Die Kirchen

eines Landes, zumal die älteren, sind es, auf welche sich zunächst der Blick richtet; sie sind die redenden Zeugen jener geheimnisvollen Innigkeit und Macht, durch welche des Menschen Geist glänzende Werke erschafft, die ihre Strahlen wieder auf den Geist des Volkes zurückwerfen. Wir besitzen in Mecklenburg solche Werke, welche „durch den hohen Grad ihrer Vollendung und künstlerischen Harmonie an die berühmtesten Kirchen des Rheines“ erinnern, welche noch heutigen Tages ihre mächtige Wirkung auf alle Gemüter ausüben und das künstlerische Bewusstsein und Schaffen in vielen Kreisen anregen und fördern. Denn nichts ist so sehr geeignet, den Sinn des Volkes zu läutern und zu erheben, als gerade die kirchlichen Bauwerke. Deshalb ist das ernste Streben, welches die Gegenwart nach dieser Richtung hin kundgibt, der vollsten Teilnahme würdig, welche es fast allgemein findet.

Als die deutsche Einwanderung in das bisher von Slawen bewohnte Land stattfand, erhoben sich die Klöster als die ersten Burgen der Kolonisation. Nachdem das Land, wie Helmold sagt, christlich geworden, wurden die Kirchen erbauet, welche — zum Teil mit späteren An- und Ausbauten — noch heute als Prachtdenkmale jener Zeit dastehen. Von den Klöstern aus entstanden viele der kleineren Kirchen des Landes, meistens in einer sehr guten Form und Bildung. So lange die katholische Zeit währte, legte man immer ein großes Gewicht auf die äußere und innere Vollendung und Ausschmückung der Gotteshäuser; erst kurz vor und mit der Reformation baute man nachlässiger und in einem schmuckloseren Stile, und als die auf die Reformation folgenden verheerenden Kriege beendigt waren, als viele Kirchen des Landes ganz oder teilweise in Trümmern lagen, da hatte man, wie es nicht anders sein konnte, nur noch für das Notwendige Sinn. So sind die jüngeren Kirchen fast durchweg von geringerem Werte, als die älteren, und man könnte geneigt sein, das Sinken der Baukunst stufenweise von der früheren zur späteren Zeit nachzuweisen. Dabei darf man aber nicht unberücksichtigt lassen, dass in einer Zeit des Notstandes, wie ihn Mecklenburg im 30jährigen und 7jährigen Kriege durchmachte, der dann noch durch mancherlei innere Verwickelungen vermehrt wurde — dass zu solcher Zeit überall ein höheres Streben mit Notwendigkeit unterdrückt sein musste.


Im achtzehnten Jahrhunderte, als sich die Verhältnisse ruhiger gestalteten, richtete sich der Blick wieder auf die gewiss damals sehr öden, teilweise verfallenen Gotteshäuser, und es entstand die Sitte des s. g. „Ausputzens“ der Kirchen, die sich jedoch weit über Mecklenburg hinaus erstreckte und eine allgemeine Kunstcalamität wurde. Was die Pfalz z. B. in dieser Hinsicht lieferte, erzählt Riehl; die mecklenburgischen Künstler blieben aber in ihren Leistungen nicht zurück und gewiss hat mancher gesehen, wie die Kirchen restauriert wurden. Da hatte man ein förmliches Schema: geweißte Wände mit gelb und blau gestreisten Rippen, „hübsch bunten“ Choren mit pausbackigen trompetenden Engeln und darüber das wohlgefällige dealbatum atque depictum. Leider hat diese Sitte des Ausweißens der Kirchen viel Würdiges und Wertvolles vernichtet; sonst war sie doch immer das erste Zeichen eines zwar auf Abwege geratenen, aber doch sich zur Tätigkeit erraffenden Sinnes, der Freude gewann an der Ausschmückung des Gotteshauses. Das Streben der Gegenwart, welches auf eine minder unnatürliche Herstellung der Kirchen gerichtet ist, ging aus jenem hervor, wie aus dem Irrtum die bessere Einsicht. Dem jetzt regierenden Großherzoge hat Mecklenburg darin Vieles zu danken; die in neuester Zeit restaurierten Kirchen werden würdige Denkmale Seiner Regierung bleiben, und schwerlich kann ein Fürst in seinem Lande sich erhabenere äußere Denkmale gründen. Noch wird da immer fleißig gearbeitet und gerüstet, aber es ist auch noch Manches wieder gut zu machen.

Das Charakteristische der Baukunst in den Ostseeländern zwischen Elbe und Oder ist, dass das Material, mit welchem man baute, die Ziegelsteine sind. Die Ziegel-Architektur sowohl der kirchlichen wie der weltlichen Gebände bildet eine diesen Ländern „eigentümliche und sehr reiche Gruppe“, welche neuerdings die Aufmerksamkeit der Forscher und Künstler in sehr hohem Grade erregte und zu Nachahmungen veranlasste. Zur Ziegel-Architektur gehören die würdigsten Denkmale der Baukunst in Mecklenburg, zu ihr die schönsten ältesten Kirchen des Landes. Die Gruppe der mecklenburgischen Kirchen beginnt mit dem alten schönen Dome zu Ratzeburg vom Jahre 1154, der in Basilikenform mit stark hervorspringenden Kreuzarmen erbaut ist. An diese Form schließt sich die Mehrzahl der Landeskirchen, sie wird für dieselben charakteristisch, während die Kirchen in Preußen und der Mark drei gleich hohe Schiffe und ein einfaches Langhaus haben. (Lisch, Jahrb XIV. S. 381.) Der Ratzeburger Dom ist im Rundbogen-Stile erbaut; ihm folgen in gleichem Stile die alten Ziegelkirchen zu Vietlübbe, Gadebusch, Wittenburg und Lübow (bei Wismar). Weiter dringt dieser Stil von Westen nicht vor; im östlichen Teile des Landes finden sich jedoch noch die Rundbogen-Kirchen von Gr.-Wokern bei Teterow, Dambeck bei Röbel und wahrscheinlich auch die in Ruinen liegende Kirche zu Papenhagen bei Malchin. Letztere drei waren ganz aus Feldsteinen erbaut, selbst das kuppelartige Chorgewölbe der Kirche zu Gr.-Wokern besteht aus solchen Granitsteinen, welche man als erratische Blöcke so häufig über das Land zerstreut findet. Nur die jüngeren Anbauten dieser Kirchen bestehen aus Ziegeln. Diese Rundbogen-Kirchen sind (Lisch, Jahrb. XXIN. S. 3lN) Zeugen von dem Eindringen des Christentums in Mecklenburg; sie deuten die Wege an, auf welchen dasselbe sich im Lande ausbreitete. Westwärts kam es nämlich vom Rheine her und setzte sich zunächst in Ratzeburg fest, ostwärts kam es vom Bistum Camin, zu welchem Gr.Wokern, und vom Bistum Havelberg, zu welchem Dambeck gehörte. Auf dieselben Wege deutet auch der Baustil der Kirchen zurück; der Rundbogen-Stil verschwindet zu dieser Zeit und es folgt ihm der Übergangsstil für kurze Dauer, der endlich in dem reinen Spitzbogenstil zur Vollendung kommt.

Mit dem Spitzbogen erreicht auch in Mecklenburg die Baukunst ihre höchste Vollendung; „die Verhältnisse dieser Bauten zeigen in der äußeren wie in der inneren Architektur eine äußerst seltene Schlankheit und fesseln durch die Kühnheit ihrer Glieder“ — um so bemerkenswerter, als das Material auch zu diesen Gebäuden in gebranntem Ton (Ziegeln) besteht. Das Mittelschiff in den Kirchen zu Rostock und Wismar, in den Domen zu Schwerin und Lübeck steigt, nach des Oberbaurats Stiller Behauptung (Lisch, Jahrb. XIV. S. 38l), mit einer den Kölner hochberühmten Dom noch übertreffenden Kühnheit empor. Der Chor ist in diesen Kirchen, wie im Kölner Dom, mit einem Kranze von Kapellen umgeben, einfach und ernst dagegen ist das Stabwerk der sehr langen und schmalen Fenster gehalten. Die genannten Kirchen sind leider nicht ganz in gleichem Stile vollendet, hie und da durch spätere Anbauten korrumpiert, und den mehrsten fehlt die einst vorhanden gewesene Turmspitze, ein Umstand, der bei aller ihrer architektonischen Vollendung doch das Erfassen ihrer hohen Schönheit und Größe behindert und beeinträchtigt.

An der Spitze aller dieser kirchlichen Bauwerke steht die wunderschöne Kirche zu Doberan, welche glücklicherweise in jeder Hinsicht vollendet und vor der Verschönerung der jüngeren Zeit bewahrt geblieben ist. Ihr nahe steht die ebenfalls im reinsten Spitzbogenstyle erbaute und vollendete Marienkirche zu Neubrandenburg; beide Kirchen sind aus Ziegeln erbaut. In ihrer inneren Klarheit, ihren hohen, trotz der Glasmalereien hellen Fenstern, ihren aufstrebenden Pfeilern und kühnen Wölbungen sind sie dem Beschauer ein Bild von dem Aufstreben des Geistes zum Lichte, während der Rundbogen in seiner Masse und größeren Breite mehr den Eindruck macht von der auf Fels gegründeten Kirche. „Die Doberaner Kirche ist eine der vollendetsten in den Ostseeländern und sicherlich die sprechendste von allen. Obwohl sie in ihrer jetzigen Gestalt noch Reliquien eines früheren (untergegangenen) Baues im Rundbogenstile zeigt, ist sie dennoch ganz aus Einem Geiste hervorgegangen und erfüllt den Beschauer mit der völligen Befriedigung ungeteilter Einheit.“ —

„Die Feldsteinkirchen aus der Rundbogen-Zeit waren, um das Unebene ihres Materials dadurch zu verdecken, ursprünglich wohl ganz und gar bemalt, die Spitzbogenkirchen mehr nur in den Gewölben und Gurtbogen, obwohl es solche gibt, welche durchgehends bemalt worden sind. In der Regel aber stehen die großen Kirchen der letzteren Art in ihren bedeutenden Wandflächen im Rohbau“ und die Malerei der übrigen Teile schloss sich der Nachahmung der letzteren an, um ein ganz Ungeteiltes zu schaffen. So diente die Malerei überhaupt nur dazu, um die Gleichförmigkeit des Ganzen herzustellen; aber die Farbe des Rohbaues gehört eigentümlich zu dem Banstile und wurde selbst in größeren Flächen dann nachgeahmt, wenn dieselben durch irgend einen Zufall verunstaltet oder beschmutzt waren. Von den Feldsteinkirchen der Rundbogen-Zeit trug man die Bemalung auf die aus Ziegeln gebauten Rundbogenkirchen über und sie blieb wahrscheinlich auch während der Zeit des Übergangsstiles für die ganzen Kirchen Sitte.

Man schmückte ferner die Fenster mit Glasgemälden, auch die Wände, wo es möglich war, mit Gemälden und ebenso die geputzten Bogenwölbungen mit Malereien und vielfarbigen Ornamenten. Daneben verzierte man die reich geschnitzten Altäre stark mit Gold, welches mit der dunkelbraunen Ziegelfarbe eine mächtige Wirkung hervorbringt. Mit dem Golde hob man die vorzüglichsten Heiligtümer strahlend hervor, mit welchem Erfolge, das kann man in der Kirche zu Doberan überrascht erkennen. Das Äußere dieser Ziegelkirchen wurde, wo ein Schmuck stattfinden sollte, einfach mit schwarz oder grün glasierten Ziegeln durchbrochen. So ist es neben der Kühnheit, mit welcher die scheinbar aus schwachem Material verfertigten Pfeiler und Mauern aufsteigen, die Einfachheit und Harmonie, was diese Kirchenbauten auszeichnet. In Süddeutschland trifft man zahlreiche Stein-Monumente, welche diesen Kirchen Mecklenburgs fast gänzlich fehlen, auch in den Ziegelbauten der benachbarten Länder sehr selten sind. Das ist den glatten Wänden derselben angemessen, auch fehlen den Ostseeländern passende Steinbrüche. Der Metallschmuck aber ist eigentümlich, nicht nur der Goldschmuck der Altäre, sondern auch der Schmuck der Gräber mit Metallplatten, die aus Messing oder Kupfer, aber nicht aus Bronze bestehen. (Lisch, Jahrb. XVI., S. 303 ff.) Man nahm in den alten Zeiten große schwedische Kalksteinplatten, in welche man die Darstellungen in Linien eingrub. Mit dem Anfange des 16. Jahrh. arbeitete man diese auch en relief aus. Daneben begann man seit dem 14. Jahrh. die Gräber mit Messingplatten zu belegen, deren Oberstäche man polierte, die darzustellenden Gegenstände mit starken Umrissen abgrub und den Grund in solcher Weise vertiefte, dass die Darstellungen in glatter Fläche stehen blieben. Dieser Platten, welche Lisch den „Messingschnitt“ nennt, gibt es sehr wenige und sie sind als Kunstwerke sehr beachtenswert. Lübeck war vielleicht die Heimat dieser Kunst; die schönste und größte Platte, eine Doppelplatte aus den Gräbern der Bischöfe Gottfried und Friedrich v. Bülow, bewahrt der Dom zu Schwerin. Über das 14. Jahrh. scheint der Messingschnitt nicht hinauszugehen, ihm folgte der Kupfer- und Messing-Stich, der seine höchste Blüte im 15. Jahrh. erreichte. Letzterer bestand darin, dass man die Umrisse der darzustellenden Gegenstände, je nach Licht oder Schatten mehr oder minder kräftig eingrub, den Grund aber stehen ließ. Diese Platten wurden also graviert, aber noch häufiger ließ man die Darstellung einzelner Teile in Steinplatten ein, und solche Gravierungen - teilweise in sehr reicher Arbeit — finden sich häufig.