Die Städte

Die Bauweise in den Städten war ursprünglich dieselbe, wie sie in den älteren Dörfern noch herrscht; das alte Haus war ein Giebelhaus, mit der Giebelfronte straßenwärts gekehrt und mit einem sehr großen hohen Strohdache. Mit der Mehrzahl dieser ältesten Häuser sind nun zwar auch die Strohdächer verschwunden, aber Giebelhäuser gibt es noch genug, gewiss in manchen Städten noch solche, welche in der Weise der frühesten Häuser erbaut sind. Darauf scheint wenigstens das hohe weite Dach und die innere große Räumlichkeit namentlich der Dielen hinzudeuten. Denkt man sich diese Häuser mit Strohdächern versehen, so erhält man in der Tat Gebäude, welche sich eng an die Bauweise der Dorfhäuser schließen.

In den Seestädten Rostock und Wismar entwickelte sich der Baustil der Giebelhäuser auf eine höchst beachtenswerte Weise; es sind uns noch manche derselben aufbewahrt. Das eigentliche Haus ist nur niedrig, höchstens hat es zwei Geschosse und dann beginnt das hohe spitze Dach. Dies Dach aber wird durch die zur Straße gekehrte Giebelfronte verdeckt, welche in schön geschwungenen Seitenrundungen sich erhebt und statt der Spitze gewöhnlich in einer gleichen Rundung endigt. Solcher Rundungen gibt es von der Seitenwand des Hauses an zwei bis vier, die durch sie beschriebene Fläche hat statt der Fenster gewöhnlich Blenden („Luken“), welche mit vorspringenden Reliefs eingefasst sind. Diese Blenden sind deshalb da, weil die Dachräume der alten Häuser, welche jetzt oft zu Wohnungen eingerichtet sind, früher zur Aufnahme von Kaufmannsgütern, namentlich Korn, welches große Räumlichkeiten erfordert, bestimmt waren; sie dienten also als Lufttüren für die Speicher. Die noch erhaltenen älteren Häuser haben wenig von ihrer Eigentümlichkeit verloren, prangen jedoch leider gewöhnlich in einem modernen Ölanstrich, welcher ihrer Bauweise fsremd ist. In Wismar standen vor wenigen Jahren noch die mehrsten Giebelhäuser im Rohbau und machten aus den Beschauer einen sehr wohltuenden Eindruck.


Auch im Innern sind diese Häuser in hohem Grade bequem und wohnlich eingerichtet, wenn auch nach unseren jetzigen Begriffen die fast das ganze Hinterhaus einnehmende Flur nicht zu den Annehmlichkeiten gehören mag. Das aber war eine Folge des ausgebreiteten Handels, welcher sichere Niederlagen notwendig machte, und diese geringe Unannehmlichkeit — wenn es solche ist — wurde doppelt ersetzt durch die solide Bauart, welche im Winter warme und im Sommer kühle Wohnungen erzeugte, in denen jenes gedämpfte Licht herrscht, das so wohltätig und behaglich auf das Gemüt wirkt und eine angenehme Ruhe verursacht. Dadurch unterscheiden sich jene älteren Häuser durchaus von den heutigen, in denen die Überfülle hoher und weiter Fenster eine zu große, den Geist in steter Aufregung erhaltende und dadurch störende Masse von Licht unterhält. Dies und die meistens jetzt weit dünneren Wände sind kein Vorzug der heutigen Bauart; letztere haben zur Folge, dass die Wohnungen im Winter ebenso fürchterlich kalt sind, wie sie im Sommer jeder Sonnenstrahl durchwärmt.

Wer diesen Unterschied zwischen dem neuen und dem alten Hause gleichgültig betrachtet, der weiß nichts von dem innigen Zusammenhange, der zwischen dem Menschen und seinem Hause, zwischen dem Heim und der Sitte besteht. Das alte Haus sammelt das Leben nach innen, das neue treibt dasselbe nach außen, jenes in die Familie, dies auf die Straße. Wir wissen wohl, dass die Gegenwart ein Herauskehren aller Kräfte des Ich verlangt und haben durchaus nicht die Absicht, nur zu tadeln, wenn wir den Zusammenhang der Dinge um und neben uns untersuchen. Doch lässt sich ein Bedauern darüber nicht unterdrücken, dass das Leben im Hause, mit welchem das Persönliche Sein und Schaffen in allergenauester Verbindung steht, bis in seine tiefsten Fasern hat angegriffen und nur zu oft zerrissen werden müssen, um der Neuzeit zu ihrem Dasein und zu ihrem Rechte zu verhelfen. Das moderne geradlinige und fensterreiche Haus steht hinter dem älteren in dieser Hinsicht unbedingt zurück und folgt ja auch gewöhnlich nur dem Zwecke, möglichst viele Miete zu sichern.

Auch für die größere Schönheit des heutigen Baustils fehlt gewiss Manchem mit uns der Sinn.

Jedes Haus war früher für den Besitz einer einzigen Familie bestimmt, während man jetzt bemüht ist, in jegliches wo möglich eine ganze Kolonie einander meistens wildfremder Menschen einzuschachteln. Muss dies nicht auf das Wesen und die Lebensweise dieser Menschen zurückwirken? Die Gegenwart hat eigentlich gar kein Haus und das scheint sie auch instinktiv zu begreifen. Denn während das eigene Haus, der eigene Herd der Ort sein soll, wo sich der Mensch im Kreise der Seinigen am wohlsten befindet und am liebsten verweilt, so lebt die jetzige Welt zumeist auf der Gasse und im Wirtshause. Sie würde dies doch wahrscheinlich nicht tun, wenn es ihr hier eben nicht am wohlsten wäre. Die Straße hat ihre Bedeutung erst der Neuzeit zu danken; früher war sie weder zum Spazierengehen oder zum „Bummeln“, noch zur Antichambre bestimmt, sondern einfach für den Verkehr und nur für diesen berechnet. Ein freier Platz, der Markt, genügte für den Handel; die übrige Stadt schloss sich um so enger und freundschaftlicher aneinander, je mehr der Raum im Inneren der Häuser dem Lebensbedürfnisse genügte. Deshalb die engen Straßen in den älteren Teilen der Hansestädte, aus welchen sich ebenso natürlich der heutige Verkehr abgewandt und in die neuen breiteren Straßen gezogen hat.

Ob und inwieweit sich die höhere Giebel-Architektur (mit gerundeten Giebelseiten) in die Landstädte verbreitet hatte, ist wohl nicht mehr ganz sicher zu bestimmen. Denn obwohl sich noch zahlreiche Giebelhäuser in denselben vorfinden, so zeigen diese doch nur geradseitige Dächer, entweder mit kleinen Fenstern bis in die Spitze oder mit Blenden in den oberen Räumen. Man findet noch ganze Straßen, welche aus solchen Häusern bestehen, die mit einer fast unverschämten Gemütlichkeit vor- und nebeneinander vorspringen und sich allen Ecken und Winkeln des Terrains möglichst anbequemen. An diese Häuser schließt sich der Baustil der ein- und zweistöckigen, geräumigen, ihre Breitseite mit nicht sehr vielen, aber großen und hellen Fenstern der Straße zukehrenden Wohnungen, die im Ganzen solide gebauet und gemütlich sind. Denen folgt die neuere Bauweise der hohen, geradlinigen und fensterreichen Häuser, welche schnurgerade Straßen bilden und gewöhnlich mit heller Farbe gemalt sind. Sehr zahlreich finden sich diese Häuser in Schwerin, wo sie mit der schönen sie umgebenden Natur einen freundlichen Kontrast bilden und nicht so unangenehm scharf hervortreten, wie in manchen anderen, baum- und wasserleeren Städten.

Die Lage der Städte wurde im Allgemeinen dadurch bestimmt, dass sich in ihrer Nähe ein bedeutenderes Wasser befand, welches entweder den natürlichen Verkehrsweg bildete, oder einen besonderen Reichtum an Fischen besaß, oder — was eine sehr wichtige Rücksicht für unsere Vorfahren war — die Anlage von Mühlen gestattete. Deshalb findet man die Städte gewöhnlich in den tiefer gelegenen Orten erbauet, namentlich ihre älteren Teile, während innerhalb derselben für die Kirchen gern ein höher gelegener Punkt ausgewählt wurde.