Der päpstliche Kammerherr von Miltitz. 1519.

In Rom hatte man der Sache Luthers anfänglich geringe Wichtigkeit beigelegt. Es sei ein Mönchsgezänk, hieß es; was kann auch von den dummen Deutschen Gutes kommen, oder gar, was Gefährliches! Hochmut kommt vor dem Falle. — Bald kam man zu richtigerer Einsicht, und nun überstürzte man sich in Maßregeln zur Unterdrückung der Sache. Noch hatte man keine Nachricht über die Unterhandlungen in Augsburg, als der Papst schon auf neue Kriegspläne sann.

Der sächsische Edelmann Karl von Miltitz, päpstlicher Kammerherr und Domherr mehrerer Stifter, wurde nach Deutschland gesandt, damit er Friedrich dem Weisen die geweihte goldene Rose als Geschenk des Papstes überreiche. Diese Rose sollte das Sinnbild Christi, des Märtyrertodes, der Heiligkeit und der christlichen Kirche sein und wurde jährlich nur einmal als größte Auszeichnung durch einen besonderen päpstlichen Nuntius an einen Fürsten der Christenheit übersandt. In dem Breve des Papstes an den Kurfürsten heißt es, Miltitz habe den Auftrag, zugleich wegen eines Türkenkrieges zu unterhandeln, und wegen Martin Luthers, dieses Kindes des Satans und Sohnes des Verderbens. Er solle dessen Sache untersuchen und gegen ihn und seinen Anhang Verfahren; und da das Gewissen des Kurfürsten durch Luthers tollkühnes Vornehmen nicht wenig geärgert, sowie sein und seiner Vorfahren Ruhm geschwärzt werden könne, so werde er in dem Herrn ermahnt und väterlich ersucht, die Sache wohl zu erwägen, und, da er eben erst mit einem kostbaren Geschenk beehrt worden sei, nun auch dem Commissar zur Ausführung seiner Aufträge mit seinem Ansehen beizustehen. Der Kurfürst, der sich um diese Auszeichnung 1515 selbst beworben hatte, war jetzt so wenig erbaut davon, dass er dem Gesandten zur Überreichung des Kleinodes nicht einmal eine Audienz bewilligte. Er ließ das Geschenk durch einen Rat in Empfang nehmen. Miltitz, der auf seiner Reise durch Deutschland sich über die Stimmung gegen den römischen Hof und zu Gunsten Luthers unterrichtet hatte, äußerte, er würde es mit einem Heere von 25.000 Mann nicht wagen, diesen nach Rom zu führen und entkleidete sich in dem Gespräche mit dem Augustiner-Mönche im Januar 1519 zu Altenburg, wohin er ihn beschieden, allen Hochmutes. Er war nicht nur herablassend gegen Luther, sondern scheinbar auch ganz offen und brüderlich, nicht einmal Widerruf forderte er, sondern nur Stillschweigen, was Luther auch gern zusagte, wenn seine Gegner auch schwiegen. Indessen sollte über die Sache doch noch weiter verhandelt werden. So schieden Beide sehr freundschaftlich, nachdem Miltitz Luthern Abends noch bei sich zu Tische gehabt, ihn mit Tränen ermahnt und schließlich geküsst hatte. Luther sagte, es sei ein Judaskuss gewesen und die Tränen Krokodilstränen.
Luther war ein tiefer Menschenkenner. Alle wahre Menschenkenntnis beruht auf der richtigen Auffassung des Verhältnisses des Menschen zu Gott, und was außerhalb desselben oder ihm fern liegt, ist unwesentlich und gehört nicht zu dem, was der Mensch an sich, sondern was er nur in Folge seiner äußeren Stellung, seines Standes und Ranges ist. Die äußeren Verhältnisse sind gleichsam nur das Kostüm, in welchem der Mensch im Leben auftritt, und wenn man dasselbe auch noch so genau prüft, so lernt man damit doch noch nicht den inneren Menschen kennen. Luther hatte Gott und den Menschen und ihr Verhältnis zu einander in sich kennen gelernt, und darum fand er es auch leicht in Andern. Miltitz war ein Deutscher, aber auf ihn war der römische Geist gepfropft worden, und deshalb war er den Deutschen gefährlicher als ein geborner Römer. Gepfropfte Bäume nehmen bei größerer ursprünglicher Naturkraft doch ganz das Wesen des Pfropfreises an, und so sind Konvertiten kräftiger und furchtbarer als die geborenen Mitglieder einer Volkstümlichkeit, einer Religion oder sonst einer Lebensrichtung. Miltitz war ein Römling im strengsten Sinne und zwar nicht nur deshalb, weil er päpstlicher Kammerherr, sondern weil er von der deutschen zur romanischen Nationalität übergetreten war.


Luther schrieb auch, wie Herr von Miltitz es gefordert hatte, einen demütigen Brief an Leo X., aber was konnte das nützen? Jede fernere Erörterung konnte den Spalt nur vergrößern. Luther war ein reiner Mensch, weil er ein wahrer Jünger Christi war, und der Papst hatte einen erkünstelten, gemachten Standpunkt. Wenn Luther die Autorität des Papstes und die Tradition der Kirche nicht unbedingt anerkennen, sondern auf seinen rein menschlichen und echt christlichen Anschauungen beharren wollte, so musste er verletzen, und um so mehr verletzen, je demütiger er war, denn die wahre Demut kennt keine Verstellung, keine Lüge, keine Maske, kein konventionelles Verschleifen. Er spricht mit Bedauern aus, dass das, was er zur Ehrenrettung der römischen Kirche unternommen, ihm als ein Mangel an Ehrfurcht gegen dieselbe ausgelegt werde. Was solle er nun tun? Den Widerruf, den man fordre, würde er wohl leisten, aber das könne nichts helfen. Seine Schriften wären ganz gegen seine Erwartung außerordentlich weit verbreitet worden und hätten in den Gemütern tiefere Wurzeln geschlagen, als dass sie widerrufen werden könnten; solcher Widerruf könne die römische Kirche nur entehren und anklagen. Die, welche er bekämpft, welche in des Papstes Namen mit ihren ungesalzenen Predigten dem abscheulichsten Geize gefröhnt hätten, wären die Ursache, dass Rom bei den Deutschen so verrufen sei. Jetzt, als ob ihr Maß noch nicht voll sei, klagten sie ihn als den Urheber dessen an, was sie durch ihre Torheit verschuldet. Er schließt: „Nun aber, allerheiligster Vater, bekenne ich vor Gott und allen seinen Kreaturen, ich habe niemals gewollt und will auch heute noch nicht der römischen Kirche oder Deiner Heiligkeit auf irgend eine Weise zu nahe treten oder etwas heimlich gegen sie unternehmen, vielmehr bekenne ich, dass dieser Kirche Gewalt über Alles sei und ihr im Himmel und auf Erden nichts vorzuziehen sei, außer allein Jesus Christus. Aller Herr; und Deine Heiligkeit wolle ja nicht den hinterlistigen Worten Derer Gehör schenken, die dem Luther Anderes nachreden. Und, was ich einzig und allein in dieser Sache zu tun weiß, will ich Deiner Heiligkeit gar gern versprechen, ich will nämlich diese Materie vom Ablass künftighin liegen lassen und ganz darüber stille schweigen (wenn nur auch meine Widersacher ihre leeren Großsprechereien innehalten), und will eine Schrift lassen unter's Volk ausgehen, daraus Jedermann ersehen soll, dass man die römische Kirche aufrichtig verehren und ihr das törichte Beginnen jener Menschen nicht aufbürden müsse, und dass man die scharfe Schreibart gegen die römische Kirche nicht nachahmen dürfe, deren ich mich bedient, ja allzu sehr bedient habe, und worin ich, indem ich gegen jene Schreier schrieb, zu weit gegangen bin.“

Solche Sprache konnte, wenn die Wahrheiten, die sie aussprach, selbst anerkannt worden wären, dem Herrn der Welt, wofür sich der Papst hielt, und wofür er von seinen Anhängern gehalten wurde, nicht gefallen, und man musste sich in Rom überzeugen, dass hier nur gewaltsame Unterdrückung Rettung bringen könne. Miltitz hatte 70 Briefe oder Breven Leos X. nach Deutschland mitgebracht, an den Stadtrat von Wittenberg, an den Ritter von Feilitzsch, den Rat des Kurfürsten, an geistliche und weltliche Personen von Einfluss, welche beschworen wurden, den Ketzer unterdrücken zu helfen, und alle diese Mittel waren erfolglos angewendet worden. „Auf Einen Anhänger Roms“, sagte Miltitz, „findet man immer drei Anhänger Luthers.“ Wirklich scheint man auch vor dem Äußersten nicht zurückgebebt zu sein. In Wittenberg beabsichtigte ein Mensch ein Attentat auf Luther, wurde aber entdeckt und entfloh, ehe das Volk ihn in die Elbe werfen konnte, und Luther durfte es wagen, an Miltitz zu schreiben, dass man ihn für den Anstifter dieses Attentats halte. Der Reformator fuhr indessen fort, den Gang seiner Angelegenheit durch Schriften der Mitwelt bekannt zu machen. Außer einer Appellation an ein allgemeines Konzil, die er schon am Schlusse des Jahres 1518 verfasst hatte, schrieb er zu Anfang 1519 eine Schrift: „Unterricht auf etliche Artikel, so ihm von seinen Abgönnern aufgelegt und zugemessen worden“. Er handelt darin von der lieben Heiligen Fürbitte, vom Fegefeuer, vom Ablass, von den Geboten der heiligen Kirche, von guten Werken und von der römischen Kirche, und sagt: Er halte mit der ganzen Christenheit fest, dass man die lieben Heiligen ehren und anrufen solle, denn Gott tue noch heutigen Tages sichtiglich bei ihren Körpern und Gräbern durch ihren Namen Wunder. Aber das sei wahr, und das habe er gesagt, es sei nicht christlich, dass man geistliche Notdurft nicht mehr oder fleißiger denn die leibliche bei den Heiligen suche. Auch sei es närrisch zu meinen, die Heiligen hätten eine Macht oder Gewalt, Solches zu tun, so sie doch nur Fürbitter seien und Alles durch Gott allein getan werde. — Vom Fegfeuer solle man fest glauben, dass die armen Seelen unselige Pein leiden und man ihnen zu helfen schuldig sei mit Beten, Fasten, Almosen, und was man vermöge; aber welcher Art die Pein sei, und ob sie allein zur Genugtuung oder auch zur Besserung diene, wisse er nicht und wisse Niemand genug. Auch „das, man mit Ablass ins Fegefeuer rauschen will und also mit Gewalt in Gottes heimliche Gerichte fallen“, wisse er nicht zu behaupten; es möge glauben, wer da wolle; er wolle es nicht glauben, es werde denn besser bewiesen. — Vom Ablass sei dem gemeinen Mann genug zu wissen, dass er sei Entledigung der Genugtuung für die Sünde, so doch, dass er gar viel geringer sei, denn gute Werke, welche geboten und wir zu tun schuldig seien; er sei frei und willkürlich, es sündige Niemand, der ihn löse, verdiene auch nichts, der ihn löse. Was mehr davon zu wissen sei, solle man den Gelehrten in den Schulen überlassen. Gottes Gebot solle man über der Kirchen Gebot achten, wie das Gold und Edelgestein über das Holz und Stroh nach 1. Kor. 3. Er habe gute Werke nicht widerraten, sondern die rechten guten Werke den geringen vorgezogen. „Denn“ — sagt er — „obschon kein Gebot der Kirchen wäre, könnte man doch wohl fromm sein durch Gottes Gebot. Wenn aber Gottes Gebot nachbleibt, so ist der Kirchen Gebot nichts anderes, denn ein schädlicher Schanddeckel, und macht außen einen guten Schein, da inwendig nichts Gutes ist. Derhalben ist auch mein Rat, dass man der Kirchen Gebot eines Teils ablegte in einem Concilio, auf dass man Gottes Gebot auch einmal scheinen und leuchten ließe, denn mit den Lichten vieler Gebot hat man beinahe dem Tag göttliches Gebots die Augen ausgeleuchtet.“ — Von guten Werken habe er gesagt und sage noch, dass Niemand könne fromm sein und wohltun, es mache ihn denn Gottes Gnade zuvor fromm, und durch Werke werde Niemand fromm, sondern gute Werke geschähen allein durch den, der fromm ist, gleichwie die Früchte nicht den Baum machten, sondern der Baum die Früchte brächte. Gott wolle, wir sollten an uns, an unserm Leben und guten Werken verzweifeln, und erkennen, dass wir mit allen unsern besten Werken vor seinen Augen nicht bestehen, sondern allein auf seine grundlose Gnade und Barmherzigkeit uns vertrösten und also in Furcht wandeln müssten. Die Werke und das Leben, die aus solchem furchtsamen, demütigen Herzen geschähen, seien gut, und nicht die, die auswendig gut scheinten. — Die römische Kirche sei von Gott vor allen andern geehrt; und ob es wohl jetzt leider zu Rom nicht gut stehe, so sei das doch kein Ursach, sich von dieser Kirche zu scheiden, ja je übler es da zugehe, desto mehr solle man ihr anhängen, denn durch Abreißen oder Verachten werde es nicht besser. Wie weit sich aber die Gewalt und Obrigkeit des römischen Stuhls erstrecke, solle man die Gelehrten ausfechten lassen, denn daran sei der Seelen Seligkeit gar nicht gelegen. Die Gewalt möge sein, wie sie wolle, groß oder klein, wie Gott sie austeile, so müssten wir uns zufrieden geben; allein der Einigkeit müsse man Acht nehmen und bei Leibe nicht widerstreben päpstlichen Geboten.

Diese Schrift übersandte Luther dem Papste; denn es ist eben diejenige, von der er in seinem Briefe an denselben spricht. Sie besänftigte nicht, wie er sich schmeichelte, sondern erregte mit Recht Grauen.

Miltitz hatte auch Tetzel nach Altenburg berufen, aber dieser lag krank in dem Dominikaner-Kloster zu Leipzig. Als der Gesandte später selbst dahin kam, ließ er ihn vor sich rufen, und machte ihm bittere Vorwürfe über die ungehörige Weise, mit der er den Ablasshandel betrieben habe. Er wies ihm auch durch die Belege eines Gehilfen des Fuggerschen Handelshauses nach, dass er des Unterschleifes schuldig sei. Der Mann fühlte sich durch diese Behandlung tief gekränkt, denn bis auf einzelne Ausschweifungen meinte er nur nach Vorschrift seiner Oberen gehandelt zu haben, und deshalb im Rechte zu sein. Er starb bald darauf von Freunden und Feinden mit Verachtung oder Missliebigkeit betrachtet. Nur Luther äußerte ein Wort wahren Bedauerns: „Es ist mir leid, dass Tetzel in solche Bedrängnis und Schande geraten; ich wollte viel lieber, er wäre in Ehren erhalten worden und hätte sich gebessert.“

Am 17. Januar 1519 starb Kaiser Maximilian I. Man nennt ihn den letzten Ritter, weil er der letzte mittelalterliche Kaiser war. Er war ein frischer, kräftiger, deutscher Mann, aber ein Habsburger, und unterscheidet sich in kirchlicher Beziehung nur dadurch von den späteren Kaisern dieses Geschlechtes, dass er auf naive, d. h. bewusstlose Weise tat, wonach diese mit Reflexion strebten; die kirchlichen Verhältnisse wurden ausschließlich zur Erreichung politischer Zwecke, zur Unterdrückung des deutschen Volkes benutzt. „Duckt es da, folgt es uns eben auch.“ Zu Anfang des Jahres 1518 freut sich Maximilian an dem Widerstande Luthers gegen die römische Kirche und lässt dem Kurfürsten sagen, er solle den Mönch wohl bewahren, man wisse nicht, wie man ihn gebrauchen könne. Sechs Monate später schreibt er an Leo X., weil er im Augenblick dessen Gunst benötigt ist. Er beklage die Halsstarrigkeit Luthers, der nicht nur selbst auf seiner Lehre zu beharren gedenke, sondern auch viele Patrone und Verteidiger unter den Mächtigen und Einflussreichen für sich gewonnen habe. Er möge diesen Anstifter loser, törichter und unnützer Fragen stillen und dämpfen, und fährt dann fort: „Denn was Eure Heiligkeit in diesem Handel zu Lob und Ehre Gottes des Allmächtigen und der Christgläubigen Heil schließen wird, da wollen wir ernstlich über halten, und verschaffen, dass es von Jedermann in unserem Reich soll gehalten werden.“ — Das nennt man diplomatisch verfahren und klug aus jedem Umstande, jeder Wendung der Verhältnisse seinen Vorteil ziehen. An Gott und die Wahrheit wird dabei nicht gedacht. Da war der Kurfürst von Sachsen ein anderer Mann. Er suchte auch seine und seines Volkes Wohlfahrt, aber ihm galt auch das etwas, was göttlich recht ist. Er wurde nun für die Zeit bis zur Wahl eines neuen Kaisers Reichsverweser, und damit erlangte das Werk Luthers einen außerordentlichen Vorschub.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther - Ein deutsches Leben