Malczewski, Jacek (1854-1929) war ein polnischer Maler des Modernismus und Symbolismus.

Aus: Die Christliche Kunst (10. Jahrgang 1913/14) Monatsschrift für alle Gebiete der Christlichen Kunst und der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben
Autor: Makowski, Boleslaus, Erscheinungsjahr: 1915
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst und Kultur, Malerei, Tod, Liebe, Melancholie, Künstler, Reflexionen, Poesie, Beschauer, Schöpfung, Landschaft, Landschafter, Porträts, Charakter, Stimmung
In einer Zeit, die allen Nachdruck auf das Technische legt und das Gedankliche in der Kunst vernachlässigt, ist ein Künstler, in dessen Werk dieses Letztere das Wesen ausmacht, der dabei alle modernen Ausdrucksmittel beherrscht, eine Erscheinung, die auf allgemeines Interesse Anspruch erheben darf.

Jacek (Hyacinth) Ritter von Malczewski (spr. Malschéwski), geboren 15. Juli 1854 zu Radom in Russisch-Polen, machte seine Studien unter Matejko in Krakau, dann unter dem Deutsch-Franzosen Henri Lehmann in Paris, einem Ingres-Schüler. Er wurde Professor und ist gegenwärtig auch Rektor der Kunstakademie in Krakau.

Zunächst wandte er sich patriotischen Stoffen zu und malte in den ergreifenden „Etappen„ die Leiden der Verbannten auf dem Wege nach Sibirien. Bald aber ging er zum Phantastisch-Symbolischen über, das er nunmehr vorwiegen pflegt. Vielfach sind es allgemeingültige Probleme, die ihn beschäftigen, z. B. Tod, Liebe, Kunst, Melancholie. Durch irgendwelches Beiwerk, dem alles Konventionelle fehlt, lässt er die Beziehungen zu der Idee ahnen, die er ausdrücken will. Es wird dem Beschauer nicht immer leicht, den sublimen Gedankengängen des Künstlers zu folgen und die Parallele restlos zu ziehen. Auch liegen seiner Erfindung nicht selten Stoffe und Gestalten der polnischen Poesie zugrunde. Diese werden nicht anekdotenhaft ausgesponnen, sondern der Meister stellt gewissermaßen über den Helden der Dichtung Reflexionen an, die nur mehr in losem Zusammenhang mit dem ursprünglichen Werke stehen und selbst dem literarisch gebildeten Landsmann nicht leicht auszudeuten sind. Ungeachtet dieser etwas willkürlichen Art des Künstlers bleibt das Interesse des Beschauers an dem Bilde rege wegen der großen formellen Vorzüge, die seinen Werken eigen.

Als solche drängen sich jedem Beschauer vor allem auf: groß erfasste und klar durchgeführte Komposition, scharf ausgeprägte Charakteristik und vollendete Zeichnung. Seine Figuren sind voll Mark und Kraft, wie herausgemeißelt in plastischer Rundung und Schwere. Die Farbe, wenngleich mit der Bravour und Finesse moderner Technik angewandt, tritt der Zeichnung gegenüber an Bedeutung zurück.

Wenn andere moderne Symboliker — ich denke hier an G. F. Watts, Stuck u. a. — sich in der Wahl ihrer Stoffe an die Antike anlehnen, entnimmt sie Malczewski dem modernen Milieu. Das hindert ihn aber nicht, die gewohnten Gestalten des alltäglichen Lebens mit seltsamen Vertretern einer andern Welt, mit Faunen und ähnlichen phantastischen Gestalten zu umgeben. Damit wird eine Note feiner Ironie und gedämpften Humors in den strengen Ernst seiner Schöpfungen gebracht. Selbst in Porträts mag er auf solches Beiwerk nicht verzichten. Trotz dieses kosmopolitischen Spuks ist seine Malerei durchaus national. Nicht freilich in dem Sinne, wie man es vielleicht von einem Polen erwartet; nicht Aufstand und Kämpfe und Chargen der Reiterei sind sein Feld, aber die Personen und ihre Umgebung haben innerlich ihr durchaus heimisch-völkisches Gepräge. Insbesondere gilt das von der Landschaft. Obwohl nur Hintergrund seiner Gemälde, erfährt sie eine so selbständige Durchbildung, ist von so wuchtiger Stimmung, dass man Malczewski unbedenklich auch als Landschafter ansprechen kann. Die Einheit seiner Schöpfungen wird dadurch nicht zerrissen, weil Personen und Landschaft durch innere Beziehungen, wie Charakter, Stimmung, ferner durch wohlabgewogenes Gleichgewicht unlöslich verbunden werden.

Wenn auch die religiöse Malerei nicht im Vordergrunde seines Schaffens steht, so ist sie doch nicht unbedeutsam. Da die heiligen oder biblischen Stoffe in die Gegenwart übersetzt sind, so gilt hinsichtlich ihrer Beurteilung das oben Gesagte. Unter der realistischen, etwas rauen Oberfläche ist religiöse Innigkeit und Gefühlswärme, gepaart mit Ernst und Würde — dies alles sozusagen konstitutive Elemente der religiösen Kunst — nicht zu verkennen (vgl. Charitas, Tobias, S. 2 u. 3). In Anbetracht dessen, dass die religiöse Malerei in dem Gesamtwerk des sehr fruchtbaren Meisters weder numerisch noch qualitativ den ersten Platz einnimmt, erscheint der entschieden religiöse Idealismus um so bemerkenswerter, wie er ihn als sein künstlerisches Glaubensbekenntnis in einer zu Beginn des letzten Studienjahres gehaltenen Rektoratsrede in der k. k. Akademie der Künste in Krakau ausgesprochen hat (abgedruckt — in der Übersetzung — im Pionier 1913, Heft 5). Sie gipfelt in den Sätzen: Drei Wege gibt's, den Menschengeist dem Throne Gottes nahe zu bringen: den Weg des Gebets (die Askese), den Weg der Liebe und den Weg der Wissenschaft (die Erkenntnis der Wahrheit). Auf dem Wege der Liebe dehnt sich der Pfad der Kunst. Wir Künstler singen ein Magnitikat beim Anblick der Werke, die Gott geschaffen auf der Erde und im Weltall. Von den Wundern entzückt, mit denen er uns umgeben, wünschen wir schüchtern, ihm ähnlich zu sein, um ihn besser zu verstehen und zu lieben. So wagen wir es denn, die Schöpfungen seiner Hand nachzubilden. Verzückt und demütig in der Arbeit des Nachschöpfens singen wir im Geiste den Hymnus der Liebe zu dem besten Vater für so viele Wunder und Wohltaten.

Zu einigen der beigefügten Bilder dürften erläuternde Bemerkungen nicht überflüssig sein. Der „Tod der Ellenai„ (S. 7; nach der Dichtung „Anhelli„ von Slowacki) schildert im Gegensatz zu anderen „Illustrationen„ dichterischer Werke von Malczewskis Hand den poetischen Vorgang schlicht und ohne grüblerischen Symbolismus. Aus diesem Grunde, und weil er der zarten Lieblichkeit, die über diese Szene beim Dichter ausgegossen ist, nahekommt, gehört dies Bild zu seinen populärsten und existiert in mehreren Varianten. Es sei hier gestattet, um die Leser den schönen Zusammenklang von Dicht- und Malkunst genießen zu lassen, die betreffende Stelle jener romantischen Prosadichtung, die in Sibirien spielt, in etwas gekürzter Übersetzung zu geben: „Lange Trauer und Sehnsucht führten den Tod jener Verbannten herbei, und sie legte sich auf das Bett von Blättern zwischen ihre Rentiere, um zu sterben. Und Ellenai wandte ihre Saphiraugen, von Tränen übergössen, dem Anhelli zu und sagte: Ich habe dich geliebt, mein Bruder, und verlasse dich. Und nachdem sie gesagt, wo er sie begraben solle — unter der Fichte, die in dem traurigen Tale stand, wünschte sie zu liegen — fragte sie: Was werde ich nach dem Tode sein? O, ich möchte irgend ein lebend Wesen bei dir sein, Anhelli, sogar ein Spinnlein, das dem Gefangenen lieb ist und auf dem goldenen Sonnenstrahl herunterkommt, um von seiner Hand zu essen. Ich habe dich liebgewonnen, wie deine Schwester und deine Mutter, ja noch mehr . . . Aber das Grab endigt alles. Und jetzt will ich meine Augen zur Königin des Himmels erheben und zu ihr beten. Sterbend begann sie nun die Litanei zur Mutter Gottes zu beten, und als sie eben gesagt hatte: du goldene Rose, da hauchte sie aus.

In dem Bilde „Weihnacht„ (S. 8) bringen die drei Könige, als Männer aus dem Volke dargestellt, dem Kinde Geschenke, während Maria, die in der Hand merkwürdigerweise das wundertätige (schwarze) Madonnenbild von Czenstochau — es hängt auch über dem Bette der Ellenai — hält, sich drei Männern zuwendet, die anscheinend eine höhere Gesellschaftsklasse repräsentieren; hinter diesen betende Engel. Es ist dies eins von den vielen Bildern, worin Malczewski allen Beschauern ein schwer zu lösendes Rätsel aufgibt. Soll es bedeuten, dass arm und reich, hoch und niedrig sich an der Krippe einfinden mögen? Wie dem auch sei, jeder muss an diesen charaktervollen, echt Malczewskischen Köpfen seine Freude haben.

Unklar bleibt auch der volle Sinn des Bildes „Der Künstler„ (Seite 4). Ist diese geheimnisvolle Gestalt mit wenig verständlichen Attributen auf ihrem Rücken, die den Künstler bei seiner Arbeit unterbricht, und vor der er in ehrerbietiger Scheu die Augen senkt, ist es die Kunst selbst, die mit ihren ironisch oder schmerzhaft heraufgezogenen Brauen auf die Schwierigkeiten hinweist, die ihr Besitz mit sich bringt? Oder ist es der Ruhm, der nur zu gut seiner eigenen Unbeständigkeit sich bewusst ist? Oder ist es eine Eigenschöpfung, die eben im Geiste des Künstlers ihr Sein begonnen?

Die „Unbekannte Melodie“ (Abb. unten) dürfte in den beiden prächtigen Kopten den Gegensatz zwischen rohem Sinnengenuss und ernster Entsagung darstellen. In so lapidaren Sätzen spricht nur ein großer Künstler.

Ohne schwierige Gedankenprobleme bietet sich das Bild „Die Kunst auf dem Lande“ (Abb. S. 6) dar. Ein Faunbühlein hat sich in den Garten eines bescheidenen Landguts verirrt und findet für seine Kunst auf der Pfeife ein Publikum in einer kleinen Hirtin und ihrem Volk von Truthühnern. Während dieses der ungewohnten Darbietung volle Aufmerksamkeit widmet, ist seine Herrin darob in wortloses, verzücktes Sinnen geraten. Die meisterhafte Behandlung der Tiere und des Stückes Landschaft bedarf keiner besonderen Hervorhebung.

001 Jacek von Malczewski, Selbstbildnis

001 Jacek von Malczewski, Selbstbildnis

002 Jacek von Malczewski, Charitas, (1913)

002 Jacek von Malczewski, Charitas, (1913)

003 Jacek von Malczewski, Tobias

003 Jacek von Malczewski, Tobias

004 Jacek von Malczewski, Die Kunst (1898)

004 Jacek von Malczewski, Die Kunst (1898)

005 Jacek von Malczewski, Auferstehung (1900)

005 Jacek von Malczewski, Auferstehung (1900)

006 Jacek von Malczewski, Die Kunst auf dem Lande

006 Jacek von Malczewski, Die Kunst auf dem Lande

007 Jacek von Malczewski, Der Tod der Ellenai

007 Jacek von Malczewski, Der Tod der Ellenai

008 Jacek von Malczewski, Weihnacht

008 Jacek von Malczewski, Weihnacht

009 Jacek von Malczewski, Eine unbekannte Melodie

009 Jacek von Malczewski, Eine unbekannte Melodie