Einleitung. Verhältnisse Deutschlands und der übrigen Länder beim Entstehen der Reformation. Wesen des Papstes. Klerus.

Es gibt Erscheinungen in der Geschichte, die, wenn man sie in entfernten Zeiten ins Auge fasst, noch vielmehr, wie in den Augenblicken wo sie Statt fanden, in einem Nu geschaffen zu sein scheinen. Je größer solche Erscheinungen sind, desto mehr ist dies gewöhnlich der Fall. Wir erinnern nur an die großen Begebenheiten unserer Lage. Wer die Verhältnisse, die den Jahren 1789 und 1813 voraus gingen, nicht recht genau ins Auge fasst, kann schon jetzt leicht verleitet werden, etwas wunderbares darin zu wähnen, noch vielmehr ist dies aber wohl der Fall bei der Begebenheit, die den Gegenstand dieser Blätter machen soll. Die Reformation ist eine der größten Erscheinungen, die nur je die Geschichte aufweisen kann, eigentümlich in ihrem Ursprunge, eigentümlich in ihrem Fortgange, eigentümlich in ihren Folgen. So wie die Sachen dem, der nicht genauer über den Ursprung nachdenkt, nachforscht, erscheinen, so kann er nicht umhin, er muss glauben, sie sei zufällig einzig und allein durch Luthern und seine wenigen Freunde bewirkt worden, und denkt er nun daran, dass Luther wenig mehr, als ein armer Bettelmönch war, dass sein Angriff gegen den Papst zunächst wenig mehr, als ein Mückenstich erscheint; dass dem ohngeachtet ein von ihm gar nicht so berechneter Schritt gegen seinen andern Bettelmönch ganz Deutschland in Flammen setzte, so kommt, ihm die Reformation als ein von dem Himmel unmittelbar geleitetes, begünstigtes Phänomen vor, besonders wenn er an die Versuche denkt, welche frühere Lehrer, ein Wiklef*), ein Huss**) und Hieronymus***) wagten, die Torheiten und Missbräuche ihrer Zeitgenossen in kirchlicher Hinsicht zu verdrängen; wenn er an den Bannstrahl des römischen Stuhles denkt, der die Mächtigsten deutschen Kaiser und die Monarchen aller Länder Europas so oft getroffen hatte; der noch zu Luthers Zeit jeden Fürsten bedrohte, welcher St. Peters Stuhl nicht gehörig verehrte; wenn er endlich selbst den politischen Zustand von Europa überhaupt ins Auge fasst, welcher gerade Statt fand, als Luther, von seiner Zelle aus, einen Sturm erregte, der ganz Deutschland und Europa in eine andere Lage brachte.

*) Wycliffe John (J. Wiclif, J. Wyclif), (circa 1330-1384), englischer Philosoph, Theologe und Kirchenreformer, sprach sich gegen die weltliche Macht der Kirche aus, lehnte die Beichte, Zölibat des Klerus, Gottesdienst, Heilige und Reliquien ab.


**) Jan Hus (um 1369-1415) auch Johannes Huss genannt, war ein christlicher Theologe, Prediger und Reformator. Er war zeitweise Rektor der Karls-Universität Prag und starb während des Konzils von Konstanz, als er seine Lehre nicht widerrufen wollte, den Feuertod.

***) Sophronius Eusebius Hieronymus (347-420) war Kirchenvater, Heiliger, Gelehrter und Theologe der alten Kirche. Er gehört in der katholischen Kirche zusammen mit Ambrosius von Mailand, Augustinus und Papst Gregor I. zu den vier spätantiken Kirchenlehrern des Abendlandes. Gedenktag ist der 30. September.


In Deutschland herrschte, als Luther auftrat, Tetzeln und seine Beschützer zu bekriegen, Maximilian der Erste als deutscher Kaiser; ein Mann, ders ich um unser gemeinschaftliches Vaterland ein sehr großes Verdienst dadurch erwarb, dass er der Idee des Rechts von der Gewalt ein überwiegendes Ansehen verschaffte; dass er, um die erstere zu verwirklichen, den Landfrieden einführte, und das Reichskammergericht zu Worms (1495) gründete, vor welchem alle Streitigkeiten der Fürsten unter sich, wie mit ihren Untertanen, angebracht, untersucht, entschieden werden sollten. Allerdings fand er dabei eine Menge Schwierigkeiten. Die deutschen Fürsten und Ritter waren keineswegs geneigt, sich von Gelehrten über das belehren zu lassen, was Rechtens sei. Gewohnt ihre Streitigkeiten mit den Waffen in der Hand unter einander auszumachen, dauerte es ungemein lange, ehe es möglich war, sie ganz davon abzubringen und sich dem langweiligen pedantischen Verfahren, der Doktoren des Rechts hinzugeben, die überdies oft in üblem Rufe wegen ihrer Gewinnsucht und Verdrehung des Rechts standen.*) Es fehlte daher auch noch lange Zeit nicht an blutigen Auftritten, als der Landfrieden geschlossen war, und Götz von Berlichingens Geschichte dürfte den meisten Lesern zu bekannt sein, als dass sie weitläufig zur Bestätigung dieser Angabe hier eingeschaltet werden dürfte. Im Gegenteile bemerken wir sogleich vorläufig, dass auch andere mächtige Ritter auf eine gleiche Weise bereit waren, bereit blieben, was ihnen recht dünkte, ohne Rücksicht auf diesen Landfrieden mit ihrem Schwerte zu verteidigen, ja dass noch lange nach seiner Bekanntmachung die meisten nach, wie vor, in ihren Burgen misstrauisch und furchtsam ihre Nachbarn beobachteten. Hutten macht von dem Leben auf denselben eine Schilderung, die mit dem, was unsere Ritterromane der Phantasie vorgaukeln, in dem grellsten Kontraste steht. „Man kann, sagt er unter andern, nicht zwei Schritte außerhalb seiner Mauern gehen, ohne vom Kopfe bis zum Fuße gepanzert zu sein und einen Überfall fürchten zu müssen.“ Es ging dieser Raufsinn noch lange nach dun Frieden Maximilians sogar noch soweit, dass Reuchlin nur durch ihn, der den tapfern, mächtigen Franz von Sickingen belebte, gegen die mächtigen Dominikaner geschützt , vor ihrer Verfolgung gerettet wurde, und dass die Reformation wie weiterhin gezeigt werden wird, dadurch mehr gewann, als wir uns jetzt wohl davon vorstellen können.

*) Sie suchen, sagt Hutten, beständig das Recht und finden es nie, weil sie die Gesetze wie weiches Wachs drehen, bis das Unrecht Recht und das Recht Unrecht wird. Also war gleich im Anfange die Klage, die es Niemand bedauern lief, als es 1806 aufgeboben ward.

Nichts destoweniger ward durch diesen Landfrieden, durch den damit zusammenhängenden Rechtsgang wenigstens der Grund zur Ruhe in Deutschland gelegt, und die Folge davon war, dass der Handel, die Wissenschaften mit jedem Augenblicke festern Fuß fassen und so die Aufklärung immer mehr Fortschritte machen konnten, die bereits durch die Buchdruckerkunst volle hundert Jahre vorher nach der Barbarei des Mittelalters festen Fuß gefasst hatte. Wie weit diese Fortschritte gegangen waren, worin sie selbst bestanden haben werden wir sogleich sehen, wenn wir erst mit flüchtigen Blicken die andern europäischen Staaten durchwandelt haben.

Die Niederlande hingen noch durch ein sehr loses Band mit Deutschland selbst in so fern zusammen, als der Kaiser Maximilian, wie er noch Herzog von Österreich war, sich mit der Herrscherin von Burgund vermählte und sie dem Hause Österreich selbst einverleibte. Sie gehörten zu dm reichsten, blühendsten Provinzen Europas. Nirgends waren Fabriken und Manufakturen, besonders in Flachs und Schafwolle zu solcher Vollkommenheit gebracht, nirgends fanden solche Handelsverbindungen Statt, als dort. Selbst London macht jetzt vielleicht kaum die Geschäfte, welche damals Antwerpen trieb. Man rechnete, dass täglich vierzig Schiffe in seinen Hafen einliefen. Was jetzt die Engländer geworden sind, das waren damals die Niederländer. Namentlich trat ihr Freiheitssinn, ihr Trotz, ihr Stolz auf alte Privilegien, auf landständische Vertretung, ihr Hass gegen allen Despotismus um so mehr hervor, da sich hier der Bürgerstand bereits mehr, als in irgend einem andern Lande entwickelt hatte, und es damals noch schien, als ob jeder Landstand, nur im und vom Adel gebildet werden könne.

Auch Italien hing noch mit einem losen Faden an Deutschland. Der römische Kaisertitel war nur ein leerer Schall. Die Italiener waren seit 300 Jahren den deutschen Kaisern entwachsen und der Papst hatte eher einen Schein von Oberherrschaft über sie, in wie fern sie sich immer noch, um den Titel eines römischen Kaisers zu erhalten, in Rom krönen lassen mussten. Unter allen Fürsten in Ialien waren die Herrscher von diesem, vom Kirchenstaate, — die Päpste also, gerade die mächtigsten, sowohl in Verhältnis ihres politischen Gewichts zu dem der übrigen Staaten, als auch namentlich dadurch, dass die ganze Kraft der Kirche in ihrer Person vereint war. Wer in Italien festem Fuß fassen, behaupten wollte, musste ihrer Freundschaft versichert sein. Wer außer Italien etwas unternahm, musste wenigstens dafür sorgen, dass es auch nicht entfernter weise diesem Fürsten missfällig, nachteilig sein könne, widrigenfalls würde dieser ihm stets soviel Hindernisse durch seinen Einfluss erweckt haben, dass er schwerlich zu einem glücklichen Resultate hatte gelangen können. Für Deutschland war vorzüglich das Herzogtum Mayland in Italien ein Streitapfel, da es als Reichslehen den uralten Streitigkeiten immer neue Nahrung gab.

Die Schweiz hatte sich von Deutschland ebenfalls losgerissen, Österreich, Deutschland, hatte dieses zwar noch keines weges anerkannt, allein, eine Menge Versuche, sie in das alte Verhältnis zurückzubringen, waren Bürge dafür geworden, dass die schweizerische Tapferkeit jedem Angrifft gewachsen sei. Man bemühte sich überall, die tapferen Hirten als Fußvolk, in Sold zu nehmen, und sie entschieden namentlich in Italien gar oft das Geschick der Schlachten, der einzelnen Staaten, bis sie durch Franz I. in der großen Schlacht bei Marignano zum ersten mal erfuhren, dass auch ihnen das Kriegsglück abhold werden könne. Die nur aus gegenseitigen Schutz und Unterstützung hinauslaufende Verbindung der einzelnen Kantone hatte übrigens in der Schweiz selbst einige den Deutschen bereits zu Teil gewordene Früchte erzeugt, wovon wir weiterhin zu sprechen Gelegenheit finden werden.

Frankreich war damals mit Italien beschäftigt. Franz I., der hier regierte, war Herr von Genua, von Mayland geworden, nachdem er dort durch Kabalen, hier durch eine der blutigsten Schlachten, gesiegt hatte, und sein Ehrgeiz, seine Tapferkeit, begünstigt durch die Neigung seines Volkes, sich geltend zu machen, bereitete bereits die Kämpfe vor, die bald nach Luthers Auftreten auf der einen Seite Europas, wenigstens Deutschland, Spanien und Italien erschüttern sollten, andernteils aber gerade einer der mächtigsten Hebel wurden, das Reformationswerk zu krönen, wenigstens zu fördern. Karl bestieg den spanischen Thron 1516, den mächtigsten, der damals in Europa da stand. Ferdinand der Katholische, der ganz Spanien vereinte, die letzten Maurischen Stamme in Granada besiegte, war ihm von mütterlicher Seite Großvater und starb, als der junge Erzherzog erst 16 Jahre alt, und doch nun schon Herr von Spanien, von den Niederlanden, von Italien, von Sizilien und allem war, was Columbus in Amerika entdeckt hatte, weit Ferdinand keine direkte Nachkommenschaft hinterließ, und der Cardinal Ximenez in Spanien für ihn vorzüglich gearbeitet hatte. Für Deutschland war vor Karls Auftreten Spanien selbst zu sehr entlegen, um schon damals so wichtig zu sein, wie es bald nachher in so fern wurde, als nun Karl selbst auch unter dem Namen Karl V. sein Kaiser ward. Noch vielmehr galt dies von Portugal, das damals auf dem Gipfel seltener Größe stand, die ihm nie wieder werden wird, und von England, von den nordischen und östlichen Staaten Europas, die teils noch sehr weit zurück in ihrer Kultur waren, teils zu entfernt lagen, um bei den damals noch sehr beschränkten, zum Teil erst gebildeten Mitteln, die allgemeine Kommunikation zu befördern, mehr als zum Teil kaum dem Namen nach bekannt zu sein.

In allen diesen Ländern und Staaten war, mit Ausnahme des fast gar nicht beachteten Russlands eine Religion, ein Gott, ein persönlicher Stellvertreter desselben, der in einem verhältnismäßig politisch-wichtigen Staate, herrschend durch die Gewalt der Idee, der geheiligten Religionsidee mächtiger als irgend ein anderer Fürst dastand, und von hundert tausend ihm durch die heiligsten Eide verpflichteten Dienern, Priestern, Mönchen, Bischöfen unterstützt, über alle eine geistliche Oberherrschaft führte, gegen welche von Zeit zu Zeit die Fürsten meist zu ihrem größten Nachteile angekämpft hatten. Ein mächtiges Kaisergschlecht hatte ihm unterliegen müssen, ihm, dem der Glaube die Macht der Kirche gegeben hatte, vor dem als Oberhaupt der Kirche, sich alles beugen musste, weil, wie man damals von Rom aus publizierte und täglich lehrte, in der Welt nur zwei Gewalten seien, die geistliche und die weltliche, weil jene die Sonne, diese der Mond sei, welche dieser sich vor der Sonne beugen müsse, weil die Welt der Religion, Gott, seinem Statthalter, Stellvertreter zu gehorchen verbunden sei. Kein Fürst wagte mehr, als Bitten, als Vorstellungen, um den Beschränkungen, Befehlen und Verordnungen, die von Rom aus ergingen, entgegenzutreten, wenn sie ihm zu drückend schienen; unmittelbar dagegen und mit Gewalt sie zu, unterdrücken, hatte er sich nie unterstanden, da im jedem Staate an sich ein anderer Staat, die Geistlichkeit war, welcher der weltlichen Herrschaft durchaus nicht unterworfen war, von den Fürsten keine Befehle annahm, unmittelbar seine Befehle von Rom empfing, Herr des Volkes durch das Interdikt jeden Augenblick werden konnte; ein Verhältnis, das noch dadurch gefährlicher wurde, dass die mächtigen Vasallen in jedem Lande mit ihren, Fürsten in zu lockern Verhältnissen standen, um nicht bei ernstlichen Streiten derselben mit dem päpstlichen Stuhle, von ihrem Gehorsam alsdann entbunden, denselben an ersten zu stürzen, sich selbst aber mächtiger zu machen geneigt zu sein. So war Heinrich IV. gefallen, so hatten die Hohenstaufen, so hatten Frankreichs, Englands Könige nachgeben müssen.

In der Tat hatten daher zwar viele Fürsten das Drückende dieser geistlichen Herrschaft seit vollen fünfhundert Jahren zu entfernen versucht, aber immer waren sie nicht nur immer gescheitert, sondern es hatte sich auch die päpstliche Macht nur allemal selbst in solchem Kampfe gemehrt, verstärkt, und es schien, als ob zu der Zeit, von welcher hier die Rede ist, kaum eine Verbindung von allen europäischen Fürsten zusammen eine der Hoheit des römischen Stuhls entgegengesetzte Änderung zu bewirken im Stande sei. Ein Fürst war der Papst, der nur über Rom und einen bedeutenden Teil des mittleren Italiens herrschte; der unter allen europäischen Fürsten aber den ersten Rang durch die Glorie behauptete, mit welcher die Religion sein Haupt umgab; der durch die daraus entsprungene politische Stellung ein Gegenstand der Furcht hier, der Verehrung dort war, der jedem Fürsten nützlich, jedem aber auch gefährlich werden konnte; der über alle Christen Europas, daher also über die Untertanen aller andern Fürsten als Bewahrer und Inhaber und Spender der geistlichen Wohltaten, als Ausleger der Glaubenslehren und Geheimnisse, als der Mann, der Sünden jeder Art vergeben, und über die Schicksale in einer andern Welt sogar verfügen konnte, durch Hunderttausende ihm durch Eid und Pflicht und Furcht und Hoffnung zugetanen Diener unmittelbaren Einfluss ausübte, und in allen Ländern an der Regierung so viel Anteil nehmen konnte, als er selbst wollte.

Ein solcher Mann — konnte der wohl etwas von einem Fürsten fürchten, da ohne dies die meisten sich durch nichts so sehr geschmeichelt fühlten, als durch einen Beinamen, der ihr genaueres Verhältnis zum römischen Stuhle, ihre Abhängigkeit von diesem, unter dem Bilde des Religionseifers bezeichnete? Es ist das einzige Beispiel von einer Universalmonarchie, die nicht den Namen führte, und es doch war, so weit her Begriff einer solchen verwirklicht werden kann. Eine den Fürsten und Völkern unsichtbare Macht waltete über sie alle, besonders unterstützte der höhere Klerus dieselbe, da er in den Personen seiner Bischöfe und Erzbischöfe auf allen Land- und Reichstagen und bei allen Repräsentationen die wichtigste Rolle spielte, und im Besitz der herrlichsten wie der größten Ländereien, mit seiner Stimme alles durchsetzte oder verhinderte was seinem Zwecke gemäß oder nicht gemäß war, sein Zweck aber immer nur auf Verherrlichung, Vergrößerung der kirchlichen Macht, mithin des Papstes, in dem sie zusammenfloss und repräsentiert war, hinauslaufen musste.

Der niedere Klerus zeichnete sich durch Unwissenheit auf der einen Seite, durch Ausschweifungen und Wohlstand auf der andern aus. Die Zahl der Mönche allein betrug ohne Übertreibung in den europäischen Klöstern gegen, vielleicht über hunderttausend und alle standen unmittelbar unter dem Schutze, wie unter dem Gebote des Pabstes, tausendvon ihnen waren, statt der ersten Bestimmung getreu zu bleiben, statt ungelehrte Laien zu seien und in gemeinschaftlicher Trennung von andern Menschen nach einer, gewissen strengen Regel zu leben, faule Bäuche und schwelgerische Müßiggänger und ganz ihrer ursprünglichen Stiftung entgegen, in Lehrer der Religion umgewandelt. In den Städten wahren ihre Klöster oder in den herrlichsten Gefilden, und Pracht, Wohlleben, Wollust sogar, so bekannt, wie kaum an den Höfen der Fürsten. Die sonst so demütigen Vorsteher derselben, die Äbte, waren reiche Landeigentümer, selbst Fürsten geworden. Am unwissendsten waren die Bettelmönche; sie, die sich das Ansehen gaben, als blieben sie dem Gelübde der Armut am getreuesten, ob sie schon in der Einfalt der niederen Volksklassen tausend Gelegenheit fanden, daheim mit Freuden zu verzehren, was sie mit leeren Worten und nichtssagenden Zeremonien zusammengetragen hatten. Es ist unglaublkh, welche Masse von Müßigängern ernährt werden musste, denen allen die Religion Ehre, Wohlstand und angenehmes üppiges Leben ohne alles Verdienst und Würdigkeit gab. Sachsen allein, wie es vor der Teilung dastand, und die herzogl. sächs. Länder dazugerechnet, hatte drei Bistümer, in Meißen, Merseburg und Zeitz-Naumburg, deren Inhaber nicht allein in kirchlichen Angelegenheiten völlig unabhängig waren, sondern auch mehrere Städte eigentümlich besaßen. Die geistlichen Ritterorden hatten mehr als zwanzig Komtureien inne. Mehr als hundertfünfzig Klöster wurden von beiderlei Geschlecht bewohnt. Außer diesem zahllosen Heere von Geistlichen höheren und niederen Standes gab es nun noch ein eben so zahlreiches von Weltlichen, die mit Ausnahme der einzigen Ordensregeln durch dieselben Gelübde, Pflichten und Eide dem obersten Statthalter der Christenheit verpflichtet waren. Und bei dem geringen Vorteile, den ihre Stellen boten, den regulierten Klerus der Mönche an Unwissenheit beinahe noch nachstanden.

So war das Verhältnis der kirchlichen, sogenannten christlichen Religion, in Hinsicht ihres obersten Priesters und seiner Gehilfen, seiner Diener und von ihm bestellten Lehrer. Mit dem, was Christus und seine Apostel vorgetragen, gelehrt, geboten hatte, hatte das nach und nach aufgerichtete dogmatische Lehrgebäude gar keine Ähnlichkeit. Die Quelle der christlichen Religion, die Bibel, war in der Ursprache selbst diesen Tausenden meistenteils selbst ganz unverständlich, sie kam vielen gar nicht in die Hände, da ihnen allen vorgeschrieben war, was sie vortragen, lehren sollten, und der ganze Gottesdienst in einer dem Laien fremden Sprache, der lateinischen, gehalten wurde, zu einem bloßen Zeremonialdienst gewandelt worden war. Was Kirchenvater, Konzilien, Päpste festgesetzt hatten, was jeder Papst nach und nach festzusetzen für gut befunden hatte, oder noch für gut befinden wollte, das galt. Vieles war rein menschliche Satzung, die der Vernunft einen damals freilich nicht gefühlten Glaubenszwang auflegte, und selbst im neuen Testament keinen Grund fand oder den dort mitgeteilten Lehren von Jesu geradezu widersprach. Auf der einen Seite waren nach und nach die Lehre von Dreieinigkeit, der Erbsünde, dem Sündenfalle von Adam, von der Bereinigung beider Naturen in Christo, und wie die Dogmen alle heißen, die auch unter uns noch ihre warmen Verteidiger finden, als unumstößliche Glaubenslehren aufgestellt worden, wofür sich jedoch noch allenfalls wenigstens Beweise aus der Schrift — drechseln ließen, auf der anderen aber hatte man auch das Sammeln der Reliquien von Heiligen, das Beten zu denselben, besonders zu der Jungfrau Maria, das Wallfahrten zu Ihren Gräbern und Bildern, das Beten des Rosenkranzes, die Heiligkeit des Mönchslebens, und die Vergebung der Sünde, einzig und allein durch die Macht der Kirche zu solchen wichtigen Glaubensstücken gemacht, dass man der ruchloseste Sünder sein und doch nicht allein die Hoffnung haben konnte, in einer Mönchskutte selig zu sterben, sondern auch während des Lebens durch diese oder jene Büßung, dieses, oder jenes Gelübde, und in jedem Falle durch den Ablass aller kirchlichen wie aller zukünftigen Strafen in einer anderen Wett ledig zu werden.