Abschnitt. 3

Solche Züge, die beim ersten Anblicke unbedeutend scheinen, sind es hauptsächlich, wodurch Plutarch ein so warmes Leben und eine so täuschende Darstellung in seine Biographien brachte, dass Timoleon, Dion und Philopömen, uns nicht wie Geisterscheinungen aus dem grauen Alterthume vorschweben, sondern wie vertraute Bekannte, mir denen wir Jahre lang in Einer Stadt oder unter Einem Dache wohnten, lebendig vor uns dastehen. Nach allem was wir in den Denkwürdigkeiten des Sokrates lesen, wäre dieser Weise, bey ähnlicher Veranlassung, einer solchen Schonung nicht fähig gewesen; und welche bittre Spottlauge ergoss nicht Voltaire über jenen Reisenden, dem man aufgeheftet hatte, alles was geschrieben und gedruckt sey, habe Voltaire geschrieben und drucken lassen, und der sich, weil Rollins alte Geschichte die einzige Lektüre war, deren er sich noch erinnerte, in dieser Voraussetzung, mit folgender Anrede bei ihm einführte: „Ich habe mit eben so vielem Nutzen, als Vergnügen Ihre alte Geschichte von Rololin gelesen“.

Du kennst Bonnets warme Vaterlandsliebe, und wie das wechselnde Steigen und Sinken der Republik Genf, welche seit seiner Geburt allein neunmal durch innerliche Unruhen erschüttert wurde, ihn bald mit der tiefsten Wehmuth bald mit der lebhaftesten Freude erfüllt; es bewegte mich daher innig, als er neulich, bei Wiedererblickung seiner Vaterstadt, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, und wohin ihn wichtige Geschäfte riefen, in die Worte des sterbenden Paolo Sarpi ausbrach: Esto perpetua!
Bonnet hört mich sehr gern von Deutschland, am liebsten aber vom großen Friedrich erzählen, den er verehrt und von dessen häuslichem Leben er durch seinen Freund Merian ziemlich viel weiß. Er pflegt ihn entweder mit dem Cäsar, dem er hauptsächlich darin am nächsten kommt, dass er nie Zeit verlor, oder, noch passender, besonders in Absicht der Höhe, zu welcher ein an sich mittelmäßiger Staat durch ihn sich aufschwang, mit dem Epaminondas zu vergleichen.


Wir haben Herrn Volney, in den Abendstunden bei Madame Bonnet, mit immer wachsendem Interesse auf seiner Reise durch Syrien und Egypten begleitet, und ihn vor einigen Tagen mit Bedauren am Ziele seines Laufs verlassen.

Wir glaubten hier nicht, wie bey Savarys Briefen der Fall war, ein rosenfarbnes Feenmährchen aus den Tausend und Einer Nacht zu lesen, sondern die männliche Erzählung eines mit Scharfsinn, Beobachtungsgeist und allen nöthigen Vorkenntnissen ausgerüsteten Reisenden, dem Wahrheit und getreue Darstellung heilig sind.

Jetzt haben wir die Korrespondenz des Königs von Preußen mit Voltaire angefangen. Kaum hatten wir einige Briefe gelesen, als wir wie aus Einem Munde ausriefen: Wie tief steht Voltaire unter Friedrich! Dies bestätigte sich immer mehr, je weiter wir vorrückten. Welche niedrige Schmeicheley, welcher kleinliche Gernwitz, welche seichte Raisonnements in Voltaires, hingegen welches erhabene Selbstgefühl, welcher Adel des Ausdrucks, welche Blitze des Genies in Friedrichs Briefen!
Ich bin spätstens in acht Tagen in Nion. Hoffentlich bist du dann schon wieder zu Hause. Gedenke mein am Fuße des Süchet und in der Grotte von Montcherand. Vale et bene rem gere.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Matthissons Briefe