Der Schmalkaldische Bund. 1531 — 1537

Der Reichstag zu Augsburg ist eine epochemachende Begebenheit nicht nur in der Geschichte der Reformation, sondern auch im Leben Luthers. Bis zur Zeit des Bauernkrieges 1525 dauert der Angriff gegen die römische Kirche, bis zur Übergabe der Augsburgischen Bekenntnisschrift der Ausbau und die Begründung der Lehre und der gottesdienstlichen Gebräuche nach der deutschen Auffassung des Evangeliums, von dieser Zeit aber an walten die Grundsätze der Bewahrung und Erhaltung vor. Im Ganzen ist dieser Gang der Entwicklung natürlich und notwendig, denn dem Krieg muss der Frieden, der Bewegung die Ruhe folgen. Es war so viel in der religiösen Anschauung geändert und gebessert worden, dass eine weitere Änderung und Besserung rücksichtlich des allgemeinen Bildungszustandes der Zeit unmöglich war, und in der Tat wäre mehr als genug gewonnen gewesen, wenn das gesamte deutsche Volk sich auf den religiösen Standpunkt Luthers hätte erbeben können, ja wenn es nur die Gelehrten und Geistlichen vermocht hätten. Allein das war nicht der Fall, und bei dem Abschlusse der reformierenden Tätigkeit irrten Luther und seine Anhänger, als sie voraussetzten, dass die volle, ganze Wahrheit bereits gefunden und die Entwicklung der protestantischen Lehre für alle Zeit beendet sei. Luther hätte weniger geben können, als er gegeben hat, und er würde doch unserem Volke einen größeren Dienst geleistet haben, falls er nur den Grundsatz weiterer Entfaltung festgehalten, und seiner großen Entdeckung, dass der Mensch seinem Gewissen, d. h. dem Gotte in ihm unter allen Umständen zu gehorchen habe, auch in Bezug auf Andre, hätte Folge geben wollen. Nun aber ließ er sich durch den Missbrauch und die Irrtümer, die man mit der evangelischen Freiheit trieb, schrecken, und zwang daher seine Zeitgenossen, wie seine Nachfolger, auf die Wege zurückzukehren, die er selbst verlassen hatte. Er hatte die Autorität des Papstes gestürzt und die Tradition des Mittelalters beseitigt, und dann doch in sich eine neue Autorität aufgestellt, und seine Einrichtungen als geheiligten Tatbestand den Nachkommen hinterlassen.

Zu seiner Entschuldigung lässt sich allerdings sagen, dass er durch seinen Bildungsgang und durch seine Schicksale zu diesem Verfallen genötigt worden sei, und dass weder seinen Zeitgenossen, noch den nachfolgenden Jahrhunderten ein Nachteil aus demselben würde erwachsen sein, wenn sich der wahre, lebendige Geist des Evangeliums, wie er in Luther selbst waltete, bei dem deutschen Volke erhalten hätte. Dies geschah nicht, denn die verjährte römische Richtung hatte so tief im Geiste des Volkes Wurzel gefasst, dass sie nicht mit einem Schlage beseitigt werden konnte. Der heroische Aufschwung und die Begeisterung, wozu er die Edelsten seines Volkes fortgerissen hatte, erlahmte in dem Kampfe gegen die tausend Feinde, die überall gegen ihn aufstanden, und die trotz aller Niederlagen sich durch die Berührung mit dem Hergebrachten immer wieder mit erneuter Kraft gegen ihn erhoben. So musste er zufrieden sein, das errungene Gebiet sich zu erhalten und konnte an weitere Eroberungen nicht denken. Persönlich bewahrt er sich dabei eine Größe und Würde, die seiner Vergangenheit entsprechend ist. Er bleibt bis zu seinem Tode die unerschütterliche Säule, an welche sich Alle, vom Fürsten bis zum Dorfgeistlichen herab, anlehnen und stützen, die das große Werk der religiösen Wiedergeburt des deutschen Volksgeistes zu dem ihren gemacht haben. Alles, was geschieht, nicht nur auf kirchlichem, sondern auch auf politischem Gebiete, muss von ihm genehmigt, ja gleichsam geheiligt werden, und er bildet so gewissermaßen in dem Rate der protestantischen Stände die Spitze oder den Souverain, von dem die letzte Entscheidung ausgeht.


Der Kaiser hatte auf dem Reichstage zu Augsburg den letzten Trumpf ausgespielt und die Partie dennoch verloren. Er hatte geglaubt, durch sein kaiserliches Ansehen und seine kaiserliche Macht die Gegner zu schrecken und zu beugen; aber sie hatten ihn donnern lassen und waren, ihres Gottes gewiss, davon gezogen. Es war nun seine Sache, eine Annäherung und Versöhnung wieder anzubahnen, da die allgemeinen Zustände, und besonders die Gefahr vor den Türken, ihm einen Bürgerkrieg als höchst bedenklich erscheinen ließen. Zunächst wünschte er sich einen zuverlässigen Stellvertreter in Deutschland, weil er selbst sich nach Spanien zurücksehnte, und betrieb deshalb die Wahl seines Bruders, des Erzherzogs Ferdinand, zum römischen König. Die evangelischen Fürsten widerstrebten dieser Wahl, aber Luther forderte mit Entschiedenheit, dass man in allen weltlichen Angelegenheiten dem Kaiser gehorchen solle. Er bewirkte schließlich auch die allgemeine Anerkennung Ferdinands, obwohl sich, grade von weltlichem Standpunkte aus, gewichtige Bedenken dagegen erheben ließen. Unterdessen hatten im März 1531 die evangelischen Stände ein Bündnis zu Schmalkalden geschlossen, das aber nur ihre Verteidigung zum Zwecke hatte, wenn sie von dem Kaiser oder ihren römisch gebliebenen Landsleuten angegriffen werden sollten. Luther, der anfänglich von gar keinem, selbst nicht von einem Schutzbündnis, hatte hören wollen, war endlich von der Notwendigkeit einer solchen Vereinigung überzeugt worden und verfasste eine Schrift unter dem Titel: „Doctor M. Luthers Warnung an seine lieben Deutschen“, in welcher er unter Anderem sagt: „Das ist aber mein treuer Rat, dass, wo der Kaiser würde aufbieten und wider unser Teil kriegen wollt, dass in solchem Fall sich kein Mensch dazu brauchen lasse, noch dem Kaiser gehorsam sei, sondern sei gewiss, dass ihm von Gott verboten ist, in solchem Fall dem Kaiser zu gehorchen, und wer ihm gehorcht, dass er wisse, wie er dem lieben Gott ungehorsam und sein Leib und Seele ewiglich verkriegen wird. Denn der Kaiser handelt alsdann nicht allein wider Gott und göttlich Recht, sondern auch wider seine eigene kaiserlichen Rechte, Eide, Pflicht, Siegel und Briefe.“ Zum Schluss sagt er: „Dies will ich meinen lieben Deutschen zur Warnung gesagt haben: dass ich nicht zu Krieg noch Aufruhr will Jemand hetzen oder reizen, sondern allein zum Frieden. Wo aber unsere Teufel, die Papisten, nicht wollen Frieden halten, sondern mit solchen verstockten Zweifeln, ungebüßet, wider den heiligen Geist rasend, dennoch kriegen und drüber blutige Köpfe davon bringen, oder gar zu Boden gehen würden, will ich hiermit öffentlich bezeugt haben, dass ich solches nicht getan, noch Ursache dazu gegeben habe; sondern sie wollens so haben, ihr Blut sei auf ihrem Kopf, ich bin entschuldigt und habe das Meine auf das Allertreulichste getan. Hinfort lass ich den richten, der richten will, soll und auch kann, der wird nicht säumen und auch nicht fehlen.“

In Folge dieser entschiedenen Haltung der Evangelischen kam es im Jahre 1532 in Nürnberg zu einer Ausgleichung durch eine Art von Religionsfrieden, in welchem bestimmt wurde, dass die protestantischen Stände bis zur Entscheidung einer allgemeinen Kirchenversammlung in ihrem gegenwärtigen Bestande unangetastet verbleiben und ihres Glaubens wegen von keiner andern Macht sollten angegriffen werden. Diejenigen aber, welche erst nach dieser Zeit die römische Kirche verlassen würden, sollten dieser Vergünstigung nicht teilhaftig werden, was Luther auch zugab, obwohl die Meisten seiner Anhänger damit nicht zufrieden waren. Der Friede stand ihm höher als die Aussicht auf eine allgemeine religiöse Einigung des ganzen Deutschlands; doch wurde er seinem Charakter dabei nicht untreu, sondern fürchtete nur, dass die politischen Rücksichten, von denen die protestantischen Stände sich teilweise leiten ließen, die Sache der Religion allmählich in den Hintergrund schieben würden. Es ist dies freilich eine irrtümliche Ansicht gewesen, denn religiöses und staatliches Leben sind enge mit einander verbunden, und das Eine lässt sich von dem Andern nicht trennen; doch war dieser Standpunkt damals noch nicht in seiner Wichtigkeit erkannt, sondern hat sich erst später deutlich herausgestellt, und selbst heute scheint er leider Vielen noch eine unbegreifliche Sache.

Der Kurfürst Johann von Sachsen hatte diesen Frieden kaum vollzogen, als er plönlich am 16. August 1532 aus diesem Leben abgerufen wurde, und sein Sohn, der Kurprinz Johann Friedrich ihm in der Regierung folgte. Er war ein Mann, der es zwar mit der Lehre und der Person Luthers sehr wohl meinte, der aber den bisherigen Kampf nicht selbst durchgemacht hatte, sondern bei Beginn seiner Herrschaft die evangelische Kirche in seinem Lande als eine fertige vorfand und sich daher hauptsächlich von konservativen Prinzipien leiten ließ. Sein Oheim Friedrich der Weise und sein Vater Johann der Standhafte hatten sich an der Hand Luthers von dem römischen Wesen emanzipiert, und hatten das Werk der Wiedergeburt an sich und ihrem Volke auf lebendige Weise vollziehen helfen; nicht so war es mit Johann Friedrich. Er trat als Erbschaft an, was jene errungen hatten, und die Zeit der Begeisterung war bereits vorüber. Er war ein streng orthodoxer lutherischer Fürst, in welchem der Glaube nicht mehr die ursprüngliche Lebendigkeit hatte, sondern schon die Form des Aberglaubens anzunehmen anfing. Seine Frömmigkeit war nicht mehr Mittel, sondern Zweck des Lebens, und seine politischen Bestrebungen richteten sich daher mehr auf Erwerb, Vergrößerung und Unabhängigkeit von der kaiserlichen Obergewalt als auf Begründung der evangelischen Freiheit und eines echt deutschen, religiösen Lebenszustandes. Luthers Stellung ihm gegenüber war sehr schwierig, und derselbe wurde durch ihn genötigt, sich mit weitgreifenden weltlichen Angelegenheiten zu beschäftigen, die seinem ursprünglichen, geistlichen Berufe fern lagen. Er fühlte dieses und äußerte: „Mit Herzog Friedrich ist die Weisheit, mit Herzog Hansen die Frömmigkeit gestorben, und nun hinfort wird der Adel regieren, so Weisheit und Frömmigkeit hinweg ist. Sie wissen, dass mein junger Herr, Herzog Johann Friedrich, einen eigenen Sinn hat, und nicht viel auf die Schreibfedern gibt, das gefällt ihnen wohl. Er hat Klugheit genug, so hat er auch Eigensinnes genug; so wird ihm der Adel Muts genug predigen. Wenn er seines Oheims Weisheit und seines Vaters Frömmigkeit Kalb hätte, so wollte ich ihm seinen Sinn auch wohl halb gönnen und viel Glück dazu wünschen. Unser Herr Gott kann keinen Stolz leiden und muss das Übel strafen.“ — Luther zügelte indessen des Kurfürsten Mut doch soweit, dass es bis zu seinem Tode nicht zu offenem Krieg mit dem Kaiser kam.

Der römische Hof, der sich vom Kaiser verlassen glaubte oder eingesehen hatte, dass mit bloß weltlicher Macht gegen die Lehre Luthers nichts ausgerichtet werden könne, suchte wieder auf eigene Hand mit den Protestanten zu unterhandeln. Clemens VII. starb 1534 und Paul III. folgte ihm auf dem heiligen Stuhle. Er schickte 1535 einen Gesandten nach Deutschland, der auch nach Wittenberg kam, und Luther und Bugenhagen zu einem Frühstück zu sich einlud. Die Begebenheit wird uns in folgender Weise erzählt: Es ist Doctor Luther zu einer Unterredung zu ihm gefordert worden; alsbald den Sonntag früh hat Doktor Martin Luther nach einem Barbier geschickt, dass er ihn barbieren und schmücken sollte. Als der Barbier kommen ist, hat er gesagt: „Herr Doktor, wie kommt's, dass Ihr Euch heute so früh wollt barbieren lassen?“ Da antwortete Doctor Luther: „Ich soll zu des heiligen Vaters, des Papst's Botschaft kommen, so muss ich mich lassen schmücken, dass ich jung erscheine, so wird der Legat denken: Ei der Teufel, ist der Luther noch so jung und hat so viel Unglück angerichtet, was wird er denn noch tun?“ Und als ihn der Meister Heinrich gebarbiert hat, da zog er an seine besten Kleider und hing sein gülden Kleinod (das in Gold gefasste Bildnis des Kurfürsten) an den Hals; da sagte der Barbier: „Herr Doktor, das wird sie ärgern!“ Luther sagte: „Darum tu ich's auch. Sie haben uns mehr denn genug geärgert, man muss mit den Schlangen und Füchsen also handeln und umgehen.“ Da antwortet der Barbier: „Nun, Herr Doktor, so gehet hin in Gottes Frieden und der Herr sei mit Euch, dass Ihr sie bekehret.“ Doktor Luther sprach: „Das will ich nicht tun, aber das kann wohl geschehen, dass ich ihnen ein gut Kapitel lesen werde und lasse sie fahren.“ Und als Luther solches geredet hatte, stieg er auf den Wagen und fuhr zu dem Legaten aufs Schloss, und als er im Wagen saß, lachte er und sprach: „Siehe, da fahren der deutsche Papst und Kardinal Pomeranus: das sind Gottes Gezeug und Werk.“ Und da fuhr er in das Schloss und ließ sich angeben, dass er da wäre; da ward er von Stund an eingelassen und empfangen; und er empfing sie wieder, aber nicht also mit herrlichen Titeln, wie man päpstliche Legaten vor Zeiten empfangen hat. Und unter Anderen haben sie von einem Concilio zu reden angefangen, da hat Doktor Martin Luther gesagt zu ihm also: „Es ist nicht Euer Ernst, dass Ihr ein Concilium halten wollt, es ist nur Euer Spott, und wenn Ihr gleich ein Concilium haltet, so würdet Ihr doch nichts handeln, denn von Platten, Kappen, Essen, Trinken und dergleichen anderm Narrenwerk, da wir vorhin wohl wissen und deß gewiss sind, dass nichts ist. Aber von dem Glauben und Rechtfertigung, auch andern nützen und wichtigen Sachen, wie die Gläubigen mögen im einträchtigen Geist und Glauben stehen, da gedenket Ihr nicht Eines zu handeln: denn es wäre nicht für Euch. Wir sind durch den heiligen Geist der Dinge aller gewiss und dürfen gar keines Conciliums, sondern andere arme Leute, so durch Eure Tyrannei unterdrückt werden, denn Ihr wisset nicht, was Ihr gläubet. Nun wohlan, habt Ihr Lust dazu, so machet eines; ich will, ob Gott will, kommen, und wenn ich wüsste, dass Ihr mich verbrennen solltet.“ Da sprach der Legatus: „Wo, in welcher Stadt wolltet Ihr das Concilium haben?“ Darauf antwortete Lutherus: „Wo es Euch gefället; es sei zu Mantua, Padua oder Florenz, oder wo Ihr wollet.“ Da fraget der Legat: „Wollet Ihr auch gen Bononien?“ (B ologna.) Antwortet Luther: „Allmächtiger Gott! hat der Papst auch diese Stadt zu sich gerissen? ja, ich will dahin kommen.“ Darauf sagte der Legat: „Der Papst würde sich nicht weigern, hieher zu Euch gen Wittenberg zu kommen.“ Spricht Lutherus: „Nun wohlan, so komme er her; wir wollen ihn gerne sehen.“ Da sprach der Legat: „Wie wollet Ihr ihn sehen? mit einem Kriegsheer oder ohne Heer?“ Lutherus spricht: „Wie es ihnen beliebet; wir wollen Beides erwarten.“ Da fragt ihn der Legat: „Weihet Ihr auch Priester?“ Lutherus antwortet: „Freilich tun wir's, denn der Papst will uns keine weihen oder ordinieren. Und sehet, da sitzet ein Bischof, den wir geweihet haben, und zeiget auf Dr. Pomeranum (Bugenhagen).“ Dieses und Anderes viel mehr redeten sie mit einander. Aber in Summa, Doktor Martin Luther sagt ihm Alles, was er im Herzen hatte, und die Notdurft erforderte, ohne alle Scheu, unerschrocken, mit großem Ernst. Und als der Legat auf dem Pferde saß und jetzt wegreiten wollte, sprach er zu Doktor Luther: Sehet zu, dass Ihr Euch zum Konzil bereit machet! und Luther antwortete ihm: „Herr, ich will kommen mit diesem meinem Hals!“

Wirklich erließ auch der Papst ein Ausschreiben zu einer Kirchenversammlung nach Mantua, durch welche eine Reformation der Sitten und mancher äußeren Gebräuche in der Kirche vorgenommen, hauptsächlich aber die gänzliche Ausrottung der giftigen, pestilenzialischen Lutherschen Ketzerei bewirkt werden sollte! Luther, der schon in mehreren Schriften sich über Zweck und Wesen eines allgemeinen christlichen Konzils ausgesprochen hatte, und vor Allem das Dogma von der Rechtfertigung durch den Glauben anerkannt wissen wollte, konnte nach solcher Eröffnung kein Vertrauen zu den Absichten des Papstes hegen. Die Gegensätze waren zu schroff. Hier verlangte man innere Umkehr, eine Wiedergeburt des Geistes; dort sollte wesentlich Alles beim Alten bleiben, und man gestattete nur, von der Not gedrängt, eine Änderung oder Besserung in den Formen des Gottesdienstes und des Lebens. Dennoch unterhandelten die Protestanten lange und viel über die Beschickung des Konzils, und Luther wurde beauftragt, noch einmal die Summe der evangelischen Lehre in einer Reihe von Artikeln zusammenzufassen, die man den Gegnern als Ultimatum, von dem nicht abgewichen werden könne, überreichen wolle. Er unterzog sich dieser Arbeit und verfasste die sogenannten Schmalkaldischen Artikel, die als symbolisches Buch in der evangelischen Kirche gelten. Die Fürsten und Stände versammelten sich darauf 1537 in Schmalkalden, unterzeichneten die Lutherschen Sätze, und knüpften sich dadurch noch enger in dem Bunde zusammen, der schon seit sechs Jahren bestand. Es kam indessen vorläufig noch nicht zur Eröffnung der Kirchenversammlung, obwohl der Kaiser dazu drängte. Er hegte noch immer unbegründeter Weise die Hoffnung, dass auf diesem Wege die Spaltung in der Kirche beseitigt werden könne, aber er verstand eben nicht, um was es sich handelte. Der päpstliche Hof war klüger, und wollte deshalb von einer Versammlung nichts wissen, die wirklich prüfen und auf das Wesen der evangelischen Freiheit hätte eingehen sollen. Er verlangte Unterwerfung und ungeschmälerten Fortbestand der römischen Auffassung und des römischen Kirchenrechts. Wie Sein und Nichtsein sich gegenüberstehen, so ist es zwischen deutschem und römischen Denken oder zwischen Protestantismus und Katholizismus. Das Konzil kam endlich, acht Jahre nach dieser Zeit 1545, weil es der Kaiser durchaus wollte, dennoch zu Stande, aber es wurde von den Deutschen nicht beschickt, weil sie die feste Überzeugung gewonnen hatten, dass es für ihre Sache keinen Erfolg haben könne.

In diesen Jahren beendigte Luther auch das Hauptwerk seiner literarischen Tätigkeit, die Übersetzung der Bibel. Sie erschien vollständig 1534, und war das lebendigste Förderungsmittel der Reformation. Schon die Verdeutschung des neuen Testaments hatte ihm unendliche Mühe gemacht, und er schrieb 1522 darüber an Spalatin: „Wir haben nun Alles zu verbessern angefangen, Philippus und ich, und es wird mit Gott ein fein Werk werden. Wir brauchen aber auch Deine Hilfe bisweilen, die Worte recht zu setzen. Darum sei uns zu dienen bereit, aber also, dass Du gemeine, keine Schloss- und Hofwörter, uns an die Hand geben könnest. Denn dies Buch will nur auf einfältige und gemeine Art erklärt sein. Und dass ich gleich den Anfang mache, sorge, dass wir die Namen der Edelsteine, Offb. 21., sowohl als ihre Gestalten, und wollte Gott den Augenschein selbst, wo möglich, durch Dich von Hof erlangen könnten.“ — Sehr viel schwieriger war aber die Übersetzung des alten Testamentes aus dem Hebräischen. Er musste sich nicht nur bei jüdischen Gelehrten Rats erholen, nicht nur von Fleischern und andern Handwerkern sich über viele einzelne Gegenstände und deren Benennung belehren lassen, sondern es bedurfte oft langer Erwägungen und Verhandlungen mit allen seinen gelehrten Freunden, über das richtige Verständnis eines Wortes oder einer Sache. Einmal sagt er: „Ich habe mich zu viel unterwunden, das alte Testament zu verdeutschen: denn die hebräische Sprache liegt leider zu gar darnieder, dass auch die Juden selbst wenig genug davon wissen.“ Ein anderes Mal schreibt er: „Ich habe mich deß geflissen, dass ich rein und klar Deutsch geben möchte. Und ist uns wohl oft begegnet, dass wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen haben ein einiges Wort gesucht und gefragt, habens dennoch zuweilen nicht funden. Im Hiob arbeiteten wir also, M. Philippus, Aurogallus und ich, dass wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen konnten fertigen. Lieber, nun es verdeutschet und bereit ist, kanns ein Jeder lesen und meistern, läuft einer jetzt mit den Augen durch drei oder vier Blätter und stößet nicht einmal an; wird aber nicht gewahr, welche Wacken und Klötze da gelegen sind, da er jetzt über hin gehet, wie über ein gehobelt Brett, da wir haben müssen schwitzen und uns ängsten, ehe denn wir solche Wacken und Klötze aus dem Wege räumten, auf dass man könnte so fein daher gehen.“

Luther hat aber wirklich auch Unglaubliches geleistet, und wenn ihm von heutigen Gelehrten, die ganz andre Mittel zu ihrer Verfügung haben, einige Irrtümer und Fehlgriffe nachgewiesen werden, so will dies rücksichtlich des Ganzen so gut wie gar nichts sagen. Sein Verdienst auf diesem Gebiete ist unsterblich, und so lange es ein deutsches Volk und eine deutsche Sprache gibt, wird Luther als Übersetzer oder vielmehr als Schöpfer der deutschen heiligen Schrift mit Ruhm und Ehre genannt werden. Indessen muss rücksichtlich der Wirkung der alttestamentlichen Schriften Folgendes bemerkt werden. Die Juden hatten andere Gesichtspunkte, unter denen sie Gott, die Welt und die Menschen ansahen, als die (Christen. Der mosaische Gott ist ein anderer als der christliche. Er ist Herr, nicht Vater; er ist die Güte, nicht die Liebe; der Mensch ist Knecht, nicht Kind Gottes; er ist schlechthin unberechtigt Gott gegenüber; Gott macht nicht Wohnung in dem Menschen, sondern regiert Welt und Menschen von außen. Jehova ist ein Gott der Juden, ein Nationalgott, nicht ein Gott aller Menschen. Die jüdische Auffassungsweise ist eine semitische, d. h. rein verstandesmäßige; die christliche ist dagegen vernünftig, d. h. rein menschlich, sie ist germanisch. Aus dem jüdischen Gottesbegriffe entwickelt sich mit Notwendigkeit die Hierarchie, und das Papsttum des Mittelalters ist nichts anderes als ein neu belebtes Judentum in christlichen Formen, der Papst nichts als der israelitische Hohepriester, der weltliche und geistliche Macht in sich vereinigt. Das göttliche Werk, das der Sohn Gottes auf Erden vollbracht hat, die Lehre von der Allgemeinheit und Gleichheit aller Menschen vor Gott, die Anschauung von der unergründlichen Liebe Gottes und der Kindschaft der Menschen ist vergessen und bleibt dem römischen Verstande unbekannt und unbegriffen. Der Gott, welchen der Heiland in das Herz und das Gewissen, in das Innere der Christen gesetzt hatte, wird wieder ein äußerlicher, der Papst sein Stellvertreter, und das Leben in Gott ein äußerliches Glauben oder Dafürhalten. Werkheiligkeit tritt an die Stelle innerer Heiligung, sittlicher Erhebung des Lebens in Gott und der Offenbarung des Vaters.

An dieser Umwandlung des apostolischen Christentums in ein jüdisches Religionswesen trägt die Beschäftigung mit dem alten Testamente die Hauptschuld. Es war dem Mittelalter viel mehr bekannt und viel mehr Muster und Vorbild als die Schriften der Evangelisten und Apostel, und der Kern der Reformation ist darin zu suchen, dass Luther die Deutschen von diesem jüdischen oder, römischen Wesen befreite, und das ursprüngliche Gottesgefühl des Heilands wieder geltend machte. Luther übersah aber dabei den Einfluss, welchen die Schriften des alten Bundes bis dahin auf die Christenheit ausgeübt, dass sie hauptsächlich die Veräußerlichung des Evangeliums bewirkt hatten. Er gestand ihnen gleiche Geltung mit den Evangelien und den apostolischen Briefen zu, und veranlasste dadurch ein abermaliges Versenken in die vorchristliche Anschauungsweise. Jüdisches und römisches Denken und Begreifen ist wesentlich dasselbe und nur in den Formen verschieden, und durch die Gleichstellung der Schriften des alten und neuen Testamentes ist das Judentum auch in die protestantische Kirche eingeführt worden. Luther selbst schon ist durch seine Beschäftigung mit den biblischen Schriften der Juden den Anschauungen des Heilandes entfremdet worden, und fünfzig Jahre nach seinem Tode waren fast alle seine Anhänger zu den Anschauungen des mosaischen Gottes zurückgekehrt, und Judentum und römisches Papsttum überwucherten innerhalb der protestantischen Kirche seine Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben und der Freiheit der Kinder Gottes. Deutschland wurde zum dritten Male vom römischen, oder was dasselbe ist, vom semitischen Geiste geknechtet. —

Wir haben zum Schlusse dieses Abschnittes noch einige Worte über das körperliche Befinden Luthers anzuführen. Bei den ungeheuren geistigen Anstrengungen, denen er sich fortdauernd unterzog, und bei den geselligen Ansprüchen, die im Verkehre mit den Fürsten und Großen der Erde an ihn gemacht wurden, ist es nicht zu verwundern, dass er häufig von leiblichen Übeln, namentlich vom Schwindel und von Ohnmachten, heimgesucht wurde. Es ist aber eigentümlich, wie er seine Leiden trägt, und die Ursachen derselben anschaut. Im Jahre 1532 wurde er von solcher Krankheit heimgesucht. Er litt an Ohrenbrausen, Mattigkeit des Herzens, und es war ihm sehr übel. Melanchthon und andere Freunde kamen, und Luther sagte zu ihnen: „ich werde jetzt nicht sterben, das weiß ich gewiss; denn Gott wird der Papisten Gräuel durch meinen Tod nicht bestärken, zu dieser Zeit, wo Zwingli und Oekolampadius umgekommen sind. Gott wird ihnen diese Gelegenheit zu rühmen nicht geben. Der Satan würde mich wohl gern töten, wenn er könnte; er gehet mir alle Augenblicke auf dem Fuße nach; aber es wird nicht geschehen, was er will, sondern was der Herr will.“ Der Arzt sagte dagegen, er sei nicht weit vom Schlag und werde schwerlich durchkommen, worauf Luther erwiderte: „Ich kann mirs nicht denken, dass meine Krankheit natürlich sei, sondern der Satan ist mir verdächtig, darum verachte ichs um so leichter.“

Im Jahre 1537 wurde er auf der Versammlung zu Schmalkalden von furchtbaren Steinschmerzen heimgesucht. Er glaubte, sein Ende nahe. Er schreibt darüber an seine Frau: „Der fromme Fürst (sein Landesherr Johann Friedrich) hat lassen laufen, reiten, holen und mit allem Vermögen sein Höchstes versucht ob mir möchte geholfen werden, aber es hat nicht wollen sein.“ Er trat die Rückreise an, und der Kurfürst ließ ihm einen Wagen mit Kohlenfeuern und allerlei Instrumenten nachfahren, dass man ihm in der Not helfen und ihn auf dem Wagen erwärmen könne. Unterwegs fand er ungehoffte Erleichterung, denn er wurde, wiewohl unter unsäglichen Schmerzen, von sechs Steinen befreit, von denen einer wie eine Bohne groß war. Als der Bote mit der Nachricht von der Genesung Luthers nach Schmalkalden kam, rief er im Vorüberreiten bei der Wohnung des päpstlichen Legaten: „Luther lebt, Luther lebt!“ und der Kurfürst reichte ihm für die gute Botschaft zehn neue Schaugroschen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther - Ein deutsches Leben