Die Dörfer

Der Charakter unserer mecklenburgischen Dörfer ist viel bestimmter ausgeprägt, als derjenige unserer Städte. Letztere mit ihrem teilweise sehr umfangreichen Ackerbau sind oft halbe Dörfer, erstere aber, auch wenn sie die Jahrmarktsgerechtigkeit besitzen, sind niemals halbe Städte. Das ist natürlich, denn die Dörfer gerade sind die Bewahrerinnen althergebrachter Scheidungen und Sitten, und ihre Bewohner sind mit sehr wenigen Ausnahmen, was sie immer waren, Bauern. Dadurch unterscheiden sie sich sehr bestimmt von den Dörfern Süddeutschlands, in welchen ländliche Handwerker mancherlei Art florieren, die den ganzen ursprünglichen Dorfcharakter verwischt haben. Die echt germanische Geschlossenheit — nicht Abgeschlossenheit — musste sich zumal in einem Ackerbau treibenden Staate lange in ihrem ganzen Umfange erhalten; sie gründete die sassigen Bauerschaften, wie sie selbst aus dem Boden des Familienbesitzes erwuchs. Hin und herwandernde Bauerschaften, Verkauf des Besitzes usw. gibt es in Mecklenburg erst seit neuester Zeit, wo die von früher überkommenen Verhältnisse, teils auch aus staatswirtschaftlichen Gründen, mehr und mehr gelockert wurden. Auch der Umstand, dass die Teilung des Grundbesitzes hier nur bei größeren Gütern stattfinden kann, hat viel zu der Stabilität dieser Verhältnisse beigetragen.

Jene Geschlossenheit begreift nicht nur die Bewohner in ihren Lebens-, sondern auch die Dörfer in ihren Wohnungs-Gemeinschaften. Jedes Dorf ist ein für sich abgeschlossenes Ganze. Das zeigt sich meistens schon in der äußeren Bauart, welche sich an die Kreisform schließt, in der Mitte mit einem rundlichen freien Platze, dem Markte, auf welchem in Kirchdörfern die Kirche nebst dem Friedhofe liegen. Dörfer, in welchen diese Anlage sich zeigt, sind immer alt, mag nun die Bauweise selbst slawischen oder germanischen Ursprungs sein. Wahrscheinlich geht dieselbe aus dem Bedürfnisse des gegenseitigen Schutzes hervor und war den älteren Völkern gemeinschaftlich. Deshalb finden wir auch die Wohnhäuser um den Markt ziemlich eng zusammengedrängt, und dieselben sind noch heute von Hecken und Steinmauern umringt; hinter ihnen feldeinwärts liegen die Ackerländereien. In der Weise, wie sich später die Volkszahl der Dörfer vermehrte und wie die Landwirtschaft mehr und mehr der Arbeiter bedurfte, bauten sich Tagelöhner in den s. g. Kathen zwischen den Gehöften an. So gibt es Dörfer, in welchen ziemlich regelmäßig Gehöfte mit Kathen abwechseln, während freilich manche andere durch spätere An- und Neubauten ihre älteste Form mehr oder weniger verändert haben.


Man findet aber auch in Mecklenburg sehr häufig die s. g. Zeilendörfer, solche nämlich, welche in einer langen einfachen oder doppelten Reihe einer Straße entlang angelegt sind. Gewöhnlich nimmt man an, dass diese Dörfer erst gebaut worden seien, als die Straße schon einen belebten Verkehrsweg gebildet habe; oft sind aber auch örtliche Ursachen die Bedingungen der Zeilenform gewesen. Im Allgemeinen ist wohl anzunehmen, dass diese Dörfer jüngeren Ursprunges sind, als die kreisförmig gebaueten; es gibt jedoch auch hierin Ausnahmen. Ebenso zeigt auch diejenige Regel, welche Lisch aufgestellt hat, dass die älteren und ältesten Dörfer, welche auf wendischen Ursprung zurückzuführen seien, eine niedrigere, die neueren Dörfer germanischen Ursprungs dagegen eine höhere Lage inne hielten, sehr bedeutende und mannigfaltige Ausnahmen. Man wird Beides dennoch als das Regelmäßige annehmen können. Beispielsweise findet man in dem s. g. Häger-Orte zwischen Doberan und Rostock, wo die mehrsten (germanischen) Dorfnamen auf „hagen“ endigen, lauter langgestreckte Dörfer. Wenn man nun aber weiter geht und den Unterschied in der Anlage der Wohnorte mit der geistigen Beschaffenheit des Volkes dergestalt in Verbindung bringt, dass die Slawen eine tiefere, sumpfige Stelle gesucht hätten, weil sie auf niedrigerer Stufe der Ausbildung gestanden, als die Germanen (Sachsen), welche — ein hochherziges Heldenvolk — hohe freie Lage der Wohnorte geliebt hätten, so geht das doch etwas zu weit. Einmal ist es noch sehr fraglich, ja sogar nicht wahrscheinlich, dass die Slawen, deren einzelne Stämme sich selbst „Helden, Tapfere, Wölfe“ u. s. w. nannten, auf so niedriger Stufe der Ausbildung standen, wie man gewöhnlich annimmt und wie die christlichen Historiker, ihre Feinde, von ihnen behaupten. Sodann ist nicht die allgemeine, sondern die wirtschaftliche Ausbildung eines Volkes die nächste Ursache, aus welcher die Wohnungsanlage hervorgeht; wie noch heute, so waren auch in allerfrühester Zeit Zweckmäßigkeitsrücksichten hierfür das zunächst Bedingende. Die Slawen trieben mehr Viehzucht, namentlich Schweinezucht im Walde, die Germanen, außer jener auch eine bedeutenderen Ackerbau. Zur Viehzucht ist es durchaus notwendig, dass in der Nähe des Dorfes sich ein Wasser, vornämlich ein Teich befindet, und so ist es eine ganz natürliche Erscheinung, dass sehr viele Dörfer im oder am Tale erbaut wurden, wo sich das Wasser zu sammeln vermochte. Das Tal bot außer dem Wasser zugleich die fetteste und saftigste Weide — kein Wunder, dass sich das Viehzucht treibende Volk hier ansiedelte, wozu dann noch die größere Sicherheit gegen Feinde u. s. w. neue Beweggründe fügte. Mit den Germanen und ihrem Ackerbau war es ein Anderes; für diesen mussten sie die für ihre roheren Werkzeuge allein passenden, trockener gelegenen, höheren Lokalitäten wählen, welche auch an und für sich am leichtesten zu kultivieren waren. Daneben vernachlässigten sie die Wiesen keineswegs; auch ihre Hauptbeschäftigung war Viehzucht; den Reichtum ihrer Wirtschaften bildete, wie noch heutiges Tages bei unseren Bauern, das „liebe“ Vieh. Man sieht dies an den älteren germanischen Dörfern noch auf's Klarste; nahe bei den Wohnungen liegen die Wiesen. Wir kennen viele Dörfer in Mecklenburg, in denen die einzelnen Gehöfte so absonderlich, aller Bequemlichkeit zuwider angelegt sind, dass man den Gedanken an eine Zufälligkeit sofort ausgeben muss. Rings um einen Talkessel liegen die Häuser, eins hoch, das andere niedrig, so dass die Wagen zu ihnen bald aus-, bald abwärts fahren müssen. Dazwischen hat sich ein anderes Haus auf einen Hügel geklemmt, zu welchem die Einfahrt so halsbrechend ist, dass die Knechte mit den Erntewagen vor derselben einen kurzen Halt machen, um erst die Distance zu bemessen, und dass die Mädchen, wenn sie oben auf dem beladenen Wagen mit nach Hause fuhren, hier herabsteigen müssen. Zu einem solchen Gebäude von dem bedeutenden Umfange unserer Bauerhäuser musste der Grund geebnet und zuweilen ein großes Fundament errichtet werden, wodurch man dennoch nichts weiter erreichte, als dass der Wagen zur Hintertür hineinfahren kann, während zur Vordertüre eine Steintreppe hinausführt. Zufällig kann diese Bauweise nicht sein, aber welchen Grund findet man für sie? Vielleicht die Wiese, die am Fuße des Hügels liegt, die man jetzt in der Nähe hat, oder die durch jene Anlage bewirkte größere Geschlossenheit des Dorfes? Wir finden diese merkwürdige Bauweise in den ältesten Dörfern, die man bis jetzt für wendischen Ursprungs gehalten hat, namentlich mit der Schlußsilbe „ow“, und es dürfte aus ihr schwer zu beweisen sein, dass die Germanen auf den Höhen baueten, weil die Slawen in den Niederungen. Die mehrsten Dörfer Mecklenburgs, wie sie jetzt sind, liegen überhaupt hoch und frei, und auf Ebenen mit kleinen Hügelzügen findet man das Dorf gewöhnlich auf den letzteren. Die Höhenlage ist also, wie schon oben erwähnt wurde, Regel.

Je mehr wir auf der älteren in die neuere Zeit übergehen, desto deutlicher erkennen wir die bei den Dorfanlageu vorherrschenden Zweckmäßigkeitsgründe. Die neueste Zeit bauet in einer langen, weitläufigen Reihe, und die Geschlossenheit (Arrondierung) des Bodens strebt, die Geschlossenheit der Dorfgemeinschaften zu beseitigen. In ökonomischer Hinsicht liegt hierin ein großer Fortschritt; in dem zerstreut liegenden Dorfe hat der Fleiß des Einzelnen größeren Spielraum, die arrondierten Felder liefern günstigere Ernten bei geringeren Kosten, und das fördert die Kultur. Damit ist aber auch zugleich ein bedeutender Schritt getan dahin, dass die Bauern selbst aus ihrer Eigentümlichkeit heraustreten und das Individuum mehr dem nivellierenden Einflusse der Außenwelt Preis gegeben ist. Darum ist es auch dem Bauern sehr unbehaglich, wenn ein „Ausbau“ stattfinden muss, und er möchte sich mit Hand und Fuß desselben wehren, obwohl er sich später bald gewöhnt und die Vorteile seiner neuen Lage schnell erkennt. Da der Ackerbau die fast einzige Beschäfstigung in den Dörfern Mecklenburgs ist, so ist es für sie ziemlich gleichgültig, wie sich die Verkehrsverhältnisse gestalten. Es ist hier keine Sache von Bedeutung, wenn die Landstraßen im Laufe der Zeit ihre Richtungen verändern, und bei der Anlage von Chausseen kommen in dieser Hinsicht höchstens nur die großen Güter in Betracht, welche viele Kornfuhren erforderlich machen. Dörfer, welche der Landstraße nachziehen, kennt man bei uns nicht, aber auch keine solche, deren Wohlstand durch die Verlegung des Verkehrs gesunken wäre. Im südlichen Deutschland gibt es nicht selten solche Ruinen früheren dörflichen Wohlstandes, peinliche Bilder für das Gemüt des Reisenden.

Wir haben nun den Leser in die Dörfer geführt; er trete mit hinein in das Gehöft. Der Eingang führt uns durch das Hoftor, in vielen Dörfern auch durch ein eigentümliches kleines Torgebäude von gewöhnlicher Scheurenbauart, welches zur Aufbewahrung der Feldgerätschaften, der Wagen und Leitern dient. Dies Tor oder Torgebände schließt sich an die Befriedigung des Hofes, welche teils aus Dornzäunen (“Hakelwerk“), teils aber auch aus Mauern von Feldsteinen besteht, auf welchen letzteren sich dann noch ein lebender Zaun von Dorn- oder Stachelbeerbüschen befindet. Ein schmaler Steindamm, gewöhnlich nur für einen Wagen breit genug, führt zum Wohnhause, dessen großes Tor, nur durch eine niedrige Lattentür geschützt, uns offenstehend zum Eintreten auffordert. Jene Lattentür ist auf die einfachste Weise durch einen schräg vorgesteckten Pflock („Sticken“) geschlossen, doch nahe man ihr vorsichtig, um nicht dem Cerberus des Hauses, welcher neben ihr seine Hütte hat, in die Zähne zu geraten. Wir treten auf eine große Flur, die „Diele“, die eigentliche Dreschtenne, welche auf beiden Seiten von Stallungen für das Vieh, von der Häcksel- und Knechtskammer begrenzt ist, auch nach dem Eingange hin gewöhnlich kleine Vorbaue hat, auf einer Seite für die Schweine, auf der anderen für die Kälber, Füllen, Gänse u. dgl. Über der Diele und den Ställen, auf der „Hill“, ist Heu und Korn aufgeschobert. In ihrem Hintergrunde ist der Herd ohne Schornstein, aus welchem der Rauch sich frei entwickelt, zuerst in die Höhe steigt, damit diverse Schinken, Würste und Speckseiten im Firste (den „Oken“) seiner konservierenden Wirkung teilhaftig werden, und alsdann aus dem „Okenloche“ (einer Öffnung in der Spitze des Daches) aber auch teilweise aus der Haustüre entschlüpft.

In einigen Dörfern, namentlich im östlichen Teile des Landes, ist die Diele durch eine Querwand von der Familienwohnung getrennt, westlich besteht für die Küche ein eigener Raum in der Abseite, wo die Ställe liegen, durch eine Mauerwand von diesen geschieden. Sehr oft aber findet man auch — und dies dürfte die älteste Bauweise sein — die Küche, d. h. den Herd einfach an die Wohnstube gelehnt auf der Diele und nur von obenher durch eine Mauerglocke, aber ohne Schornstein, geschützt. Wo die Querwand besteht, tritt man durch eine kleine Tür auf eine zweite Diele, „buten in'n Huus'“ genannt, von der eine Tür in die Wohnstube, eine andere in den Garten führt. Auf der zweiten Diele liegt auch häufig der Herd. Die Verschiedenheiten in der Anlage des letzteren sind wohl Zweckmäßigkeitsgründen zuzuschreiben; man sucht jetzt den Herd allgemein von der großen Diele zu entfernen. Doch muss es erwähnt werden, dass die Teilung der beiden Dielen sich neben dem besonderen Torgebände allgemeiner in der Rostocker Gegend bei den braunen Bauern findet und ebenso im Ratzeburgischen. Sollte zwischen den Bauern beider Gegenden ein besonderer Zusammenhang in der Abstammung bestehen?

Endlich gelangt man in die Stube („Dönsk“), einen niedrigen geweißten Raum, welcher den täglichen Versammlungsplatz aller Familienglieder, außerdem noch der Hühner und im Winter auch diverser Brutgänse bildet. Neben der Stube befindet sich stets noch eine Kammer und beide zusammen nehmen eine Ecke des Hauses ein, während in der andern Ecke sich die Altenteils-Stube und auch wohl eine Vorratskammer befinden. In den Häusern ohne Querwand hat auch die vordere Seite eine große Tür, durch welche die leeren Wagen ausfahren können, in den anderen Häusern müssen sie zurückgeschoben werden. Die Ausstattung der Wohnräume ist sehr einfach; ein langer Tisch von Tannenholz, um welchen eben solche Bänke stehen, ein Milchschrank, ein Koffer („Lade“), ein Gesims („Bort“), auf welchem einige Bücher, ein Lehnstuhl für den Hausvater, hier und da auch das Bett bilden das Mobiliar. In einigen Gegenden findet man eine hölzerne, vierbeinige Bank mit erhöhetem, hölzernen Kopfstücke, auf dem auch wohl ein Federkissen liegt. Dies Instrument heißt der „Räkel“ (von räkeln — sich strecken, faullenzen) und dient zur Mittagsruhe. Auf ihm streckt sich der Bauer, die Arme über den Kops schlagend, mit besonderem Wohlbehagen. Fenster, Tische, Bänke, Schränke u. s. w, sind gewöhnlich dunkelbraun angestrichen, Braun ist die Alltagsfarbe, ein helles Grün oder Blau, seltener Rot wählt man zur Prunkfarbe. Die letztere zeigen deshalb die wertvolleren Mobilien, z. B. die Lade, welche die Aussteuer, das Leinzeug und das Geld enthält. — Es muss bemerkt werden, dass jetzt auch bei den Bauern, wie das Einfache mehr und mehr in Abnahme kommt, das Prunkende sich auf die Alltagsgerätschaften ausdehnt.

Eine nähere Betrachtung verdient das bäuerliche Bett, ein Monstrum seines Geschlechts. Je höher es von der Erde aufragt, d. h. je mehr Bettstücke auf einander liegen, desto nobler ist es, und nicht selten reicht ein neues Bett zur Mannshöhe. Die Kopfkissen und das Oberbett sind ringsumher mit langen rot-, blau- und grünseidenen Bändern verziert, und das Ganze kostet, wenns „hübsch“ ist, 80—120 Thlr. Übrigens dient das mit hübsch roth, gelb und blau geblümtem „Kammerdank“ bezogene Oberbett nur zum „Staat“, und wird regelmäßig Abends mit einem einfacheren vertauscht. Diese Oberbetten haben ein furchtbares Gewicht, so dass man sich wundern muss, wie die Leute sie ertragen; aber ihr Grundsatz, „des Nachts die durch die Arbeit steif gewordenen Glieder wieder geschmeidig zu schwitzen“, hilft über jene Unannehmlichkeit fort. In das aufgetürmte Bett steigt man mit Hülfe eines Stuhles; es soll vorgekommen sein, dass ein alter Mann aus dem Bette fiel und das Genick brach. — Zwischen Reich und Arm bestehen aber auch hier viele Übergänge. Bei den sehr wohlhabenden ratzeburgischen Bauern findet man Klaviere, Mahagony-Mobilien, Sopha's u. dgl. sind auch eben nicht mehr selten. Immer aber ist dieser Luxus noch verhältnißmäßig einzeln; wir kennen Bauern mit 25—30.000 Thlr. Vermögen, die durchaus nach väterlicher Weise leben und wohnen, ausgenommen vielleicht, dass sie hier und da ein Übriges für ihren „Speckbuk“ tun.

Neben den Bauerhäusern ohne Querwand liegen gewöhnlich sehr umfangreiche Höfe, und zwar auf jeder Seite des Hauses einer. Seitwärts neben dem Hofe liegen der Obstraum und der Krauthof. Bei den anderen Häusern ist, da die leeren Wagen zurückgeschoben werden, nur ein Hof und das Haus stößt nahenden Obstgarten, in der Weise, dass die Wohnstube im Schatten der Bäume liegt. Bis auf den Steindamm, welcher zur Ausfahrt dient, ist der ganze Hof Dungplatz mit diversen Jauchepfützen, an denen in möglichster Nähe der für die Küche und das Vieh gemeinsame „Sood“ liegt. Pumpen sind äußerst selten, doch wendet man gern Geld und Zeit daran, wenn man Wasser auf dem Hofe haben kann. Leider ist dasselbe oft sehr ungenießbar, doch tröstet man sich: „Wat kakt is, is rein.“ Von kaltem Trinkwasser ist der Bauer überhaupt kein Freund; „wer will Water in'n Magen hebben, ick mag't mch mal in de Schauh hebben.“

Die Häuser bestehen durchweg aus einer sehr niedrigen Mauer von Fachwerk; die Balkeneinfassung liegt frei und ist mit dünnen Lehmwänden ausgefüllt, nur die Wohnseite ist zuweilen aus Ziegelsteinen verfertigt. Die Lehmwände sind auf die kunstloseste, natürlichste Weise hergestellt, indem man Tannenlatten mit Stroh umwickelte, sie mit Lehm bewarf und bestrich, in eine Balkenrinne einfügte, das Ganze mittelst eines kleinen Brettes ebnete und schließlich mit Kalktünche weißte. Dies nennt man „klehmen“ und die bewickelten Tannenstäbe heißen „Klehmstaken“. Solche Gebäude sind ebenso leicht anzufertigen, wie auszubessern, aber doch dauerhafter, als man glauben sollte. Da sie Menschen und Vieh gemeinsam beherbergen, haben sie oft einen sehr bedeutenden Umfang, sind aber immer niedrig und von einem hohen breiten Strohdache überragt. Dies alte Strohdach mit den ehrfurchtsvoll geschonten Sedum-Pflanzen, an deren Erhaltung das Wohl des Hauses geknüpft sein soll, mit Moos überzogen und vom Rauche geschwärzt — wie viele Jahre mag es erlebt haben! Nie erneuert, höchstens hier und da einmal ausgestickt, hat es so manche Familie unter sich beherbergt, hat vom Vater auf Sohn und Enkel eine Generation nach der andern beschirmt und erwärmt und schaut noch so kräftig in die Welt, als wolle es neue Jahrhunderte ausdauern. Mit den nach auswärts schauenden gekreuzten Pferdeköpfen („Mulapen“ d. i. Maul offen) im Giebel und dem, wer weiß wie alten Storchneste daneben heimelt es den Bauern so freundlich an, dass er sich immer noch nicht trennen mag von der Weise seiner Väter. Es wäre indessen ein großer Irrtum, wenn man hier zu Lande von dem Strohdache auf Armut und geistige Beschränktheit des Besitzers schließen wollte. Gäbe es keine höhere Rücksichten, welche das Steindach empföhlen, so hätte der Bauer Recht, am Strohdache festzuhalten. Ein Obdach, welches im Winter so warm, im Sommer so kühl ist, findet er nicht wieder; mit dem Steindache ist, zum Schaden für das Vieh, gerade das Umgekehrte der Fall. A. v. Lengerke hat die Vorteile des ersteren in öconomischer Hinsicht sehr bestimmt hervorgehoben, und zwar mit Recht, da sie die Nachteile desselben weit überwiegen. Wäre es, dass jene auch nur in der leichteren Pflege des Viehes beständen, so würde dies schon ein Großes sein; gerade die Entfernung des letzteren vom Wohnhause vermehrt die Zahl der untreuen Knechte und eine Untreue folgt der anderen.

In unserem Lande liegen unzählige Steine dem Bauer in der Nähe, er wäre sie oft gern vom Acker los, er zieht sehr kostspielige Mauern von ihnen um seinen Hof — warum denn baut er mit Stroh und Lehm? Das ist eine Folge von der Macht der Sitte und Gewohnheit sowohl, wie davon, dass ihm seine Bauweise zweckmäßig geworden ist. Mit dem Strohdache zugleich legt er seinen alten Rock, den väterlichen Hut ab und räumt so manche Spinnenweben alter Gewohnheit aus, die ihm zur Natur geworden sind. Wer kann's ihm nun verdenken, dass er am alten lieben Hause stickt und bessert, bevor er sich entschließt, ins neue Haus mit dem Steindache einzuziehen? Darin liegt weder Halsstarrigkeit noch Dummheit, wie man oberflächlichen Sinnes häufig meint. Wir machen es ja ebenso, bewahren das Liebgewordene, hängen unser Herz an unser Haus und geben wohl einen Vorteil für die Erhaltung des Unsrigen hin. Es wäre ein Jammer, wenn dies nicht der Fall wäre, wenn das Herz sich nicht mehr an die Heimat, an den Herd geknüpft fühlte. Man freut sich wohl, wenn man eine Stadt nach längerer Abwesenheit neuer und schöner ausgebaut findet, und wäre auch das Elternhaus dabei untergegangen. Wohl; dabei wird des Herzens Wehmut doch ihr Recht behalten und nur anderen Rücksichten untergeordnet werden. So auch der Bauer unseres Landes; die Vorteile der neueren Bauart für das Gemeinwohl erkennend, zieht er ohne Zwang in ein neues Haus, aber nicht gern und nicht ohne Schmerz. Zufrieden mit seinem Lebensstande, reizt ihn dabei weltlicher Vorteil wenig. Es sind dies unseres Erachtens sehr ehrenwerte Züge in seinem Charakter.

Ähnlich wie die Wohnhäuser sind die Scheuren erbaut, deren es je nach der Größe des Besitzes eine oder zwei gibt. Zum Gehöfte gehört auch noch der etwas abseits, neben einem kleinen Garten und Kartoffelacker liegende Kathen (man sagt hier nicht die Kathe), welcher zur Wohnung für die jüngeren Söhne und deren Familien bestimmt ist, wem der älteste Sohn das Gehöft erbt.

Äußere Verzierungen an den Wohnungen sind große Seltenheiten; die Fenster sind wohl mit Ölfarbe angestrichen, die große Tür nie. In der Giebelfronte, welche nach der Straße hin gerichtet ist und immer die Wirtschaftsseite des Hauses bildet, findet sich ein kleiner gänzlich schmuckloser Vorbau, welcher durch das überhängende Dach gebildet wird und an Sommerabenden den Knechten und Mägden zum Sammelplatze dient. Das große Tor ist viereckig, geradlinig und entweder in zwei Flügel oder in vier Stücke geteilt. Der Balken über diesem Tore zeigt wohl hier und da den Namen des Erbauers und die Jahreszahl des Baues in Buchstaben geschnitzt, selten aber, und nur im Ratzeburgischen häufiger noch andere Schnitzereien, am seltensten Reiminschriften u. dgl., alles kunstlos. Sehr selten sieht man jetzt noch Hausmarken am Hause, beiweitem nicht so häufig, wie Riehl zu glauben scheint, doch sind sie in einigen Gegenden erst seit Menschengedenken außer Gebrauch gekommen. Man bedient sich ihrer jetzt nur noch zur Bezeichnung der Inventarstücke. Auch darf man sie nicht mit Riehl „bäuerliche Wappen“ nennen; sie sind nichts weniger als solche, sind nicht dem Besitzer, sondern dem Hause eigentümliche Zeichen, ein Beispiel von der großen Bedeutung des Besitzes selbst im germanischen Volksleben. Die Hausmarke ist teils eine willkürliche Verbindung gerader Linien, teils Nachahmung eines Gegenstandes aus dem gewöhnlichen Leben. — Das Bauerhaus ist also an und für sich einfach und schmucklos; auch von Blumen ist der Bauer kein großer Freund, man sieht dieselben sehr selten in Töpfen vor den Fenstern und wenn einmal, so müssen sie starkduftend oder hellfarbig sein. Lieblingsblumen sind Goldlack („Lack“), Primeln („Slötelblomen“), Narcissen („Titzen“) und Tulpen.

Aber die Dörfer bieten trotz der Einfachheit ihrer Häuser ein lebhaftes und freundliches Bild durch die vielen Obstbäume, welche in ihnen angepflanzt sind. Die Baumgärten sind zwar hauptsächlich zur Mittagsruhe für die Schafe, zu ihrem Schutze gegen die nachteilige Wirkung der Sonnenstrahlen bestimmt, werden deshalb selten gegraben und sind meistens mit Gras bewachsen; der Ertrag aus ihnen ist daher nur ein geringer, aber ihre Belaubung um so reicher. Ohne Obstgärten kein mecklenburgisches Dorf; selbst wer ausbauet, sorgt zunächst dafür, dass der Platz vor den Wohnstuben mit Obstbäumen bepflanzt wird. Das deutet wieder auf den praktischen Sinn der Leute; im Winter schützen die sehr nahe stehenden Bäume sowohl vor Kälte wie vor Winden; im Sommer geben sie die so sehr wohltuende Kühlung.

Wie die Dörfer geschlossene Gemeinschaften, so bilden in ihnen die einzelnen Gehöfte auch äußerlich durch Zaun und Mauer abgeschlossene Teile, deren Mittelpunkte die Wohnhäuser sind. Das sind echt germanische Zustände; das Haus ist der Zentralpunkt des Lebens, welches seinen Kern, seine innerste Mitte wieder in der Familie findet. Deshalb die hohe Achtung des Hauses und — wie wir sehen werden — auch der Familie in unserem Volke. Durch den Übergang aus dem alten in ein neues Haus werden die Bewohner angeregt, auch den alten Rock hinter sich zu lassen, und wenn auch nur in leisen Übergängen wandelt sich mit jenem zugleich ihr Wesen; sie treten mehr und mehr aus ihrer Geschlossenheit hervor. Bis jetzt herrschen in Mecklenburg die älteren Dorfgemeinschaften, die älteren Häuser noch beiweitem vor. Mögen deshalb höhere Rücksichten eine Umgestaltung dieser Verhältnisse gebieten, so bleibt doch soviel klar, dass eine solche nur allmählich vor sich gehen darf; denn jene von Alters her bestandenen Verhältnisse können nicht ohne Nachteil für die Leute (wie ihn jede plötzliche Umgestaltung der innersten Lebens-Grundlagen nach sich zieht) in umfassender und eiliger Weise geändert werden.