Die Volkstracht

Außer auf Rügen haben sich überall an der Ostsee nur
kümmerlichen Reste einer alten Tracht erhalten.
Riehl, „Land und Leute“, S. 146.

In den Worten, welche wir hier angeführt haben, spricht Riehl eine unserer Ansicht nach nicht begründete Meinung aus, die um so mehr auffallen muss, als es aus mehreren Stellen seiner Schriften ziemlich klar hervorgeht, dass er gerade denjenigen Teil Mecklenburgs (aber auch nur diesen!) durchreist hat, dessen Bewohner ihre alte Tracht ganz entschieden bewahrt haben, nämlich den nördlichen Teil an der Ostsee entlang. Unsere bisherige Schilderung der Bewohner Mecklenburgs kann aber neben jenem Ausspruche Riehl's nicht bestehen; entweder ist jene falsch oder dieser. Wir haben nämlich entschieden hervorgehoben, dass unter unserer Bevölkerung, namentlich unter der ländlichen, eine durchgebildete Standes geschlossenheit herrschend sei, eine solche, nach welcher ein Stand sich dem anderen gegenüber durch ziemlich scharse Grenzen scheidet, die zwar hie und da durchbrochen werden, aber immer gegen den Willen, nie ohne den Widerstand der Betreffenden. Dies wird gewiss nicht zu leugnen sein und ebensowenig, dass jenes ganz bestimmte Standesbewusst sein, welches hiervon die Folge ist, sich in unserer Bevölkerung findet. Wo aber dies in einigem Grade ausgedrückte Selbstbewusstsein herrscht, da wird man immer als den höchsten Ausdruck desselben eine in ihren Teilen bestimmbare Tracht finden, welche das Volk vermöge seiner Geschlossenheit und seines Sondertums aus älterer Zeit herüber gebracht hat, wo sie allgemein war. Das ist die Volkstracht.


Dass hierbei zunächst der Stand oder die Klasse derjenigen bäuerlichen Angehörigen, welche im Grundbesitze sind oder von grundbesitzenden Familien abstammen, in Rede kommt, liegt auf der Hand; denn diese haben ihre Eigenart am reinsten in sich abgeschlossen. Aus der Fremde in dörfliche Gemeinschaften Eingewanderte — namentlich Tagelöhner — stehen jenen fern, ja es spricht für das Wesen einer Volkstracht, dass gerade die sesshaften Familien allein oder doch vorzugsweise sie zeigen. Und wenn wir demnach eine solche in Mecklenburg finden, so ist darin zugleich ein Prüfstein für die Wahrheit unserer bisherigen Schilderung der Bewohner gegeben.

In den Dorfschaften also, und zwar in den Kreisen der eigentlichen Bauern und der mit diesen enger zusammenhängenden sonstigen Dorfeinwohner, ist die Volkstracht zu suchen. Wir verstehen unter dieser eine bestimmt nach ihren einzelnen Teilen zusammengehörige Tracht, nicht deshalb Volkstracht, weil sie sich von der Tracht der feineren oder gebildeteren Klassen der Gesellschaft scheidet, auch nicht deshalb nur, weil sie einer bestimmten Volksgruppe eigentümlich ist, sondern deshalb, weil sie mit dieser historisch erwachsen ist und sich im Laufe der Zeit ihr wie die Sitte ins innerste Wesen gelegt hat. Jede wahre Volkstracht besitzt die Überlieferung des Stoffes, aus dem sie bestehen soll, des seit langen Jahren unveränderten Schnittes, der eigentümlichen Benennung einzelner Teile, einer bestimmten Farbe für dieselben u. s. w. Dies sind ihre Kennzeichen, welche der Tracht der einzelnen Individuen gemeinschaftlich sein müssen. — Selbstverständlich aber liegt darin, dass ein Teil dieser Tracht sich allgemein oder örtlich aus Zweckmäßigkeitsrücksichten geändert hat oder ganz erneut worden ist, kein Grund, das Dasein einer Volkstracht zu bezweifeln, falls nur die Kennzeichen für die übrigen Teile und im Allgemeinen zustimmen. In Mecklenburg werden wir diese Kennzeichen alle finden. „Linnen dregt de Buer!“ - damit ist der Stoff gegeben, auch „Bömsied, Vierkamm“ u. s. w. sind gewiß charakteristische Namen. Die Kleidungsstücke der Leute haben bestimmte, ebenfalls kennzeichnende Namen, wie wir sofort näher sehen werden, und man bedient sich ihrer immer in gleicher Weise, dem Gebrauch folgend, nicht aber der Jahreszeit und den Ansprüchen des Zweckmäßigen oder Modernen überhaupt. Denn die Volkstracht ist ein den Leuten als Ganzes Angestammtes und als solches von ihnen Bewahrtes, welchem sich das individuelle Belieben unterwerfen muss. Jedes einzelne Kleidungsstück ist nach Stoff, Farbe, Schnitt und Ellenzahl genau bestimmt, wie auch die ganze Masse des Anzugs nicht auf dem Gutdünken beruht. So müssen die Frauen bei Gelegenheiten, wo es gilt, sieben Röcke über einander tragen (bei Friedland fand man früher sogar elf); dadurch soll die Körperform hervorgehoben werden. Der bekannte Reim:

„Lang und small
Hett keen' Gefall,
Kort und dick
Hett ok keen' Schick,
Aewer so von miner Mât,
Ach, dat ziert de ganze Strât!“ –

dieser Reim ist nicht in ironischem Sinne zu verstehen, sondern ist den Bäuerinnen wirklicher Ernst. In gleicher Weise ist die Farbe genau vorgeschrieben, und wenn hierbei auch den Verzierungen nach dem Belieben der einzelnen Personen freier Raum gelassen ist, so muss man diese eben abrechnen und auf die Grundfarbe zurückgehen.

Unter einer Volkstracht darf man nicht eine solche verstehen, welche unverändert in allen ihren einzelnen Teilen aus der Vorzeit überkommen ist; eine solche findet man nirgends mehr und namentlich in Rücksicht auf die Pfalz hat Riehl in dieser Beziehung Zugeständnisse gemacht, welche bis an die äußerste Grenze gehen. Hält man aber, von Einzelnheiten absehend, das Allgemeine fest, so kann man mit Entschiedenheit behaupten, dass die ländlichen Bewohner Mecklenburgs eine Volkstracht besitzen, und zwar finden wir in unserem Lande nicht nur eine, sondern sogar mehrere Volkstrachten mit so fest bestimmtem Gepräge, dass man von ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit aus eine Stammesverschiedenheit ihrer Träger schließen darf.

An diesem Orte ist es nicht unsere Absicht, die verschiedenen Trachten, die sich unter der mecklenburgischen Bevölkerung finden, eingehender zu schildern. Das ist schon vielfach geschehen, u. a. in „Lisch, Mecklenburg in Bildern“ und in den „Jahrbüchern für mecklenburgische Geschichte.“ Hierauf verweisen wir zum Zwecke einer genaueren Kenntnisnahme. Für die Volkskunde ist es genügend, das Zusammengehörige festzuhalten und die im Ganzen sich findenden Gruppen zu bezeichnen. Als das Erste, Allgemeine, tritt uns in Mecklenburg die bunte sächsische Tracht entgegen; neben dieser finden wir die eigentümlichen Trachten der Warnemünder, der Biestower und Rogaer (Schwarz mit Rot), der Zepeliner (an die Tracht der Mönkguter auf Rügen erinnernd), der Ratzeburger (Braun) und der Poeler. — Betrachten wir nun das Volk in seiner Tracht.