Der Reichstag zu Worms. 1521.

Karl V., 1500 zu Gent geboren, erlangte 1506 bei seines Vaters, Philipps des Schönen, Tode den Besitz der reichen Niederlande, 1516 bei dem Tode seines mütterlichen Großvaters, Ferdinand des Katholischen, die Herrschaft über Spanien und die spanischen Nebenländer in Europa und Amerika, 1519 bei dem Absterben seines väterlichen Großvaters, Kaiser Maximilians I., zugleich mit seinem Bruder Ferdinand die österreichischen Erblande und in demselben Jahre am 28. Juni durch die Wahl der Kurfürsten die römisch-deutsche Kaiserkrone. Er war von der Natur körperlich und geistig ebenso vorteilhaft ausgestattet, wie von den dynastischen Verhältnissen begünstigt, und hätte der größte Herrscher seiner Zeit sein können, wenn er die Bedingung gekannt hätte, unter der ein Fürst allein zur Größe empor zu steigen im Stande ist. Das Oberhaupt eines Staates ist der Gipfel oder die Spitze seines Volkes, und wird von diesem Volke getragen und gehoben. Seine Größe beruht also auf der Größe und Kraft des Volkes, und er muss daher dem Allgemeinen, der Volkstümlichkeit und dem Volksgeiste dienen, wenn er sich selbst recht dienen will. Es ist sinnlos, zu fragen, ob der Fürst des Volkes oder das Volk des Fürsten wegen da ist. Beide sind ein Ganzes, ein Körper, und die Verletzung oder Unterdrückung des Einen hat unmittelbar auch die Verletzung oder Unterdrückung des Andern zur Folge. Wenn der Fürst bei seinen Bestrebungen nur sich und seine Dynastie einseitig im Auge hat, so wird der ihn tragende Körper zusammenschrumpfen und verkommen, und der Fürst wird im Ganzen mehr sinken, als er im Einzelnen sich erhoben hat. Er muss vielmehr mit Liebe gleichsam über dem Geiste des Volkes brütend sitzen, und diesen zu edler und großer Erscheinung auszubilden streben: dann wird er unter der dankbaren Verehrung des Völkerindividiums, dem er angehört, der Unsterblichkeit entgegengehen.

Karl V. war ein Habsburger, und diese Dynastie hat es nie verstanden, ihr eigenes Interesse mit dem ihrer Völker in Übereinstimmung zu bringen. Sie hat immer nur sich gesucht und sich gefunden, und darüber ist sie verkümmert, denn die Selbstliebe muss mit Notwendigkeit in sich selbst zu Grunde gehen. Karl V. hat im Leben viel getan, aber wenig geleistet. Man erzählt, das, er in dem Kloster, in das er für die beiden letzten Jahre seines Lebens sich zurückgezogen, sich bemüht habe, zwei Pendeluhren völlig übereinstimmend gehen zu machen. Die Erzählung ist eine Erdichtung, aber sie ist ihrer inneren Bedeutung nach wahr. Er hat während seines ganzen Lebens nur den unglückseligen Gedanken verfolgt, die Vernunft und das Gewissen der vielen Millionen, deren Oberhaupt er war, in Eine Form zu bringen. Dennoch leuchtet er in der Geschichte vor vielen andern Fürsten, aber das Licht geht nicht von ihm aus und erleuchtet die Zeit, sondern die Zeit entwickelt das Licht und konzentriert seine Strahlen auf ihn, weil er zufällig der höchste äußere Gipfel war. Er hat sich zum Advokaten des Papsttums gemacht, und seine Nachfolger spielen diese Rolle bis auf den heutigen Tag fort. Er hat allein in den Niederlanden während seiner Regierung 50.000 Ketzer verbrennen und hinrichten lassen und dabei doch fortdauernd mit den Anhängern Luthers als mit Gleichberechtigten unterhandelt. Nirgends trieb ihn der Dienst Gottes oder die Liebe zur Wahrheit zu seinen Handlungen, sondern überall nur kalte Berechnung, die Rücksicht für politische Vorteile. Er betrachtete die Menschen überall nur als Maschinen, denn sein Urteil über sie gründete sich auf eine jüdische oder was dasselbe ist, auf eine hierarchische Anschauung des Verhältnisses der Menschen zu Gott. Von dem Gotte im Menschen wusste er nichts, und Luther hat er daher nie begriffen; denn diesen trieb, wenn auch nicht der klare Gedanke, doch die Ahnung, dass auf allen Gebieten des Geistes Gott nicht unmittelbar, sondern durch den Menschen, in dem er Wohnung nimmt, regiere.


Karl V. war im Jahre 1520 aus Spanien nach Deutschland zurückgekehrt und am 23. Oktober zu Aachen mit der Kaiserkrone gekrönt worden. Im Januar 1521 begab er sich nach Worms, um hier seinen ersten Reichstag zu halten. Die Angelegenheit Luthers war brennende Frage des Tages, und es musste über diese kirchliche Bewegung, welche die ganze Christenheit zu erfassen drohte, eine Entscheidung getroffen werden. Drei päpstliche Gesandte, die ihn umgaben, übten im Verein mit seinen, Beichtvater, der in römischem Solde stand, großen Einfluss auf seine Entschlüsse aus. Sie strebten darnach, ihm die Überzeugung beizubringen, dass er als Christ und als weltliches Oberhaupt berufen sei, über den vom Papste verurteilten, offenbaren Ketzer, die Reichsacht auszusprechen und ihn, wenn er seiner habhaft werden könne, entweder dem Feuertode zu übergeben oder nach Rom auszuliefern.

Gegen diese Behauptung kämpften mit allen Kräften die deutschen Fürsten, besonders Friedrich der Weise, der Kurfürst von Sachsen, dem sein und der Seinigen Seelenheil und Geistesfreiheit mehr am Herzen lag als politische Vorteile. Er hauptsächlich setzte es durch, dass Luther mit freiem Geleit des Kaisers nach Worms berufen werde, damit er sich vor dem versammelten Reichstage, wegen der ihm angeschuldigten Verbrechen, rechtfertigen oder entschuldigen könne. Der Deutsche solle von Deutschen gerichtet werden. Es war ein großer Moment der Weltgeschichte, und hätte es wirklich dahin gebracht werden können, dass Kaiser und Reich in deutschem Geiste über den deutschen Reformator geurteilt hätten, so würde der Ausgang nicht zweifelhaft gewesen, und Luther als Retter und Heiland seines Volkes anerkannt worden sein. Dieses Glückes wurden wir nicht teilhaft, aber wir verdienten es auch nicht, und deshalb legte uns Gott noch einige Jahrhunderte der Prüfung auf.

Der römische Hof seinerseits sparte keine Mittel, die Weltliche Macht in seine Fußstapfen zu leiten, und der Papst spielte gleichsam Trumpf nach Trumpf aus. Am 3. Januar 1521 belegte er Luther samt allen seinen Beschützern und Anhängern von Neuem mit dem ewigen Fluche, weil derselbe seine höllischen Lehren und Gräuel nicht nur nicht widerrufen, sondern die heilige Kirche nur noch mehr verlästert und angegriffen habe. Jeder Ort wurde mit der Strafe des Interdikts belegt, an dem der Ketzer oder einer seiner Anhänger weilen werde, und jeder Geistliche wurde aufgefordert, gegen die verdammte Lehre Luthers zu predigen. Die kirchlichen Oberen wurden verpflichtet, dieses Urteil des Papstes zur öffentlichen Kenntnis zu bringen, und an den Kaiser schrieb Leo X., er möge durch ein kaiserliches Edikt diese Bulle vor ganz Deutschland in volle Kraft setzen. „Gott hat Euch“, schreibt er, „mit dem Schwerte der höchsten irdischen Macht gerüstet. Ihr würdet damit vergebens betrauet sein, wenn Ihr es nicht zücken wolltet, wie gegen die Ungläubigen, so gegen die Ketzer, welche noch viel verderblicher sind, denn die Ungläubigen selbst.“ —

Ferner wurde am 28. März 1521, am Stiftungsfeste des Abendmahls, der Name Luthers unter die Zahl der Abtrünnigen und Verfluchten aufgenommen, welche an diesem Tage öffentlich genannt wurden. Die Stelle heißt: „Wir verbannen und vermaledeien von wegen des allmächtigen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes und aus der heiligen Apostel Pauli und Petri Gewalt, sowie aus unserer eigenen, allerlei Ketzer, auch Martinum Luther, neulich durch uns verdammet, samt allen seinen Anhängern und so ihn gegen Strafe sichern, wer sie auch seien, und alle andern Ketzer, wie sie genannt werden, und alle ihre Gönner, Schirmer und Schützer.“ Man sieht, dass der Papst kein äußerstes Mittel verschmähte, um seine ererbte Autorität aufrecht zu erhalten; doch war der Erfolg gering. Seine Verehrer versprachen sich zwar noch übermächtige Wirkungen von diesen Maßregeln, aber seine entschiedenen Gegner wurden dadurch nicht nur nicht erschreckt und eingeschüchtert, sondern vielmehr zu immer kühneren Behauptungen fortgetrieben, und immer mehr in der Überzeugung bestärkt, dass die kirchlichen Zustände ganz und gar auf Gewalt und Eigennutz beruhten, und dass eine Erneuerung derselben notwendig sei. Das alte Rüstzeug des Papsttums war abgebraucht, und in Deutschland ließ sich damit wenigstens bei denen nichts mehr erreichen, die vom volkstümlichen Geiste erfüllt, oder von reinem Eifer für die Sache Gottes und der Wahrheit durchdrungen waren. Besonders blieb der Reformator selbst, der vornehmlich durch die Blitze des Vaticans betäubt werden sollte, ungerührt. Wer gewagt hatte, die Bulle des Papstes öffentlich zu verbrennen, der musste gegen diese Schreckbilder gefeit sein. Er arbeitete und wirkte ruhig fort, wie es sein Beruf als Lehrer und Geistlicher forderte, und wie die Angriffe seiner literarischen Gegner es notwendig machten. In einem Briefe an einen Freund in Basel, der dort den Druck seiner lateinischen Werke besorgte, und gegen den er sich wegen einiger Versehen entschuldigte, sagt er: „Ich bin gar sehr beschäftigt, ich halte täglich zwei Predigten, ich mühe mich mit dem Psalter, ich arbeite an Postillen (die Auslegung der Evangelien und Episteln), ich antworte den Widersachern, ich bekämpfe die Bulle in Deutsch und Latein und verteidige mich, nicht zu gedenken der Briefe, die ich an meine Freunde schreiben muss, und der Unterredungen, die zu Hause oder sonst vorfallen.“

In der Zueignung der Postille an den Kurfürsten vom 3. März 1521 entschuldigt er sich, dass er dem Rat desselben, seine Streitschriften, mit denen er nun schon drei Jahre lang seine Zeit verloren habe, bei Seite liegen zu lassen, und den heiligen und friedlichen Studien sich zu widmen, welches auch sein sehnlicher Wunsch sei, nicht habe nachkommen können. Er habe immer gehofft, man solle ihm einmal Frieden lassen, aber er sehe ein, das sei eine eitle Hoffnung, und der Satan wolle ihn damit nur ganz von seinem Vorhaben abbringen: darum babe er angefangen, die Hoffnung auf Frieden aufzugeben und wolle, eingedenk des Nehemia, sich zum Friedens- und Kriegeswerk zugleich rüsten, in der einen Hand das Schwert halten, mit der andern die Mauer bauen.

Was am kaiserlichen Hoflager über ihn verhandelt wurde, erfuhr er durch Spalatin und andre Freunde, auch durch den Kurfürsten selbst. Gegen Alle erklärt er sich bereit, unter sicherem Geleite nach Worms kommen zu wollen, wenn er gefordert werde; doch fürchte er, dass man ihn nicht zur Verteidigung seiner Lehre, sondern nur zum Widerrufe derselben kommen lasse. Am 24. März erschien zu Wittenberg der kaiserliche Ehrenhold oder Herold Kaspar Sturm, welcher ihm die Zitation und die Geleitsbriefe überbrachte. Er empfing bei dieser Gelegenheit viele Beweise herzlicher Liebe, besonders Melanchthons, der ihn durchaus begleiten und sein Schicksal teilen wollte. Der Magistrat sorgte für einen anständigen Wagen, und am 2. April begab Luther sich auf den Weg oder vielmehr auf den Triumphzug, denn ein solcher wurde diese Reise für ihn. Mit ihm zogen Nicolaus von Amtsdorf, der Jurist Doktor Schurff, der ihm als Rechtsbeistand dienen wollte, und ein junger Edelmann aus Pommern, Peter von Suaven. Tausend Gebete folgten dem Fortziehenden. In Leipzig wurde ihm ein Ehrentrunk dargebracht; in Naumburg überreichte ein Priester ihm ein Bild, das den als Ketzer verbrannten Savonarola darstellte. In Weimar predigte er vor dem Bruder seines Kurfürsten, dem nachmaligen Johann dem Standhaften, und wurde, reichlich mit Reisegeld beschenkt, entlassen. Vier Stunden vor Erfurt kam ihm ein Reiterzug von vierzig Personen entgegen, der Rektor der Hochschule, die berühmtesten Gelehrten, die vornehmsten Magistratspersonen und Bürger. Mit jedem Schritte näher der Stadt mehrte sich das Gefolge und die Menge der Schaulustigen. So zog er durch die Stadt, deren Straßen er einst als Mönch mit dem Bettelsacke durchwandert hatte. Im Augustiner-Kloster, wo er so oft und so inbrünstig mit Gott gerungen und dessen Gegenwart herabgefleht hatte, empfing ihn der befreundete Prior Johann Lange. Aber die Erfurter wollten ihn nicht bloß sehen, sondern auch hören: er predigte vor einer gedrängten Versammlung über die Inschrift „Jesus von Nazareth, der Juden König“, welche Pilatus auf das Kreuz des Heilandes schreiben ließ. Seiner selbst und der Gefahren, denen er entgegen ging, gedachte er mit keinem Worte. Auch in Gotha musste er predigen. In Eisenach erkrankte er, und obwohl ein Aderlass ihn herstellte, so dauerte doch sein Unwohlsein bis Frankfurt fort; aber mit jedem Tage vermehrten sich die Beweise der Teilnahme und Verehrung, die ihm von Hohen und Niedrigen dargebracht wurden. In einer alten Nachricht heißt es: „Wo er in eine Stadt zog, lief das Volk entgegen für die Stadt, und wollt den Wundermann sehen, der so kühn wäre, und sich wider den Papst und alle Welt, die ihn wider Christum einen Gott gehalten, legen dürft. Etliche trösteten ihn unterwegens sehr übel, dass, weil so viel Cardinäl und Bischöff zu Worms am Reichstag wären, würd man ihn allda flugs zu Pulver verbrennen, wie dem Hussen zu Kostnitz geschehen. Aber denen antwort Luther: Und wenn sie gleich ein Feuer machten, das zwischen Wittenberg und Worms bis an den Himmel reicht; weil er aber erfordert wäre, so wollt er doch im Namen des Herrn erscheinen und dem Behemoth in sein Maul zwischen seine großen Zähne treten und Christum bekennen und denselben walten lassen.“

Aber auch an erhebenden Zusprüchen fehlte es nicht. Ein angesehener Kriegsmann des Kaisers sagte zu ihm: „Ihr habt einen größeren Herrn denn ich; der wird Euch helfen und schirmen.“ — Nach zwölftägiger Reise traf er am 14. April in Frankfurt ein. Unterwegs hatte sich noch sein Bruder Jacob zu ihm gesellt. Am folgenden Tage kam er nach Oppenheim, wo ein Bote des Ritters Franz von Sickingen ihn auf die Ebernburg einlud, was er aber ablehnte. Auch kam ihm ein Abgeordneter des treuen Spalatin entgegen, der ihn noch einmal auf die Gefahr aufmerksam machen sollte, der er seine Person aussetzte. Der Grundsatz, dass man dem Ketzer nicht Wort zu halten habe, und dem Huß als Opfer gefallen sei, komme Jedermann ins Gedächtnis. Luther erwiderte: „Ist schon Huß zur Asche worden, so ist deswegen die Wahrheit doch nicht verbrannt. Es will mich zwar der Teufel irre und furchtsam machen, weil er seines Reiches Untergang merket; doch muss ich meinem Berufe folgen und nach Worms, dahin ich gefordert bin, ziehen. Und Solches will ich tun, wenn auch gleich so viel Teufel als Ziegel auf den Dächern allda wären.“

Tags darauf, am 16. April, hielt er seinen Einzug in Worms, der die ganze Stadt in Bewegung setzte. Ein Domherr von Altenburg, Veit Warbeck, schreibt darüber an den Herzog Johann, den Bruder des Kurfürsten: „Ew. F. G. tue ich in Untertänigkeit zu wissen, dass Doktor Martinus uff heut Datum hier her gen Worms einkommen ist; selb viert uff einem sächsischen Rollwägelein, Er mit samt einem Bruder, Licentiaten Niclas von Amtsdorf, Thumherrn zu Wittenberg, und einem gelehrten Edelmann aus Pommern, genannt Schwofenius (Suaven). Vor dem Wagen sein geritten der geschickt kaiserlich Ernhold mit samt seinem Diener und hat sein (Wappen-) Kleid, mit dem Adler am Arm, geführt. Hinter dem Wagen sein geritten der Licentiat Jonas von Northausen samt seinem Diener. Auch sein ihm viel entgegen hinausgeritten, nämlich aus meines gnädigsten Herrn Hof, Ehrn Bernhard von Hirschfeld, Ehrn Hans Schott, Albrecht von Lindenau, Schenk, mit sechs Pferden. Also ist er um zehn Uhr hier einkommen, als man gegessen hat. Nichts desto weniger haben ihn umgeben ob zweitausend Menschen bis zu seiner Herberge, darin auch Ehrn Friedrich von Thunau. Ehrn Philipp von Feilitsch und Utz von Pappenheim verordnet zu liegen, nicht weit von meinem gnädigen Herrn an der Herberge zum Schwan.“ Ein Mensch mit einem Kreuze soll sich an die Spitze des Zuges gedrängt und die Worte aus einem alten lateinischen Kirchengesange gesprochen haben:

      „Entlich kommst Du, lang Ersehnter,
      In Todesschatten harren wir Dein!“

Während des ganzen Tages kamen Fürsten, Herren und andere wohlwollende oder neugierige Personen in die Herberge Luthers, die ihn hören, sehen, trösten, ermahnen, ihm Winke geben, oder Vorsichtsmaßregeln anempfehlen wollten, so dass er bis zum späten Abend nicht zu Sammlung und Ruhe kam. Endlich wurde es still, und er griff zur Laute, um sich zu Gott zu erheben. Es ist noch ein merkwürdiges Gebet vorhanden, das er in Worms, vermutlich an diesem Abend, gesprochen hat. Es ist mehr als viele andere Urkunden ein Beleg für Luthers tiefe Auffassung der evangelischen Wahrheit, und für sein lebendiges Streben dem Sohne Gottes nachzufolgen. Es lautet:

„Allmächtiger Gott, ewiger Gott! wie ist es nur ein Ding um die Welt, wie sperren sie den Leuten die Mäuler, wie klein und gering ist das Vertrauen der Menschen auf Gott! Wie ist das Fleisch so zart und schwach und der Teufel so gewaltig und geschäftig durch seine Apostel und Weltweisen! Wie ziehet sie so bald die Hand ab und schnurrt dahin, läuft die gemeine Bahn und den Weg zur Höllen zu, da die Gottlosen hineingehören! Und sieht man allein nur bloß an, was prächtig und gewaltig, groß und mächtig ist und ein Ansehn hat. Wenn ich auch meine Augen dahin wenden soll, so ist's mit mir aus, die Glocke ist schon gegossen und das Urteil gefällt. Ach Gott! ach Gott! o du mein Gott, du mein Gott! stehe du mir bei wider aller Welt Vernunft und Weisheit, tue du es; du musst es tun, du allein; ist es doch nicht meine, sondern deine Sache, hab' ich doch für meine Person allhier nicht zu schaffen und mit diesen großen Herren in der Welt zu tun, wollt' ich doch wohl auch gute, geruhige Tage haben und unverworren sein. Aber dein ist die Sache, Herr! die gerecht und ewig ist: stehe mir bei, du treuer ewiger Gott! Ich verlasse mich auf keinen Menschen. Es ist umsonst und vergebens, es binket Alles, was Fleisch ist und Fleisch schmeckt. O Gott, o Gott! hörst du nicht? Bist du tot? Nein, du kannst nicht sterben, du verbirgst dich allein; hast du mich dazu erwählet, ich frage dich, wie ich es denn gewiss weiß; ei so wollt es Gott, denn ich mein Lebelang nie wider solche große Herren gedachte zu sein, habe es mir auch nicht vorgenommen, ei Gott! so stehe mir bei in dem Namen deines lieben Sohnes Jesu Christi, der mein Schutz und Schirm sein soll, ja meine feste Burg, durch Kraft und Stärkung deines heiligen Geistes. Herr wo bleibest du! du mein Gott wo bist du? Komm, komm, ich bin bereit, auch mein Leben darum zu lassen, geduldig wie ein Lämmlein. Denn gerecht ist die Sache und dein, so will ich mich denn von dir nicht absondern ewiglich. Das sei beschlossen in deinem Namen! Die Welt muss mich über mein Gewissen wohl ungezwungen lassen. Und wenn sie noch voller Teufel wäre und sollte mein Leib, der doch zuvor deiner Hände Werk und Geschöpf ist, zu Grund und Boden, ja zu Trümmern gehen, dafür aber dein Wort mir gut ist und ist auch nur um den Leib zu tun; die Seele ist dein und gehört dir zu und bleibet bei dir ewig. Amen. Gott helfe mir! Amen.“

Am Tage darauf, am 17. April Nachmittags um 4 Uhr, erschien der kaiserliche Reichserbmarschall von Pappenheim in der Herberge, und führte Luther durch Gärten und Hinterhäuser, weil man durch das Gedränge der Menschen auf den Straßen nicht durchzudringen vermochte, nach dem bischöflichen Palaste, den der Kaiser bewohnte, und in dem die Versammlung des Reichstages gehalten wurde. Auf der Treppe zum Saale sagte der kaiserliche Feldhauptmann von Frundsberg zu ihm: „Mönchlein, Mönchlein, Du gehest jetzt einen Gang, dergleichen ich und mancher Oberster auch in der allerernstlichsten Schlachtordnung nicht getan haben. Bist Du aber auf rechter Meinung und Deiner Sache gewiss, so fahre fort in Gottes Namen und sei getrost, Gott wird Dich nicht verlassen!“

So tönte ihm von allen Seiten erhebender Zuspruch entgegen und schöne Bibelworte berührten sein Ohr. Er muhte fühlen, dass er nur der Sprecher des Volkes, nur die Spitze einer ihm nachdrängenden Volksmenge war. — Im Saale waren anwesend: Kaiser Karl V., dessen Bruder der Erzherzog Ferdinand, 6 Kurfürsten, 24 Herzöge, 8 Markgrafen, 77 Gesandte der freien Städte, 7 fremde Gesandte, 30 Erzbischöfe, Bischöfe und Prälaten, die päpstlichen Nuntien und sonstige Fürsten, Grafen und Reichsbarone, soweit es der Raum gestattete, im Ganzen 204 Personen. Die Zahl der Gegenwärtigen auf Treppen, Gängen, im Vorsaal und vor den Fenstern soll 5.000 betragen haben.

Als Luther eingetreten war, erinnerte ihn der Reichserbmarschall zunächst, dass er nur zu sprechen habe, wenn er gefragt werde. Darauf nahm der Kanzler des Erzbischofs von Trier das Wort, sagte etwas von dem Zwecke der Berufung Luthers und fragte ihn dann: erstens, ob er die Bücher, die vor ihm auf einem Tische lagen, für die seinigen erkenne und zweitens, ob er den Inhalt derselben widerrufen wolle. Doktor Schurff rief nun dazwischen: „Man bezeichne die Bücher namentlich!“ Es waren nicht nur Streitschriften, sondern auch rein wissenschaftliche und erbauliche, z. B. die Auslegung einiger Psalmen, das Büchlein von den guten Werken, die Erklärung des Vaterunsers, der Sermon von dreierlei Gerechtigkeit u. a. m. Luther erkannte die Schriften als die seinigen an, bat sich aber wegen der Wichtigkeit der Antwort auf die zweite Frage Bedenkzeit aus. Nach kurzer Beratung wurde ihm solche bis zum nächsten Tage zugestanden, mit dem Bemerken jedoch, dass er Bedenkzeit genug gehabt habe, da er gewusst, was man von ihm wolle.

Luther trat ab. Die Stimmung draußen war sehr aufgeregt, man fürchtete die Ränke der Päpstlichen, und viele Ritter kamen nachher in die Herberge und versicherten ihm, sie würden nicht zulassen, dass ihm etwas Leides geschehe. Diese Kundgebung der öffentlichen Meinung schüchterte die römische Partei so weit ein, dass sie nicht an einen Bruch des freien Geleites denken durfte.

Am nächsten Tage, dem 18. April, fragte ihn der Kanzler, ob er alle seine Bücher verteidigen oder etwas davon widerrufen wolle? Luther sprach: seine Bücher wären nicht einerlei Art, in einigen habe er vom Glauben und christlichen Leben und Werken gelehrt, und die könne er nicht widerrufen. In andern habe er von den Dekreten, falschen Missbräuchen der Päpste gehandelt, womit sie eine Tyrannei in der Christenheit ausgeübt und Ärgernis angerichtet hätten, und dieses könne er auch nicht widerrufen, ohne dem Evangelio Abbruch zu tun und die Tyrannei in der Kirche zu fördern. Endlich habe er auch einige gegen seine Widersacher geschrieben, die seine Lehre angegriffen und zugleich der Päpste Lehren hätten verteidigen wollen; und bei diesen bekenne er, dass er manchmal zu rau und heftig gewesen sei. Denn er mache sich selbst nicht zu einem Heiligen und disputiere nicht von seinem Leben, sondern von der Lehre Christi. „Doch wie dem, weil ich ein Mensch, nicht Gott bin, so mag ich meine Büchlein durch keine andre Handhabung erhalten, denn mein Herr Jesus Christus seine Lehre erhalten hat, als er von Hannas von seiner Lehre gefragt und von einem Diener auf einen Backen geschlagen wird, sagte: Habe ich übel geredet, so beweise, dass es böse sei.“ Er bitte daher einen Jeden, die Höchsten und Niedrigsten, aufs herzlichste und demütigste, ihm aus der Propheten und Apostel Schriften zu erweisen, dass er geirrt habe. Und werde er überwiesen, so wolle er der Erste sein, der seine Bücher ins Feuer werfe. „Aus diesem, halte ich, scheint klärlich, dass ich genugsam bedacht und erwogen habe die Gefahr von Zwietracht, Aufruhr und Empörung, so durch meine Lehre in der Welt erwachsen soll, daran ich gestern ernst und hart bin erinnert worden. Mir zwar ist's wahrlich die größte Lust und Freude, zu sehen, dass von wegen des göttlichen Worts Parteiung, Misshelligkeit und Uneinigkeit werden, denn das ist der Lauf und Ausgang des göttlichen Wortes, wie der Herr selbst sagt: Ich bin nicht gekommen, den Frieden, sondern das Schwert zu senden.“ Im Folgenden warnte er jedoch vor fleischlichem Missverstande des Wortes, und schloss endlich: „Ich sage das nicht darum, dass so großen Häuptern meine Lehre und Unterweisung von nöten sei, sondern dass ich meinem deutschen Heimatlande meinen Dienst nicht habe sollen und wollen entziehen. Und hiermit Eurer Kaiserlichen Majestät Gnaden ich mich untertänigst befehle, in Demut bittend, sie wolle durch meiner Abgünstigen üble Meinung mich nicht verunglimpfen und in Ungnade bringen lassen.“

Luther hatte deutsch gesprochen; aber da der Kaiser die deutsche Sprache nicht gut verstand, sie auch nicht liebte, denn er hatte einmal gesagt, nur mit den Soldaten rede er deutsch, mit Gott spanisch, mit den Damen italienisch und mit seinen Ministern lateinisch, forderte man Luther auf, seine Rede lateinisch zu wiederholen. Er selbst sagt darüber: „Deshalb begehrten sie von mir, ich sollte es noch einmal wiederholen mit lateinischen Worten; aber ich schwitzte sehr und war mir des Getümmels halben sehr heiß, und dass ich unter den Fürsten stund. Doch sagte Herr Friedrich von Thunau: Könnet ihr es nicht tun, so ist's genug, Herr Doktor. Aber ich wiederholte alle meine Worte lateinisch; das gefiel Herzog Friedrich, dem Kurfürsten, überaus wohl.“

Der Kanzler von Trier entgegnete darauf, man habe ihn nicht hierher berufen, um eine Rede von ihm zu hören. Was er vorgetragen, gehöre nicht zur Sache. Fester Formen bedürfe die Kirche, und deshalb wären sie auch von Päpsten und Concilien angeordnet und festgestellt. Ihm, dem Einzelnen, könne es nicht gestattet werden, umzustürzen, was bisher als fest gegolten. Man verlange eine runde, schlichte Antwort von ihm, ob er widerrufen wolle oder nicht. Da sprach Luther jene Heldenworte, welche sich von Geschlecht zu Geschlechte fortpflanzen werden, so lang es eine evangelische Kirche gibt:

„Weil denn E. K. M. und Gnaden eine schlechte Antwort begehren, so will ich eine solche geben, die weder Hörner noch Zähne haben soll, dermaßen: Es sei denn, dass ich durch Zeugnis der heiligen Schrift oder mit klaren und hellen Gründen überwunden werde, (denn ich glaube weder dem Papste noch den Concilien alleine nicht, weil es am Tag und offenbar ist, dass sie oft geirret und sich selbst widersprochen haben): so bin ich überwunden durch die Sprüche, die ich angezogen habe, und gefangen in meinem Gewissen in Gottes Wort und kann und mag darum nicht widerrufen, weil weder sicher, noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!“

Nach einer nochmaligen Entgegnung des Kanzlers, dass seine Rede nicht befriedigt habe, und dass er widerrufen solle, antwortete Luther in gleicher Weise wie vorher, und wurde entlassen. Zwei Gewappnete begleiteten ihn nach Hause. Unterwegs im Gedränge reichte ein Bote des Herzogs Erich von Braunschweig ihm einen silbernen Krug mit Eimbecker Bier: er möge sich daran erquicken. Luther nahm den Trunk an und sprach: „Wie Herzog Erich jetzt meiner gedacht hat, also gedenke unser Herr Christus seiner in seinem letzten Stündlein.“ Die Spanier dagegen verhöhnten ihn auf seinem Heimwege, aber er war so hohen Mutes voll, dass er sagen durfte: „Wenn ich tausend Köpfe hätte, so wollte ich mir eher alle lassen abhauen, denn einen Widerspruch tun.“ Am folgenden Morgen wurde der Reichsversammlung folgender Bescheid des Kaisers vorgelegt:

„Mein fürstlicher Stamm aus dem Geschlecht der Kaiser Deutschlands, der Könige Spaniens, der Erzherzöge Österreichs und der Herzöge von Burgund, haben ihren Ruhm gesucht in Schirmung der römischen Kirche: also will ich dem Beispiele meiner Ahnherren folgen. Ein einziger Mönch, durch die Torheit seines Herzens verblendet, erhebt sich gegen den Glauben der Christenheit. Ich will mein Reich, meine Macht, meine Freunde, meine Schätze, Gut und Blut, Leib und Seele daran setzen, solche Gottlosigkeit zu dämpfen. Den Augustiner Martin Luther will ich heim senden, und ihm verbieten, Unruhe im Volke zu nähren; dann aber will ich gegen ihn und seinen Anhang, wie gegen offenbare Ketzer verfahren, mit Bann
und andern Wegen, wo sie offen stehen, sie zu vertilgen. Von den Ständen des Reichs fordre ich, dass sie sich verhalten, wie gläubigen Christen geziemt.“

Nach dem Rat einiger wohlgesinnten Fürsten wurde noch ein Reichstagsausschuss von neun Personen, an deren Spitze der Erzbischof von Trier stand, gewählt, der mehrere Tage mit Luther unterhandelte. Er blieb indessen fest, und erwiderte auf die Frage des Erzbischofs von Trier: „Mein Herr Doktor, was tät man denn?“ — „Gnädigster Herr, da wüsste ich keinen besseren Rat, denn den Gamaliel in der Apostelgeschichte gab: Ist der Rat oder das Werk aus Menschen, so wird es untergehen: ist's aber aus Gott, so könnet ihr es nicht dämpfen.“

In der Herberge erhielt er noch täglich Besuche von den Mitgliedern des Reichtages, auch von dem Landgrafen Philipp von Hessen und den Räten seines Kurfürsten. Am 26. April, nach zehntägigem Aufenthalt in Worms, trat er seine Rückreise an. Von Frankfurt aus schreibt er an den Maler Lucas Kranach in Wittenberg, dass ihn seine Gönner einige Zeit der Öffentlichkeit entziehen würden, in welchen Beschluss er sich gezwungen füge. Am 28. April Abends schreibt er von Friedberg an den Kaiser und den Reichstag, bespricht noch einmal die ganze Unterhandlung in Worms, dankt für das gehaltene freie Geleite und verspricht sein Gebet für den Kaiser und das Reich. Mit diesen Briefen schickt er den Herold des Kaisers zurück. — An allen Orten wurde er mit Zeichen der Teilnahme und Hochachtung aufgenommen, besonders aber ehrte ihn der fürstliche Reichsabt von Hersfeld, der ihm die größten Auszeichnungen gewährte und ihn sogar nötigte, sein eignes Schlafzimmer für die Nacht einzunehmen; auch musste er vor ihm predigen. Am l. Mai Abends kam er nach Eisenach, wo ihn seine Reisegefährten außer Amtsdorf und sein Bruder Jacob verließen. Er selbst fuhr am dritten des Morgens nach Möhra, um seine Großmutter väterlicherseits und seine übrigen Verwandten zu besuchen. Nach einem kurzen Genusse ländlicher Ruhe und herzlichen Austausches mit seiner Familie, reiste er am vierten gen Waltershausen ab, aber ehe er dahin gelangte, in der Nähe des Schlosses Altenstein in einem Hohlwege brachen Reisige aus dem Walde hervor und nahmen ihn gefangen. Der Kurfürst hatte an den Schlosshauptmann der Wartburg, Hans von Berlepsch, und den Ritter Burkhardt Hund von Wengheim geschrieben, sie sollten Luther, wenn er an seine Landesgrenze käme, in Sicherheit bringen. Als die Reiter den Wagen ungestüm anhielten und Luther mit angenommener Heftigkeit herabzogen, entfloh sein Bruder Jacob in das Gebüsch und weiter nach Waltershausen. Der Kutscher wurde genötigt, mit Amtsdorf fortzufahren, Luther aber ward auf ein Pferd gehoben, ihm ein Reitermantel umgeworfen und auf Umwegen nach der Wartburg geführt, wo man um Mitternacht eintraf. Der Gefangene wurde vor den Burgbewohnern Junker Georg genannt. Luther musste sich Bart und Haare wachsen lassen, Ritterkleider anlegen und erhielt einen Edelknaben zur Bedienung; doch wurde er zunächst in sein Gemach eingeschlossen und von den Uneingeweihten für einen Übeltäter gehalten. Selbst die Gattin des Schlosshauptmanns, Frau von Berlepsch, die etwas von dem wahren Zusammenhang der Sache ahnte, wurde Wochen lang darüber in Ungewissheit erhalten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther - Ein deutsches Leben