Neu-Brandenburg - Die St. Marien-Kirche

Besitzen die deutschen Ostseeländer auch manche großartige und sehenswerthe Kirche, wie die Kirchen zu Lübeck, Schwerin, Doberan, Bützow, u. a. m., so steht doch die S. Marien- oder Pfarr-Kirche zu Neu-Brandenburg als einziges Beispiel eines auch im Aeußern vollständig durchgeführten Baues in gothischen oder Spitzbogenstyl da. Wenn auch die Kirchen der norddeutschen Tiefländer nicht mit den Kirchen der Gebirgsländer verglichen werden dürfen, so sind sie doch nicht weniger bewundernswerth, indem in ihnen im Ziegelbau das Mögliche und Aeußerste geleistet ist, ja sie sind oft noch bewundernswerther, als jene, da der Ziegelbau wohl mehr Schwierigkeiten hat und mehr Geschicklichkeit voraussetzt, als der Bau aus gehauenen Werkstücken. Diesen Maaßstab muß man an unsere Kirchen legen, wenn man sie richtig würdigen und beurtheilen will. Fast ohne Ausnahme beschränkte man sich beim Bau der Ziegelsteinkirchen auf die Herstellung richtiger und schöner Verhältnisse in einfachen und schlichten Mauern und Gewölben; man brachte Verzierungen hin und wieder und selten nur an einzelnen Theilen an, etwa an Pforten, Kapitälern, Gesimsen, Giebelfeldern, auch wohl mitunter an Fensterpfeilern; aber an eine durchgehends durchbrochene Arbeit in der Verzierung des Aeußern, wie wir sie an den Domen der Gebirgsländer anstaunen, wagte man sich nicht, vielleicht weil man, mit Unrecht, die Ziegel für nicht stark genug und zu wandelbar hielt. Nur die Kirche zu Neu-Brandenburg liefert das einzige Beispiel in den Ostseeländern, daß sowohl in alter, als in neuer Zeit der äußere Schmuck des Spitzbogenstyls durch Ziegelbau, wenn auch nicht in derselben Ausdehnung, doch in demselben Geiste und in derselben Schönheit, wie an den Felsenkirchen, freilich aber auch mit größern Schwierigkeiten, ausführbar und wenigstens eben so dauerhaft und ansprechend sei; eine Kirche zu Prenzlau soll ein zweites Beispiel liefern. Die Kirche zu Neu-Brandenburg zeigt dasselbe kühne, begeisterte und klare Emporstreben in der durchbrochenen und geschmückten Arbeit an Fenstern, Giebel und Thurm, dieselbe Erhabenheit des Glaubenstriumphes, welche auch im Aeußern den innern Geist der christlichen Kirche beurkundet, wie man dieses alles sonst wohl an den Spitzbogenkirchen sich zu denken gewohnt ist. und in allen diesen Rücksichten wird die neubrandenburger Kirche stets ein erhabenes Beispiel eines seltenen Unternehmens bleiben.
Obgleich es an ausdrücklichen Angaben über die Erbauung der Kirche selbst so läßt sich die Zeit derselben doch ziemlich genau bestimmen. Die Stadt Neu-Brandenburg war am 4. Jan. 1248 von den Markgrafen von Brandenburg, denen das Land Stargard durch den Vertrag von Kremmen im J. 1236 von Pommern zugefallen war, auf dem Grund und Boden des nahen bischöflich-havelbergischen Prämonstratenser-Mönchsklosters Broda gegründet. Durch die Landestheilung vom J. 1258 erhielt der Markgrak Otto III., der Fromme, das Land, für welches er eifrig wirkte; er starb auch in Neu-Brandenburg im J. 1267. Schon am 9. Juli 1271 erhielt das Kloster Broda zur Entschädigung für den Grund und Boden der Stadt unter andern Gerechtigkeiten von Otto's III. Söhnen, Otto IV. dem Langen und Albert III., das Patronatrecht über die Pfarrkirche der Stadt und über die Pfarrkirchen, welche im Laufe der Zeit in der Stadt vielleicht noch erbaut werden würden. Damals muß die Kirche also schon vollendet gewesen sein. Im J. 1287 waren schon zwei Nebenaltäre in der Kirche erbauet und bewidmet der eine zu Ehren des H. Nicolaus von den Söhnen Horbords von Rowa, des Erbauers der Stadt, der andere zu Ehren der H. Katharine; und im J. 1298 weihete der Bischof Johannes von Havelberg den Altar zur Ehre der H. Maria.
Die Kirche ist also ohne Zweifel in der Zeit von 1248 bis 1271, der schönsten Zeit des Spitzbogenstyls, unter dem Markgrafen Otto III. von Brandenburg und unter dem Einflusse des Klosters Broda erbauet. Diese Umstände machen es auch wahrscheinlich, daß man von den in hiesigen Landen herkömmlichen, schlichten Formen bei dem Bau abwich und mehr auswärtigen, kunstreichern Mustern folgte.
Ueber die Schicksale des Gebäudes während der katholischen Zeit ist fast gar nichts bekannt. Nur so viel bezeugen alle Urkunden, daß sie durch die Fürsten des Landes, den Adel der Umgegend und die Bürger der Stadt reichlich bedacht ward, was nicht zu verwundern ist, da in Neu-Brandenburg die Fürsten sehr häufig Hof hielten und auch die Diöcesan-Bischöfe von Havelberg nicht selten dort verweilten, wenn Geschäfte sie in das Land Stargard riefen. Schon im J. 1353 hatte die Kirche wenigstens 16 Nebenaltäre, deren Zahl bis zur Reformation auf 39 wuchs.
Beim Hereinbrechen der Reformation, welche zu Neubrandenburg im J. 1525 begann und im J. 1535 „gewaltig“ gepredigt ward, war die Kirche, wie die meisten Kirchen, nach der inneren Ermattung des katholischen Kirchenwesens, nicht in der besten Verfassung, Der Thurm war gänzlich im Verfall; vom J. 1553 an ward er neu gebauet und mit Kupfer gedeckt. Seit der Zeit dieser ersten Restauration stand an der Kirche auch der Superintendent des Landes Stargard als Prediger. Jm Laufe des folgenden Jahrhunderts ward das Gebäude von schweren Unglücksfällen heimgesucht. Am 28. Juli 1655, Abends 11 Uhr, traf ein Blitz den Thurm, welcher bis auf das Gemäuer niederbrannte; die fünf Glocken schmolzen und die Uhr ward zerstört, doch blieb das Kirchengebäude unversehrt.
Schon im folgenden Jahre ward der Thurm, wenn auch nicht in der früheren Höhe, wieder ausgeführt. Bis dahin hatte die Kirche manchem Sturme fest widerstanden und war Zeugin mancher traurigen Begebenheit gewesen. Allein dem unglücklichen Brande vom 20. Mai 1676, der die ganze Stadt mit Ausnahme der Klosterkirche und ihrer nächsten Umgebungen verzehrte, konnte sie nicht trotzen. Das Feuer ergriff auch die Thurmspitze; diese stürzte auf die Kirche hinab, zerschlug das Gewölbe des Mittelschiffes und das große Orgelwerk von 37 Registern; das ganze Innere der Kirche brannte aus und alle alten Denkmäler der Kirche und die nicht unbedeutende alte Kirchenbibliothek wurden ein Raub der Flammen. Die beschränkten Mittel der Kirche und der allgemeine Nothstand der Stadt erlaubten nur eine allmählige und nothdürftige Wiedereinrichtung. Das Gewölbe ward gar nicht wiederhergestellt, sondern das Mittelschiff nur mit einem Bretterboden bedeckt; der Thurm blieb unter seiner früheren Höhe zurück, die Hauptglocke ward erst im J. 1694 gegossen und eine Orgel erhielt die Kirche erst im J. 1754 wieder. In neuern Zeiten war nur ein Mal eine bedeutendere Reparatur vorgenommen, indem im J. 1802 der Thurm neu mit Schindeln gedeckt ward.
Das Gemäuer an Kirche und Thurm ward von Jahr zu Jahr schadhafter, zumal da man kleine Reparaturen vernachlässigte und für große Bauten die Kirche zu arm war, und wahrscheinlich wäre der gänzliche Verfall des herrlichen Baues zu erwarten gewesen, wenn nicht des regierenden Großherzogs Georg Königl. Hoheit den hohen Werth desselben erkannt hätte und fürstlich ins Mittel getreten wäre. Allerhöchst derselbe beschloß, unter lebhafter Theilnahme seines Bruders, des hochseligen Herzogs Karl, die vollständige Wiederherstellung des ehrwürdigen Denkmals alter Kunst und beauftragte den Baurath Buttel zu Neu-Strelitz mit der Ausführung des Baues, welcher viele und wohl überlegte Vorbereitungen zur Ausführung forderte. Nachdem im J. 1 832 die jüngern Anbaue, wie Sakristei und Leichenhaus, abgebrochen waren, wurden im J. 1833 das äußere Kirchengemäuer, die Pfeiler und das Gesimse, im J. 1834 der besonders kunstreiche östliche Giebel wiederhergestellt und dieser mit vier kleinen Thürmchen, außer dem kleinen Glockenthurme auf der Spitze desselben, verziert. Im J. 1835 ward der Hauptthurm bis unter dem Umgange abgebrochen und das Grundgemäuer verdickt; im J. 1836 ward der obere, kunstreiche, durchbrochene Stock des Thurmgebäudes ganz von gebrannten Ziegeln an 70 Fuß ausgeführt und im J. 1837 die Thurmspitze vollendet und mit Zink gedeckt. Die ganze Höhe des Thurmes beträgt jetzt 296 Fuß. Darauf ward das Innere der Kirche, deren Länge 190 Fuß beträgt, in Angriff genommen. In den Jahren 1838 und 1839 wurden die Gewölbe der beiden Seitenschiffe repariert und das Mittelschiff neu gewölbt. Endlich ward in den J. 1840 und 1841 das Innere der Kirche eben so schön und geschmackvoll, als würdig und tüchtig ausgestattet. Zu einer besondern Zierde gereichen der Kirche mehrere ausgezeichnete Kunstwerke: das Fenster hinter dem Altare aus buntem Glase mit den lebensgroßen Figuren der vier Evangelisten, ein Geschenk der Bürgerschaft; das Altarblatt, die Verkündigung der Auferstehung des Herrn darstellend, ein Werk und Geschenk des Hofmalers Eggers zu Neu-Strelitz; das Bild bei dem Taufsteine, das Vorbild der Taufe darstellend, wie das Kind Johannes das Jesuskind tauft, ein eigenhändiges Werk der Frau Großherzogin, und, wie der Taufstein selbst, ein Geschenk derselben. Die feierliche Einweihung der Kirche ward von dem allerdurchlauchtigsten Großherzoge auf den 12. Aug. 1841, Seinen Geburtstag im 25. Jahre seiner Regierung, angesetzt, auf den Tag, an welchem er als ein zwölfjähriger Knabe mit seinem hochverehrten Vater zum Besuche bei seinem Oheim, dem Herzoge Adolph Friederich IV., zum ersten Male in Neu-Brandenburg anwesend gewesen war: an eine solche schöne Jugenderinnerung wollte Se. Königliche Hoheit die erhebende Feier der Einweihung der von Ihm wieder hergestellten Kirche geknüpft wissen. Die Feier ging mit einfacher, erhebender Würde in Gegenwart der großherzoglichen Familie vor sich und erfreute sich einer so großen Theilnahme von nah und fern, daß die weiten Räume des Gebäudes die Menge der feierlich Versammelten kaum zu fassen vermochten. Und das Werk verdiente, abgesehen von seiner innern Bedeutung, eine würdige Feier; denn es ist in hohem Grade gelungen zu nennen, eine Zierde des Vaterlandes und als Ziegelbau neuerer Zeit gewiß das einzige Kunstwerk seiner Art, das auch überall und weithin unbedingte Anerkennung gefunden hat, wie sie z. B. Se. Majestät der König Friederich Wilhelm IV. von Preußen, Alexander von Humboldt und Thorwaldsen rühmend ausgesprochen haben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg in Bildern 1843