Wismar - Der Ursprung

Da, wo die Ostsee in einem weiten, durch die Insel Poel geschützten Busen am südlichsten ins Land hineindringt und den nördlichen Abfluss des Schweriner Sees aufnimmt, liegt Wismar, von den die nördlichen Mauern bespülenden Wellen bis zum Markte zu einer Höhe von ungefähr 60 Fuß sich erhebend. Nicht viel höher als der Meeresspiegel liegen um seine Mauern die nächsten Umgebungen aus Wiesen- und Moorgrund; dann aber steigt die Gegend außer der Seebucht nach allen Seiten mit dem fruchtbarsten Boden an, so dass sie einen Hügelring mit reichen Kornfeldern bildet, den nur der aus dem Schweriner See von Vicheln kommende Kanal unterbricht, welcher sich südöstlich dicht bei der Stadt zu einem kleinen See erweitert. Von jeder Seite dieser Höhen macht der Blick auf die Stadt mit ihrem Hafen und über die Stadt hinaus auf den Meerbusen bis nach Poel einen großartigen Eindruck und lässt nur bedauern, dass der Gegend fast aller Schmuck des Waldes und den hoch über die Häuser emporragenden, ehrwürdigen Kirchen die Spitzen der Türme fehlen.

Die Bedeutung des uralten Namens der Stadt ist bis jetzt dunkel geblieben, bemerkenswert jedoch ist dabei, dass die Stadt in allen älteren Schriften fast durchweg und von dem Landmann noch heute plattdeutsch "de Wismar" genannt wird.


In den frühesten Zeiten, schon am Ende des 12. Jahrhunderts und darauf in den Jahren 1209 und 1211, erscheint Wismar nur als Hafen. Eine Meile südlich von Wismar lag im tiefen Sumpfe die Feste Mecklenburg, die uralte Residenz der Obotritenkönige; etwas weiter ins Land hinein lagen die Fürstenburgen Flow und Dobin (bei Vicheln an der Döpe, am Nordende des Schweriner Sees) und noch weiter südlich, aber durch den großen See vermittelt, Schwerin. Zu diesen Fürstenburgen, zunächst zu Mecklenburg, bildete Wismar den Hafen, der bis heute den Ruhm eines der besten Hafen der Ostsee bewahrt. Es leidet keinen Zweifel, dass an diesem Hafen Wismar schon in den frühesten Zeiten ein Ort gleiches Namens, später Alt-Wismar genannt, östlich von der jetzigen Stadt, lag.

Den Ursprung der Stadt nach neueren Begriffen, wenigstens ihrem ungefähren jetzigen Umfange nach und in ihrer fast noch unverändert bestehenden Einteilung in Straßen und Quartiere, muss man in den Anfang des 13. Jahrhunderts setzen. Seit der Einführung christlicher und deutscher Sitte in die Wendenländer ward das Streben vorherrschend, die Wohnorter aus den Sümpfen und Wäldern in freie Gegenden zu verlegen, da eine neue, feste Bauart den Schutz der Sümpfe zu ersetzen im Stande war; dieser Umstand, sowie die immer mehr sich entfaltende Blüte Lübecks und seit dem Jahre 1218 die rasche Entwicklung Rostocks im Lande der Kissiner veranlassten den Fürsten Johann von Mecklenburg, in den ersten Jahren seiner Regierung, in der Nähe seiner alten Burgen auch eine Stadt unmittelbar an dem Meere anzubauen, um durch Beförderung und Belebung des Handels der nicht zu bezweifelnden Früchte desselben zu genießen, auch um seit der Vervollkommnung der Schifffahrt in den nötigen, unmittelbaren Verkehr mit den nordischen Reichen zu treten. Hierdurch ward Wismar bald Hauptort des Landes Mecklenburg, nachdem die vier Söhne des Fürsten Heinrich Borwin II. ungefähr um das Jahr 1230 das ganze Erbteil ihrer Vater in vier Teile: Mecklenburg, Werte, Rostock und Parchim (oder Richenberg), geteilt und dadurch auf längere Zeit das Fürstenhaus in vier Linien gesondert hatten. Des Fürsten Johann Schöpfung ist als eine ganz neue, nicht allmählich, sondern auf einmal aus einem großartigen Gedanken hervorgegangene zu betrachten, wie denn auch die Namen fast aller noch bestehenden Straßen und Tore, so wie der Kirchen, Kloster und anderer milden Stiftungen bereits in den Schriften des 13. Jahrhunderts vorkommen. Die älteste vorhandene Urkunde, in welcher Wismars als einer Stadt erwähnt wird, ist vom Jahre 1229. Vornämlich aber scheint es um das Jahr 1238 gewesen zu sein, dass der Fürst, nach Befestigung deutscher Sitte, unterstützt durch seinen Schwager, den Grafen Gunzelin von Schwerin, den schon früher entworfenen Plan zu rascherer Ausführung brachte,

Die Landesfürsten mussten bald einsehen, wie sehr ihre Wohnungen auf den alten wendischen Burgwällen hinter den geräumigern, gesünderen und freundlichem Städten zurückstanden. Daher verlegte der Fürst Johann I. im J. 1256 seinen Wohnsitz von Mecklenburg nach Wismar, baute sich hier ein festes Schloss und erhob dadurch die Stadt zur Hauptresidenz des Landes Mecklenburg. Als solche war Wismar der Schauplatz der merkwürdigsten Begebenheiten der mecklenburgischen Geschichte während des Mittelalters.

Im J. 1266 schenkte Heinrich I., der Pilger, des Fürsten Johann I. Sohn, der Stadt das lübische Recht; außerdem erhielt sie schon früh nach und nach manche wertvolle Freiheit von einheimischen und auswärtigen Fürsten. Durch alle diese Begünstigungen ward sie bald angesehen und kräftig genug, um sich gegen das Ende des 13. Jahrhunderts dem sich tatkräftig entwickelnden Bunde der deutschen Hanse anschließen zu können. Durch ihre Freiheiten und Bündnisse und die daraus erfolgte Erweiterung des Handels gedieh die Stadt im vierzehnten Jahrhundert zu einer bedeutenden Höhe bürgerlicher Freiheit und Selbstständigkeit, Bevölkerung, Macht und Reichtum, von der sie jedoch durch innere Unruhen, Übermut und unzeitigen Widerstand gegen den Drang der Umstände etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts allmählich wieder herabsank. Mit dem Erwerb der Grafschaft Schwerin im J. 1359 verlegten die mecklenburgischen Fürsten, die schon früher auch Rostock und die stargardischen Städte lieb gewonnen hatten, ihre Hauptresidenz nach Schwerin und hielten nur abwechselnd zu Wismar Hof, da die stolzen Bürger die alte Gunst ihrer Herren immer mehr verscherzten. Doch erweiterte noch der Herzog Johann Albrecht I. im J. 1554 den Fürstenhof, um in der Stadt große Feste feiern zu können. Seit dem Westfälischen Frieden, der im J. 1648 dem dreißigjährigen Kriege ein Ende machte und Wismar an Schweden gab, hörte Wismar auf, eine mecklenburgische Stadt und mithin auch Residenz zu sein, war jedoch, bis zu seiner Wiedererwerbung durch Mecklenburg im J. 1803, Sitz des höchsten Gerichtshofes für sämtliche schwedische Besitzungen in Deutschland. Schon früher von den Bürgern mit Wällen und Gräben gegen feindliche Überfälle gesichert, ward die Stadt im 17. Jahrhundert von den Schweden zur regelmäßigen Festung erhoben; nach der Einnahme derselben im Jahre 1716 durch die gegen Schweden verbündeten nordischen Mächte wurden die Werke jedoch zerstört. Nur die alte Mauer steht noch; den meisten Grund der ehemaligen Festungswerke nehmen jetzt Garten oder zu Spaziergängen eingerichtete Anlagen ein.

Unter der schwedischen Regierung sank Wismars bürgerlicher Wohlstand zur Unbedeutsamkeit hinab, und erst seitdem die Stadt dem Vaterlande wieder gewonnen ist, hat sie sich, zumal nach den letzten Kriegsjahren, eben so sehr innerlich wieder gehoben, als äußerlich verschönert. Ihre Bevölkerung, welche am Ende des vorigen Jahrhunderts kaum 6.000 Seelen betrug, übersteigt jetzt, die eingesparten Vorwerke innerhalb des Weichbildes eingerechnet, die Zahl von 11,000 Einwohnern.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg in Bildern 1842