Luthers Mönchsleben. 1505 — 1508.

Jetzt erst, nachdem Luther die Magisterwürde erlangt hatte, wandte er sich auf den Rat seiner Freunde und vermutlich auch auf Andringen seines Vaters mit Ernst und Eifer der Rechtswissenschaft zu. Er kaufte sich das Corpus juris, das damals bei der Seltenheit der Bücher noch sehr treuer war, und begann, wie es Vorschrift war, mit dem Studium des canonischen oder Kirchenrechts. Dasselbe hatte sich im Laufe eines Jahrtausends allmählich entwickelt und im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts diejenige Form erhalten, in der es zu Luthers Zeit vorhanden war. Neben vielen echt christlichen Bestimmungen und Gesetzen enthält es auch eine Menge von Behauptungen und Vorschriften, die ganz und gar als Menschenwerk bezeichnet werden müssen. Das hierarchische System hatte darin seinen vollen Ausdruck gefunden, und die Anmaßungen der Päpste und aller geistlichen Macht über die weltliche war in demselben gleichsam gesetzlich begründet worden. Obwohl Luther hiervon zunächst keine Ahnung hatte, da es vielmehr die in ihm vorherrschende kirchliche Richtung bestätigen und bestärken musste, so widerstand es doch seiner innersten Natur, und er konnte ihm bei allem guten Willen, den er mitbrachte, keinen Geschmack abgewinnen. Der fremdländische Ursprung trat ihm hier schroffer und verletzender entgegen, als auf dem Gebiete der Religion, auf dem ihn die Ehrfurcht vor Gott, die sein ganzes Innere erfüllte, von jeder Kritik zurückhielt.

Nach seinen späteren Äußerungen müssen wir annehmen, dass er schon damals eine Ahnung davon hatte, wenn es ihm auch keineswegs zum Bewusstsein erwuchs, dass er es hier mir einem künstlichen, ganz durch den Verstand erbauten System spitzfindiger Auseinandersetzungen zu tun hatte.


Als merkwürdiges Beispiel römischer Schriftauslegung zur Begründung menschlicher Anmaßung mögen folgende Worte Luthers angeführt werden: „Die Papisten haben auch den tröstlichen Spruch: Der heilige Geist, welchen der Vater senden wird in meinem Namen, wird euch Alles lehren, jämmerlich und schändlich zerrissen und eben damit genommen, was Christus gibt. Denn also haben sie ihn aufgelegt: Christus sagt, dass der heilige Geist bei der christlichen Kirche sei, und sie Alles lehre, das ist recht und wahr. Darum folgt, was die christliche Kirche schleußt, das tut der heilige Geist. Nun hat die Kirche beschlossen, dass die Layen nur eine Gestalt des Sakraments sollen empfahen; item, dass man auf bestimmte Tage und Zeit nicht soll Fleisch essen; item sie hat bestätigt die geistlichen Orden und Klostergelübde, Fegfeuer und Seelenmessen, Wallfahrt und Heiligendienst u. s. f., darum soll man bei der Seelen Seligkeit solches halten und gehorsam sein. Und wer nicht dem Papste und Bischöfen gehorsam ist, der ist der christlichen Kirche nicht gehorsam; wer aber der Kirche nicht gehorchet, der ist dem heiligen Geist ungehorsam. Also haben sie mit solchem Geschrei die Einfältigen betrogen und alle Welt eingetrieben und in ihren Zwang bracht, dass niemand hat dürfen dawider mucken.“

In der Erfurter Zeit findet sich nun zwar nicht die leiseste Spur solchen Verständnisses, sondern das römische Rechtsbuch erscheint ihm vielmehr als der gesetzliche Ausdruck dessen, was seine kirchliche Richtung ihn ohnehin als wahr anzunehmen nötigte; indessen konnte er das Gefühl des Widerwillens, das ihn gegen die Beschäftigung damit erfüllte, doch nicht überwinden. Er war sich aber auf das Bestimmteste bewusst, dass sein Vater, der ihn mit so vieler Aufopferung auf der Hochschule erhalten, niemals seine Einwilligung zu einem Wechsel seines Fachstudiums geben und dass er es am wenigsten gern sehen würde, wenn er sich der Theologie widme, wozu er doch allein vom Geiste getrieben wurde. Diese Betrachtung versetzte ihn in einen Zustand innerer Zerrissenheit und Unfriedens, aus dem er sich zuletzt nur durch einen Gewaltschritt retten konnte. Wenn er nämlich ins Kloster ging und Mönch wurde, so ward damit jeder Zusammenhang zwischen ihm und der Welt aufgehoben. Er war dann nur noch Gott verpflichtet und nur Gott Gehorsam schuldig.

Eins aber ist vor allem Andern nicht zu vergessen. Luther war von tiefem deutschen Ernste und von einem brennenden Verlangen erfüllt, ein frommer Mensch zu werden, ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen und seine Seele zu retten. — Dieses Ziel kann der Mensch nur erreichen, wenn er der Welt entsagt, und das hieß nach der kirchlichen Anschauungsweise jener Zeit, der sich auch Luther gänzlich ergeben hatte, ins Kloster gehen. Es beruht diese Anschauungsweise auf der Veräußerlichung des Christentums, wie wir dieselbe noch heute beim Katholizismus finden, und wie sie auch teilweise noch in der evangelischen Kirche herrschend ist. Der Welt entsagen heißt im Sinne des Heilands auf die weltlichen Bestrebungen in so weit verzichten, als sie mit der Liebe Gottes unverträglich sind. Wir sollen also nicht eigensüchtige Zwecke verfolgen, nicht nach Rang, Ehre, Einfluss, Vermögen und dergleichen streben, sondern wir sollen in unserm Fühlen, Denken und Tun nur Gott und seinen Willen vor Augen haben. Das ganze Leben des Menschen soll ein großer, ununterbrochener Gottesdienst sein, und dieser Dienst soll sich ebenso bei unseren Freuden wie bei unseren Leiden, bei unserer Ruhe wie bei unserer Arbeit betätigen. Wir sollen im Glauben leben, das heißt aber nicht etwa, wir sollen dies oder das glauben, sondern wir sollen in unmittelbarem, lebendigen Verkehr mit Gott stehen, wir sollen fortdauernd Gott in unserem Gemüte gegenwärtig fühlen und von seinem Geiste getrieben werden. Goethe sagt mit evangelischem Rechte: Es kommt mehr darauf an, dass wir glauben, als was wir glauben. Luther nun, der den echten lebendigen Glauben schon damals hatte, konnte doch nur das glauben, was ihm zu glauben gegeben war, dass nämlich die Weltentsagung, wozu sein lebendiger Glaube ihn trieb, darin bestehe, aus der Welt, d. h. dem bürgerlichen Leben, äußerlich auszuscheiden und in der Einsamkeit der Klostermauern Gott in Heiligkeit zu dienen. Er wollte das Gelübde der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams ablegen, weil er darin ein Werk sah, das Gott vor allen andern wohlgefällig sein müsse. Er konnte bei seiner kirchlichen Richtung nicht einsehen, dass dieses Gelübde unchristlich sei. Aber der Mensch soll nicht arm, soll nicht ehelos, soll nicht gehorsam sein wollen. Armut und Reichtum sind Gaben Gottes, nach denen der Mensch nicht zu streben, aber die er auch ebenso wenig zu verschmähen hat. Mit der Ehelosigkeit verhält es sich ungefähr auf gleiche Weise. Der eheliche Stand ist ein in der Ordnung der Welt begründeter und daher Gott wohlgefälliger: wem aber der innere Beruf dazu fehlt, oder wem die äußeren Bedingungen dazu nicht gegeben sind, der kann ebenso im rechten Glauben auch ehelos bleiben. Vor Allem ist aber das Gelübde des widerspruchslosen, unbedingten Gehorsams verwerflich; denn der Gehorsam gegen Menschen, die Oberen, von denen hier nur die Rede ist, hebt den Gehorsam gegen Gott auf. Wir sollen Gott dienen und ihm allein gehorsam sein, das ist die Lehre des Evangeliums. Wenn Luther aber diese Gelübde leistete, so war das auf seinem Standpunkte eine ebenso große und ruhmwürdige Tat, wie es später groß und ruhmwürdig an ihm war, dass er der ganzen geistlichen und weltlichen Macht des Papstes und Kaisers entgegentrat, um dem Gott zu dienen, den er in sich walten und drängen fühlte. Ja man kann sagen, er habe erst durch das ungeheure Opfer, das er Gott durch seinen Eintritt ins Kloster gebracht, die Befähigung erlangt, als Held und Ritter wider das Papsttum aufzutreten.

Man hat bei der Beurteilung aller Begebenheiten immer ihren Grund und ihre Veranlassung zu unterscheiden. Der Grund ist das innere Wesen der Sache, so hier die leibliche und geistige Disposition Luthers zum Klosterleben: die Veranlassung, wovon in der Regel mehrere anzuführen sind, bietet die äußere Welt, das Reich der Zufälligkeiten, wie man sagt, dar.

Für Luther waren solche äußeren Antriebe zur Entsagung von der Welt der Widerwille, den ihm das Studium der Rechtsgelehrsamkeit einflößte, und außerdem folgende zwei Begebenheiten. Es wurde nämlich in seiner Gegenwart sein Freund Alexius getötet, was ihm einen tiefen Eindruck gemacht hat. Dann, wird erzählt, befand er sich an einem schwülen Sommertage zu Anfang Juli 1505 auf dem Wege von Erfurt nach Stotterheim, einem Dorfe, eine Stunde von der Stadt gelegen, als er von einem heftigen Gewitter überrascht wurde. Ein schrecklicher Blitz fuhr ganz in seiner Nähe hernieder, und ein furchtbares Krachen und Geprassel des Donners folgte ihm. Luther stand betäubt da und stieß in seiner Seelenangst die Worte aus: „Hilf, liebe heilige Anna, so will ich alsbald ein Mönch werden!“ Die heilige Anna war die Mutter der Jungfrau Maria, und ihre Verehrung war erst von den Päpsten des 15. Jahrhunderts eingeführt worden, stand aber damals in höchster Blüte, besonders in Thüringen und Sachsen, so dass ihr selbst mehr Macht und mehr Einfluss auf Gott und den Heiland zugeschrieben wurde, als der Mutter Christi. — Luther kehrte nach Erfurt zurück, führte aber das verheißene Gelübde nicht sogleich aus, sondern ließ darüber noch vierzehn Tage vergehen. Er beriet sich unterdessen, wie es ausdrücklich heißt, mit einigen andächtigen Matronen und mit freunden, natürlich wohl nur mit solchen, von denen Aufmunterung, nicht Widerspruch zu erwarten war, über die Ausführung seines Vorhabens und über das zu wählende Kloster. Es wurde der Augustiner Eremitenorden beliebt, der um 1250 gestiftet worden war, und der damals in besonderem Ansehen stand. Luther bevorzugte ihn schon deshalb, weil er den Namen seines verehrten Kirchenvaters führte, weil die Erfurter Augustiner Bettelmönche sich mehr mit Wissenschaften beschäftigten, als andere Brüderschaften, und weil Dr. Johann von Staupitz, ein hochgeachteter Mann, der General-Vicar des Ordens war. Insgeheim ließ er sich nun dem Prior vorstellen und bestimmte die Zeit seines Eintrittes. Am Abend des 17. Juli, demselben Tage, an welchem er vier Jahre vorher Eisenach verlassen hatte, versammelte er seine Freunde, wohl dieselben, die an der „Majestät und Herrlichkeit“ seines Magisterschmauses Teil genommen, zu einem Abschiedsmahle und ergötzte sich mit ihnen bei Saitenspiel und Gesang. Es sollte der letzte Tribut sein, den er der Welt brachte. Nach Melanchthon hätten die Gäste keine Ahnung dessen gehabt, was Luther beschlossen. Als er ihnen endlich sein Vorhaben bekannt gemacht, hätte sich von ihrer Seite großer Widerspruch erhoben, aber er habe erwidert: „Heute sehet ihr mich — hinfort nicht mehr.“ Er führt diese Worte später selbst an und setzt hinzu: „Also beharrte ich bei meinem Vorsätze, gedenkend, nie wieder aus dem Kloster zu gehen, denn ich war der Welt ganz abgestorben.“ Darauf begab er sich nach dem Kloster, wohin er von seinen Büchern nur den Virgil und Plautus mitnahm, vielleicht aus Vorliebe für diese Dichter; wahrscheinlicher, weil sie zu den in den Klöstern vielgelesenen Werken gehörten. Die übrigen nahm der Buchhändler zurück. Gleich nach seinem Eintritt erfolgte seine Einkleidung als Noviz, die nach der Ordensregel also vollzogen wurde. Der Prior des Klosters fragte ihn in Gegenwart der versammelten Mönche, ob er sich stark genug fühle, die Last zu tragen, welche der Orden auferlege. Er stellte ihm die Strenge desselben vor, die Entsagung vom eigenen Willen, welche er fordere; er wies hin auf die schlechte Kost und Kleidung, die nächtlichen Wachen und die Tagesmühen, die Fleischesertötung, die Schmach der Armut, des Bettelns, die abmattenden Fasten, die langweilige Öde des Klosters und Ähnliches, das ihn erwarte. Der Noviz erklärte, er wolle dem Allen mit Gottes Hilfe sich unterzieben, und nun fiel der Prior wieder ein: „So nehmen wir Dich denn an zum Probejahre, und Gott, der das gute Werk in Dir angefangen, wolle es vollenden.“ Der ganze Konvent rief das Amen und stimmte das Lied Magne pater Augustine an. Unterdessen wurde dem Novizen der Kopf geschoren und das geistliche Kleid angelegt. Der Prior erinnerte ihn dabei, dass er nunmehr auch einen neuen Menschen anziehen möge. Darauf musste er vor dem Prior niederknieen, und nach den Responsorien sprach dieser das Schlussgebet: „Gott, der diesen Jüngling von der Welt bekehrt und ihm Wohnung im Himmel bereitet, möge geben, dass sein Wandel seinem Berufe angemessen, dass er dankbar sei für seinen Entschluss“ u. s. f. Hiernach zogen Alle unter Wechselgesängen auf den hohen Chor und warfen sich dort nieder zum Gebet. In den Conventsaal geführt, erhielt er nun den Bruderkuss von den Mönchen und dem Prior, vor dem er niederkniete, und der ihn erinnerte dass der selig werde, der bis ans Ende beharre. Darauf wurde er dem Novizeninstruktor übergeben. Der Wechsel des Namens fand vermutlich erst nach vollendetem Probejahr bei der unwiderruflichen Ablegung des Gelübdes, welche der Taufe gleichgeachtet oder noch über sie gestellt wurde, statt.

Zunächst zeigte er nun der Universität seinen Eintritt ins Kloster an und schrieb an seinen Vater, dem er auch seinen Magisterring und seine Kleidung übersandte. Der Brief ist nicht mehr vorhanden, aber wir kennen seinen Inhalt aus anderen Mitteilungen. Der Sohn suchte sich auf jede Weise zu entschuldigen und zu rechtfertigen, und es heißt unter Anderm: „Da ihm sein Gesell erstochen war und ein großes Wetter und greulicher Donnerschlag ihn hart erschreckt, und er sich ernstlich vor Gottes Zorn und dem jüngsten Gerichte entsetzte, ein Gelübde tat, er wolle ins Kloster gehen, Gott allda dienen und mit Messhalten versöhnen und die ewige Seligkeit mit klösterlicher Heiligkeit erwerben.“ — „Ich tat das Gelübde um des Heils meiner Seele willen. Aus keiner andern Ursach begab ich mich in den geistlichen Stand, als dass ich Gott dienen und in Ewigkeit gefallen möchte.“

Der Vater war über diese Mitteilung aufs Äußerste betroffen und erzürnt, und wollte weder von Einwilligung noch von Versöhnung hören. Er hatte bisher von dem Sohne den unbedingtesten Gehorsam erfahren, und nun wurde er von demselben in einem Punkte verletzt, der ihm trotz seiner beschränkten und abergläubischen Weise ein wahrer Stein des Anstoßes war. Er antwortete dem Sohne mit den vorwurfsvollsten Worten und erklärte ihm, dass er ihn hinfort nicht mehr Ihr, sondern wieder Du nennen werde. Er begnügte sich auch nicht damit, sondern reiste selbst nach Erfurt, um den Sohn zur Rückkehr zum Gehorsam gegen den väterlichen Willen zu nötigen. Als hier an der Klostertafel die anwesenden Doktoren, Magister und Mönche sich bemühten, ihm zu beweisen, dass der Mönchsstand ein heiliger Stand sei, und der Sohn selbst ihm allerlei Vorstellungen darüber machte, dem er ihm wehren wolle, ein Mönch zu sein und fromm zu werden, erwiderte Jener: „Ihr Gelehrten, habt Ihr nicht gelesen in der Schrift, dass man Vater und Mutter gehorchen soll?“ Alle verstummten, und der junge Luther saß so erschrocken da, dass er nicht ein Wort zu reden vermochte. Luther schildert in einer Zuschrift an den Vater vom Jahre 1520, in welcher er ihm seine Schrift über die Klostergelübde zueignet, seine Lage und seines Vaters Sinn bei diesem Vorfalle so: „Es geht jetzt fast in das sechzehnte Jahr meiner Möncherei, darin ich mich ohne euer Wissen und Willen begeben. Ihr hattet wohl Sorge und Furcht meiner Schwachheit, darum, dass ich war ein jung Blut bei zwei und zwanzig Jahren; das ist, dass ich Augustini Worte brauche, es war noch eitel heiße Jugend bei mir; und dass ihr an vielen Exempeln gelernt, dass Möncherei vielen unselig gelungen. Diese eure Furcht und Sorge, dieser euer Unwille auf mich, war eine Weile unversöhnlich und war aller Freunde Rat umsonst, die da sagten: so ihr Gott wollt etwas opfern, so sollt ihr ihm das Liebste und Beste opfern; denn ich gedenke noch allzuwohl, da es wieder unter uns gut ward und ihr mit mir redetet, und da ich zu euch sagte, dass ich mit schrecklichen Erscheinungen vom Himmel gerufen wäre: denn ich ward ja nicht gerne oder willig ein Mönch, viel weniger um Mästung des Bauches willen; sondern als ich mit Schrecken und Angst des Todes elend umgeben, gelobte ich ein gezwungen und gedrungen Gelübde. Und gleich daselbst sagtet ihr: Gott gebe, dass es nicht ein Betrug und teuflisch Gespenst sei. Das Wort gleichsam als es Gott durch euren Mund geredet, durchdrang und senkte sich bald in Grund meiner Seele. Aber ich verstopfte und versperrte mein Herz, so viel ich konnte, wider euch und euer Wort. Dazu redete ihr noch ein anders Wort, — Ei, hast du nicht gehöret, dass man Eltern soll gehorsam sein? Aber ich verstockte in meiner eignen Frömmigkeit, hörete und verachtete mich ganz als einen Menschen. Aber dennoch von Herzen konnte ich das Wort nicht verachten, — denn eigentlich war mein Gelübde nicht einer Schlehen wert, denn ich zog mich damit aus der Gewalt und Willen der Eltern, die mir von Gott geboten waren, — dazu war mein Gelöbnis auf eitel Menschenlehren und Geistlichkeit der Gleißner gebaut, die Gott nicht geboten hat.“

Damals kehrte der Vater unversöhnt nach Mansfeld zurück, und der Sohn blieb mit blutendem Herzen in dem Kloster, wo ihn schwere Prüfungen erwarteten. Er hatte täglich sieben Horen abzuwarten, die erste nach Mitternacht, die zweite, wenn der Hahn krähte, die übrigen um sechs, neun, zwölf und drei Uhr, bis zum Completorium am Abend, wozu noch für besondere Tage vieles Andere kam, Messen, Beichten, Terminieren, einsame Gebete, Kasteiungen u. s. w. Er musste sich den niedrigsten Geschäften unterziehen, die Tür hüten, die Uhr stellen, die Kirche reinigen, die geheimen Gemächer ausräumen und, was ihm das Beschwerlichste war, mit dem Bettelsacke durch die Stadt gehen, wobei er vielen Bekannten, Freunden und Studiengenossen begegnete. Er ertrug Alles mit großer Demut, denn er glaubte damit Gott zu dienen und seine Seligkeit zu fördern. Unerträglicher aber war ihm die niedrige, weltliche Gesinnung, die er bei seinen Klostergenossen wahrnahm. Er strebte nach Frömmigkeit, was freilich auch aus einer falschen Anschauungsweise hervorging; denn die Frömmigkeit soll nicht Zweck des Lebens sein, sondern Mittel zur Erfüllung desjenigen Berufes, zu dem uns Gott vermöge unserer körperlichen und geistigen Anlagen oder vermöge unserer ganzen Individualität bestimmt hat. Aber die Mönche wollten nicht einmal die Frömmigkeit als Zweck, sondern nur den Schein derselben. In der Tat waren sie allen weltlichen Neigungen und Leidenschaften ebenso hingegeben, wie die Menschen außer dem Kloster. Sie begriffen den jungen Novizen daher gar nicht, fürchteten vielmehr seine Unschuld und reine Frömmigkeit und fingen an, ihn wenigstens im Stillen zu hassen und zu verfolgen. Luther, der damals mit seinem einfältigen Auge von der inneren Verderbtheit seines Klosters nichts bemerkte, hat später, als ihm das Licht der Erkenntnis aufgegangen war, alle diese Dinge häufig beleuchtet und in ungeschminkter Wahrheit hingestellt.

Er bat um eine Bibel, und diese wurde ihm auch geliehen, bis ihm der Generalvicar, der edle Johann von Staupitz, der sich seiner überhaupt auf das Eifrigste annahm, eine solche schenkte. Auch die Erfurter Universität, die sich dadurch an ihrer Ehre verletzt fühlte, dass einer ihrer Magister bettelnd durch die Stadt zog, tat deshalb bei dem Prior Einspruch, und er wurde des Terminierens erledigt. Außer der Bibel, die er von Anfang bis zu Ende durchlas und immer wieder las, so dass er sie zuletzt fast auswendig wusste, beschäftigte er sich viel mit dem heiligen Augustin. Mit ihm hatte er eine erlebte Frömmigkeit gemein, einen reichen Geist, eine glühende Empfindung und, was sich freilich erst später zeigte, eine überwältigende Beredtsamkeit. Auch die scholastischen Werke des Gabriel Viel, Johann Gerson und Peter d'Ailly wurden wieder vorgenommen und mit Eifer studiert.

Über seine Studien und die Erfüllung seiner Ordenspflichten vergaß er oft Essen und Trinken, und er durfte daher mit Recht sagen: „Wahr ist's, ein frommer Mönch bin ich gewesen, und habe so gestreng meinen Orden gehalten, dass ich's sagen darf, ist je ein Mensch gen Himmel kommen durch Möncherei, so wollte ich hineinkommen sein: das werden mir zeugen alle meine Klostergesellen, die mich gekannt haben. Denn ich hätte mich, wo es länger gewährt hätte, zu Tode gemartert mit Wachen, Beten, Lesen und ander Arbeit.“ Den Seelenfrieden, den er im Kloster gesucht hatte, fand er nicht, und er sagt, dass durch die gestrengste Erfüllung der Ordensregeln und die häufigen Beichten, die er wahre Henkermartern nennt, Schmerz und Angst des Gewissens in der Kappe dieselben blieben, wie zuvor außer der Kappe. Von einem alten Mönche, dem er beichtete, sagt er: Er verstund meine Angst und Not nicht; wie ich seine Rede auch nicht verstehen konnte, wenn er mir viele Messen und Wallfahrten auflegte. Er half meinem Gewissen nicht.

Nach Jahresfrist legte er unter ähnlichen Feierlichkeiten, wie wir sie oben bei der Aufnahme geschildert haben, das Ordensgelübde ab, wurde mit dem ordentlichen Mönchsgewande, das er bis dahin noch nicht getragen, bekleidet und trat als Mitglied in den Convent ein. Nach Beendigung dieser Zeremonie beglückwünschten ihn die Brüder, dass er „nun wäre wie ein unschuldig Kind, das jetzt rein aus der Taufe käme.“ Alle priesen ihn wegen der herrlichen Tat, die er vollbracht, und in deren Folge er sich nun durch eigne Werke selig zu machen vermöge. Er hörte „solch süßes Lob und prächtige Worte von seinen eigenen Werken gar gerne.“ Es war ein Augenblick der Täuschung, und bald genug kehrte der Zustand der Unsicherheit und Trostlosigkeit zurück. Allein er wollte den Weg zum Himmel sich bahnen, wäre es auch mit Gewalt. Der Schlaf stob sein brennendes Auge, einmal sogar sieben Wochen lang, und der Körper erlag fast den Qualen des sich zermarternden Geistes. Immer klagte er über seine Sündhaftigkeit, und wusste doch keine Sünde namhaft zu machen. Seine Umgebung verstand ihn nicht, und nur der wohlwollende Staupitz, der ähnliche Anfechtungen und Kämpfe bestanden, und ein alter, an innerer Erfahrung ebenfalls reicher Klosterbruder trösteten ihn durch Worte der Schrift, besonders durch die Stelle Pauli, dass der Mensch gerecht werde ohne Verdienst durch den Glauben.

Im Frühling 1507 sollte er die Priesterweihe empfangen. Sein Vater, der die Hoffnung auf weltliche Größe für seinen Sohn aufgegeben und sich endlich nach zweijährigem Zürnen mit ihm ausgesöhnt hatte, wollte zu dieser Feierlichkeit nach Erfurt kommen. Mit Rücksicht auf ihn wurde der Sonntag bantate, der 2. Mai, zur Festlichkeit bestimmt. Hans Luther muss jetzt schon ein wohlhabender Mann gewesen sein, denn er ritt mit zwanzig Pferden ins Kloster ein und machte seinem Sohne ein Geschenk von zwanzig Gulden, einer damals sehr bedeutenden Summe. Der Bischof von Brandenburg, Hieronymus Schulze (Scultetus), vollzog das Sakrament der Priesterweihe, indem er sprach: „Empfang die Vollmacht, zu opfern für die Lebendigen und die Todten.“ So wurde Luther Priester der römischen Kirche, ein Umstand, der nicht ohne wesentlichen Einfluss auf die innere Gestaltung der evangelischen Kirche geblieben ist, wenn man auch nicht außer Acht lassen darf, dass die Gesamtentwicklung des deutschen Volksgeistes damals noch nicht für eine freiere Fassung des Evangeliums herangereift war. Staupitz forderte, was nicht unmittelbar mit dem Priesterstande verbunden war, dass Luther predigen sollte, und er tat es nach längerer Weigerung zwei Mal, erst im Conventsaale und dann in der Kirche.

Nachdem die Fremden sich wieder entfernt hatten, setzte der junge Priester seine Studien fort. Staupitz hatte bei dem Prior darauf gedrungen, dass man ihm so viel freie Zeit zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten gestatten solle, wie es die Ordensregeln irgend erlaubten, und da Prior und Mönche stolz darauf waren, ein so gelehrtes Mitglied in ihrem Kloster zu besitzen, so geschah dies auch. Indessen blieb sein Seelenzustand derselbe, und die furchtbaren Kämpfe, denen er ausgesetzt war, hörten nicht auf. Der Begriff der Buße quälte ihn vor Allem. „Es war das bitterste Wort für mich von allen Worten der heiligen Schrift“, sagte er später, und als Staupitz einst tröstend zu ihm sagte: es gebe keine andre wahre Buße, als diejenige, welche aus der Liebe Gottes und seiner Gerechtigkeit fließe; so beruhigte ihn dies zwar für einen Augenblick, aber Buße und Gerechtigkeit Gottes blieben ihm doch im christlichen Sinne unverstandene Begriffe. Ebenso ging es ihm mit dem Ausspruche jenes alten Klosterbruders, dessen schon erwähnt ist: „du bist ein Narr, Gott zürnt nicht mit dir, sondern du zürnst mit ihm.“ Auch die Worte im Bekenntnisse des Athanasius: „Ich glaube an eine Vergebung der Sünden“, gewährten ihm eine vorübergehende Tröstung; aber dauernd konnte ihm bei seinem Bestreben nach einer wahren Einigung mit Gott erst geholfen werden, wenn er sich von der äußerlichen, kahl verständigen, römischen Anschauungsweise befreite und zu einer Auffassung des Evangeliums überging, die seiner individuellen und volksmäßigen Natur entsprechend war. Zunächst musste ihm eine äußere Wendung seines Schicksals Hilfe bringen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther - Ein deutsches Leben