Luther. Der Deutsche.
Luther war ein Deutscher im genauesten Sinne des Wortes; er war so sehr Vertreter des deutschen Volksgeistes, dass man ihn sogar die Personifikation desselben genannt hat. Er soll insonderheit auch die Entwicklungsstufe dargestellt haben, auf der sich damals der Volksgeist befunden hat. Er soll alle Bestrebungen und Neigungen, alles Wünschen, Hoffen und Sorgen des Volkes und der Zeit in sich zur Geltung und zum Ausdrucke gebracht haben. Wenn dieses der Fall ist, und es ist der Fall, so müssen wir zuvorderst nach der Eigentümlichkeit, nach den besonderen Merkmalen und Kennzeichen unserer Volkstümlichkeit fragen. Dem Deutschen wird vorzugsweise Gemüt zugeschrieben. Gemüt ist Geist in der Richtung des Handelns oder der Sittlichkeit, während Vernunft derselbe Geeist ist in der Richtung der Erkenntnis und des Urteils. Wenn der Deutsche sich also durch gemütvolles Handeln und vernünftige Erkenntnisweise auszeichnet, so spricht dies nicht sowohl für den größeren Umfang seines Geistes, im Vergleich zu demjenigen anderer Völker - Individualitäten, sondern vielmehr für die größere Tätigkeit und Gegenwärtigkeit desselben in dem ganzen Menschen. Namentlich stehen in dieser Beziehung die romanischen Völker, besonders die Franzosen, gegen uns zurück. Der Grund davon sind die Sprachen. Wir haben eine Ursprache, die aus unserem eigensten Wesen, aus unserer Natur erwachsen ist, und die wir daher auch im Innersten verstehen oder mindestens mit Ahnung und Gefühl auffassen. Der Franzose spricht eine abgeleitete Sprache, die aus einer anderen Volkstümlichkeit hervorgewachsen ist, und die er sich nur äußerlich angeeignet, nach Zeit und Ort umgedeutet, und seiner besondern Eigentümlichkeit anbequemt und angepasst hat. Er spricht das Französische wie eine gut erlernte fremde Sprache. Ein Verständnis ihres Innern hat er nicht, und seine eigenste Natur kann er daher nicht durch sie zum Ausdruck bringen. Weil er sich aber zu seiner Sprache in diesem äußerlichen, d. h. konventionellen Verhältnisse befindet, so muss er auf Äußerlichkeit und Konvenienz überhaupt einen großen Wert legen. Er muss sich andern Völkern gegenüber in die Brust werfen und seine Nationalität um so mehr zur Geltung zu bringen suchen, je weniger sie durch inneren Gehalt Bedeutung hat. Wenn der Franzose Ausländern gegenüber in hohem Tone ausruft: je suis Français, so bedeutet das so viel, wie wenn der Baron, der nichts ist als Baron, zur Begründung seiner Ansprüche in demselben Tone sagt: ich bin Edelmann. Von beiden Seiten wird der Ton auf Äußerlichkeiten, auf Autorität und Tradition gelegt. Der Franzose stützt sich auf den Ruhm Ludwigs des Vierzehnten und Napoleons des Ersten und die Anerkennung, welche die große Nation bei allen Völkern Europas erfahren, der Edelmann auf seine Geburt, d. h. auf das wirkliche oder auch nur vermeintliche Verdienst seiner Vorfahren. Der göttliche Adel des Geistes kommt da wie hier nicht in Betracht. Die Ebenbürtigkeit wird gleichsam nach Buchstaben und Zahlen abgemessen, und der Mensch, das Ebenbild Gottes, tritt überall vor dem Herrn von Stande oder dem Volke von politischem Namen zurück. Der Mensch aber als solcher ist zum Herrn der Schöpfung, er ist zur Offenbarung Gottes auf Erden bestimmt. Christus ist unser Heiland und Erlöser, weil er offenbart hat, dass alle Menschen Kinder Gottes sind, dass Jeder, der ihm nachwandelt, sein Leben nachlebt, ihn gleichsam anzieht, König und Prophet und Priester im Reiche des Geistes ist. Dieses Vermögen, das jeder Mensch besitzt, wird aber nur zur Entwicklung gebracht, zur Kraft erhoben, wenn der Mensch Glauben hat, den Glauben nämlich an den Gott in sich, an die göttliche Natur seines Geistes, dem sich sein Ich, sein endliches, irdisches Teil so zu unterwerfen hat, wie das Werkzeug der Hand des bildenden Meisters unterworfen ist. Wenn nun das Gegenteil angenommen, wenn Geblüt und Herkommen, und was sonst damit zusammenhängt, als das Entscheidende für den Wert des Menschen betrachtet wird, so kann sich weder der Geist im Allgemeinen, noch der Volksgeist im Besonderen geltend machen. Es ist Nacht bei solchen Menschen, und sie werden so lange Knechte sein, bis sie zu ihrer ursprünglichen Natur, zu ihrem wahren Verhältnisse zu Gott, bis sie zum Glauben zurückgeführt werden.
Der deutsche Volksgeist, obwohl er, oder vielmehr grade weil er urkräftiger und gewaltiger ist als andere Volksgeister, lässt sich leicht von dem Erdgeiste, den Abstraktionen des Verstandes, den Überlieferungen und Konvenienzen berücken und unterdrücken. Ihm wird leicht imponiert, und wenn Einer nur recht verwegen und anmaßend auftritt, so zieht er sich mit einfältigem Gesicht zurück und bittet wohl noch um Verzeihung, als ob er etwas ganz Ungehöriges gewollt hätte. Dies hat aber seine Grenzen. Plötzlich dämmert ihm ein Licht auf, ein Funke heiligen Geistes durchglüht ihn, und sein inneres Wesen geht so sehr in seine Körperlichkeit über, tritt so ganz in seine Erscheinung heraus, dass der ganze Mensch, wie über sich selbst hinausgehoben, das Unwahrscheinlichste, das Ungeheuerste zu Stande bringt. Dieses Heraustreten des innersten Wesens in das äußere Benehmen und Tun ist bei den Deutschen von jeher, namentlich im Schlachtenkampfe, beobachtet und angestaunt worden. Sie selbst bezeichnen diesen Zustand als Berserker-Wut, die alten Römer als furor teutonicus und die heutigen Italiener als furore tedesco. Dieser Zorn macht sich aber nicht nur im Kampfe mit dem Schwerte, sondern auch in dem Kampfe auf geistigem Gebiete geltend, und hier zeigt er sich sogar viel furchtbarer als dort und viel mehr in seinem göttlichen Ursprung.
Luther ist durch seinen Glauben in diesen Zustand versetzt worden, und durch ihn hat er den Mut und die Kraft und die Sicherheit gewonnen, Gott gegen die Welt zu verteidigen, und mit Recht hat ihn deshalb das Volk in tiefster Bedeutung einen Mann Gottes genannt. Ein Mann Gottes, wenn man damit nicht bloß den priesterlichen Stand bezeichnet, ist ein rechter, echter, wahrer Mensch mit rüstigem Körper, mit offenem Auge und offenem Ohre, der vom tiefsten Gefühle der Demut durchdrungen, die falsche Bescheidenheit nicht achtet, welche sich vor der irdischen Größe ohne Ehrfurcht vor sich selbst beugt. Luther achtete die Natur in sich und brannte vor Anbetung gegen Gott, den er als seinen Schöpfer in sich walten fühlte, und dem er daher mehr Gehorsam und kindliche Hingebung schuldig zu sein glaubte als allen geistlichen und weltlichen Fürsten. Ich und mein Gott, sagte er, wir haben ein gutes Bündnis gemacht, damit wir der Welt und der Hölle trotzen können. Es ist ein Schauspiel, das über alle Schauspiele geht, einen solchen Menschen durchs Leben wandeln zu sehen, so sich selbst gegenwärtig bei jeder Gefahr, so zum Widerstand gerüstet bei jedem Angriffe, so schüchtern und zum Nachgeben bereit in jedem zweifelhaften Falle, so liebevoll und so schonungslos, so demütig und so stolz, so versöhnlich dem Feinde, den er eben erst zu Boden geschlagen, und so hart und unnachsichtig dem Freunde, wenn er die Sache Gottes durch ihn verletzt hält. Allen Alles zu sein, was der Apostel Paulus für ruhmwürdig hält, das war auch Luthers Sache, und das ist die Sache des Menschen, wenn er ein Mensch ist, und nicht bloß Fürst oder Ritter oder Rat oder Doktor. Luther war einfältig in gutem Sinne, und mit einfältigem Auge sah er die Welt und die Menschen an. Er war ein Kind in dem Verhältnis zu den Dingen, die ihn nichts angingen, und hier zeigt er auch Fehler und Schwächen wie die Kinder: aber er war ein Mann und ein Riese, sobald er sich durch Amt und Beruf aufgefordert fühlte, einer falschen Lehre oder einem schädlichen Missbrauch entgegen zu treten.
Er sagt: „Ich bin eines Bauern Sohn. Mein Vater, Großvater, Ahnherr sind rechte Bauern gewesen. Hernach ist mein Vater nach Mansfeld gezogen und ein Berghauer geworden.“ Es ist sonderbar: der Heiland wählte seine Boten an die Völker aus Zöllnern und Fischern, Huß und Luther sind aus Bauerngeschlechtern, Zwingli aus der Hütte eines Alpenhirten, Melanchthon aus der Werkstätte eines Waffenschmieds hervorgegangen; der große deutsche Philosoph Jakob Böhme war eines Handwerkers Sohn und selbst ein Handwerker, und Schiller und Goethe, Beide stammen von Bauern ab. Woher kommt es, dass die geistigen Heroen sich mit den Wurzeln ihres Stammbaumes in die untersten Schichten der Gesellschaft verlieren? Jemehr der Mensch sich auf Endliches stützt, auf Stand und Rang und Vermögen, um so weniger ist er aufgefordert, sich auf das Ewige, auf den Gott in sich selber zu stützen. Der Adel der Geburt und das Herkommen überhaupt gewöhnt an eine noble Gesinnung, die sehr hoch zu schätzen ist, und die für den Adel des Geistes das vortrefflichste Surrogat bietet. Zur Lösung aller gesellschaftlichen Verpflichtungen ist das in dieser Weise Angeborene meist ausreichend, und mit Leuten von Familie lässt es sich in den meisten Fällen besser verkehren als mit andern. Aber über den mittleren Stand des geistigen und sittlichen Lebens erheben sie sich nicht, und zur Eröffnung neuer Bahnen sind sie vollends ungeschickt. Dazu gehören Menschen, die durch den göttlichen Adel des Geistes über Geburt und Vermögen, über Stand und Herkommen hinauswachsen, die nur durch das, wozu Gott sie durch ihre Anlagen und durch ihr Amt unmittelbar berufen hat, Geltung haben wollen.
Je weniger adlig Einer geboren ist, um so höheren Adel des Geistes wird er im Stande sein sich zu erringen, wenn er seine Leidenschaften und Begierden zu bezähmen und sich ganz dem Zuge des Geistes hinzugeben, die Kraft hat. — Darum gehen so selten großartige Umgestaltungen, welche der ganzen Menschheit zu Gute kommen, von den Hochgeborenen aus, weil sie die erblichen Vorzüge, die ihnen zu Teil geworden sind, nicht gegen das allgemein Menschliche und das allgemein Göttliche, das ja Allen gehört, austauschen mögen. Glücklicherweise aber sterben nur kaiserliche und fürstliche und sonstige Dynasten-Familien aus; selbst ganze Völker gehen im Sturme der Zeiten zu Grunde; aber die Dynastie Luther stirbt nie aus. Ihr Thron ist ein ewiger, wie der Thron Gottes, und wenn auch ganze Jahrhunderte vorübergehen, die mit hierarchischer Finsternis bedeckt oder mit dem hohlen Pomp fürstlicher oder ständischer Interessen angefüllt sind, immer bringt die alte Mutter Erde einmal wieder einen Urgeist hervor, der den von der Eigensucht angehäuften bunten Plunder zusammenschlägt und das ursprüngliche Verhältnis des Menschen zum Menschen wiederherstellt.
Zwei Mal schon ist in der Weltgeschichte die deutsche Kraft und der deutsche Geist berufen gewesen, der römischen Welt gebieterisch entgegen zu treten und unserm ganzen Geschlecht neue Bahnen der Entwicklung zu öffnen: einmal in der Zeit der Völkerwanderung der weltlichen Herrschaft der Römer, und dann im sechzehnten Jahrhundert der nicht minder verderblichen geistlichen Herrschaft Roms. Hoffen wir, dass es Deutschland beschieden sein wird, auch ferner Männer hervorzubringen, welche das Schwert des göttlichen Geistes zu führen vermögen gegen die Anmaßungen und gegen die Eigensucht des irdischen Verstandes; denn auf dieser Hoffnung beruht die Zukunft des Heilands. Christus wird wiederkehren auf Erden, wenn die Ebenbürtigkeit aller Menschen eine allgemein anerkannte Tatsache geworden ist, wenn nicht mehr bloß an den Buchstaben der heiligen Schrift geglaubt wird, sondern wenn die ewigen Wahrheiten, die vermittelst des Geistes Gottes darin niedergelegt sind, sich in verständige und verständliche Wahrheiten werden verwandelt haben.
Luther ist der größte Sohn seiner Zeit, und mehr können wir von einem Menschen nicht verlangen. Streben wir nur danach, das in unserer Zeit zu sein, was er der seinigen war, d. h. mit seiner Unbefangenheit und Wahrheitstreue die Welt und namentlich die kirchlichen Verhältnisse zu beurteilen. Unsere Aufgabe ist der seinigen ähnlich, aber die Welt, aus der wir hervorgewachsen sind, und die uns umgibt, ist eine andere, und wie wir es daher mit einem anderen Gegner zu tun haben, so müssen wir auch andere Waffen führen und uns einer entsprechenden Kampfesweise befleißigen. Aber Luther bleibe uns Vorbild und Muster, so wir werden uns an der Betrachtung seines Denkens und seines Tuns stärken und ermutigen.
Der deutsche Volksgeist, obwohl er, oder vielmehr grade weil er urkräftiger und gewaltiger ist als andere Volksgeister, lässt sich leicht von dem Erdgeiste, den Abstraktionen des Verstandes, den Überlieferungen und Konvenienzen berücken und unterdrücken. Ihm wird leicht imponiert, und wenn Einer nur recht verwegen und anmaßend auftritt, so zieht er sich mit einfältigem Gesicht zurück und bittet wohl noch um Verzeihung, als ob er etwas ganz Ungehöriges gewollt hätte. Dies hat aber seine Grenzen. Plötzlich dämmert ihm ein Licht auf, ein Funke heiligen Geistes durchglüht ihn, und sein inneres Wesen geht so sehr in seine Körperlichkeit über, tritt so ganz in seine Erscheinung heraus, dass der ganze Mensch, wie über sich selbst hinausgehoben, das Unwahrscheinlichste, das Ungeheuerste zu Stande bringt. Dieses Heraustreten des innersten Wesens in das äußere Benehmen und Tun ist bei den Deutschen von jeher, namentlich im Schlachtenkampfe, beobachtet und angestaunt worden. Sie selbst bezeichnen diesen Zustand als Berserker-Wut, die alten Römer als furor teutonicus und die heutigen Italiener als furore tedesco. Dieser Zorn macht sich aber nicht nur im Kampfe mit dem Schwerte, sondern auch in dem Kampfe auf geistigem Gebiete geltend, und hier zeigt er sich sogar viel furchtbarer als dort und viel mehr in seinem göttlichen Ursprung.
Luther ist durch seinen Glauben in diesen Zustand versetzt worden, und durch ihn hat er den Mut und die Kraft und die Sicherheit gewonnen, Gott gegen die Welt zu verteidigen, und mit Recht hat ihn deshalb das Volk in tiefster Bedeutung einen Mann Gottes genannt. Ein Mann Gottes, wenn man damit nicht bloß den priesterlichen Stand bezeichnet, ist ein rechter, echter, wahrer Mensch mit rüstigem Körper, mit offenem Auge und offenem Ohre, der vom tiefsten Gefühle der Demut durchdrungen, die falsche Bescheidenheit nicht achtet, welche sich vor der irdischen Größe ohne Ehrfurcht vor sich selbst beugt. Luther achtete die Natur in sich und brannte vor Anbetung gegen Gott, den er als seinen Schöpfer in sich walten fühlte, und dem er daher mehr Gehorsam und kindliche Hingebung schuldig zu sein glaubte als allen geistlichen und weltlichen Fürsten. Ich und mein Gott, sagte er, wir haben ein gutes Bündnis gemacht, damit wir der Welt und der Hölle trotzen können. Es ist ein Schauspiel, das über alle Schauspiele geht, einen solchen Menschen durchs Leben wandeln zu sehen, so sich selbst gegenwärtig bei jeder Gefahr, so zum Widerstand gerüstet bei jedem Angriffe, so schüchtern und zum Nachgeben bereit in jedem zweifelhaften Falle, so liebevoll und so schonungslos, so demütig und so stolz, so versöhnlich dem Feinde, den er eben erst zu Boden geschlagen, und so hart und unnachsichtig dem Freunde, wenn er die Sache Gottes durch ihn verletzt hält. Allen Alles zu sein, was der Apostel Paulus für ruhmwürdig hält, das war auch Luthers Sache, und das ist die Sache des Menschen, wenn er ein Mensch ist, und nicht bloß Fürst oder Ritter oder Rat oder Doktor. Luther war einfältig in gutem Sinne, und mit einfältigem Auge sah er die Welt und die Menschen an. Er war ein Kind in dem Verhältnis zu den Dingen, die ihn nichts angingen, und hier zeigt er auch Fehler und Schwächen wie die Kinder: aber er war ein Mann und ein Riese, sobald er sich durch Amt und Beruf aufgefordert fühlte, einer falschen Lehre oder einem schädlichen Missbrauch entgegen zu treten.
Er sagt: „Ich bin eines Bauern Sohn. Mein Vater, Großvater, Ahnherr sind rechte Bauern gewesen. Hernach ist mein Vater nach Mansfeld gezogen und ein Berghauer geworden.“ Es ist sonderbar: der Heiland wählte seine Boten an die Völker aus Zöllnern und Fischern, Huß und Luther sind aus Bauerngeschlechtern, Zwingli aus der Hütte eines Alpenhirten, Melanchthon aus der Werkstätte eines Waffenschmieds hervorgegangen; der große deutsche Philosoph Jakob Böhme war eines Handwerkers Sohn und selbst ein Handwerker, und Schiller und Goethe, Beide stammen von Bauern ab. Woher kommt es, dass die geistigen Heroen sich mit den Wurzeln ihres Stammbaumes in die untersten Schichten der Gesellschaft verlieren? Jemehr der Mensch sich auf Endliches stützt, auf Stand und Rang und Vermögen, um so weniger ist er aufgefordert, sich auf das Ewige, auf den Gott in sich selber zu stützen. Der Adel der Geburt und das Herkommen überhaupt gewöhnt an eine noble Gesinnung, die sehr hoch zu schätzen ist, und die für den Adel des Geistes das vortrefflichste Surrogat bietet. Zur Lösung aller gesellschaftlichen Verpflichtungen ist das in dieser Weise Angeborene meist ausreichend, und mit Leuten von Familie lässt es sich in den meisten Fällen besser verkehren als mit andern. Aber über den mittleren Stand des geistigen und sittlichen Lebens erheben sie sich nicht, und zur Eröffnung neuer Bahnen sind sie vollends ungeschickt. Dazu gehören Menschen, die durch den göttlichen Adel des Geistes über Geburt und Vermögen, über Stand und Herkommen hinauswachsen, die nur durch das, wozu Gott sie durch ihre Anlagen und durch ihr Amt unmittelbar berufen hat, Geltung haben wollen.
Je weniger adlig Einer geboren ist, um so höheren Adel des Geistes wird er im Stande sein sich zu erringen, wenn er seine Leidenschaften und Begierden zu bezähmen und sich ganz dem Zuge des Geistes hinzugeben, die Kraft hat. — Darum gehen so selten großartige Umgestaltungen, welche der ganzen Menschheit zu Gute kommen, von den Hochgeborenen aus, weil sie die erblichen Vorzüge, die ihnen zu Teil geworden sind, nicht gegen das allgemein Menschliche und das allgemein Göttliche, das ja Allen gehört, austauschen mögen. Glücklicherweise aber sterben nur kaiserliche und fürstliche und sonstige Dynasten-Familien aus; selbst ganze Völker gehen im Sturme der Zeiten zu Grunde; aber die Dynastie Luther stirbt nie aus. Ihr Thron ist ein ewiger, wie der Thron Gottes, und wenn auch ganze Jahrhunderte vorübergehen, die mit hierarchischer Finsternis bedeckt oder mit dem hohlen Pomp fürstlicher oder ständischer Interessen angefüllt sind, immer bringt die alte Mutter Erde einmal wieder einen Urgeist hervor, der den von der Eigensucht angehäuften bunten Plunder zusammenschlägt und das ursprüngliche Verhältnis des Menschen zum Menschen wiederherstellt.
Zwei Mal schon ist in der Weltgeschichte die deutsche Kraft und der deutsche Geist berufen gewesen, der römischen Welt gebieterisch entgegen zu treten und unserm ganzen Geschlecht neue Bahnen der Entwicklung zu öffnen: einmal in der Zeit der Völkerwanderung der weltlichen Herrschaft der Römer, und dann im sechzehnten Jahrhundert der nicht minder verderblichen geistlichen Herrschaft Roms. Hoffen wir, dass es Deutschland beschieden sein wird, auch ferner Männer hervorzubringen, welche das Schwert des göttlichen Geistes zu führen vermögen gegen die Anmaßungen und gegen die Eigensucht des irdischen Verstandes; denn auf dieser Hoffnung beruht die Zukunft des Heilands. Christus wird wiederkehren auf Erden, wenn die Ebenbürtigkeit aller Menschen eine allgemein anerkannte Tatsache geworden ist, wenn nicht mehr bloß an den Buchstaben der heiligen Schrift geglaubt wird, sondern wenn die ewigen Wahrheiten, die vermittelst des Geistes Gottes darin niedergelegt sind, sich in verständige und verständliche Wahrheiten werden verwandelt haben.
Luther ist der größte Sohn seiner Zeit, und mehr können wir von einem Menschen nicht verlangen. Streben wir nur danach, das in unserer Zeit zu sein, was er der seinigen war, d. h. mit seiner Unbefangenheit und Wahrheitstreue die Welt und namentlich die kirchlichen Verhältnisse zu beurteilen. Unsere Aufgabe ist der seinigen ähnlich, aber die Welt, aus der wir hervorgewachsen sind, und die uns umgibt, ist eine andere, und wie wir es daher mit einem anderen Gegner zu tun haben, so müssen wir auch andere Waffen führen und uns einer entsprechenden Kampfesweise befleißigen. Aber Luther bleibe uns Vorbild und Muster, so wir werden uns an der Betrachtung seines Denkens und seines Tuns stärken und ermutigen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther - Ein deutsches Leben