Der Bauernkrieg. 1525.

Römisches Fühlen, Denken und Handeln ist durch das Papsttum in Deutschland zur Herrschaft gelangt, und hat sich vom kirchlichen auf alle anderen Gebiete, namentlich auch auf das politische, verbreitet. Wie der geistliche und Laien-Stand streng von einander geschieden, wie jener ausschließlich im Besitze der Herrschaft und im Genuss der irdischen Güter war, dieser aber Gott gegenüber gar keine Berechtigung hatte, sondern rechtlos und der Vermittlung bedürftig dastand, so war es auch auf sozialem und politischem Boden dahin gekommen, dass die Völker den Fürsten gegenüber gar kein Recht, sondern nur Privilegien besaßen, d. h. kein natürliches Recht hatten, das ihnen an und für sich zugekommen wäre, sondern nur Rechte, die ihnen aus Gnaden oder durch die besondere außerordentliche Güte des Fürsten zugestanden waren. Ebenso verhielt es sich auf dem platten Lande rücksichtlich des Adels und seiner ländlichen Insassen. Der Bauer oder der Leibeigene hatte kein Recht als Mensch, sondern er besaß nur diese oder jene Zugeständnisse und Freiheiten, welche der Edelmann ihm gewährte, und diese waren in den engsten Schranken gehalten. Jener bewilligte ihm nichts, was nicht zur Befriedigung seiner Bedürfnisse oder zur Erhaltung seiner Existenz unumgänglich nötig war. Es gab daher, wie auf dem Gebiete der Kirche nur berechtigte Priester und unberechtigte Laien, so auf dem Gebiete des Staates nur einen nicht arbeitenden und genießenden Adel und ein arbeitendes und zum Lebensgenuss unberechtigtes Volk.

Dieses unnatürliche Verhältnis übte nicht bloß auf den leidenden Teil einen nachteiligen Einfluss aus, sondern wirkte auch entsittlichend auf den herrschenden Adel. Kunst und Wissenschaft geben dafür ausreichende Belege. So lange unter den Hohenstaufen die weltliche Macht mit der geistlichen im offenen Kampfe lag, und der Staat sich noch nicht mit allen seinen Einrichtungen unter die einseitige Herrschaft des Papsttums gebeugt hatte, so lange gehörte auch der Adel zu den arbeitenden und besonders zu den geistig tätigen Klassen des Volkes. Dies war in solchem Maße der Fall, dass er in Allem, was zur Größe und Bedeutung eines Volkes führen kann, in Kunst und Wissenschaft und in jeder Art von Kultur der großen Menge voranging. Fast Alles, was Deutschland bis zum dreizehnten Jahrhundert Bedeutendes erzeugt hat, ging vom Adel aus. Die edlen Familien des Landes sind überall die Koryphäen, und stehen an der Spitze jeder zeitgemäßen Unternehmung. Seit dem Beginne der Habsburgischen Herrschaft aber, die sich unbedingt dem römischen Systeme unterwarf und das Papsttum zu unbeschränkter Macht in Deutschland gelangen ließ, hat der Ritterstand seine geistige Bedeutung verloren. Er ist in Arbeitslosigkeit und Genusssucht versunken und zehrte allein von dem großen Erbe, das ihm seine erhabenen Vorfahren errungen hatten. Der Dichter sagt:


      „Was du ererbt von deinen Vätern hast,
      Erwirb es, um es zu besitzen,
      Was man nicht braucht, ist eine schwere Last;
      Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.“

Der ungeheure Druck, unter dem die Bauern am Ende des Mittelalters seufzten, hatte schon vor der Reformation Widerstand und Empörung erzeugt, doch waren die Versuche zur Erleichterung des Joches stets mit überwiegender Gewalt niedergeschlagen worden. Als aber Luther die Lehre von der kirchlichen Autorität und Tradition über den Haufen warf, von christlicher Freiheit predigte und das Menschenrecht gegen das fremdländische Papstrecht verteidigte, da erwachte der Geist des Widerstandes auch in den Bauern auf's Neue, und es entwickelte sich unter ihnen die Zuversicht, dass ihnen jetzt auch die Befreiung vom weltlichen Drucke bevorstehe. Sie verstanden nichts von der Freiheit des Evangeliums, nichts von dem erhabenen Rechte der Kinder Gottes und strebten mehr nach Rache für erduldeten Druck, als nach dem Zustande geistiger Unabhängigkeit, die der Mensch auch in Fesseln genießen kann. Wie Tiere, die sich von der Kette losgerissen hatten, stürzten sie sich sinnlos auf Alles, was durch Ordnung und Recht geheiligt Ansehen und Geltung in der Welt hatte. Der Aufruhr begann in Schwaben und wälzte sich rasch durch das südliche Deutschland bis Thüringen, wo sich die Zwickauer Schwärmer, namentlich Thomas Münzer, an die Spitze stellten. In den zwölf Artikeln, welche sie aufstellten, forderten sie freie Wahl ihrer Geistlichen, Aufhebung der Zehnten, frei gewählte Obrigkeiten, denen sie jedoch in allen ziemlichen und christlichen Dingen gehorsam sein wollten, Freigebung der Jagd, Teilnahme an den Waldungen, Ermäßigung der Fronden, Zinsen und Steuern u. s. w. Auch wollten sie die heilige Schrift nur nach dem Geiste, wie es Luther allerdings auch getan hatte, auslegen; aber sein Geist war der Geist Gottes, und der ihrige war ein verblendeter Geist oder vielmehr gar kein Geist, sondern nur eitler, kurzsichtiger Menschenverstand. Luther war tief ergriffen und erschüttert von der Unordnung und den Freveln, die er begehen sah, und suchte zunächst durch Ermahnungen an die Fürsten und die Bauern den Frieden wiederherzustellen. Jenen sagte er: „Wir mögen Niemandem auf Erden diesen Unrat danken, denn Euch Fürsten und großen Herren, dass gar Viele im weltlichen und Kirchenregiment nicht mehr tun, denn dass sie schatzen und nehmen, Pracht und Hochmut zu führen, bis es der arme, gemeine Mann nicht mehr erschwingen kann. Das sollt Ihr wissen, lieben Herren, Gott schaffts also, dass man nicht länger solches dulden wird; Ihr müsset anders werden und Gottes Wort weichen. Tut Ihrs nicht auf freundliche Weise, so werdet Ihrs müssen auf verderbliche und gewaltsame.“ Den Bauern schrieb er mit großer Milde und zeigte ihnen das Törichte ihres Unternehmens. Da sie aber auf sein Wort nicht hörten, sondern vielmehr auf dem Wege des Gräuels fortschritten, Kirchen zerstörten, Dörfer und Schlösser niederbrannten, und deren Besitzer mit ihren Familien auf das Grausamste töteten, so schrieb er gegen sie die Schrift: „Wider die räuberischen und mörderischen Bauern“, worin es heißt: „Aufruhr ist nicht schlechter Mord, sondern wie ein groß Feuer, das ein Land anzündet und verwüstet; also bringt Aufruhr mit sich ein Land voll Mords, Blutvergießen und macht Witwen und Waisen und zerstört Alles. Darum soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann, und gedenken, dass nichts giftigers, schädlichers, teuflischers sein kann denn ein aufrührerischer Mensch. Gleich als wenn man einen tollen Hund totschlagen muss; schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir. Ein Fürst muss hier denken, wie er Gottes Amtmann und seines Zornes Diener ist, dem das Schwert über solche Buben befohlen ist und sich eben so hoch vor Gott versündigt, wo er nicht straft und wehrt, als wenn einer mordet, dem das Schwert nicht befohlen ist.“

Wegen dieser Schrift wurde Luther nicht ohne Grund getadelt: er sei hart und unchristlich und predige Blutvergießen ohne alle Barmherzigkeit. Deshalb suchte, er sich in einer Schritt „Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“, zu rechtfertigen. Darin heißt es: „Dass er wohl mehr denn keiner in tausend Jahren von der Barmherzigkeit geschrieben und gelehrt habe; aber er habe auch oft genug geschrieben, dass man Gottes und der Welt Reich unterscheiden solle. Gottes Reich sei ein Reich der Gnaden und Barmherzigkeit und nicht ein Reich des Zorns oder Strafe, denn daselbst sei eitel vergeben, schonen, lieben, dienen, wohltun, Fried und Freud haben u. s. w. Aber das weltliche Reich sei ein Reich des Zorns und Ernstes; denn daselbst sei eitel strafen, wehren, richten und urteilen, zu zwingen die Bösen und zu schützen die Frommen. Wer nun diese zwei Reiche in einander wollt mengen, wie unsere falschen Rottengeister tun, der würde Zorn in Gottes Reich setzen und Barmherzigkeit in der Welt Reich: das wäre aber den Teufel in den Himmel und Gott in die Hölle setzen. Alles beides wellten diese Bäurischen auch gern tun. Vorhin wollten sie mit dem Schwert fahren und als christliche Brüder für das Evangelium streiten und Andere töten, da sie sollten barmherzig und geduldig sein. Jetzt, nun das weltliche Regiment über sie gehet, wollen sie Barmherzigkeit drinnen haben, das ist, sie wollen kein weltlich Reich leiden und doch selbst Gottes Reich auch Niemand gönnen, was möchte Verkehrteres erdacht werden? „Nicht also, lieben Freunde! hat man Zorn verdient in weltlichem Reich, so gebe man sich drein, und leide die Strafe oder bitte sie demütiglich ab. Die aber in Gottes Reich sind, sollen sich Jedermanns erbarmen und für sie bitten; aber doch dem weltlichen Reich sein Recht und Werk nicht hindern, sondern helfen und fördern.“ Zuletzt sagt er, wenn er in seinem Büchlein geschrieben, man solle ohne alle Barmherzigkeit in die Aufrührerischen stechen: so habe er ja damit nicht gelehret, dass man den Gefangenen und Ergebenen nicht solle Barmherzigkeit beweisen, und fügt hinzu: „So will ich auch hiermit die wütigen Tyrannen nicht gestärkt, noch ihr Toben gelobt haben. Denn ich höre, dass etliche meine Jünkerlein über die Maß grausam fahren mit den armen Leuten, und sind fast keck und trotzig, als hätten sie gewonnen und säßen feste. Wohlan, dieselbigen suchen nicht Strafe und Besserung des Aufruhrs, sondern äußern ihren grimmigen Mutwillen und kühlen ihr Mütlein, den sie vielleicht lang getragen haben, meinen, sie haben nun einmal Raum und Fug dazu gewonnen.“

Diese Schriften halfen indessen zur Entscheidung der Sache wenig, wie denn überhaupt alle Angelegenheiten des Lebens mehr durch die Interessen der Beteiligten als durch Prinzipien entschieden werden. Wäre die Reformation nicht ein dringendes Bedürfnis des deutschen Volkes gewesen, so würde Luther mit allen seinen vortrefflichen Schriften und Gründen sie so wenig zu Stande gebracht haben wie seine Vorgänger, und hätte er bei diesem Aufruhr geschwiegen, so würde dieser nichts desto weniger denselben unseligen Ausgang genommen haben, weil die Zeit zur Reform der sozialen Verhältnisse noch nicht erfüllt war. Die Bauern waren zu dem Zustande der Freiheit, den sie heute besitzen, nicht reif, und ihr Aufruhr würde alle Gesittung und Bildung bis auf die Wurzeln zerstört haben, wenn ihm nicht durch Schwertesgewalt Einhalt getan worden wäre.

Die Kriegsleute der norddeutschen Fürsten versammelten sich und zwangen die thüringischen Bauern am 15. Mai 1525 zu der entscheidenden Schlacht bei Frankenhausen. Es waren ihrer etwa achttausend, die von dem ehrgeizigen und schwärmerischen Thomas Münzer geführt wurden. Der Landgraf Philipp von Hessen ließ ihnen Gnade anbieten, wenn sie ihre Anführer zur Bestrafung ausliefern wollten; aber Münzer stieß den Boten nieder und begeisterte seine Leute durch eine feurige, aber höchst überspannte Rede. Die Schlacht begann, der Sieg wurde den Fürsten über die ungeordnete Masse sehr leicht; 5.000 Bauern wurden erschlagen und die übrigen zerstreut. Münzer rettete sich nach Frankenhausen, wurde aber am andern Tage aus seinem Versteck hervorgezogen und hingerichtet. Ähnlich ging es in Schwaben, Franken, Bayern und an allen andern Orten. Die Empörer, welche Zügellosigkeit, Rohheit und Ungesetzlichkeit zur Schau trugen, wurden zu Paaren getrieben und die Ordnung wieder hergestellt. Waren aber die rebellischen Bauern grausam gewesen, so waren es die Sieger nicht weniger. Vielen Gefangenen wurden die Augen ausgestochen, die meisten aufgehängt oder enthauptet, überhaupt mehr als 100.000 getötet, die Scharfrichter fanden überall volle Arbeit, und es schien, als wollten die Grundherren den Worten Folge geben: Haben wir Euch vorher mit Ruten gezüchtigt, so wollen wir Euch jetzt mit Skorpionen züchtigen.

Für das Werk Luthers, für die Wiederherstellung der gereinigten Lehre des Evangeliums hatte aber diese soziale Bewegung die nachteiligsten Folgen. Die römisch Denkenden in und außerhalb Deutschlands, wenn sie nicht unmittelbar von dem Aufruhr heimgesucht wurden, triumphierten und riefen: „das sind die Früchte des Samens, den der Ketzer ausgestreut hat,“ und selbst Viele, die bis dahin zweifelhaft oder gleichgültig dem Gange der Reformation zugesehen hatten, wandten sich entschieden zu ihren Gegnern. Luther musste an sich und seinem eigenen Werke die Erfahrung machen, dass auf Erden Alles unvollkommen sei, und dass der böse Geist der Menschen überall, auch bei den reinsten Bestrebungen den Samen des Verderbens ausstreue. Er stand stille und besann sich, und er fand, dass es mit dem bloßen Fortschreiten nicht getan sei, sondern dass eine feste Grundlage auch in Bezug auf Lehre und Kultus gelegt werden müsse, an welcher sich die Masse halten könne. Er wurde konservativ, ja teilweise selbst reaktionär. Er verlor das Vertrauen zu den Menschen, weil er sich gemissbraucht sah. Was er mit unsagbaren Kämpfen sich unter Gottes Beistand qualvoll und mühsam errungen hatte, das wurde von Großen und Kleinen, von Gelehrten und Ungelehrten zur Erreichung weltlicher Absichten und weltlicher Vorteile verwendet, und er traute fast Niemandem mehr, außer sich selbst. Das ist aber ein bedenklicher, ja ein gefahrvoller Zustand für einen Reformator. Der Dichter sagt:

„Von der Menschheit, du kannst von ihr nicht groß genug denken,
Wie du im Busen sie trägst, prägst du in Taten sie aus.“

Wer trotz aller schlimmen Erfahrungen sich nicht die Ehrfurcht vor dem Menschen als solchem bewahrt, und der Zuversicht lebt, dass das Gute schließlich immer den Sieg über das Böse davon trägt, der leistet freiwillig auf den reichsten Einfluss, auf die mächtigsten Wirkungen seiner Lehre und seiner Taten Verzicht.

So sind die Empörungen der Bauern gegen das geistliche und weltliche Regiment für Luthers reformatorisches Leben eine epochemachende Begebenheit geworden. Sein wahres Heldentum schließt mit dem Jahre 1525, und seine fernere Wirksamkeit zeigt nicht nur keinen Fortschritt mehr, sondern er verleugnet sogar das große Prinzip, das er einst in dem Streite mit dem Kardinal Cajetan entdeckte, und dem er bisher gefolgt war, das Prinzip, nach welchem der Mensch mehr seinem Gewissen und dem in ihm wohnenden Gotte als aller geistlichen und weltlichen Autorität zu gehorchen habe. Für seine eigne Handlungsweise nimmt er zwar diesen Grundsatz als ausschließlich leitenden noch immer in Anspruch, weil er ihm gleichsam zur Gewohnheit, zur andern Natur geworden ist, aber Andern will er ihn nicht mehr zugestehen. So stellt er in sich selbst eine Autorität auf, die er bis dahin mit so bewunderungswürdigem Heldenmut bekämpft hatte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther - Ein deutsches Leben