Abschnitt 2

2. Prinzesssin Svanvithe.


So ging es der armen Svanvithe, und der Könige ihr Vater, war einige Tage nach diesen Geschichten wie von Sinnen und wußte nicht von sich, und ihm war so zu Muthe, daß er sich hätte ein Leid anthun können von wegen seiner Tocher und von wegen des Schimpfes, den sie auf das ganze königliche Haus gebracht hatte. Und als er sich besann und wieder zu sich kam und die ganze Schande bedachte, worein er gerathen war durch seine Tochter, da ergrimmte er in seinem Herzen, und ließ die schöne Svanvithe holen und schlug sie hart und zerraufte ihr Haar, und stieß sie dann von sich, und befahl seinen Dienern, daß sie sie hinausführten in ein verborgenes Gemach, daß seine Augen sie nimmer wieder sähen. Darauf ließ er in einem mit dichten Mauern eingeschlossenen und mit dunkeln Bäumen beschatteten Garten hinter seinem Schlosse einen düstern Thurm bauen, wo weder Sonne noch Mond hinein schien da sperrte er die Prinzessin ein. Der Thurm, den er hatte bauen lassen, war aber sehr fest und dicht und hatte nur ein einziges kleines Loch in der Thüre, wodurch ein wenig Licht hineinfiel und wodurch der Prinzessin die Speise gereicht ward. Es war auch weder Bett noch Tisch oder Bank in dem traurigen Gefängniß, sondern auf harter Erde mußte die liegen, die sonst auf Sammet und Seiden geschlafen hatte, und baarfuß mußte die gehen, die sonst in goldenen Schuhen geprangt hatte. Und Svanvithe hätte sterben müssen vor Jammer, wenn sie nicht gewußt hätte, daß sie unschuldig war, und wenn sie nicht zu Gott hätte beten können. Sie war aber ein sehr junges Kind, als sie eingesperrt ward, erst sechszehn Jahre alt, schön wie eine Rose und schlank und weiß wie eine Lilie, und die Menschen die sie lieb hatten, nannten sie nicht anders als des Königs Lilienstängelein. Und dieses süße Lilienstängelein sollte so jämmerlich verwelken in der kalten und einsamen Finsterniß.


Und sie hatte wohl drei Jahre so gesessen zwischen den kalten Steinen, und auch der alte König war nicht mehr froh gewesen seit jenem Tage, als der polnische Prinz sie in die große Schande gebracht hatte, sondern sein Kopf war schneeweiß geworden vor Gram, wie der Kopf einer Taube; aber vor den Leuten gebärdete er sich stolz und aufgerichtet und that, als wenn seine Tochter todt und lange begraben wäre. Sie aber saß von der Welt ungewußt in ihrem Elende und tröstete sich allein Gottes und dachte, daß er ihre Unschuld wohl einmal an den Tag bringen würde. Weil sie aber in ihren einsamen Trauerstunden Zeit genug hatte, hin und her zu denken, so fiel ihr die Sage ein von dem Königsschatze unter dem Gartzer Walle, die sie in ihrer Kindheit oft gehört hatte, und sie gedachte damit ihre Unschuld und daß der polnische Prinz sie unter einem falschen Schein schändlich belogen hatte, sonnenklar zu beweisen. Und als darauf ihr Wächter kam und ihr die Speise durch das Loch reichte, sprach sie zu ihm: Lieber Wächter gehe zu dem Könige, meinem und deinem Herrn, und sage ihm, daß seine arme einzige Tochter ihn nur noch ein einziges Mal zu sehen und zu sprechen wünscht in ihrem Leben, und daß er ihr diese letzte Gunst nicht versagen mag.

Und der Wächter sagte ja und lief, und dachte bei sich: wenn der alte König ihre Bitte nur erhört. Denn es jammerte ihn die arme Prinzessin unaussprechlich, und sie jammerte alle Menschen; denn sie war immer sehr freundlich gewesen gegen Jedermann, auch hatten die meisten von Anfang an geglaubt, daß sie fälschlich verklagt war, und daß der polnische Prinz einen argen Lügenschein auf sie gebracht hatte: denn sie hatte sich immer aller Zucht und Jungfräulichkeit beflissen vor Jedermann.

Und als der Wächter vor den König trat und ihm die Bitte der Prinzessin anbrachte, da ward der alte Herr sehr zornig und schalt ihn und drohete ihm, ihn selbst in Thurm zu werfen, wenn er den Namen der Prinzessin vor ihm je wieder über seine Lippen laufen lasse. Und der erschrockene Wächter ging weg. Der König aber legte sich hin und schlief ein. Da soll er einen wunderbaren Traum gehabt haben, den kein Mensch zu deuten verstanden hat, und er ist früh erwacht und sehr unruhig gewesen und hat viel an seine Tochter denken müssen, bis er zuletzt befohlen hat, daß man sie aus dem Thurm heraufbrächte und vor ihn führte.

Als Svanvithe nun vor den König trat, war sie bleich und mager, auch waren ihre Kleider und Schuhe schon abgerissen, und sie stand fast nackt und baarfuß da und sah einer Bettlertochter ähnlicher, als einer Königstochter. Und der alte König ist bei ihrem Anblick blaß geworden vor Jammer wie der Kalk an der Wand, aber sonst hat er sich nichts merken lassen. Und Svanvithe hat sich vor ihm verneigt und also zu ihm gesprochen:

Mein König und Herr. Ich erscheine nur als eine arme Sünderin vor dir, als eine, die an der göttlichen Gnade und an dem Lichte des Himmels kein Recht mehr haben soll. Also hast du mich von deinem Angesicht verstoßen und von allen Lebendigen weggesperrt. Ich betheure aber vor dir und vor Gott, daß ich unschuldig leide, und daß der polnische Prinz aus eitel Tücke und Arglist all den schlimmen Schein auf mich gebracht hat. Und nun hat Gott der sich mein erbarmen will, mir einen Gedanken ins Herz gegeben, wodurch ich meine unbefleckte Jungfrauschaft beweisen und dich und mich und dein ganzes Reich zu Reichthum und Ehren bringen kann. Du weißt, es geht die Sage, unter dem alten Schloßwalle zu Gartz, wo unsere heidnischen Ahnen weiland gewohnt haben, liege ein reicher Schatz vergraben. Diese Sage, die mir in meiner Kindheit oft erzählt ist, meldet ferner, dieser Schatz könne nur von einer Prinzessin gehoben werden, die von jenen alten Königen herstamme und noch eine reine Jungfrau sey: wenn nemlich diese den Muth habe, in der Johannisnacht zwischen zwölf und ein Uhr nackt und einsam diesen Wall zu ersteigen und darauf rückwärts so lange hin und her zu treten , bis es ihr gelinge, die Stelle zu treffen, wo die Thore und Treppen verschüttet sind, die zu der Schatzkammer hinab führen. Sobald sie diese mit ihren Füßen berühre, werde es sich unter ihr öffnen und sie werde sanft heruntersinken mitten in das Gold und könne sich von den Herrlichkeiten dann auslesen, was sie wolle, und bei Sonnenaufgang wieder herausgehen. Was sie aber nicht tragen könne, werde der alte Geist, der den Schatz bewacht, nebst seinen Gehülfen nachtragen. Hierauf habe ich nun meine Hoffnung eines neuen Glückes gestellt, ob es mir etwa aufblühen wolle; laß mich denn, Herr König, mit Gott diese Probe machen. Ich bin ja doch einer Todten gleich, und ob ich hier begraben bin oder dort begraben werde, kann dir einerlei seyn.

Sie hatte die Gebärde, als wolle sie noch mehr sagen, aber bei diesen Worten stockte sie und konnte nicht mehr, sondern schluchzete und weinte bitterlich. Der König aber winkte dem Wächter leise zu, der sie herein geführt hatte, und alsbald kamen Frauen und Dienerinnen herbei und trugen sie hinaus von dem Könige weg in ein Seitengemach. Und nicht lange, so ward der Wächter wieder zu dem Könige gerufen, und er brachte ihr Speise und Trank, daß sie sich stärkte und erquickte, und zugleich die Botschaft, daß der König ihr die gebetene mitternächtliche Fahrt erlaube. Bald trugen Dienerinnen ihr ein Bad herein nebst zierlichen Kleidern, daß sie sich bedecken konnte, denn sie war fast nackend. Und sie lebte nun wieder wie in Freuden, obgleich sie ganz einsam saß und gegen niemand den Mund aufthat – auch den Dienern und Dienerinnen war das Sprechen zu ihr verboten, sie wußten auch nicht, wer sie war noch wie sie in das Schloß gekommen: denn von denen, die sie kannten, ward niemand zu ihr gelassen, denn allein der Wächter, der ihr immer die Speise gebracht hatte im Thurme. Und ihre Schöne fing wieder an aufzublühen, wie blaß und elend sie auch aus dem Thurm gekommen war; und alle, die sie sahen, entsetzten sich über ihre Huld und Lieblichkeit und sie däuchte ihnen fast einem Engel gleich, der vom Himmel in das Schloß gekommen sey.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mährchen und Jugenderinnerungen