Das Sonntagskleid

Das Sonntagskleid, welches der Bauer anlegt, wenn die Glocken ihn zur Kirche laden, ist, wie wir schon bemerklich machten, nicht ein neuer, sondern nur ein höherer Ausdruck seiner Kleidung überhaupt; es ist das Werktagskleid in verbesserter Auflage. Wer sich zum Kirchgange kleidet und den sonntäglichen Rock aus der Lade nimmt, in welcher er behutsam verwahrt liegt, der kleidet sich nicht für sich, sondern — wenn auch unbewusster Weise — für die Gesellschaft; sein Rock wird ein soziales Zeichen und erklärt als solches den Wert, welchen er für seinen Besitzer haben muss. Die Volkstracht kommt hier in Ausdruck zur Bezeichnung des Standes und zur Weihe für den heiligen Tag. Deshalb ist das Sonntagskleid die Blüte der Volkstracht, und deshalb findet es sich nur bei einem der alten Sitte streng anhängenden Volke und wird, sobald jene in Vergessenheit gerät, gewöhnlich zuerst abgelegt und nach der Mode des Tags verändert. In Mecklenburg ist dies bis jetzt nicht der Fall; das Sonntagskleid ist, was es sein muss, hier durchaus nur Alltagskleid in verbessertem Stoffe, und beide zusammen sind nur die Ausdrücke für eine vollständige Volkstracht nach ihren verschiedenen Richtungen hin.

Die Männertracht am Sonntage unterscheidet sich weit weniger von der Alltagstracht, als diejenige der Frauen. Das ist ganz natürlich, da sich der Stoff vorgeschrieben findet, der Putz im eigentlichen Sinne aber, das Charakteristische des höheren Schmuckes, für das männliche Geschlecht weniger zur Geltung kommen kann. Beinkleid, Weste, Tuch sind die gewöhnlichen, aus den schon von uns erwähnten Stoffen, aber neuer und besser.


Eigentümlicher dagegen ist der Rock, in Form und Schnitt ganz der alte beliebte Kittel, gewöhnlich aber von schwarzem oder doch dunklem Tuche. Des jungen Mannes höchster Stolz ist es, (neben einem hübsch braun angerauchten Meerschaum-Pfeifenkopfe mit Silberbeschlage) einen „lakenschen“ Rock zu besitzen, nicht weil der Städter ebenfalls einen solchen hat, sondern weil derselbe ihn erst ganz zu dem macht, was er sein will. Deshalb richtet er sich auch nicht nach dem Schnitte städtischer Mode, sondern trägt seinen Tuchrock, wie er den Kittel trägt. Auch ist derselbe nur zum Zwecke der fseierlichsten Momente seines Lebens da; zur Stadt wendet er ihn selten dran, falls er nicht dorthin zur Kirche geht. Kein Luxus- und Prunk-Gegenstand wird er, wenn möglich, so eingerichtet, dass er fürs Leben aushält und noch darüber hinaus an die Kinder vererbt. Wir haben solche Röcke gesehen, die im wörtlichen Sinne noch vom Großvater stammten, und die sich nur durch den Kragen und die blanken Knöpfe von den heutigen Röcken unterschieden. Erstere waren s. g. Stehkragen; die früher beliebteste Farbe war vielleicht ein dunkles Blaugrau. Jetzt fallen die Kragen nieder und die Farbe ist gewöhnlich schwarz. Änderungen, welche sich sehr leicht erklären lassen. Die schwarze Farbe ist der Bestimmung des Rockes zum „Kirchengehen“ angemessen; die Stehkragen sind unpraktisch, man findet sie jedoch auch noch, z. B. auf Poel. Die Sonntagsweste ist sehr oft noch aus „Bômfied“, häufig aber auch aus Tuch, ebenso wie es mit dem Beinkleide der Fall ist.

Die Änderungen, welche mit dem Stoffe vorgegangen sind, haben ohne Zweifel Bezug auf die verschiedenen Standesverhältnisse der Leute. Die Besitzenden sind in der letzteren Zeit zu großer Wohlhabenheit gelangt, welche ihr Selbstgesühl mächtig gestärkt hat. Man kann sich nicht wundern, dass sie dies in einigem Grade äußerlich zeigen, erkennt vielmehr die große Macht der Sitte um so deutlicher baran, dass diese Änderungen namentlich den Schnitt der Tracht nicht ergriffen haben. Dieser ist das Wesentlichste der Volkstracht, wenngleich nicht geleugnet werden kann, dass jede Änderung im größeren Umfange auf Kosten der alten Tracht geschieht. Der Ärmere trägt auch Sonntags sein Zeug vom gewöhnlichen Stoffe; leinene Röcke sind aber in der Kirche große Seltenheiten.

Wenn man am Sonntage eine Reihe solcher Männer im Festschmucke zur Kirche wandern sieht, so wird man von ihnen gewiss den Eindruck eines ernsten, gemessenen Wesens erhalten und zugestehen müssen, dass ihre Tracht — abgesehen von der unleidlichen Angströhre des Zylinders — diesem Wesen durchaus entspricht. Man fühlt unwillkürlich, dass in diesen Leuten Einklang und Bewusstsein ist; es sind ganze Leute, über welche sich Jeder freuen wird, der bestimmt ausgeprägte Charaktere liebt. Die Gegenwart bringt solcher mir zu wenige hervor. In der Nähe der größeren Städte hat sich der Charakter unserer ländlichen Bevölkerung übrigens auch schon bedeutend verflacht, namentlich teilweise bei Schwerin, was wohl dem geistlichen Einflusse der früheren Zeiten zugeschrieben werden muss. Von den kleineren Städten dagegen hat jene wenig oder gar nichts angenommen und ist in ihrer Eigenart so bestimmt geblieben, dass sie sich von der Mode und dem Wesen dieser Städte überhaupt in Nichts beherrschen lässt. Man hat das oft getadelt und tadelt es noch häufig, ohne aber den Nachweis zu liefern, wieviel und was von demselben anzunehmen unserer ländlichen Bevölkerung ein wahrer Gewinn sein würde.

Das weibliche Geschlecht in der Bevölkerung Mecklenburgs besitzt durchgehends eine sehr große körperliche Schönheit; namentlich im nordwestlichen Teile des Landes und im Ratzeburgischen ist diese hervortretend, und hier findet man Gesichter, so regelmäßig oval, wie man sie nur wünschen kann. Diese Menschen sind meistens schlank und von feinem, aber krästigen Körperbau. Die Frauen bei Doberan und im nördlichen Strelitz sind im Allgemeinen dagegen robuster gebaut. Die Gesichter sind mehr gerundet. Ein wohlgebildetes Mädchen wird nun freilich nicht leicht durch irgend eine Tracht geradezu verunstaltet werden; es ist aber auch nicht wahr, wenn Riehl (a. a. O.) behauptet, die Tracht der hiesigen Frauen sei weder in der Form kleidsam, noch in der Farbe geschmackvoll. Die sächsische Tracht, die Hauptlandestracht, ist Beides in hohem Grade. Wir berücksichtigen diese hier zunächst und können bei jedem Schritte unter das Volk leicht beobachten, wie die allgemeine Erfahrung, dass ein schöner Menschenschlag auch natürlichen Sinn für eine kleidsame Tracht habe, sich in Mecklenburg entschieden nicht Lügen straft.

Betrachten wir ein junges Mädchen in der sächsischen (bunten) Tracht, den Hinterkopf bedeckt mit einer kleinen Pappmütze („Köppel“), die mit reicher Goldstickerei und mit vielen in den Nacken hängenden seidenen Bändern („Start“ — Schwanz genannt) geschmückt ist. Die Stirn umfasst ein schmaler, fein gekräuselter „Strich“, der sich von der Schläfe abwärts etwas weitet und den Ausdruck des Gesichts ganz besonders erhöhet. Die Brust wird von einem niedrigen, mit breitem schwarzen (auch rotem und blauem) Bande umfassten Mieder („Jope“) bedeckt, unter welches die Zipfel des um den Hals geschlungenen, oft sehr reich mit Gold und Silber oder mit Seidenstickerei verzierten Halstuches gesteckt werden. Auf der Vorbrust wird das letztere durch eine große herzförmige Schnalle („Spange“), mit Steinen besetzt, zusammengehalten und die langen bauschigen Ärmel des Mieders sind unten oft mit silbernen Knöpfen besetzt und lassen eine seine gekräuselte Spitzen-Manschette sehen. Die kurzen Röcke (Sonntags oft von schwarzem Tuche) sind unten mit handbreitem Bande umsäumt, dessen Farbe nach den Verhältnissen wechselt. Letzteres ist auch mit der Schürze der Fall, die z. B. bei einem Leichengefolge weiß ist (wie auch das Halstuch), zur Kirche schwarz, sonst oft auch bunt. Gleichfalls die um die Taille geschlungenen breiten seidenen Bänder, die gewöhnlich schwarz sind. Die Strümpfe sind rein weiß von Wolle, die Schuhe sehr stark ausgeschnitten, mit einer viereckigen oder rundlichen Schnalle auf dem Oberfuße verziert und mit kleinen, hohen und spitzen Hacken. Zu dieser (Kirchgangs-) Tracht gehört dann noch ein weißes, wenn möglich gesticktes Schnupftuch, ein kleiner Pelzmuff, der früher auch im Sommer getragen wurde, und das stark mit Silber beschlagene Gesangbuch. Die Farbe des Oberrocks ist immer eine dunkle, diejenige des Besatzbandes ist aber verschieden fast für jede einzelne Dorfschaft. Das Band gehört schon demjenigen Teile des Schmuckes an, welcher in dem Belieben einzelner Personen steht. Dazu rechnen wir auch die Stickerei überhaupt, deren Reichhaltigkeit von den Mitteln der Leute abhängt. Wohlhabendere tragen ost eine sehr reiche Stickerei auf dem Halstuche, soweit dies die Brust und den Nacken bedeckt; sie arbeiten dieselbe nicht selten selbst und zeigen darin einen sehr guten natürlichen Geschmack. Wir können versichern, auffallend schöne, selbst verfertigte Stickereien gesehen zu haben, und dies wird man auch leicht begreifen, wenn man erwägt, dass Gold- und Silberfarbe selbst bei einiger Überladung auf schwarzem Grunde nicht unangenehm sein kann und dass die Muster, nach welchen die Bäuerinnen arbeiten, keine andere sind, als die natürlichen Blumen und Blätter ihrer Gärten, zwar farbenreich, aber gewiss nicht unschön.

Die Kirchgangstracht unterscheidet sich insofern von der häuslichen Sonntagstracht, als man es sich während der Sommerzeit auf dem eigenen Dorfe bequem macht und das Mieder, auch wohl einen oder mehrere Röcke ablegt. Dann bedeckt den Oberkörper ein ärmelloses Mieder („Bostliev, Bindliev“), unter welchem man ein rein weißes, feines Hemd (Oberhemd) mit langen Ärmeln trägt, deren Querder rot gestickt ist. Diese Tracht ist sehr freundlich und frisch und steht den jüngeren Leuten außerordentlich gut. — Der Hut, von Span geflochten, wie ihn jede Bäuerin besitzt, wird sehr wenig benutzt, ist übrigens auch schwer und heiß, gewöhnlich noch mit buntgeblümtem, dunklen Kattun gefüttert und den ganzen Kopf bedeckend. Nur im Winter und bei schlechter Witterung sieht man ihn häufiger; beim Kirchgange lässt man ihn aber auch trotz des Wetters fort und schlägt dann den obersten, dicken Rock von hinten über den Kopf, wodurch genügender Schutz erreicht wird. Regenschirme sind erst seit neuester Zeit im Gebrauch.

Neben der hier geschilderten Volkstracht findet man in einzelnen Gegenden des Landes eine in manchen Stücken verschiedene. Wir können hier nur kurz erwähnen die Tracht der Poeler (auf die Insel Poel berief Fürst Borwin I, im Jahre 1210 deutsche Ansiedler), deren Grundfarbe für die Männer graublau, für die Frauen braun ist; die Tracht der Zepeliner, welche an diejenige des kleinen isolierten Menschenschlages der Mönchguter auf Rügen erinnert, die noch sehr viele alte Eigentümlichkeiten bewahrt haben und ein besonderes Studium verdienten; die Tracht der Warnemünder, welche von einer dänischen Colonie abstammen dürften. Diese verschiedenen Trachten beschränken sich auf einzelne kleinere Gebiete, und sollen hier nur zum Beweise dienen, dass sich in Mecklenburg selbst die alten Merkmale der Stammesverschiedenheit in der Tracht erhalten haben. Die Abbildungen dieser genannten Trachten in Lisch „Mekl. in Bild.“ sind wohl allgemein bekannt.

Von größerer Wichtigkeit für uns ist dagegen die Tracht der Biestower, genannt nach dem Dorfe Biestow bei Rostock, obgleich sie sich westlich bis gegen Doberan und südlich bis gegen Schwaan hin erstreckt. Diese Tracht ist der deutschen (sächsischen) geradezu entgegengesetzt, sowohl im Schnitt wie in der Farbe von ihr verschieden, und deutet mit ihrem vorherrschenden Schwarz und Rot auf die slawische Abstammung dieser Leute. Schmuck findet sich bei dieser Tracht fast gar nicht, wenn man nicht die blanken zinnernen Knöpfe als solchen betrachten will; das Einfach-Dunkle oder doch das Einfarbige herrscht vor. Gleiche Tracht findet man im nordwestlichsten Teile von Mecklenburg-Strelitz, gerade in einem derjenigen Landesgebiete, in deren undurchdringliche Wälder sich die Reste der vertriebenen Slawen zurückgezogen haben. Auch die Leute selbst unterscheiden sich von den sächsischen Abkömmlingen durch ihren derberen Wuchs und ihre gröberen Körperformen bei hoher Statur, gleichwie sie auch in ihrer Lebensweise manche Eigentümlichkeiten bewahrt haben und namentlich im Besitze mancher eigentümlicher Sprichwörter und Erzählungen sind. Zum Unterschiede von der bunten sächsischen heißt diese Tracht allgemein „die schwarze“.

Bei derselben herrscht neben dem Kittel, welcher eine noch viel größere Bedeutung besitzt, als bei ersterer, die Jacke vor, während der Tuchrock noch durchaus nicht allgemein und erst neueren Ursprungs ist. Sonntags trägt man eine schwarze, tuchene, mit dickem, weißen Wollenzeuge gesütterte Jacke (die gewöhnlich „Schwubbjack“ oder auch „Rock“ genannt wird), lang über den Bauch fallend und hinten in einem kleinen gefalteten Schooße endigend. Dieselbe hat einen Stehkragen und zwei Reihen rundlicher, oben abgeplatteter, zinnerner oder silberner Knöpfe, wird aber sehr selten zugeknöpft. Alltags trägt man statt ihrer eine gestrickte, wollene, gewöhnlich grau und weiß gestreifte Jacke von gleicher Form. Die Weste ist eine Art des alten Wamses, in der unteren Hälfte ringsum zu und nur in der oberen Hälfte geöffnet, so dass sie über den Kopf gezogen werden muss und deshalb bezeichnend „Krup-in“ (Krieche hinein) genannt wird. Sie ist von „Bômfied“ oder von Tuch mit einer Reihe sehr nahe aneinander stehender blanker Knöpfe. Das Beinkleid, welches ohne Hosenträger nur durch einen großen sichtbaren und einen kleineren versteckten Knopf lose um die Hüfte gehalten wird, daneben eine offene, aber durch viele Falten verdeckte Schlitze hat und sehr weit ist, besteht aus schwarzer Leinwand, reicht nur bis zu den Knien und wird hier durch in Schleifen herabhängende lederne Bänder ohne Schnallen zusammengehalten. Weiße Strümpfe, jetzt meistens hohe Stiefeln, ein sehr dickes, lose um den Hals geschlungenes Tuch, dessen Zipfeln lang niederhängen, und der kleine runde, schon beschriebene Hut vollenden den Anzug. Mützen und Zylinderhüte, zumal letztere, sind in dieser Gegend noch Seltenheiten.

Gleich wesentliche Verschiedenheiten zeigt die weibliche Tracht. Die Röcke sind Alltags rot, Sonntags (zum Kirchengehen und zum Leichengefolge) schwarz, die Strümpfe ursprünglich stets rot, doch jetzt auch häufig weiß. Daneben sieht man an diesen Bäuerinnen nur wenige weiße Leinwand. Die Alltagsmützen sind einfach schwarz und mit kleinem oder gar keinem Striche; Sonntags aber ist der Strich fast fußbreit, oben auf dem Kopfe weit abstehend und an den Wangen sich anschließend. Dazu ist das Band schwarz, ebenso dasjenige des kleinen, nur den Oberkopf schüsselförmig bedeckenden Spanhutes. Das Mieder ist schwarz, mit rotem oder schwarzem Bande umsäumt, an der Brust durch einen bunten Latz (“Boschen“) geschlossen, das Tuch Alltags meistens bunt gestreift, Sonntags schwarz, beim Abendmahl weiß. Die Schuhe werden auf dem Vorfuße entweder einfach mit einer Schleife von ledernen Riemen oder auch mit einer viereckigen Schnalle zusammengehalten. — Die ganze Tracht aber ist entschieden weniger geschmackvoll, als die bunte, namentlich sind die großen Mützenstriche hässlich, und f um so mehr in die Augen, als die Frauen dieser Gegend an und für sich nicht so wohlgestaltet sind, wie diejenigen von sächssischer Abstammung. Ein kleiner, schwarzer Muff und schwarze, auf der Oberseite bunt ausgenähete Handschuhe, meistens ohne Finger, gehören eng zur Tracht der schwarzen Bäuerinnen, welche man auch auf dem Dorfe nur sehr selten in Hemdsärmeln sieht, namentlich nicht, wie die bunten Bäuerinnen, beim Tanze und vorzugsweise bei warmer Witterung.

Der Ursprung dieser sehr alten Tracht, welche an diejenige der altenburger Bauern erinnern soll, ist mit einiger Sicherheit nicht nachzuweisen, ruht aber, wie schon erwähnt wurde, höchst wahrscheinlich in der slawischen Zeit Mecklenburgs. Sie ist dem strengen und ernsten Wesen der Leute sehr angemessen, verschmäht alle äußere Zierrat und genügt, wie das Volk, sich selbst. Damit steht denn der strenge Konservatismus dieser Leute im Zusammenhang, ihre sehr ausgeprägte Sitte und ihr Festhalten an alten Überlieferungen. Diese schwarze Tracht gestattet auch nur sehr wenige soziale Unterscheidungszeichen; sie ist unter allen Klassen der Bevölkerung fast dieselbe. Das ist bei der sächsischen, bunten Tracht etwas anders; man merkt an dieser doch einige Standesverschiedenheiten, namentlich bei den Frauen. Die Frau des Bauern, der seine vier oder gar sechs Pferde im Stalle hat, will sich doch auch äußerlich etwas unterscheiden von der Frau des Büdners, welcher seinen kleinen Acker mit fremder Hilfe bestellt, oder gar von der Frau des Tagelöhners, der seine Parzelle mit dem Spaten bearbeitet. So etwas versteht sich von Rechtswegen; „Schultenmutter“ ist doch eine ganz andere Person, als „Möllersch“ oder „Meiersch“, die bloß im Kathen wohnen, und warum soll sie das nicht zeigen? Sie hat nicht bloß das am meisten ernste Wesen und — wenn möglich — den größten Dickbauch, sondern auch das zumeist goldene Tuch, die zumeist goldene Mütze u. s. w. Und dies wirkt wieder auf ihr Selbstbewusstsein in einem ganz bedeutenden Grade zurück. So unbedeutend an und für sich die einzelnen Eigentümlichkeiten der Leute uns erscheinen, windet sich doch eine mit der anderen zu jenem Bande, welches das Volk umschließt und das Zusammenhalten seines Wesens und seiner Sitte befördert.

Man erkennt dies recht, wenn man die südlichen Bauern, namentlich diejenigen in der Gegend von Ludwigslust, Grabow und südlich von Parchim, mit den nördlichen zusammenstellt. Auf ihre Charakterverschiedeuheit haben wir schon früher hingedeutet; darf man es nicht als einen Ausfluss derselben betrachten, dass sie sich auch hinsichtlich der Tracht von jenen wesentlich scheiden? Die verschiedenartige Lebensweise wirkte auf das innere Wesen zurück und dies hat wieder die Zuneigung zur angestammten Tracht gelockert: wir begegnen einem sehr großen Teile dieser Leute im rein städtischen Kattun-Kamisol. Wams und Kittel sind verschwunden, auch der Sonntagsrock ist derjenige der unteren städtischen Klassen. Nur wo in dieser Gegend geschlossene Dorfgemeinschaften sich finden, hat sich auch die alte Tracht erhalten (z. B. in der Gegend von Lübtheen, der früheren Jabelheide und Dömitz); aber auch hier herrscht sie mehr in dem Kreise der besitzenden Bauern, als der Tagelöhner. Jene bilden immer den konservativsten Teil der Bevölkerung; letztere gehen der Arbeit wegen, zumal da, wo in minder fruchtbarer Sandgegend sehr große Dörfer liegen, fast täglich in die Städte und nehmen hierdurch die Sitte der letzteren an sich. Bei den Frauen dieser Landesteile wiederholt sich die gleiche Erscheinung, die Schürzen, Tücher und Jacken, welche sie tragen, sind fast durchgehends genau diejenigen der städtischen Dienstboten.

Der Gesamtcharakter eines Volkes lässt sich nur dadurch genau erkennen, dass man die einzelnen Seiten oder Äußerungen desselben heraushebt und wieder zu einem Ganzen vereinigt. Das ist nicht nur für die Volkskunde wichtig und von Interesse, sondern es gibt demnächst auch einen festen Maßstab zur Behandlung und zur Beurteilung des Volles im Ganzen und der einzelnen Personen an die Hand.