Das Werktagskleid

Von den alten Volkstrachten erhalten sich gewöhnlich die Werktagskleider am längsten; manche Leute, welche Sonntags schon ganz modernes Äußere zeigen, bewahren Alltags noch ein Andenken an die Tracht ihrer Vorfahren. Wenn man in unseren Tagen bei einer Bevölkerung ein Kleid für den Werktag und eins für den Festtag findet, so kann man unbedenklich behaupten, dass dieselbe auf einer sehr hohen Stufe der Volkseigentümlichkeit stehe und ein ausgebildetes Ganzes sei, welches sich den Ideen der Neuzeit mit ihren ausgleichenden oder vereinfachenden Tendenzen noch nicht angeschlossen habe. Wir werden in der mecklenburgischen Bevölkerung die beiden hier zur Sprache stehenden Kleider finden; und zwar solche, welche sich eng an die ältere Tracht lehnen, von der modernen aber nur sehr Geringes angenommen haben und auch dies nicht immer auf dem Wege freier Selbstbestimmung.

Das Erste, was bei einer Tracht in die Augen fällt, ist nebst der Farbe der Schnitt derselben. Rücksichtlich der Farbe haben wir schon erwähnt, dass dieselbe rein die überlieferte ist und sich bestimmte Dorfschaften durch sie von der Hauptbevölkerung noch heute ebenso trennen, wie dies in früheren Zeiten der Fall gewesen sein wird. Wenn wir den Schnitt aller herrschenden Trachten vergleichen, so finden wir bald, dass derselbe weder aus Zweckmäßigkeits-, noch aus Schönheits-und Bequemlichkeits-Rücksichten der Neuzeit hervorgegangen ist, dass er vielmehr — zumal wegen der Übereinstimmung, welche hinsichtlich seiner bei sonst verschiedenen Trachten herrscht, — nur ein von Alters her überlieferter sein kann und sich nur erhalten hat eben aus dem Grunde dieser Überlieferung oder der hergebrachten Sitte. — Der Stoff, dessen man sich zur Anfertigung der Tracht bediente, war noch bis vor kurzer Zeit im ganzen Lande der gleiche; man nahm dazu Leinwand und die auf eigenen Webestühlen angefertigten, deshalb „eigengemachte“ genannten Zeuge. Webestühle sind zwar auch heute noch nicht selten, doch verringert sich ihre Zahl jährlich; das Volk aber trägt immer noch viel lieber die von den s. g. Raschmachern angefertigten Zeuge, als die dünnen baumwollenen Gewebe der Fabriken.


Lein, welches von selbsterzogenem Flachse gemacht wurde, war und ist der Grundstoff der Volkskleidung in Mecklenburg, namentlich für das männliche Geschlecht. Bei der Arbeit ist es auch jedenfalls der zweckmäßigste Stoff und dazu billig anzufertigen: vor 4—5 Jahren kostete die Anfertigung eines kurzen leinenen Beinkleides auf dem Lande für erwachsene Personen 10 ßl., eines solchen Rockes 22 ßl. Aber auch die Halbleinenstoffe aus Lein und Wolle (nicht Baumwolle), welche namentlich die Frauen tragen, wurden früher selbst verfertigt. Diese Zeuge sind zu charakteristisch, als dass ihre Anführung hier unterbleiben dürfte. Es gibt von ihnen nach Mussäus:

Bômfied (Fünfkamm), mit einem Auszuge von Leinengarn und einem Einschlage von Wolle, nach Art des Atlasgewebes, indem die Fäden des fünften Kammes über die anderen fallen; ein sehr dauerhaftes Zeug. Wegen der fünf Kämme wird der Weberbaum („Bôm“) niedrig („fied“) gestellt; daher der Name „Bômfied.“

Vierkamm (Rasch), der Auszug von Leinengarn, der Einschlag von Wolle oder Garn, besonders Beinkleiderzeug.

Flanell, stets mit wollenem Einschlage, während der einfadige Auszug entweder von hedenem Garn ist (hedener Flanell) oder von flächsenem Garn (flächsener Flanell.) Dies Zeug ist oft buntgestreift und wird zu Frauenröcken benutzt.

Futtertuch („Fauderdauk“) ist dem Flanell ähnlich, aber mit einem leinenen Auszuge von zwei Fäden. Sehr stark und meistens schwarz gefärbt, dient es zu Männerröcken, besonders für die „schwarzen“ Bauern bei Rostock.

Kleiderzeug mit zwei leinenen und einem Faden doppelter Wolle im Auszuge, während der Einschlag ganz von Wolle ist, zu Frauenkleidern verwendbar.

Die Männer tragen im Allgemeinen ungefärbte Leinwand, welche in der Gegend zwischen Güstrow, Dargun und Stavenhagen gebleicht, im übrigen Lande aber in der ursprünglich grauen Farbe gebraucht wird. Ausnahmen bilden die „schwarzen“ Bauern bei Rostock und Doberan und die „braunen“ Bauern im Ratzeburgischen, wie durch ihre Namen schon angedeutet wird. Die Röcke („Kittel“) sind von Leinwand oder Futtertuch, die Beinkleider („Büx“) ebenfalls, die Westen aber meistens von Bômfied und bunt gestreift.

Die herrschende Tracht ist die bunte sächsische, die heutige ist nur eine ganz geringe Abänderung der älteren. Letztere hat sich namentlich bei den Frauen fast unverändert erhalten, während die Männer dadurch, dass sie mehr und mehr mit der städtischen Bevölkerung in Berührung gekommen sind, besonders auch in Folge des Militärdienstes, einige Neuerungen eingeführt haben. Früher war das Beinkleid durchweg kurz und eng, an den Knien mit Schnallen verschlossen, und die Füße steckten in langen, weißwollenen Strümpfen nebst Schnallenschuhen. Jetzt haben sich die Schuhe meistens verloren und man trifft entweder hohe Stiefeln neben kurzen oder kürzere Stiefeln neben langen Beinkleidern. Bei der Arbeit trägt man daneben eine Weste und eine wollene, gewöhnlich weiße Unterjacke, welche letztere im Sommer wegfällt. Bei warmer Jahreszeit geht man allgemein in Hemdsärmeln („Hemdsmaugen“), sehr selten aber in bloßem Halse, vielmehr meistens mit einem zwar lose geschlungenen, aber dicken Halstuche.

Zur alten Tracht gehörte ein kleiner runder Hut mit zwei Finger breitem Rande, statt dessen sich jetzt allgemein die moderne Schirmmütze („Kips“) eingebürgert hat. Nur sehr selten begegnet man noch einem älteren Manne, der unter jenem Hute sein Haar mitten über dem Kopfe gescheitelt und durch einen messingenen Kamm im Nacken zusammengehalten trägt. Zwischen den „schwarzen“ Bauern hat sich zwar der runde kleine Hut noch erhalten, jedoch ist auch hier die Haartracht eine neue geworden, und neben dem Hute trifft man doch schon viele Schirmmützen. Wir glauben nicht, dass man sich hierüber wundern darf, da jener Hut sehr schwer und heiß ist, das der Sonne ausgesetzte Gesicht nicht zu schützen vermag und überhaupt unbequem und unpraktisch ist. Dazu kommt aber noch, dass die zum Militärdienste ausgehobenen jungen Leute sich notwendig an die Mütze gewöhnen und ihre Vorteile dem Hute gegenüber erkennen müssen. Kann man nun auch einerseits nicht umhin, den letzteren als ein sehr wesentliches Stück der Volkstracht anzuerkennen, wie es die Bedeckung des Hauptes immer ist, und wie es sich z. B. noch unter den Biestower Bauern zu erkennen gibt, wo der Hut bei Junggesellen mit kreideweißer, bei verheirateten Männern mit schwarzer Schnur eingefasst ist, so muss man andererseits auch anerkennen, dass die Leute hier die ältere Tracht mit einer zweckmäßigeren vertauscht haben. Wir haben schon wiederholt Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, dass sich die Bevölkerung Mecklenburgs durch Zweckmäßigkeitsrücksichten, sobald sie dieselben erkannt hat, leicht und dauernd bestimmen lässt. Dieselben aber herrschten auch bei der Umwandlung der Fußbekleidung vor; denn die hohen Stiefeln sind für den Landwirt, wenn auch immerhin schwerer, doch zweckmäßiger als Schuhe, nicht nur weil sie trockener und reinlicher sind (darauf gibt man nicht viel), sondern zumal auch deshalb, weil sie bequemer sind und bei dauernder Arbeit nicht so leicht ermüden lassen, was jeder Landwirt oft erfahren haben wird.

Das Hauptstück der Volkstracht in Mecklenburg ist aber der Kittel, ein Kleidungsstück, welches viel zweckmäßiger ist, als man anscheinend glauben möchte. Im Sommer kühl und im Winter warm, schützt er vor Regen, begleitet den Arbeiter, über die Schulter geschlagen, wenn er zu Felde geht oder reitet, den Reisenden, in die Stadt. An ihm haftet deshalb gewiss im vorzüglichsten Grade das Bestehen der jetzigen Volkstracht; er ist das einzige Kleidungsstück, für welches man scherzweise eine Schmeichelbezeichnung hat. Das Volk nennt ihn „olle Jakob.“ Ein Rock im gewöhnlichen Sinne ist er übrigens nicht, wenn er auch viel als solcher getragen wird; er gehört nicht zur Alltags- und Hauskleidung, sondern ist für alle Fälle da, wo die gewöhnliche Tracht, sei es aus Bequemlichkeitsoder aus Nützlichkeitsgründen nicht ausreicht, im Hause als Hausrock, außer demselben als Überrock. Zur Werktagstracht gehört überall nur eine Jacke, hinten mit kleinem Schooße und gewöhnlich den Magen noch bedeckend. Meistens ist diese von schwarzem Futtertuche, bei den Biestowern Alltags von grau und schwarz gestreifter Wolle, Sonntags von Tuch.

Fast in jedem einzelnen Stücke der Männertracht erkennt man einen Teil der alten Volkstracht, und wenn eins oder das andere dieser nicht anzugehören scheint, so ist neben ihm entweder auch das ältere noch zu finden, oder es ist, dem Charakter der Leute gemäß, das Neue mit dem Bewusstsein seiner Zweckmäßigkeit eingeführt. Noch weit mehr als die Männer pflegen aber allgemein die Frauen an der hergebrachten Tracht zuhalten, und die Frauentracht, welche man heute in Mecklenburg findet, ist ganz und gar die alte Tracht, hier und da nur mit wenigen, völlig unwesentlichen Abänderungen.

Von dem Stoffe der Frauenkleidung war schon oben die Rede, ebenso von dem vorgeschriebenen Maße derselben. Hinsichtlich der Farbe unterscheiden sich die Frauen darin, dass, während im Allgemeinen die bunte sächsische Tracht die vorherrschende ist, die Bäuerinnen bei Rostock und Roga — analog ihren Männern — eine Kleidung von vorherrschend schwarzer Farbe tragen. Die einzelnen Stücke dieser beiden Trachten werden wir berücksichtigen müssen, wenn vom Sonntagskleide die Rede ist, denn nur bei diesem treten sie alle auf, während der Alltagskleidung mehrere wesentliche Stücke der vollständigen Volkstracht fehlen. Der Höhenpunkt im Arbeitsleben einer ländlichen Bevölkerung ist die Zeit der Ernte; selbst der ärmste, fremdes Korn mähende Knecht oder Tagelöhner erscheint zu dieser Zeit mit seinem reinsten und Weißesten Anzuge. Und wie an die Ernte überhaupt die mehrsten aus älterer Zeit stammenden Gebräuche sich aus jenem Grunde angeschlossen haben, so werden wir auch bei ihr vornehmlich nach der Volkstracht des Alltags uns umschauen müssen. Sehen wir eine Gesellschaft junger Mädchen, welche nach vollbrachtem Tagewerke vom Felde heimkehrt, durch die Arbeit mit Freude und durch diese mit erhöhetem Selbstgefühl erfüllt. Im dunklen, mit breitem Seidenbande umsäumten Kleide von eigengemachtem Stoffe, an welches sich ein gleiches „strammes“ Mieder („Jacke“) schließt, welches die Arme und die kräftige Brust frei lässt; im weißen, gefälteten, am Halse mit einem großen Knopfe verschlossenen Hemde mit langen Ärmeln (häufig nur ein Oberhemd, „Fürhemd“), eine blendendweiße, auch die Brust bedeckende Schürze vorgebunden, in weißen Strümpfen und Schnallenschuhen mit kleinen spitzen Hacken, das Haar ins Nest gebunden und mit der kleinen, steifen Mütze („Köppel“) von Pappe, Band und „Bômfied“ bedeckt — so liefern sie gewiss ein freundliches Bild. In der einen Hand tragen sie die Harke, in der andern den Hut von Span, um diesen zum Schutze gegen Regen in der Nähe zu haben. Gegen die Sonne bedarf man eines Schutzes nicht, denn dieser guten Freundin bietet man gerne das volle frische Gesicht.

Das ist die alltägliche Volkstracht für den Sommer. Bei kühler Witterung oder im Winter werden Brust und Arme mit einem wärmeren, aber immer niedrigen Mieder („Jope“) bedeckt, in welches die Zipfel eines oder mehrerer um den Hals geschlungener wollener Tücher gesteckt werden. So erblickt man das kleinste Kind, welches eben gehen lernt, und die älteste Frau, gerade wie schon das „Göhr“ (Volksausdruck für Mädchen) am Sonntage nach dem richtigen Maße gemodelt wird. Ebenso mit den Knaben. Nicht selten begegnet man einem Knirps „nich dree Kees' hoch“ in Kniehose, weißen Strümpfen, Schuhen und rundem Hut, das Ganze in einem bis an die Hacken reichenden, an den Händen umgekrempten Kittel steckend, der nicht allemal Großvaters Kittel, sondern vorsorgend mit Rücksicht auf das Wachsen eingerichtet ist. Solche „Jungens“ (Volkswort für Hirte) trifft man in mancherlei Abstufungen, mit mächtiger Peitsche („Swäp“) ausgerüstet, als „Gänse-, Schaf- oder Kuh-Jungens“. Darin eben liegt eine Gewähr für diese Tracht als Volkstracht, dass sie, dem Stande bestimmt, für Alt und Jung gemeinsam ist, während sie andererseits nicht in fremde Kreise übergeht.

Sie geht nicht über in die kleinen Städte, auch nur in sehr beschränkter Weise auf die Güter der größeren Grundherrn. Die Tagelöhner auf diesen verlieren mit der selbstständigen Stellung ihren Eigencharakter und mit diesem die Tracht, Beweis genug, dass beide innig zusammengehören. Und wie jener, so ist auch die Tracht, einfach, praktisch und billig. —

Aus seiner Jugendzeit erinnert sich gewiss noch Mancher, der in einer kleinen Stadt unseres Landes aufwuchs, an die ehrenfesten Bürger im Großvaterrock, bescheiden und brav. Welch' eine Umänderung ist seit jener Zeit vor sich gegangen; wer möchte, falls ihn nicht die bittere Not zwingt, jetzt auch nur in der kleinsten Stadt noch den ererbten Großvaterrock tragen? Und doch, was ist mit diesem zugleich Alles in den Winkel geworfen; nicht auch Vieles, was wieder hervorzusuchen wohl an der Zeit wäre? Das kleine, enge Bürgerhaus will der Gegenwart nicht mehr genügen, der alte Rock hält nicht mehr warm; aber ein neues, bequemes Haus baut sich nicht so leicht, wie ein modernes Kleid sich anziehen lässt, und — passt der Frack zum alten, einfachen Bürgerhause? Es wäre gewiss nicht zum Schaden, wenn man in mancher Beziehung wieder etwas zurückginge und die Verhältnisse in's Zusammenpassen brächte. Wer nicht laufen kann, soll auch nicht springen!

Dem Bauern gönne man die Zufriedenheit mit seiner Lage nach allen Seiten hin und lasse ihm auch sein Kleid. Er wird dies nicht ohne innere Kämpfe oder Störungen ablegen; gewiss aber so lange nicht, als er mit dem seine Eigenart kennzeichnenden Selbstbewusstsein sagen mag: „Ik hew wat stiefen Puckel!“