Abschnitt 1

2. Prinzesssin Svanvithe.


Du hast wohl von der Sage gehört, daß hier bei Gartz 5), wo jetzt der Wall über dem See ist, vor vielen tausend Jahren ein großes und schönes Heidenschloß gewesen ist mit herrlichen Häusern und Kirchen, worin sie ihre Götzen gehabt und angebetet haben. Dieses Schloß haben vor langer langer Zeit die Christen eingenommen, alle Heiden todtgeschlagen und ihre Kirchen umgeworfen, und die Götzen, die darin standen, mit Feuer verbrannt; und nun ist nichts mehr übrig von all der großen Herrlichkeit als der alte Wall und einige Leuschen 6), welche die Leute sich erzählen, besonders von dem Mann mit Helm und Panzer angethan, der auf dem weissen Schimmel oft über die Stadt und den See hinreitet. Einige, die ihn nächtlich gesehen haben, erzählen, es sey der alte König des Schlosses und er habe eine güldene Krone auf. Das ist aber alles nichts. Daß es aber um Weihnachten und Johannis in der Nacht aus dem See klingt, als wenn Glocken in den Kirchen geläutet werden, das ist wahr, und viele Leute haben es gehört, und auch mein Vater. Das ist eine Kirche, die in den See versunken ist, andere sagen, es ist der alte Götzentempel. Das glaube ich aber nicht; denn was sollten die Heiden an christlichen Festtagen läuten? Aber das Klingen und Läuten im See ist dir gar nichts gegen das, was im Wall vorgeht, und davon will ich dir eine Geschichte erzählen. Da sitzt eine wunderschöne Prinzessin mit zu Felde geschlagenen Haaren und weinenden Augen, und wartet auf den, der sie erlösen soll; und dies ist eine sehr traurige Geschichte.


In jener alten Zeit, als das Gartzer Heidenschloß von den Christen belagert ward und die drinnen in großen Nöthen waren, weil sie sehr gedrängt wurden, als schon manche Thürme niedergeworfen waren und sie auch nicht recht mehr zu leben hatten und die armen Lente in der Stadt hin und wieder schon vor Hunger starben, da war drinnen ein alter eisgrauer Mann, der Vater des Königs, der auf Rügen regierte. Dieser alte Mann war so alt, daß er nicht recht mehr hören und sehen konnte, aber es war doch seine Lust, unter dem Golde und unter den Edelsteinen und Diamanten zu kramen, welche er und seine Vorfahren im Reiche gesammelt hatten, und welche tief unter der Erde in einem schönen aus eitel Marmelsteinen und Krystallen gebauten Saale verwahrt wurden.

Davon waren dort ganz große Haufen aufgeschüttet, viel größere, als die Roggen- und Gerstenhaufen, die auf deines Vaters Kornboden aufgeschüttet sind. Als nun das Schloß zu Gartz von den Christen in der Belagerung so geängstet ward und viele der tapfersten Männer und auch der König, des alten Mannes Sohn, in dem Streite auf den Wällen und vor den Thoren der Stadt erschlagen waren, da wich der Alte nicht mehr aus der marmornen Kammer, sondern lag Tag und Nacht darin, und hatte die Thüren und Treppen, die dahin führten, dicht vermauern lassen; er aber wußte noch einen kleinen heimlichen Gang, der unter der Erde weglief, viele hundert Stufen tiefer, als das Schloß, und jenseits des Seees einen Ausgang hatte, den kein Mensch wußte als er und wo er hinausschlüpfen und sich draussen bei den Menschen Speise und Trank kaufen konnte. Als nun das Schloß von den Christen erobert und zerstört ward und die Männer und Frauen im Schlosse getödtet und alle Häuser und Kirchen verbrannt wurden, daß kein Stein auf dem andern blieb, da fielen die Thürme und die Mauern über einander, und die Thüre zu der Goldkammer ward gar verschüttet, auch blieb kein Mensch lebendig, der wußte, wo der todte König seine Schätze gehabt hatte. Der alte König aber saß drunten bei seinen Haufen Goldes und hatte seinen heimlichen verborgenen Gang offen, und hat noch viele hundert Jahre gelebt, nachdem das Schloß zerstört war; denn sie sagen, die Menschen, welche sich zu sehr an Silber und Gold hängen, können vom Leben nicht erlöst werden und sterben nicht, wenn sie Gott auch noch so sehr um den Tod bitten. So lebte der alte eisgraue Mann noch viele viele Jahre und mußte sein Gold bewachen, bis er ganz dürr und trocken ward wie ein Todtengerippe. Da ist er denn endlich gestorben und auch zur Strafe verwandelt worden, und muß nun als ein schwarzer magerer Hund unter den Goldhaufen liegen und sie bewachen, wenn einer kommt und den Schatz holen will. Des Nachts aber zwischen zwölf und ein Uhr, wann die Gespensterstunde ist, muß er noch immer rund gehen, als ein altes graues Männlein, mit einer schwarzen Pudelmütze auf dem Kopf und einem weißen Stock in der Hand. So haben die Leute ihn oft gesehen im Gartzer Holze am Wege nach Poseritz; auch geht er zuweilen um den Kirchhof herum. Denn da sollen vor Alters Heidengräber gewesen seyn, und die Heiden haben immer viel Silber und Gold mit sich in die Erde genommen. Das will er holen, darum schleicht er dort, kann es aber nicht kriegen, denn er darf die geweihte Erde nicht berühren. Das ist aber seine Strafe, daß er so rundlaufen muß, wann andere Leute in den Betten und Gräbern schlafen, weil er so geitzig gewesen ist.

Nun begab es sich lange nach diesen Tagen, daß in Bergen ein König von Rügen wohnte, der hatte eine wunderschöne Tochter, die hieß Svanvithe; und sie war die schönste Prinzessin weit und breit, und es kamen Könige und Fürsten und Prinzen aus allen Landen, die um die schöne Prinzessin warben. Und der König, ihr Herr Vater, wußte sich kaum zu lassen vor allen den Freiern, und hatte zuletzt nicht Häuser genug, daß er die Fremden herbergte, noch Ställe, wohin sie und ihre Knappen und Staller ihre Pferde zögen, auch gebrach es fast an Hafer im Lande und an Raum für alle die Kutscher und Diener, die mit ihnen kamen, und war Rügen so voll Menschen, als es nie gewesen seit jenen Tagen. Und der König wäre froh gewesen, wenn die Prinzessin sich einen Mann genommen hätte und die übrigen Freier weggereist wären. Das läßt sich aber bei den Königen nicht so leicht machen, als bei andern Leuten; und muß da alles mit vieler Zierlichkeit und Langsamkeit hergehen. Die Prinzessin, nachdem sie wohl ein ganzes halbes Jahr in ihrer einsamen Kammer geblieben war und keinen Menschen gesehen, auch kein Sterbenswort gesagt hatte, fand endlich einen Prinzen, der ihr wohlgefiel und den sie gern zum Mann haben wollte, und der Prinz gefiel auch dem alten Könige, daß er ihn gern als Eidam wollte. Und sie hatten einander Ringe geschenkt und war große Freude im ganzen Lande, daß die schöne Svanvithe Hochzeit halten sollte, und hatten alle Schneider und Schuster die Fülle zu thun, die schönen Kleider und Schuhe zu machen, die zur Hochzeit getragen werden sollten. Der verlobte Prinz aber und Svanvithens Bräutigam hieß Herr Peter von Dänemarken, und war ein über die Maaßen feiner und stattlicher Mann, daß seines Gleichen wenige gesehen wurden.

Da, als alles in lieblicher Hoffnung und Liebe grünete und blühete und die ganze Insel in Freuden stand und nur noch ein paar Tage bis zur Hochzeit waren, kam der Teufel und säete sein Unkraut aus, und die Luft ward in Traurigkeit verwandelt. Es war nämlich allda an des Königs Hofe auch ein Prinz aus Polen, ein hinterlistiger und schlechter Herr, sonst schön und ritterlich an Gestalt und Gebärde. Dieser hatte manches Jahr um die Prinzessin gefreit und sie geplagt Tag und Nacht; sie hatte aber immer nein gesagt, denn sie mogte ihn nicht leiden. Als dieser polnische Prinz nun sah, daß es wirklich eine Hochzeit werden sollte, und daß Herr Peter von Dänemarken zum Treuliebsten der schönen Svanvithe erkohren war, sann er in seinem bösen Herzen auf arge Tücke und wußte es durch seine Künste so zu stellen, dass der König und alle Menschen glaubten, Svanvithe sey keine züchtige Prinzessin und habe manche Nächte bei dem polnischen Prinzen geschlafen. Das glaubte auch Herr Peter, und reiste plötzlich weg; und der polnische Prinz war zuerst weggereist, und alle Könige und Prinzen reisten weg. Und das Schloß des Königs in Bergen stand wüst und leer da, und alle Freude war mit weggezogen und alle Geiger und Pfeifer und alles Saitenspiel, die sich auf Turniere und Feste gerüstet hatten. Und die Schande der armen Prinzessin klang über das ganze Land, ja in Schweden und Dänemark und Polen hörten sie es, wie die Hochzeit sich zerschlagen hatte. Sie aber war gewiß unschuldig und rein wie ein Kind, das aus Mutterleibe kommt, und war es nichts als die gräuliche Bosheit des verruchten polnischen Prinzen, den sie als Freier verschmäht hatte.




5) Kleines Städtchen in Rügen.
6) Hübsches Wort für Mährchen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mährchen und Jugenderinnerungen