Luther in Koburg vom April bis Oktober 1530.

Die öffentlichen Angelegenheiten in Deutschland waren seit dem Reichstage zu Worms 1521 im Wesentlichen dieselben geblieben. Die romanisierenden Fürsten hatten sich enger zusammengeschlossen, und suchten in Masse den Regungen des deutschen Volksgeistes entgegenzutreten. Sie wurden dabei von Kaiser und Papst, so viel es aus der Ferne geschehen konnte, unterstützt. Auf Leo X. war 1522 Hadrian VI. gefolgt, ein ernster und gelehrter Mann, der den Verfall der Kirchenzucht sehr wohl erkannte, der aber doch, in römischer Denkweise befangen, glaubte, es lasse sich der alte gute Zustand der Kirche wieder herstellen, wenn die Sitten der Geistlichen und die groben Missbräuche in der Kirchenverwaltung beseitigt würden. Von einer Wiedergeburt des Geistes und namentlich von den Bedürfnissen des deutschen Volkes in religiöser Beziehung hatte er keine Vorstellung. Der Gedanke, dass die deutsche Volkstümlichkeit andre religiöse Bedürfnisse hervorrufe, als die italienische und spanische, war ihm gänzlich fremd. Sein Nachfolger, Clemens VII., ein Sprössling des berühmten Florentiner Handelshauses der Medicäer, nahm ganz die Politik seines Verwandten, Leos X., wieder auf und kämpfte mit allerlei äußerlichen Mitteln, mit List und Ränken und durch Bündnisse mit den weltlichen Mächten gegen die fortschreitende Zeit.

Kaiser Karl V. war nach Spanien gegangen, wo er bis zum Jahre 1529 verblieb. Sein Bruder, der Erzherzog Ferdinand, führte in Deutschland die Regentschaft, hatte aber weiter keinen Einfluss, als den ihm der enge Verband mit den römisch gesinnten Fürsten gewährte. Seine Aufmerksamkeit wurde außerdem, besonders in den letzten Jahren, gegen Südosten hin gewandt, von wo die Türken, die damals unter ihrem großen Kaiser Soliman den Höhepunkt ihrer Macht erreicht hatten, mit großer Gewalt gegen Deutschland vordrangen. Sie belagerten 1529 sogar Wien, und die ganze westeuropäische Bildung schwebte vor ihnen in der Gefahr des Unterganges. Diese Umstände waren der Erneuerung des Christentums, die von Luther ausging, mehr günstig als nachteilig, wie denn überhaupt Alles, was die Zeiten heranwälzen, der Wahrheit und dem Fortschritte dient. Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten gereichen, das ist eine Wahrheit, die sich nicht nur an dem Einzelnen beurkundet, sondern auch an den Völkern und Staaten.


Im Jahre 1526 war unter Mitwirkung der allgemeinen Zustände Europas in Speier ein Reichstagsabschied erlassen worden, in Folge dessen der Lehre Luthers von Seiten des Reichs kein unmittelbarer Widerstand entgegen gesetzt werden sollte, aber 1529 wurde abermals ein Reichstag zu Speier gehalten, der im Widerspruch mit dem vorigen auf das Edict von Worms zurückging, und bis zur Berufung einer allgemeimen Kirchenversammlung, die der Kaiser beabsichtigte, keinen weiteren Fortschritt der neuen Lehre gestatten, ja selbst nicht einmal deren ungehemmten Bestand zugestehen wollte. Gegen diese Beschlüsse legten die Fürsten, nachdem sie Luthers Gutachten darüber eingeholt hatten, feierlichen Protest ein, und erhielten daher den Namen der Protestanten. Luther blieb hier, wie in allen ähnlichen Fällen, dem schon früher geltend gemachten Grundsatze treu, es müsse den Verordnungen, der von Gott eingesetzten Obrigkeit gehorcht, d. h. es dürfe ihr nicht offene Gewalt entgegengesetzt werden, wohl aber dürfe und müsse man in Sachen, welche das Gewissen und die Seligkeit beträfen, passiven Widerstand leisten. Sobald daher von kriegerischen Bündnissen gegen die kaiserliche Gewalt oder die katholischen Fürsten die Rede war, riet er stets davon ab und ermahnte zum Frieden. Er sagte: „Krieg gewinnt nicht viel, verleuret aber viel und waget Alles; aber Sanftmut verleuret nichts, waget wenig und gewinnt Alles.“

Für den Kaiser hatten sich gegen Ende des Jahres 1529 die politischen Verhältnisse sehr günstig gestaltet, und er war daher entschlossen, persönlich zunächst von Spanien nach Italien und dann nach Deutschland zu gehen, um hier der Religionsspaltung mit entschiedener Gewalt entgegen zu treten und um jeden Preis die einheitliche Herrschaft der römischen Kirche wiederherzustellen. Im August schiffte er nach Italien über, wo er seine Absichten überall durchsetzte. In Bologna traf er mit dem Papste zusammen, dem er zwar knieend den Pantoffel küsste, der ihn aber auch in eigner Person zum König der Lombardei und zum römischen Kaiser krönte, auch sonst in allen seinen politischen Bestrebungen unterstützte. Dagegen schwur er: die Würde und Hoheit des Papstes und der römischen Kirche mit aller Macht und allen Kräften zu schützen und zu schirmen, den Freiheiten der Kirche keinen Eintrag zu tun, dagegen die Gerichtsbarkeit und Herrschaft derselben nach allem Vermögen zu erhalten und zu verteidigen. Dieser Schwur war ihm ernst; denn die evangelische Freiheit war ihm ein Gräuel. Er begriff sie zwar nicht, aber er hatte eine Ahnung, dass die Freiheit auf einem Gebiete menschlichen Denkens und Fühlens auch Einfluss haben müsse auf andere, z. B. soziale und politische Zustände. Sein Ideal war ein Weltzustand, in welchem alle Menschen, Fürsten und Völker sich nur von ihm abhängig fühlen, seinen Zwecken dienen, ihm gehorsam sein sollten, wogegen er denn auch das allgemeine Beste mit allen Kräften und der größten Einsicht besorgen wollte. Er zweifelte damals noch nicht, diese Absicht erreichen und sich zum Stellvertreter Gottes in weltlichen Dingen machen zu können, wie er den Papst als den Stellvertreter Gottes auf geistlichem Gebiete anerkannte. Es ist dies ein Standpunkt, der noch jetzt seine Freunde und Verteidiger findet.

Karl V. schrieb von Italien einen Reichstag nach Augsburg auf den 8. April 1530 mit der Anzeige aus, es solle daselbst über zwei Angelegenheiten, den Türkenkrieg und die Religionsspaltung in Deutschland, verhandelt werden.

Der Kurfürst Johann von Sachsen brach, nachdem er schon vorher mit Luther und dessen Freunden über sein Verhalten auf diesem Reichstage sich besprochen hatte, am 3. April von Torgau auf, und zog mit einem Gefolge von 160 Reitern gen Süden. In seiner Begleitung befanden sich sein Sohn, der Kurprinz Johann Friedrich, der Herzog von Lüneburg, der Fürst von Anhalt, die Grafen von Mansfeld und von Gleichen, die gelehrten Räte Dr. Brück und Dr. Beyer und ferner Luther, Melanchton, Spalatin und Justus Jonas.

Der Zug bewegte sich langsam vorwärts und erst am 17. April, am heiligen Abend des Osterfestes, traf man in Koburg ein. Der Kurfürst verweilte hier vier Tage, bis Donnerstag nach Ostern, setzte dann seine Reise fort und erreichte Augsburg am 2. Mai, wo er aber noch sechs Wochen auf die Ankunft des Kaisers warten musste, während welcher Zeit sich die andern Fürsten, Herren und Abgeordneten der Städte allmählich versammelten. Luther war in Koburg zurückgelassen worden, weil sein Landesherr ihn zwar in möglichster Nähe haben wollte, es aber doch nicht wagte, ihn nach Augsburg mitzubringen, da er sich noch in der Reichsacht befand. Er hatte ihm das ganze obere Schloss zur Wohnung angewiesen, die Schlüssel zu allen, auch den fürstlichen Gemächern übergeben, in freigebigster Weise für seinen leiblichen Unterhalt gesorgt und zwölf Trabanten zu seinem Schutze bestellt. Bei ihm waren zur Pflege und Unterhaltung sein Neffe, der Studiosus Cyriacus Kaufmann aus Mansfeld, seiner Schwester Sohn, und ein Magister, Veit Dietrich. Anfänglich fehlte es ihm an Büchern, doch störte dies seine heitere Laune nicht, und er unterhielt sich mit der Beobachtung der Dohlen, die in außerordentlich großer Menge auf dem Schlosse vorhanden waren. Er schreibt darüber nach Wittenberg an seine Tischgenossen:

„Ich habe Euer aller Schreiben empfangen, und wie es allenthalben zustehet, vernommen. Auf dass ihr wiederum vernehmet, wie es hie zustehet, füge ich euch zu wissen, dass wir, nämlich ich, Magister Veit und Cyriacus, nicht auf den Reichstag gen Augsburg ziehen: wir sind aber wohl auf einen andern Reichstag kommen. Es ist ein Ruhbett, gleich vor unserm Fenster hinunter, wie ein kleiner Wald, da haben die Dohlen und Krähen einen Reichstag hingelegt, da ist ein solch Zu- und Abreiten, ein solch Geschrei Tag und Nacht ohne Aufhören, als wären sie alle trunken, voll und toll; da keckt Jung und Alt durch einander, dass mich wundert, dass Stimm und Odem solang währen möge. Und möcht gern wissen, ob auch solchen Adels und reisigen Zeugs auch Etliche noch bei Euch wären; mich dünkt, sie seien aus aller Welt hieher versammelt. Ich hab ihren Kaiser noch nicht gesehen, aber sonst schweben und schwänzen der Adel und die großen Hansen immer vor unsern Augen; nicht fast köstlich gekleidet, sondern einfältig in einerlei Farbe, alle gleich schwarz und alle gleich grauaugig, singen alle gleich einen Gesang, doch mit lieblichem Unterschied der Jungen und derAlten, Großen und Kleinen. Sie achten auch nicht den großen Palast und Saal, denn ihr Saal ist gewölbt mit dem schönen weiten Himmel, und ihr Boden ist eitel Feld, getäfelt mit grünen Zweigen, so sind die Wände soweit, als der Welt Ende. Sie fragen auch nichts nach Rossen und Harnisch, sie haben gefiederte Räder, damit sie auch den Büchsen entfliehen und einen Zorn entsitzen können. Es sind große, mächtige Herren; was sie aber beschließen, weiß ich noch nicht. So viel ich aber von einem Dolmetscher vernommen, haben sie vor einen gewaltigen Zug und Streit wider Weizen, Gersten, Hafern und allerlei Korn und Getreidig, und wird mancher Ritter hier werden und große Taten tun. — Also sitzen wir hier im Reichstag, hören und sehen zu mit großer Lust und Liebe, wie die Fürsten und Herren samt andern Ständen des Reichs so fröhlich singen und wohlleben. Aber sonderliche Freude haben wir, wenn wir sehen, wie ritterlich sie schwänzen, den Schnabel wischen und die Wehr stürzen, dass sie singen und Ehr einlegen wider Korn und Malz. Wir wünschen ihnen Glück und Heil, dass sie allzumal an einen Zaunstöcken gespießet wären. — Ick halt aber, es sei nichts andres, denn die Sophisten und Papisten mit ihrem Predigen und Schreiben, die muss ich alle auf einen Haufen, also für mir haben, auf dass ich höre ihre liebliche Stimme und Predigten, und sehe, wie sehr nützlich Volk es ist, Alles zu verzehren, was auf Erden, und dafür kecken wir für die ganze Welt. — Heute haben wir die erste Nachtigall gehört; denn sie hat dem April nicht wollen trauen. Es ist bisher eitel köstlich Wetter gewest, hat noch nie geregnet, ohne gestern ein wenig. Bei Euch wirds vielleicht anders sein. Hiemit Gott befohlen, und haltet wohl Haus. Aus dem Reichstag der Malztürken, den 28. April Anno 1530.“

Die gute Laune war eine nie versiegende Eigenschaft Luthers, die sich nach allen Drangsalen und Stürmen des Lebens immer gleich wieder einstellte, wenn ein Augenblick Ruhe dazu gegeben wurde. Sobald er in den Besitz seiner Bücher gelangt war, ging er wieder mit unermüdetem Eifer an seine Arbeit. Hauptgeschäft war ihm die Übersetzung des alten Testamentes und die Auslegung der Psalmen. Beiläufig bearbeitete und verdeutschte er einige Äsopische Fabeln und verfasste Schriften gegen seine römischen Widersacher und gegen die Schweizer, die nach seiner Meinung ohne inneren Grund und ohne vom rechten Geiste dazu befähigt zu sein, von seiner Lehre abwichen. Lebhaft beschäftigte ihn auch der Briefwechsel mit Augsburg, denn er wurde von Allem aufs Schleunigste unterrichtet, was sich daselbst zutrug. Der Kaiser befahl von Innsbruck aus, wohin ihm mehrere Fürsten entgegen gezogen waren, dass das Predigen der protestantischen Geistlichen in Augsburg eingestellt werden sollte. Luther befragt, ob diesem Befehle zu gehorchen sei, erwiderte: „Wo kaiserliche Majestät begehren würde, dass Ew. kurfürstliche Gnaden sollten mit dem Predigen stille halten lassen, ist nach wie vormals meine Meinung, dass der Kaiser unser Herr, die Stadt und Alles sein ist. — Wohl möchte ich, wo es sein wollt, gern sehen, dass man mit guten füglichen Worten und Weise kaiserliche Majestät Begier und Fürnehmen könnte werden mit Demut, dass Seine Majestät nicht so unerhört das Predigen verböte, sondern ließe doch zuvor Jemand zuhören, wie man predigte, es solle ja kaiserliche Majestät nicht die lautere, klare Schrift zu predigen verbieten, weil man doch sonst nicht aufrührerisch noch schwärmerisch predigt. Will dies nicht helfen, so muss man lassen Gewalt für Recht gehen. Wir haben das unsre getan und sind entschuldigt.“

Eines Tages überfiel ihn während der Arbeit ein heftiges Ohrensausen, und wie er sagt, Donnern im Kopfe, dass er fast ohnmächtig wurde und drei Tage lang keinen Buchstaben ansehen durfte. Er klagte sehr darüber und schrieb an Melanchthon: Es wills nicht mehr tun, die Jahr treten herzu. Er möge sich ein Beispiel an ihm nehmen, und nicht auch seinen Kopf zu Grunde richten, sondern seinem Leib die nötige Pflege geben, damit er nicht ein Menschenmörder werde und sich noch einbilde, es geschehe dies aus Gehorsam gegen Gott. Man könne Gott auch durch Feiern dienen. — Das Sausen kehrte öfter wieder, und erst im August konnte er an seine Frau schreiben, dass er wieder ganz gesund sei. Die Freunde in Augsburg trugen große Sorge um ihn, und ermahnten dauernd den Veit Dietrich, dass er ihn wohl beobachten und erheitern möge. Selbst der Kurfürst schrieb an Luther, er und Alle seien seiner Gesundheit halber sehr um ihn besorgt und bäten Gott, er wolle ihn um seines lieben Wortes willen lang erhalten, ermahnte ihn auch, seiner Gesundheit ja wohl zu pflegen, und sagte, dass sein Leibarzt, Doktor Kasper, ihm Arznei schicke, das Haupt und Herz damit zu stärken. In Koburg solle er vorlieb nehmen und sich die Weile nicht lang werden lassen.

Am 5. Juni erhielt Luther die Nachricht von dem Tode seines Vaters. Derselbe war schon seit Anfang des Jahres krank gewesen, und Luther hatte ihn bereits im Februar samt der Mutter von Mansfeld nach Wittenberg wollen überführen lassen, was aber aus unbekannten Gründen nicht geschah. Als er jetzt durch einen Brief von Johann Reinecke die Todesnachricht erhielt, war er tief erschüttert. „Wohlan mein Vater ist auch tot“, sagte er zu Mag. Dietrich, nahm flugs seinen Psalter, ging in die Kammer und weinete genug, dass ihm der Kopf des anderen Tages ungeschickt war. Dann ließ er es sich nicht mehr merken. „Ich trete nun“, schrieb er gleich darauf, „in das Erbe seines Namens ein, indem ich nun fast der älteste Luther in meiner Familie bin. Mir gebührts nun also, nicht zufälliger Weise, sondern von Rechtswegen, ihm durch den Tod in Christi Reich nachzufolgen, welches der uns Allen aus Gnaden verleihen wolle, um dessen willen wir elender sind, als alle Menschen und eine Schmach der ganzen Welt. So schreibe ich denn aus Traurigkeit heute nicht mehr, denn es ist ja billig und recht, dass ich als Sohn solch einen Vater beweine, durch den mich der Vater der Barmherzigkeit geschaffen, durch dessen Schweiß er mich ernährt und zu dem gemacht hat, was ich bin. Ich freue mich nur, dass er noch diese Zeit erlebt hat, dass er das Licht der Wahrheit hat sehen können. Gepriesen sei Gott in allen seinen Werken und Ratschlägen in Ewigkeit. Amen.“

Seine treue Käthe schickte ihm zur Erheiterung und zur Linderung seines Schmerzes ein Bild seines einjährigen Töchterleins Magdalene, das er sehr liebte. Mag. Dietrich schreibt darüber an Luthers Gattin: „Ihr habt ein sehr gut Werk getan, dass ihr dem Herrn Doctori die Contrefactur geschickt habt; denn er über die Maßen viel Gedanken mit dem Bilde vergisset. Er hats gegen den Tisch über an die Wand geklebt, da wir essen in des Fürsten Gemach. Da ers am ersten ansahe, konnt er sie lange nicht kennen. Ei — sprach er — die Lehne ist ja schwarz. Aber jetzund gefällt sie ihm wohl und dünkt ihm je länger je mehr, es sei Lehnchen, sie sieht dem Hänschen über die Maaßen gleich mit dem Mund, Augen und Nase. — Liebe Frau Doctorin, ich bitte, Ihr wollet Euch um den Herrn Doctor nicht härmen. Er ist Gott Lob frisch und gesund, hat des Vaters in den ersten zwei Tagen vergessen, wiewohl es ihm sauer ward.“

An seinen vierjährigen Sohn schrieb Luther von Koburg aus: „Gnade und Friede in Christo, mein liebes Söhnchen! Ich sehe gern, dass Du wohl lernst und fleißig betest. Thu' also, mein Söhnchen, und fahre fort; wenn ich heim komme, so will ich Dir einen schönen Jahrmarkt mitbringen. Ich weiß einen hübschen, lustigen Garten; da gehen viel Kinder innen, haben güldne Röcklein an, und lesen schöne Äpfel unter den Bäumen, und Birnen, Kirschen, Spilling und Pflaumen; singen, springen und sind fröhlich, haben auch schöne kleine Pferdlein mit güldenen Zäumen und silbernen Sätteln. Da fragt ich den Mann, deß der Garten ist, wessen die Kinder wären? Da sprach er, es sind die Kinder, die gern beten, lernen und fromm sind. Da sprach ich: lieber Mann, ich hab' auch einen Sohn, heißt Hänschen Luther, möcht' er nicht auch in den Garten kommen, Lippus und Jost auch, und wenn sie alle zusammen kommen, so werden sie auch Pfeifen, Pauken, Lauten und allerlei Saitenspiel haben, auch tanzen und mit kleinen Armbrüsten schießen. Und er zeigte mir dort eine feine Wiese im Garten, zum Tanzen zugericht; da hingen eitel güldene Pfeifen, Pauken und feine silberne Armbrüste. Aber es war noch frühe, dass die Kinder noch nicht gessen hatten; darum konnte ich des Tanzes nicht erharren und sprach zu dem Mann: Ach lieber Herr! ich will flugs hingehen und das Alles meinem lieben Söhnlein Hänschen schreiben, dass er ja fleißig bete und wohl lerne und fromm sei, auf dass er auch in diesen Garten komme: aber er hat eine Muhme Lehne, die muss er mitbringen. Da sprach der Mann: es soll ja sein, gehe hin und schreibe ihm also. Darum liebes Söhnlein Hänschen, lerne und bete ja getrost, und sage es Lippus und Josten auch, dass sie auch lernen und beten; so werdet ihr mit einander in den Garten kommen. Hiemit bis dem allmächtigen Gott befohlen, und grüße Muhmen Lehne, und gib ihr einen Kuss von meinetwegen. Anno 1530.
            Dein lieber Vater Martinus Luther.“

Zu den Störungen, die von Außen an Luther herantraten, gehörten auch die häufigen Besuche, die er von Reisenden empfing, und die ihm, abgesehen von dem Zeitaufwande, den er ihnen zu widmen hatte, wegen der Zehrungskosten peinlich waren; denn diese fielen hier, wo er selbst Gast war, dem Kurfürsten zur Last. Er suchte deshalb das Gerücht zu verbreiten, und bat auch seine Freunde, dies zu tun, dass er sich nicht mehr in Koburg aufhalte. Diejenigen aber, die dort bei ihm waren, konnten nicht genug den erhebenden Eindruck schildern, dessen sie durch sein Gespräch und den persönlichen Verkehr mit ihm teilhaftig wurden. Schlimmer als diese Gäste waren die geistlichen Anfechtungen, von denen er immer noch heimgesucht wurde, und die ihn, verbunden mit den leiblichen Beschwerden, häufig zu Todesgedanken führten. Er suchte sich, heißt es, ein Örtlein, da man ihn sollte begraben. In der Kapelle unter dem Kreuz, gedachte er, da würde er wohl liegen. Über seine Versuchungen schrieb er gleich Anfangs am 12. Mai an Melanchthon: „Am Tage, wo ich Deine Briefe aus Nürnberg empfing, hatte ich eine Gesandtschaft des Satans bei mir. Ich war allein, Veit und Cyriacus waren abwesend, und da wurde er doch so weit über mich Herr, dass er mich aus dem Gemache trieb und unter die Leute zu gehen zwang.“ — Luther hatte bis zu seinem Tode viel mit dem Teufel zu schaffen, aber wir sehen auch, dass er seiner Meister zu werden verstand. Die Selbstverleugnung ist der Mittelpunkt aller christlichen Tugend.

      „Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
      Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.“

Luther hatte Gott gegenüber eine Stellung eingenommen, wie sie nur wenigen Menschen zu Teil wird, weil nur wenige Menschen solche Selbstverleugnung üben und sich zu Herren ihrer Natur machen. Wenn er ehrfurchtsvoll und demütig vor Gott tritt, so spricht er doch mit so viel eigner Hoheit, dass man fühlt, er komme nicht als Bettler, der um eine Gnade fleht, sondern als ein berechtigter Diener, der sich in den Angelegenheiten des Herrn bemüht. Er sagt wohl hundert Mal: es ist nicht meine Sache, um die es sich handelt, sondern es ist Gottes Sache, und Gott mag zusehen, wie er sie schütze. Die Gedanken, die ich vertrete, liegen hinter der Stirne jedes deutsch denkenden Mannes, die gläubigen Gefühle, die ich ausspreche, sind in dem Herzens- und Pulsschlage jedes wahren Christen, und die evangelische Freiheit, die ich predige, ist der bewusstlose Trieb und Drang aller Menschennatur, daher muss Gott mehr daran gelegen sein als mir, dass meine Widersacher nicht obsiegen. Mag. Dietrich schreibt an Melanchthon nach Augsburg: „Einmal glückte es mir, dass ich ihn beten hörte. Guter Gott, welch ein Glauben war in seinen Worten. Mit solcher Ehrfurcht betete er, dass man sah, er redete mit Gott, und doch wieder mit solchem Glauben und solcher Hoffnung, dass es schien, als rede er mit einem Vater und Freunde. Ich weiß, sagte er, dass du unser Gott und Vater bist. Ich bin darum gewiss, du wirst die Verfolger deiner Kinder zu Schanden machen. Tust du es nicht, so ist die Fahr dein so gut als unser. Ist doch der ganze Handel dein eigen; sind wir doch nur gezwungen gewesen, ihn anzugreifen; du magst ihn also schützen u. s. w.“ So hörte ich ihn mit heller Stimme beten, da ich von fern stand. Auch in mir brannte das Herz mit großem Eise-, als er so vertraulich, so ernst und andächtig mit Gott redete und unterm Gebet also auf die Verheißungen in den Psalmen drang, als der gewiss war, dass das geschehen werde, was er bat. Darum zweifle ich nicht, es werde sein Gebet eine große Hilfe tun in der verzweifelt bösen Sache dieses Reichstags.“

Melanchthon hatte unterdessen gleich nach seiner Ankunft in Augsburg die Zeit benutzt, auf Grundlage früherer Schriften und Sätze Luthers eine Bekenntnisschrift auszuarbeiten, welche zur Rechtfertigung der evangelischen Lehre dem Kaiser auf dem Reichstage übergeben werden könne, und diese wurde schon am I I. Mai an Luther zur Begutachtung übersandt. Er erwiderte: „Ich habe Magister Philipps Apologia überlesen, die gefällt mir fast wohl und weiß nichts daran zu bessern, noch zu ändern, würde sich auch nicht schicken; denn ich so sanft und leise nicht treten kann. Christus unser Herr helfe, dass sie viel und große Frucht schaffe, wie wir hoffen und bitten.“

Über die feierliche Vorlesung und Übergabe der Bekenntnisschrift am 25. Juni berichteten Melanchthon, Justus Jonas und der Kurfürst selbst an Luther und forderten seinen Rat, was ferner zu tun sei. Von einer Versöhnung oder Ausgleichung konnte in der Tat nicht mehr die Rede sein. Römisches und deutsches Christentum, oder Papsttum und evangelische Freiheit sind zwei so feindliche Elemente wie Feuer und Wasser. Natürlich waren Kaiser und Papst überein gekommen, dass das Los der Unterwerfung auf die Deutschen fallen müsse, und der ganze Augsburger Reichstag war daher bloß eine Komödie, die man als Handhabe für die gewaltsame Unterdrückung der evangelischen Lehre benutzen wollte. Die protestantischen Fürsten und die Anhänger und Verteidiger Luthers ahnten und fühlten die noch unausgesprochene Absicht ihrer Gegner, und sie waren daher sehr beklommen. Es ist ein beängstigender Zustand, in dem sich Jemand befindet, der Leute belehren soll, die nicht belehrbar sind und auch keine Lehre annehmen wollen. Was halfen Melanchthons Seufzer, Tränen und Arbeiten diesen römisch denkenden Männern gegenüber, denen damals wie jetzt nicht einmal der Hauptbegriff des Christentums, der Glaube, deutlich zu machen ist? Sie denken dabei nur an ein Fürwahrhalten des geschichtlich Überkommenen, während der Glaube ein Gem?tszustand ist, der in sich viel mehr Gewissheit hat, als alle geschichtlichen Beweise zusammen genommen.

Seinem Kurfürsten, dem Luther einen langen Trostbrief schreibt, antwortet er unter Andern: „C. K. F. G. sei nur getrost. Christus ist da, und wird E. K. F. G. wiederum bekennen vor seinem Vater, wie E. K. F. G. itzt ihn bekennet vor diesem argen Geschlecht, wie er sagt: Wer mich ehret, den will ich wieder ehren. Derselbige Herr, der es angefangen hat, wirds wohl auch hinausführen, Amen“

Melanchthon, der um des Friedens willen von der Notwendigkeit weiterer Zugeständnisse an Luther geschrieben hatte, antwortete er: „Für meinen Teil ist in dieser Apologie vollauf und genug nachgegeben; und ich weiß nicht, was ich weiter nachgeben könne, wenn sie die nicht leiden wollen, ich müsste sie denn hellere Gründe und Sprüche vorbringen sehen, als daher. Ich beschäftige mich Tag und Nacht mit dieser Sache, denke, überlege, disputiere und gehe die ganze heilige Schrift durch, und beständig wächst mir die Freudigkeit in dieser unserer Lehre, und ich werde je mehr und mehr gewiss, dass ich mir, ob Gott will, nu nichts mehr werd nehmen lassen, es gehe drüber, wie es wolle.“ In eben diesem Briefe spricht er auch sein Missfallen darüber aus, dass Melanchthon geschrieben, man sei in dieser Sache ganz seiner Autorität gefolgt, und sagt: „Ich will Euch nicht Vorgänger (nutor) sein in dieser Sache, und wenn sich auch dem Worte eine gute Deutung gebe ließe, so mag ichs doch nicht leiden. Wenn die Sache nicht zugleich und eben so gut auch Euer ist, so mag ich sie auch nicht die meine nennen, als sei sie Euch nur aufgelegt. Wenns meine Sache allein ist, will ich sie selbst führen.“

Nach der Übergabe der Bekenntnisschrift befahl der Kaiser zwei römischen Theologen, Eck und Faber, eine Coufutation oder Widerlegungsschrift abzufassen, in der gezeigt werde, dass die Lehre Luthers, oder das, was die Protestanten als ihr religiöses Bekenntnis dargelegt hätten, falsch, ketzerisch und seit langer Zeit vom Papst und Kirchenversammlungen verdammt sei. Sie arbeiteten fast sechs Wochen daran, und am 3. August wurde sie zu großer Befriedigung der päpstlichen Partei dem versammelten Reichstage vorgelesen. Es war eine dürftige Arbeit, aber so gut, wie sie vom römischen Standpunkte geschrieben werden konnte. Es war ein Machwerk, d. h. es war aus Rücksichten der Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit mit dem Verstande mechanisch zusammengefügt worden; aber es hatte keine Lebendigkeit, keine Begeisterung, keine Wahrheit. Es war kein Glaube darin, kein Gott, der als Geist daraus hervorgeleuchtet hätte, kein Reich Gottes, das unergründlich und endlos tief wäre wie der Himmel und doch so nahe, dass Jeder sich davon berührt fühlte. Die Deutschen oder die Anhänger des Evangeliums hätten sich gekränkt fühlen können, dass man sie mit solchem Machwerke zu überzeugen und zu besiegen sich schmeicheln konnte, aber der Kaiser und der Papst und fast die ganze weltliche Macht der Erde drückte ihr Siegel darauf und forderte die Anerkennung desselben. Der Kaiser drohte mit Ungnade, ja mit Krieg, wenn sich die Protestanten dieser Entscheidung nicht fügen würden, und die Besorgnis stieg so hoch, dass der Landgraf von Hessen mit seinem Gefolge heimlich Augsburg verließ. Die Lage war beängstigend, fast zermalmend, der eingeschüchterte Melanchthon suchte mit Angst und Zittern nach Ausgleichungspunkten, aber Luther stand unerschüttert wie ein Fels im Meere. Am liebsten wäre er zur Stärkung seiner Freunde selbst nach Augsburg gegangen aber er fürchtete Gott zu versuchen, wenn er sich ohne äußere Forderung in diese Gefahr stürzte. Mit seinen Briefen und Schriften aber war er den Freunden immer gegenwärtig. Er wollte von keinem Nachgeben, von keinen Zugeständnissen wissen. „Ich will“, schrieb er, „Belial so leicht mit Christus aussöhnen, wie ihr mich mit dem Papste.“ Seine Worte sind Donnerworte, und sein Glaube war es, der den Kurfürsten und seine Anhänger standhaft erhielt, und des Papstes und des Kaisers Absichten zu Schanden werden ließ.

Am 14. September wurde er durch die Ankunft des Kurprinzen Johann Friedrich und des Grafen von Mansfeld überrascht. Der Erstere brachte ihm einen kostbaren Siegelring mit seinem Wappen zum Ehrengeschenke mit und lud ihn ein, mit ihm zurückzukehren, aber Luther bat, ihn da zu lassen. Er wolle seine Freunde daselbst empfangen und ihnen nach dem heißen Bade den Schweiß abtrocknen. Nach Augsburg schrieb er: „Ihr habt Christum bekannt, Frieden angeboten, dem Kaiser Gehorsam geleistet, habt Unrecht ertragen, seid mit Lästerungen gesättigt worden und habt das Böse nicht mit Bösem vergolten, Summa, Ihr habt das heilige Werk Gottes, wie's den Heiligen ziemt, würdiglich getrieben. Freut Euch nun auch einmal in dem Herrn und seid fröhlich, Ihr Gerechten; sehet auf und hebt Eure Häupter auf, denn Eure Erlösung ist nahe. Ich will Euch heilig sprechen als Christi treue Glieder und was wollt Ihr Ruhms mehr? Oder ists etwa ein Geringes, Christi Amt treu geführt und sich als sein würdig Glied erwiesen zu haben?“

Endlich am 23. September verließ der Kurfürst mit den Seinen Augsburg, da er sahe, dass des Kaisers Zorn nicht gewendet, und durch keine Unterhandlungen dem Worte Gottes und der gerechten Sache der Protestanten eine Anerkennung gewonnen werden konnte. Am Schlusse des Monats empfing Luther die Geängsteten und Betrübten mit großer Freude in Koburg, sprach ihnen Trost und Mut ein und reiste mit ihnen über Altenburg, wo er bei Spalatin, der jetzt hier Prediger war, einkehrte, über Torgau nach Wittenberg zurück. Auf der ganzen Reise hatte er fast täglich vor seinem Landesherrn gepredigt. In der Mitte des Oktobers war er wieder im Schoße seiner Familie.

Das große Werk war getan. Vor neun Jahren hatte er in Worms noch allein Gott und den Heiland in deutscher Weise vor Kaiser und Reich bekannt, jetzt hatten es Andre für ihn getan, ein großer Teil der Nation, die edelsten und angesehensten Männer, unter denen Fürsten, Herren und städtische Obrigkeiten waren. Wäre des Kaisers Sinn nicht tot, sein Auge nicht verschlossen gewesen, er hätte wahrnehmen müssen, dass nicht die Eitelkeit, der Ehrgeiz oder die zufällige Unzufriedenheit eines Bettelmönches die Ursache des großen Streites sei.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther - Ein deutsches Leben