Mannigfaltigkeiten

Zur Unterhaltung und Belehrung für Leser aller Stände
Autor: Graß, Karl Gotthard (1767-1814) Theologe, Landschaftsmaler, Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1818
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kurzgeschichten, Anekdoten, Gedichte
Übertriebene Höflichkeit — Der König von Preußen, Friedrich der Große, hatte die Gewohnheit, wenn er Abends sich entkleidet hatte und sich zur Ruhe legen wollte, von dem Kammerdiener sich ein Abendgebet vorlesen zu lassen, wobei er mit besonderer Andacht zuhörte. Als einst ein neu angetretener Kammerdiener das Abendgebet zum ersten Male vorlas, glaubte er, es der Ehrfurcht gegen den König schuldig zu sein, die Worte, der Herr segne Dich, so wie solche in dem Gebete standen, abändern zu müssen und sagte: der Herr segne Ew. Königl. Majestät. „Was liest Du da?“ rief der König. Der Vorleser wurde bestürzt und in der Meinung, dem Monarchen durch diesen Zusatz noch nicht genug Ehre gegeben zu haben, sagte er nun: Der Herr segne Allerhöchst Ihre Königl. Majestät. Hierüber geriet der König in heftigen Zorn und rief: „Willst Du mir das Gebet verhunzen? Vor Gott bin ich so gut ein Mensch wie Du! Dich heißt es. Der Herr segne Dich, Dich, Dich. Gegen Gott bin ich ein armer Wurm.

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Allzugroße Bescheidenheit — Kürzlich waren an einer Tafel 12 Personen versammelt, ohne dass auch nur eine davon einen Bissen gegessen hätte. Unglücklicher Weise hatten olle zwölf G. J. Wenzels: „Mann von Welt.“ gelesen, in welchen es im §. 7. „Benehmungsart bei der Tafel“ heißt: „Eine Unanständigkeit wäre es, der Erste zu sein, welcher isst. Man muss warten, bis einer unserer Nachbarn den Anfang gemacht hat. Da nun Jeder auf seinen Nachbarn wartete, so fing gar keiner an, anzufangen und alle zwölf verließen die Tafel ohne gegessen zu haben. (Wir wüssten Einen der angefangen hätte!)

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                              Charade.

          Ich bin ein Ding, das wohl der Trinker kennt.
          Dem dürstend nach dem Trank die Lippe brennt;
          Gefüllt mit Wein hör' ich die Lieder singen,
          Die frohe Gäste ihren Liebsten bringen.

          Ich bin ein Haus; jetzt steh'n die Räume leer,
          Das Reich, für das ich nützte, ist nicht mehr;
          Einst kamen Fürsten zu mir voll Verlangen;
          Und Kaiser sind aus mir hervorgegangen.

          Ich bin ein Mensch! Im grauen Altertum
          Glich keiner mir im Erdenkreis an Ruhm;
          Ich habe ganz Europa fast bezwungen,
          Mit Afrika und Asien gerungen.

Friedrich II. (1712-1786) genannt der Große

Friedrich II. (1712-1786) genannt der Große