetzt die Straße „Hinter dem Klosterhofe“, dem einzigen Ueberreste der Stiftung, steht. Der Marktplatz war kaum halb so groß, als jetzt: die Schmiedestraße und die Schusterstraße trafen auf der Mitte des jetzigen Marktes zusammen. – Unter solchen Umständen waren die Verhältnisse in der Stadt rein bürgerlich.

Dennoch konnte es natürlich nicht fehlen, daß die Stadt die Schicksale der höhern Gewalten, der Landesherrsschaft und des Bisthums, theilte und vielfach unter dem Einflusse derselben stand. Die Geschichte der Stadt ist daher innig mit der Geschichte der Landesherrschaft und des Bisthums verkettet. Als der Kaiser Otto IV. zu Goslar am 20sten Junius 1209 und zu Capua am 4ten Januar 1211 die Gerechtigkeiten des Bisthums unter Anhängung einer goldenen Bulle erneuerte, bestätigte er auch zugleich die Privilegien der Stadt: den freien Handel mit 2 großen Schiffen und beliebig vielen kleinen Fahrzeugen im Hafen Wismar (denn die Stadt Wismar stand noch nicht), und die Zollfreiheit im ganzen Herzogthume Sachsen, zu welchem auch Meklenburg gehörte. Großes Ansehen erlangte die Stadt, als der tapfere Graf Heinrich I. von Schwerin nach stiller Heimkehr aus dem Heiligen Lande im Jahr 1222, über die Gewaltthätigkeiten des anmaßenden Königs Waldemar von Dänemark empört, über das Meer segelte und den König und seinen Sohn Waldemar gefangen in das Verließ der Burg zu Schwerin führte, in welchem sie zwei Jahre lang schmachten mußten; zugleich machte des Grafen Tapferkeit dem dänischen Einflusse im deutschen Reiche ein Ende. Der König zahlte endlich ein großes Lösegeld, schickte seine drei Söhne als Geißeln nach Schwerin und gewann also seine Freiheit wieder; aber er sann auf Rache, ließ sich vom Pabste seiner Eide entbinden und rückte gegen die Fürsten der Wendenländer mit seiner ganzen Kriegsmacht, welche jedoch am 22sten Julius 1227 bei Bornhövd vollständig geschlagen ward. Die Geißeln und Gefangenen kamen erst nach des Grafen Tode (1228) frei. Durch das heilige Blut, welches der Graf von seiner Wallfahrt mitbrachte und zu dessen Verehrung er die Heil. Bluts-Kapelle im Dome hinter dem Hochaltare bestimmte, machte er Schwerin zu einem berühmten Wallfahrtsorte; von den Gaben der Wallfahrer ward stiftungmäßig der Dom zum Theil und das Franziskaner-Kloster erbauet. Des Grafen Heinrich nachgelassene zweite Gemahlin Andacia († erst 1287) vollendete nämlich die Stiftung ihres gefeierten Gemahls und führte ungefähr seit dem Jahr 1236 das schöne Franziskanerkloster vor der Burg auf, welches bei Nähe der Stammburg und der besondern Liebe der Gräfin für den Orden unter der theilnehmenden Obhut der Grafen stand. Ihr Sohn, der Graf Gunzelin III. († 1274), welcher während seiner Regierung erblindete, half seiner Mutter getreulich in der Ausführung der Absichten seines Vaters und führte eine segensreiche, milde Regierung, unter welcher alle Einrichtungen bestärkt wurden und viele mildere Saiten des Lebens anklangen, wie auch Minnesänger, wie Rumelant, an seinem Hofe Schutz und Pflege fanden.


Unt er dem Grafen Gunzelin III. (1228 – 1274) hob sich die Stadt mächtig. Sie erwarb schon damals (vor 1282) die Dörfer Zippendorf, Göhren und Ostorf, von denen das letztere bei der Nähe der Stadt frühe nach und nach zerstückelt ward und aus dem Besitze der Stadt kam. Im J. 1330 erwarb die Stadt das Dorf Thurow, zwischen der Stadt und Neumühlen, und legte es zur Stadtfeldmark. Die Hospitäler zum Heil. Geist an der Grube und zu St. Georg in der Vorstadt standen mit Kapellen und Scheuren schon im J. 1283. Am 6. December 1284 verglich sich der Graf Helmold auch mit dem Bischofe nach langen Irrungen über die Grenzen und die Gerechtigkeiten des Bisthums und erkannte den Bischof auch für die in der Stadt liegenden Güter als Landesherrn an, bewilligte der Schelfe jedoch keine eigene Stadt- und Marktgerechtigkeit, erleichterte ihr aber den Handelsverkehr in der Altstadt so viel als möglich. Links vor dem Mühlenthore beim St. Georg hatte die Stadt einen ,,Rosengarten“ zu Tänzen im Freien und rechts vor dem Thore einen ,,Wettlauf“ zu öffentlichen Spielen.

So ward schon im 13. Jahrhundert das innere Leben der Stadt geregelt und gehoben. Die Macht der Städte befestigte sich seit dem 14. Jahrhundert zugleich mit der Macht der Fürsten, aber es fehlte dabei nicht an heftigen Kämpfen und Kriegen. Schwerin hielt sich wacker, indem es im J. 1322 tapfer einem Heere der Fürsten von Pommern und Werle widerstand. Solche Gefahren aber mochten die Veranlassung sein, daß in der Zeit von 1326 bis 1339 die Bürger um die Stadt, welche bisher nur mit Gräben und Planken befestigt gewesen war, Wälle und Mauern mit Befestigungsthürmen baueten. So war die Stadt schon völlig ausgebildet, als die Grafschaft im J. 1358 in den Besitz der Herzoge von Meklenburg kam, freilich nicht ohne Kampf, da der Uebergang der Grafschaft an die Herzoge nicht unbestritten war. Der große Herzog Albrecht rückte in dem schwerinschen Successionskriege vor die Stadt, welche zu muthvoller Gegenwehr gerüstet war, und wenn er auch auf der Schelfe eine Belagerungsburg, die er Neuburg Schwerin oder Schelfburg nannte, aufführen ließ, so scheiterten doch alle Bemühungen an der muthvollen und mannhaften Tapferkeit der Bürger, welche der meklenburgischen Kriegsmacht drei viertel Jahre lang widerstand; nur gütliche Vergleichsvorschläge, welche im Gefolge des Kaufes der Grafschaft durch die Herzoge gemacht wurden, öffneten am 1. December 1358 die Thore, und der Herzog erhob, in Anerkennung so ungeschminkter Treue und des Uebermuthes der Seestädte müde, die Burg Schwerin zur Hauptresidenz der Herzoge.

Bis auf die allerneuesten Zeiten ereigneten sich aber keine Bege-benheiten von großer Bedeutung für die Stadt, wenn es auch an um-gestaltenden Ereignissen nicht gefehlt hatte. Am 25. Julius 1531 brannte die Stadt, mit Ausnahme der Domfreiheit, der Schmiede-straße und der halben Schusterstraße, ganz ab, auch das Rathhaus mit allen Urkunden und Schriften ward ein Raub der Flammen; jedoch gewann die Stadt beim Wiederaufbau nichts an Regelmäßigkeit. Eine glänzende Zeit erlebte Schwerin unter dem hochgebildeten Herzoge Johann Albrecht I. (1552 - 1576), der den größern Theil des Schlosses erbauete, viele wissenschaftlich gebildete Männer um sich versammelte und die Wissenschaften und Künste in Flor brachte. Darauf aber sank, bei schlechten Zeiten, die Stadt immer tiefer. Nach der allgemeinen Noth des dreißigjährigen Krieges, in welcher im J. 1638 die im J. 1640 mit dem Königsschusse begnadigte Todtenzunft zur gegenseitigen Hilfe in der Pestnoth gestiftet ward, brannte am 18. Julius 1651 die ganze Altstadt, mit Ausnahme des Doms, ab; beim Wiederaufbau wurden mehrere Straßen, z. B. die Schuster- und Schmiedestraße, grade gelegt, wodurch der Marktplatz eine bedeutende Vergrößerung erhielt. Alle diese Leiden gönnten dem wackern Herzoge Adolph Friederich I. wenig Gelegenheit, viel für die Stadt zu wirken. Die Herzöge Friederich Wilhelm I. (1692 - 1713) und Christian Ludwig II. (1747 - 1756) sorgten eifrig für die Verschönerung der Stadt und für bessere polizeiliche Einrichtungen; unter ihnen wurden auch die Schelfneustadt, die Moore und die Vorstädte zusammenhängend bebauet. Die Verlegung der Residenz nach Ludwigslust unter dem Herzoge Friederich wirkte dagegen sehr nachtheilig auf den Fortschritt des Stadtwesens zurück; jedoch geschah manches Einzelne, z. B. die Vergrößerung des Marktes und die Anlegung der Neuen- (jetzigen Friedrichs-) Straße. Der Großherzog Friederich Franz schmückte Schwerin mit mehreren großen Gebäuden, wie dem Collegien-Gebäude und dem Schauspielhaus. Aber erst unter dem unvergeßlichen Großherzoge Paul Friederich gewann Schwerin nicht nur das wieder, was es in früheren Zeiten verloren hatte, sondern gewann noch mehr dazu, als es durch eigne Kraft je zu gewinnen hoffen durfte. Unter seiner Regierung gewann auch die Altstadt nicht wenig, indem, außer sehr vielen einzelnen Verschönerungen, mehrere Straßen, wie die Burg-, Königs-, Friedrichs- und Bischofstraße, im großstädtischen Style fast ganz neu erbauet wurden und der große Moor durch den neuen Marstall einen Schlußstein erhielt.

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Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg in Bildern 1843