Junfer Lorenz.

Mündlich.

Huldreich: Junfer Lorenz.


In Tangermünde sind einmal sehr reiche Leute gewesen, die haben ein einziges Kind gehabt, ein Mädchen, und haben Lorenz geheißen. Wie es nun einmal an einem Frühlingstage so recht schönes Wetter war, da ist die Kleine ganz allein hinausgegangen in den Wald, um Kräuter zu suchen. Aber da der Wald gar groß war, hat sie sich verlaufen und konnte nimmer wieder herausfinden, und wie sie so dachte, daß sie hier würde verschmachten müssen, setzte sie sich hin und fing bitterlich zu weinen an. Sie hatte aber nicht gar lang gesessen, so kam ein großer Hirsch mit gewaltigem Geweih auf sie zu, nahm sie auf seinen Rücken und führte sie unversehrt nach der Stadt. Dort ist er dann bis an sein Lebensende gepflegt worden, und als er todt war, hat man sein Geweih in der Nicolaikirche aufgehängt, und auf demselben zum Andenken an die wunderbare Errettung das Bild der Junfer Lorenz, aus Holz geschnitzt, angebracht. Der Wald aber, in dem dies geschehen, ist jetzt verschwunden, jedoch führen die an seiner Stelle gelegenen Aecker noch den Namen des Lorenzfeldes.

Das Geweih mit dem Bilde hat lange, lange Jahre in der Nicolaikirche gehangen, denn man erzählte, daß Junfer Lorenz verordnet habe, es solle darin bleiben, so lange noch ein Stein auf dem andern sitze. Deshalb nahm man es auch, sobald in der Kirche gebaut wurde, nicht aus derselben, da es jedesmal einen gewaltigen Lärm erregte, wenn es angerührt wurde, und ließ es auch in derselben, als sie zu einem Lazareth umgewandelt ward. Seit dem Jahre 1831 jedoch ist es nach der Stephanskirche gebracht worden, wo es nun ruhig in der Nähe des Altars hängt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Märkische Sagen und Märchen