Abschnitt 3

2. Prinzesssin Svanvithe.


Und als vierzig Tage vergangen waren und der Tag vor Johannis da war, da ging sie zu dem Könige ihrem Vater ins Gemach und sagte ihm Lebewohl. Und der alte Herr neigte noch einmal wieder seinen weissen Kopf über sie und weinte sehr; und sie sank vor ihm hin und umfaßte seine Kniee und weinte noch mehr. Und darauf ging sie hinaus und verkleidete sich so, daß niemand sie für eine Prinzessin gehalten hätte, und trat ihre Reise an. Die Reise war aber nicht weit von Bergen nach Gartz; und sie ging in der Tracht eines Reiterbuben einher. Und in der Nacht, als es vom Gartzer Kirchthurm zwölf geschlagen hatte, betrat sie einsam den Wall, that ihre Kleider von sich, also daß sie da stand, wie Gott sie erschaffen hatte, und nahm eine Johannisruthe in die Hand, womit sie hinter sich schlug. Und so tappte sie stumm und rücklings fort, wie es geschehen mußte. Und nicht lange war sie geschritten, so that sich die Erde unter ihren Füßen auf, und sie fiel sanft hinunter, und es war ihr, als würde sie in einem Traum hinabgewiegt; und sie fiel hinab in ein gar großes und schönes und von tausend Lichtern und Lampen erleuchtetes Gemach, dessen Wände von Marmor und diamantenen Spiegeln blitzten und dessen Boden ganz mit Gold und Silber und Edelsteinen beschüttet war, daß man kaum darauf gehen konnte. Sie aber sank so weich auf einen Goldhaufen herab, daß es ihr gar nicht weh that. Und sie besah sich alle die blitzende Herrlichkeit in dem weiten Saale, wo die Schätze und Kostbarkeiten ihrer Ahnherren von vielen Jahrhunderten gesammelt und aufgehängt waren; und da sah sie in der hintersten Ecke in einem goldenen Lehnstuhl das kleine graue Männchen sitzen, das ihr freundlich zunickte, als wolle es mit der Urenkelin sprechen. Sie aber sprach kein Wort zu ihm, sondern winkte ihm nur leise mit der Hand. Und auf ihren Wink hob der Geist sich hinweg und verschwand, und statt seiner kam eine lange Schaar prächtig gekleideter Diener und Dienerinnen, welche sich in stummer Ehrfurcht hinter sie stellten, als erwarteten sie, was die Herrin befehlen würden. Svanvithe aber säumte nicht lange, bedenkend, wie kurz die Mittsommersnacht ist, und sie nahm die Fülle der Edelsteine und Diamanten und winkte den Dienern und Dienerinnen hinter ihr, daß sie eben so thäten; und auch diese füllten Hände und Taschen und Zipfel und Geren der Kleider mit Gold und edlen Steinen und kostbaren Geschirren. Und noch ein Wink, und die lange Reihe wandelte, und die Prinzessin schritt voran der Treppe zu, als wenn sie herausgehen wollte; jene aber folgten ihr. Und schon hatte sie viele Stufen vollendet und sah schon das dämmernde Morgenlicht und hörte schon den Lerchengesang und den Hahnenkrei, die den Tag verkündeten – da ward es ihr bange, ob die Diener und Dienerinnen ihr auch nachträten mit den Schätzen. Und sie sah sich um, und was erblickte sie? Sie sah den kleinen grauen Mann sich plötzlich in einen großen schwarzen Hund verwandeln, der mit feurigem Rachen und funkelnden Augen gegen sie hinaufsprang. Und sie entsetzte sich sehr und rief: O Herr Je! Und als sie das Wort ausgeschrieen hatte, da schlug die Thüre über ihr mit lautem Knalle zu und die Treppe versank und die Diener und Dienerinnen verschwanden und alle Lichter des Sales erloschen, und sie war wieder unten am Boden und konnte nicht heraus. Der alte König aber, da sie nicht wieder kam, grämte sich sehr; denn er dachte, sie sey entweder umgekommen bei dem Hinabsteigen zu dem Schatze durch die Tücke der bösen Geister, die unter der Erde ihre Gewalt haben, oder sie habe sich der Sache überhaupt nicht unterstanden und laufe nun wie eine arme verlassene Streunerin durch die Welt. Und er lebte nur noch wenige Wochen nach ihrem Verschwinden, dann starb er und ward begraben.


Der Prinzessin Svanvithe war dieses Unglück aber geschehen, weil sie sich umgesehen hatten als sie weggehen wollte, und weil sie gesprochen hatte. Denn über die Unterirdischen hat man keine Gewalt, wenn man sich umsieht oder spricht, sondern es geräth dann fast immer unglücklich; wovon man viele Beispiele und Geschichten weiß.

Und es waren viele Jahre vergangen, vielleicht hundert Jahre und mehr, und alle die Menschen waren gestorben und begraben, welche zu der Zeit des alten Königs und der schönen Svanvithe gelebt hatten, und schon ward hie und da von ihnen erzählt wie von einem alten alten längst verschollenen Mährchen; da hörte man hin und wieder, die Prinzessin lebe noch und sitze unter dem Gartzer Wall in der Schatzkammer und müsse nun mit dem alten grauen Urgroßvater die Schätze hüten helfen. Und kein Mensch weiß zu sagen, wie dies hier oben bekannt geworden ist. Vielleicht hat der kleine graue Mann, der zu Zeiten rund geht, es einem verrathen, oder es hat es auch einer der hellsichtigen Menschen gesehen, die an hohen Festtagen in besondern Stunden gebohren sind und die das Gras und das Gold in der Erde wachsen sehen und mit ihren Augen durch die dicksten Berge und Mauern dringen können. Und es war viel erschollen von dieser Geschichte und von dem wundersamen Versinken der Prinzessin unter die Erde, und daß sie in der dunkeln Kammer sitze und noch lebe und einmal erlöst werden solle. Sie kann aber, sagen sie, erlöst werden, wenn einer es wagt, aus dieselbe Weise, wie sie einst in der Johannisnacht gethan hat, in die verbotene Schatzkammer hinabzufallen. Dieser muß sich dann dreimal vor ihr verneigen, ihr einen Kuß geben, sie an die Hand fassen und und sie still herausführen; denn kein Wort darf er bei Leibe nicht sprechen. Wer sie herausbringt, der wird mit ihr in Herrlichkeit und Freuden leben und so viele Schätze haben, daß er sich ein Königreich kaufen kann. Darin wird er dann fünfzig Jahre als König auf dem Throne sitzen und sie als seine Königin neben ihm, und werden gar liebliche Kinder zeugen; der kleine graue Spuk wird dann aber auf immer verschwinden, wann sie ihm die Schätze weggehoben haben. Nun hat es wohl so kühne und verwegene Prinzen und schöne Knaben gegeben, die mit der Johannisruthe in der Hand zu ihr hinabgekommen sind; aber sie haben es immer in etwas versehen, und die Prinzessin ist noch nicht erlöst. Ja wenn das ein so leichtes Ding wäre, wie viele würden Lust haben, eine so schöne Prinzessin zu freien und Könige zu werden. Die Leute erzählen aber, der gräuliche schwarze Hund ist an allem schuld; keiner hat es mit ihm aushalten können, sondern wenn sie ihn sehen, so müssen sie aufschreien, und dann schlägt die Thüre zu und die Treppe versinkt, und alles ist wieder vorbei.

So sitzt denn die arme Svanvithe da in aller ihrer Unschuld, und muß da unten frieren und das kalte Gold hüten, und Gott weiß, wann sie erlöst werden wird. Sie sitzt da über Goldhaufen gebeugt, ihr langes Haar hängt ihr über die Schultern herab, und sie weint unaufhörlich. Schon sitzen sechs junge Gesellen um sie herum, die auch mithüten müssen. Das sind die, denen die Erlösung nicht gelungen ist. Wem es aber gelingt, der heirathet die Prinzessin und bekommt den ganzen Schatz und befreit zugleich die andern armen Gefangenen. Sie sagen, der letzte ist vor zwanzig Jahren darin versunken, ein Schuhmachergesell, der Jochim Fritz hieß. Das war ein junges schönes Blut und ging immer viel auf dem Wall spazieren. Der ist mit einem Male verschwunden und keiner hat gewußt, wo er gestoben und geflogen war, und seine Aeltern und Freunde haben ihn in der ganzen Welt suchen lassen, aber nicht gefunden! Er mag nun auch wohl da sitzen bei den andern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mährchen und Jugenderinnerungen