Das große Los

Bei einer Lotterie-Ziehung in London stieß ein ziemlich ärmlich gekleideter Zuschauer, als das große Los herausgekommen war, ein lautes Freudengeschrei aus, schrieb dann die Nummer, worauf dieser Gewinn gefallen, sorgfältig auf, verließ den Ziehungssaal eiligst, und schrie beim Herausgehen sowohl, als auf der Straße, seinen Hut in die Luft schwenkend, immer Huza! Huza!

Dieser Jubelruf, und sein auffallendes Benehmen hatte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden bei der Ziehung auf sich gezogen. Viele von der untern Volksklasse, worunter sich wohl auch manche Taschendiebe und Gauner befinden mochten, folgten ihm auf dem Fuße nach, und bestürmten ihn mit Bitten, sie bei einem so unerwarteten großen Glück mit Porter zu traktieren. Er achtete nicht darauf und fuhr fort, ganz freudetrunken: Huza! Huza! zu jauchzen, indem er den Zettel, den er in der Hand hielt und worauf die herausgezogene Nummer geschrieben stand, dann und wann küsste.


Unter der ihm folgenden Menge befand sich auch ein Jude. Halt, dachte dieser: Du willst es feiner anfangen; hier kannst du deinen Schnitt machen. Er drängte sich also an das Glückskind und lispelte dem Freudeberauschten zu:

„Geben Sie doch dem ungestümen Gesindel etwas zu trinken, damit Sie es los werden.“

Ich habe kein Geld bei mir, versetzte der Angeredete leise.

„Das tut nichts,“ meinte der Hebräer: „kommen Sie nur mit mir. Ich stehe damit zu Diensten. Deshalb tun Sie immer, was Ihnen gefällig ist.“

Man war mittlerweile bis an ein Wirtshaus gekommen, wo der Jude bekannt war.

„Hier nur hurtig hinein,“ sagte der Bekenner des mosaischen Gesetzes, indem er seinen Schützling in die Tür schob: „hier sind wir sicher.“

Der Pöbel wich nicht von der Tür.

„Ich dachte, Sie spendieren ein Fass Porter, das kostet doch nicht alle Welt, ich werbe es den Leuten geben lassen,“ und ohne eine Antwort abzuwarten, bestellte er bei dem Wirte der versammelten Menge vor der Tür, ein Fass Porter zum Besten zu geben.

Dies geschah, und während diese sich darüber hermachte bestellte der Jude, dass ein gutes Mittagessen für ihn und seinen glücklich gewordenen Bekannten angerichtet würde, wozu er noch, sehr gastfrei, einige in der Schenkstube Anwesende einlud.

Man ging endlich in ein anderes Zimmer zu Tische, wo alles auf das Beste angeordnet war, bei dem Diner war man sehr heiter. Nach aufgehobener Tafel bezahlte der Jude sowohl das Fass Porter, als die übrigen Zehrungskosten. Die Gesättigten entfernten sich einer noch dem anderen, und nur der Jude blieb mit seinem neue Krösus zurück.

„Ich dachte,“ sagte der Erstere, „wir gingen nun zu einem Bankier, und Sie verkauften ihm das Los, worauf der Hauptgewinn gefallen. Sie erhalten gleich bares Geld gegen eine kleine Provision und dürfen nicht erst warten, bis die Lotterie die Zahlung leistet. Auch ich muss meine Auslage gleich wieder haben, ich kann sie nicht gut lange entbehren.“

„Ja, das ist alles recht schön!“ antwortete der Unbekannte, „aber, nicht wahr, dazu muss man das Lotterie-Los haben?“

„Ei freilich!“

„Das Hab' ich aber nicht!

„Wie, das haben Sie nicht?“

„Auf Ehre, nichts, wie hier den Zettel, wo ich die Nummer aufgeschrieben.“

„Ei zum Henker, was kann Ihnen denn der helfen? — Weshalb haben Sie denn so einen gewaltigen Lärm gemacht?“

„Weshalb? — Ich freute mich, dass doch Einer das große Los gewonnen. In der vorigen Ziehung ist es nicht unter den verkauften gewesen und der Direktion zu Gute gekommen. Ich würde mich halb tot geärgert hoben, wenn dies der Fall wieder gewesen wäre.“

„Au wai, wo's ist dös?“ seufzte der Spekulant. Der Schlaukopf, der scheinbar den Albernen sehr natürlich gespielt hatte, benutzte die erste Bestürzung des Juden, verließ das Zimmer und war so schnell aus dem Hause und um eine Straßenecke, dass der ihm unter lautem Rufen nacheilende Überlistete sich umsonst bemühte, ihn wieder ansichtig zu werden und seine Auslagen erstattet zu erhalten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mannigfaltigkeiten