Ausgang und Tod. 1538 — 1548

Luther hatte im Anfange seines Kampfes gegen das Papsttum oft gesagt: ,,Ist das Werk, das ich unternehme, von Gott, so werdet ihr es nicht dämpfen; ist es aber Menschenwerk, so wird es von selbst untergehen.“ Die Stimme Gottes in seinem Innern hat ihn nicht getäuscht, wie sie niemals täuscht, und sein Werk gedieh und wuchs, und breitete sich aus fast über den ganzen Norden Europas, so weit germanisches Blut in den Adern der Menschen floss, und deutscher Geist die Fürsten und Völker beherrschte.

Einer der heftigsten und mächtigsten Gegner seiner Lehre war der Kurfürst Joachim I. von Brandenburg, ein ausgezeichneter Fürst, der die Schäden der Kirche sehr wohl kannte, der aber dem einzelnen Gliede nicht das Recht zugestehen wollte, gegen den Willen und die Forderung der höchsten weltlichen und geistlichen Macht eine so tief greifende Umgestaltung vorzunehmen. Joachim I. war im Jahre 1535 gestorben, und seine Söhne Joachim II. und Hans von Küstrin folgten ihm in der Regierung, jener in der Kurmark, dieser in der Neumark. Beide waren schon lange durch ihre Mutter für das Licht des Evangeliums gewonnen und brachten die Reformation gleich oder bald nach Beginn ihrer Herrschaft zu allgemeiner Anerkennung in ihren Landen. In Berlin und der Kurmark fand der Übertritt des Fürsten, des Hofes, der städtischen Obrigkeiten und des größten Teiles des Volkes von der römischen zur deutschen Kirche am I. November 1539 statt, ein wichtiger Vorgang, eine epochemachende Begebenheit, wenn man nicht am Augenblicke haftet, sondern in die Zukunft auf die folgenden Jahrhunderte blickt; denn obwohl nicht das Wiegenland oder der Ausgangspunkt der Wiedergeburt christlichen Lebens, ist die Mark Brandenburg doch das Land geworden, ob es Luther damals auch nicht ahnte, welches später als Vertreter und Vorkämpfer für die deutsche Geistesfreiheit die Fahne des Protestantismus hochhalten sollte. In Sachsen war und blieb Luther zu sehr Autorität, als dass man es hätte wagen mögen, von seiner einseitigen, persönlich menschlichen Anschauungsweise, von den kirchlichen Formen seines Zeitalters abzuweichen: in der Mark war man freier gestellt: hier folgte man Luthers großen Prinzipien, ohne sich ängstlich an die zeitlichen und vergänglichen Einrichtungen und Gestaltungen seiner Auffassung zu binden, bier huldigte man dem Grundsatze, dass der Gott im Menschen, der heilige Geist, zu allen Zeiten schöpferisch wirken und die geistigen Bedürfnisse des Volkes in Lehre und Cultus befriedigen könne. Ein Hohenzollernscher Fürst war es, Johann Sigesmund, der im Jahre 1613 nicht nur selbst zu der von Luther mit so großer Heftigkeit und Härte verworfenen schweizerischen Kirche übertrat, sondern ihr auch in seinem Lande Duldung und Anerkennung verschaffte. Diese Gleichstellung der Lutherschen und reformierten Lehre ist aber der Grundstein des preußischen Staatsgebäudes geworden, und wenn Preußen heute wieder auf den exklusiven Standpunkt zurückkehren könnte oder wollte, so würde es damit sein Todesurteil unterzeichnen; es würde dahin siechen, verkommen, untergehen.


In demselben Jahre, in welchem Berlin und die Mark aus dem Dienste des Papstes in den Dienst Gottes trat, die römische Herrschaft abschüttelte und sich deutschem Geiste und Wesen weihte, starb auch ein anderer Gegner Luthers und seiner Lehre, der Herzog Georg von Sachsen. Seine beiden Söhne, ebenso eifrig, ja leidenschaftlich römisch gesinnt wie ihr Vater, waren vor ihm aus dem Leben geschieden, und sein Bruder Heinrich, der schon früh sich der aufgehenden Sonne in Wittenberg zugewandt hatte, folgte ihm in der Regierung. Am 17. April 1539 starb Herzog Georg. Zu Ostern wurde noch in allen Kirchen des Herzogtums die Messe mit großer Feierlichkeit zelebriert, denn er bestrafte Diejenigen, die am Abendmahl in einer Gestalt an diesem Feste nicht teilnahmen, mit Verbannung oder Tod, und zu Pfingsten waren fast schon alle Kanzeln des Landes mit evangelischen Geistlichen besetzt. So schnell war fast nirgends der Wechsel eingetreten. — Überall in Deutschland griff die Kirchenverbesserung, um sich, nur im eigentlichen Bayern nicht; aber es ist auch eine noch nicht beantwortete Frage, ob die Bayern wirklich Deutsche seien. In andern Landschaften unseres Vaterlandes ist man auch im Dienste Roms geblieben, aber es geschah, weil die Fürsten es wollten, oder weil man sich den künstlichen Schlingen des Papsttums zu entziehen zu schwach, zu beschränkt oder zu eigennützig war; in Bayern aber schienen Fürst und Volk in dem römischen Dienste ihrer eigensten innern Natur zu folgen.

Luther sah die Fortschritte, die seine Lehre nach Außen machte, und er fand darin die Erwartungen befriedigt, die er in der begeisterten Zeit seines Auftretens gehegt, hatte. Er dankte Gott dafür, aber er wunderte sich nicht sehr darüber, denn es hatten sich nur seine Voraussetzungen bestätigt. Tiefer ergriff ihn, was er nicht erwartet hatte und doch sehen musste. Innerhalb seiner neuen Kirche selbst entstand Zwiespalt und die Herrschaft abweichender Meinungen. In der Abendmahlslehre konnte er sich selbst auf den treuen Melanchthon nicht ganz verlassen; ein andrer lieber Freund, Johann Agricola behauptete, dass das mosaische Gesetz in die Gerichtsstube aber nicht in die Kirche gehöre; viele Fürsten und Edelleute sannen bei Annahme der Reformation nur auf weltliche Vorteile und zeitliche Unabhängigkeit. Christliche Freiheit und menschliche Willkür wurden überall vermengt und verwechselt, wie die scheußlichen Unordnungen und Ausschweifungen, die von den Wiedertäufern in Münster begangen wurden, es in der auffallendsten und schreckendsten Weise zeigten.

Die letzten Lebensjahre Luthers sind voll Trübheit und Bitterkeit. Gegen seinen alten Feind, den Papst, ist er voll Hasses, voll Mutes und voll Freudigkeit. Unerschöpflich in Angriffen, unermüdet im Kampfe stürzt er sich mit wahrer Berserkerwut auf jede Blöße, die ihm der Feind bietet. Rom ist ihm die Hölle, der Papst der Antichrist oder der Teufel, und alle römischen Priester sind Diener des Satans. Man kann vielleicht lächeln über diesen Hass, diese Wut, diese Verfolgung mit Worten; aber es liegt etwas Großartiges darin, es ist das Heldentum eines im Glauben gefangenen Menschen, der seinem Gott in dieser Weise dient. Wir können den Papst nicht so hassen, weil wir Gott nicht so lieben wie Luther, aber wir können ihn auch nicht besiegen, wie er ihn besiegt hat. Zu Kampf und Sieg gehört ein echter, treuer, aufrichtiger Zorn, wie ihn beispielsweise Blücher gegen Napoleon I. hatte. Mit unserer Höflichkeit und Duldsamkeit lockt man keinen Hund vom Ofen. Es sind auch ganz falsche Rücksichten, die uns leiten. Wir sollen die Menschen lieben, aber die Dinge hassen; doch wir machen es umgekehrt. Römischer Geist und römisches Wesen, mag es an und für sich sein, wie es will, soll dem Deutschen ein Gräuel sein, Teufelswerk und Antichristentum. Hierin sollen wir uns Luther zum Vorbild nehmen, wenn wir auch in andern Dingen von ihm abweichen; denn hier stehen die Dinge noch so, wie sie vor dreihundert Jahren standen. Er betete einmal, als er seine letzte Stunde nahe glaubte: „Herr Gott, siehe, ich sterbe, ein Feind deiner Feinde, ein Fluch und Verbannter deines Feindes und Antichrist des Papstes, auf dass dein Feind weder sterbe in deinem Bann und wir beide an jenem Tag gerichtet werden; dieser zwar, dein Feind und Widerchrist, zur ewigen Schmach und Pein; ich aber, deine arme Kreatur, die deinen Namen und Majestät öffentlich bekannt, zur ewigen Glorie und Herrlichkeit!“ Wenn wir nicht mit solcher Zuversicht und Gewissheit beten lernen, wird der deutsche Geist nie über den fremdländischen Sinn den Sieg erhalten, wird Deutschland nie zur Einigkeit gelangen; denn der tiefste und wesentlichste Grund alles Zwiespalts, wie wenig dies auch von dem Verstande begriffen wird, ist und bleibt doch der Unterschied und Gegensatz der deutschen und römischen Geistesrichtung.

Luther stand seit jenem Tage in Grimma, im April 1516, wo er von Tetzels Treiben in Wurzen hörte, und die Worte sprach: „Ich will der Pauke ein Loch machen“, auf dem Kampfplatze, und er hat bis zu seinem Tode nie den freudigen Mut und die Kraft zu Angriff und Widerstand verloren, weil er sich zu diesem Kampfe von Gott berufen und auserwählt fühlte; aber was ihm sonst in andern Richtungen des Lebens Störendes und Widerwärtiges begegnete, zu dessen Bestreitung er seinen göttlichen Beruf nicht klar erkannte, wo er nur als Mensch, Geistlicher oder Gelehrter andern Menschen, Geistlichen oder Gelehrten gegenübertrat, da fühlte er sich oft befangen, bedrängt, unfrei und machtlos, und klagte ohne rechten Hass und Zorn über die Schlechtigkeit und Verderbtheit der Menschen. Mit der Universität und den Einwohnern von Wittenberg war er wegen ihres Unglaubens und ihres weltlichen Treibens so unzufrieden, dass er die Stadt im Mai 1545 verließ, und zu seinem Freunde Amtsdorf nach Naumburg ging, um nicht wieder zurückzukehren. Er schrieb von Leipzig aus an seine Frau: „Ich wollte es gern so machen, dass ich nicht wieder dürfte nach Wittenberg kommen. Mein Herz ist erkaltet, dass ich nicht gern mehr da bin, wollte auch, dass Du verkauftest Garten und Hufe, Haus und Hof, so wollte ich meinem gnädigen Herrn das große Haus wieder schenken, und wäre Dein Bestes, dass Du Dich gen Zulsdorf setzest, weil ich noch lebe und könnte Dir mit dem Solde wohl helfen, das Gütlein zu bessern, denn ich hoffe, mein gnädiger Herr soll mir den Sold folgen lassen, zum wenigsten ein Jahr meines letzten Lebens. Nach meinem Tode werden Dich die vier Elemente zu Wittenberg doch nicht wohl dulden, darum wäre es besser bei meinem Leben getan, was dann zu tun sein will. Vielleicht wird Wittenberg, wie sichs anlässt, mit seinem Regiment nicht St. Veitstanz, noch St. Johannistanz, sondern den Bettlertanz und Beelzebubtanz tanzen und Niemand ist, der da strafe und wehre und wird Gottes Wort noch dazu gespottet. Nur weg aus dieser Sodoma. Ich habe auf dem Lande mehr gehöret, denn ich zu Wittenberg erfahren; darum ich der Stadt müde bin und nicht wieder kommen will, da mir Gott zu helfe. Will also umherschweifen und ehe das Bettelbrot essen, ehe ich mein arm alte letzte Tage mit dem unordigen Wesen zu Wittenberg martern und verunreinigen will, mit Verlust meiner sauren, teuern Arbeit. Magst Solches, wo Du willt, Dr. Pommer und M. Philipp wissen lassen, und ob Dr. Pommer wollt hiemit Wittenberg von meinetwegen gesegnen, denn ich kann des Zorns und Unlusts nicht länger leiden.“

Als dieser Vorsatz Luthers in Wittenberg bekannt wurde, schickte die Universität nicht nur Abgeordnete an ihn selbst, sondern wandte sich auch an den Kurfürsten und bat ihn dringend, dessen Rückkehr zu vermitteln. Johann Friedrich schrieb darauf an Luther, bedauerte, dass er ihm nicht Anzeige von seinem Ausfluge gemacht habe, damit er ihn mit einem Reisegefolge und sonstigen Bequemlichkeiten auf seinem Wege hätte versehen können. Er wünscht auch über die Zeit seiner Rückkehr unterrichtet zu werden, damit er zu dieser die angedeuteten Vorbereitungen treffen könne. Schließlich berührt er, dass er von seiner Unzufriedenheit mit den Wittenbergern gehört, und dass er Sorge tragen werde, so viel in seinen Kräften stehe, die Ursachen derselben zu beseitigen. Sollte er nicht zurückgehen wollen, so würde dies den römischen Feinden Vorschub leisten und ihnen Anlass zu Schmähungen und Spott geben. Dieser Brief bestimmte Luthern zur Heimkehr, und er brachte die letzten neun Monate seines irdischen Daseins noch in der Stadt zu, in der er seit 38 Jahren geweilt, und die er durch sein Leben und seine Taten zu weltgeschichtlichem Namen erhoben hatte.

Was ihm sonst Trauriges begegnete, aber dem natürlichen Laufe der Dinge angehörte, wie den Tod seiner Mutter 1531, das frühe Dahinscheiden seiner geliebten Tochter Magdalene 1542, eine schwere Krankheit seiner Frau in eben dem Jahre, in der sie in Folge einer Fehlgeburt dem Tode nahe kam, das Abscheiden seiner Freunde Johannes Reinecke und Nikolaus Hausmann und vieles Andre dieser Art ertrug er mit kindlicher Ergebung in den Willen Gottes und mit christlicher Standhaftigkeit. — In seiner Tätigkeit nach Außen war er unermüdet geblieben. Am 17. November 1545 schloss er seine letzte Vorlesung, und zwar über das erste Buch Moses, woran er zehn Jahre mit höchstem Fleiße gearbeitet hatte, mit den Worten: „Das ist nun die liebe Genesis; unser Herr Gotte gebe, dass Andre nach mir besser machen; ich kann nicht mehr, ich bin schwach, bittet Gott für mich, dass er mir ein gutes seliges Stündlein verleihe.“ Die Menge seiner Schriften übersteigt die Zahl fünfhundert, und seine Briefe, obwohl die meisten verloren gegangen sind, füllen sechs eng gedruckte Bände. Seine größte Wirksamkeit bestand aber doch in dem lebendigen Worte und in dem persönlichen Eindruck, den er überall hervorrief, wo er erschien. Man kann wohl sagen, dass er der Friedensengel Deutschlands gewesen ist, denn so lange er lebte, wusste er beide Teile, die Protestanten und die Päpstlichen, durch sein Ansehen und sein Wort so weit zurück zu halten, dass es nicht zu offenem Ausbruche des Krieges kam. Dieser seiner Stellung war er sich auch bewusst, denn zu verschiedenen Malen sprach er es aus, dass nach seinem Heimgange der Sturm losbrechen werde. So sagte er an seinem letzten Geburtstage am 10. November 1545, da er einige Freunde zu Abend bei sich versammelt hatte: „So lange ich lebe, wird's, ob Gott will, keine Gefahr haben und guter Friede in Deutschland bleiben. Wenn ich aber sterbe, so betet. Es wird wahrlich Betens brauchen, und unsre Kinder werden müssen nach den Spießen greifen und wird in Deutschland übel stehen. Darum sage ich, betet fleißig nach meinem Tode!“

Er beschäftigte sich in dieser Zeit fortdauernd mit Todesgedanken und sprach sehr häufig den Wunsch aus, dass er bald erlöst werden möchte. Er sollte das Auge schließen, wo er es zuerst geöffnet hatte. — Unter den Grafen von Mansfeld waren Streitigkeiten ausgebrochen, welche die Einkünfte aus den Bergwerken und andre Steuern und Zinsen betrafen. Luther war zur Ausgleichung dieser Angelegenheit schon zu Ende des Jahres 1545 zweimal nach Eisleben gereist, hatte die erzürnten Gemüter aber nicht versöhnen können. Im Januar 1546 wurde er zum dritten Male mit der Verheißung der Grafen aufgefordert, dass sie sich seinem Ausspruche gewiss unterwerfen wollten, wenn er nochmal das Versöhnungswerk in die Hand nehmen wolle. Er reiste am 23. Januar zu großer Bekümmernis seiner Frau mit seinen Söhnen und einem Diener von Wittenberg ab und gelangte glücklich bis Halle, wo er bei seinem Freunde Jonas, der hier jetzt Superintendent war, die Herberge nahm und bis zum 28. verweilte, weil ihm durch die Fluten der Saale und Mulde sowohl die Weiterreise nach Eisleben, wie auch die Rückkehr nach Wittenberg, versperrt wurde. Nachdem das Wasser in seine Ufer zurückgetreten, setzte er mit Jonas den Weg fort, und wurde an der Grenze des Mansfeldischen von den Grafen mit einem Gefolge von 113 Pferden empfangen. Ehe er aber in der Stadt anlangte, wurde ihm sehr unwohl, weil er ein großes Stück Weges zu Fuß gegangen war, sich dann aber erhitzt auf den Wagen gesetzt und erkaltet hatte. In der Herberge, wo er sich mit warmen Tüchern reiben ließ und Speise und Trank zu sich nahm, wurde es bald besser, und er sagte sich und Andern zum Trost: „Das tut mir der Teufel allerwege, wenn ich etwas Großes vorhabe und ausrichten soll, dass er mich zuvor also versucht und mit einer solchen Tentation angreift.“ Er wurde mit der ausgesuchtesten Sorgfalt behandelt, und nicht nur der regierende Graf, sondern auch dessen Gemahlin bemühten sich um seine Person, und pflegten ihn bei seinen Krankheitsanfällen. Das Friedenswerk schritt langsam vorwärts, doch hoffte er es zu einem glücklichen Ziele zu führen. Für sich selbst aber hoffte er auf ein baldiges Ende und äußerte mehrfach, er werde wohl an dem Orte seiner Geburt und Taufe sein letztes Stündlein finden. Dennoch verließ ihn auch in diesen letzten schweren Tagen der Humor nicht, der ihn durchs Leben begleitet hatte, und besonders sind die Briefe an seine geliebte Käthe voll von guter Laune und Scherzen. Noch am 10. Februar schreibt er an sie:

„Der heiligen sorgfältigen Frauen Katharin Lutherin, D. Zulsdorferin zu Wittenberg, meiner gnädigen, lieben Hausfrauen. Gnad und Fried in Christo. Allerheiligste Frau Doctorin! Wir danken uns gar freundlich für Eure große Sorge, dafür Ihr nicht schlafen kunnt; denn seit der Zeit Ihr für uns gesorget habt, wolle uns das Feuer verzehret haben in unser Herberg hart vor meiner Stubentür; und gestern, ohn Zweifel aus Kraft Euer Sorge, hat uns schier ein Stein auf den Kopf gefallen und zerquetscht, wie in einer Mäusfallen. Denn es in unserm heimlichen Gemach wohl zween Tage über unserm Kopf rieselt Kalch und Leimen, bis wir Leute dazu nahmen, die den Stein anrührten mit zwei Fingern, da fiel er herab so groß als ein lang Kissen und zweier großen Hand breit: der hatte im Sinn Euer heiligen Sorge zu danken, wo die lieben heiligen Engel nicht gehütet hätten. Ich sorge, wo Du nicht aufhörest zu sorgen, es möchte uns zuletzt die Erde verschlingen, und alle Elemente verfolgen. Lehrest Du also den Catechismum und den Glauben? Bete Du und lass Gott sorgen, es heißt: Wirf Dein Anliegen auf den Herrn, der sorget für Dich, Ps. 55. und viel mehr Orten. — Wir sind, Gott Lob, frisch und gesund, ohne dass uns die Sachen Unlust machen, und Doctor Jonas wollt gern ein bösen Schenkel haben, dass er sich an eine Laden ohngefähr gestoßen: so groß ist der Neid in Leuten, dass er mir nicht wollt gönnen allein einen bösen Schenkel zu haben. Hiemit Gott befohlen. Wir wollten nu fort gerne los sein, und heimfahren, wenns Gott wollt, Amen, Amen, Amen. Euer Heiligen williger Diener Martinus Luther.“

„Wir sind frisch und gesund“, schreibt er wohl nur der besorgten Gattin zur Beruhigung, denn in der Tat nahm seine Schwäche täglich zu; doch kann er sich auch an diesem Tage besonders wohl gefühlt haben, da er auch den Grafen von Schwarzburg, der zum Besuche gekommen war, und den Grafen von Mansfeld bei sich zu Tische hatte. Überhaupt war sein Zustand noch von der Art, dass er in den drei Wochen seines Aufenthaltes in Eisleben vier Mal predigen, zwei Geistliche ordinieren und den täglichen Sitzungen über die streitige Angelegenheit beiwohnen konnte. Auch nahm er zweimal das Abendmahl. Am 14. Februar meldet er nach Wittenberg, dass er wohl in dieser Woche nach glücklich beendigter Sache heimkehren werde. Heute habe er die Grafen, die sich bis jetzt noch nicht angesehen und noch kein Wort miteinander geredet hätten, bei sich zu Tische, und werde sie persönlich miteinander aussöhnen. An den beiden nächsten Tagen wohnte er noch den Unterhandlungen bei, aber am 17. Februar fühlte er sich zu schwach dazu und blieb auf einem ledernen Bettlein in seiner Stube liegen. Doch speiste er noch zu Mittag und Abend im großen Speisesaal mit den Übrigen und unterhielt die Gesellschaft in Ernst und Scherz. „Alleinsein“, pflegte er zu sagen, „bringt nicht Fröhlichkeit.“ Er ging gewöhnlich um acht Uhr zu Bette, nachdem er in der Andern Gegenwart sein Gebet halblaut am Fenster gesprochen hatte.

Am Abend vor seinem Tode sprach er sein Gebet so laut, dass es aufgezeichnet werden konnte. Es lautete: „Herr Gott, himmlischer Vater, ich rufe dich an in dem Namen deines lieben Sohns, unseres Herrn Jesu Christi, den ich durch deine Gnade bekennet und geprediget habe, du wollest mich nach deiner Zusage, zu deines Namens Ehre, gnädiglich auch in diesem erhören, nachdem du mir nach deiner großen Barmherzigkeit, nach deinem gnädigen Willen geoffenbaret hast den großen Abfall, Blindheit und Finsternis des Papsts, vor deinem heiligen Tage, welcher nicht ferne, sondern vor der Tür ist, so auf das Licht des Evangelii erfolgen soll, und jetzo in aller Welt angehet, du wollest doch die Kirche meines lieben Vaterlandes bis zum Ende ohne Abfall in reiner Wahrheit und Beständigkeit rechter Bekenntnis deines Worts, gnädiglich erhalten, auf dass die ganze Welt überzeuget werde, dass du mich darum gesandt hast. Ach lieber Herr Gott, Amen, Amen.“

Schon vor dem Abendessen hatte er über Brustbeklemmungen geklagt, doch hatten sie sich bald wieder verloren. Jetzt, da er von Tische mit seinen beiden jüngsten Söhnen und Mag. Cölins in seine Stube zurückgekehrt war, erneuten sich die Beängstigungen. Ein Freund, Aurifaber, der eben eingetreten war, und dem er klagte, dass ihm wieder so weh und bange um die Brust würde, erinnerte sich, dass die Gräfin Albrecht in solchen Fällen ihren Söhnen Einhorn einzugeben pflege, und eilte fort, um dies zu holen. Er kehrte bald mit dem Grafen, dessen Gemahlin und den Freunden zurück, und man bemühte sich nun, ihm durch Reibungen mit warmen Tüchern Erleichterung zu verschaffen. Auch schabte der Graf selbst das Einhorn und gab es ihm in Wein ein. Gegen neun Uhr legte er sich auf sein Ruhebett und sprach: „Wenn ich ein halb Stündlein schlummern könnte, hoff ich, es sollt Alles besser werden.“ Er schlief hierauf wirklich ein und ruhte fast anderthalb Stunden sehr sanft. Als er erwachte und Jonas, Cölius, seine Söhne und seinen Diener noch wachend vorfand, sagte er: „Siehe, sitzt ihr noch? möcht ihr euch nicht zu Bette legen?“ Hierauf stand er auf und ging mit den Worten in seine Schlafkammer: „Walts Gott, ich gehe zu Bett.“ Man wärmte ihm sorgfältig Betten und Kissen, und er legte sich nieder, reichte Allen die Hand und sagte: Doctor Jona und M. Cöli und ihr Andern, betet für unsern Herr Gott und sein Evangelium, dass ihm wohlgehe, denn das Concilium zu Trient und der leidige Papst zürnen hart mit ihm.“ Mit diesen Worten hatte er die Freunde in der letzten Zeit schon jeden Abend entlassen.

Hiernach schlummerte er wieder ein und schlief sanft und ruhig bis ein Uhr. Bei ihm waren Jonas, seine Söhne und einige Diener. Als er wieder erwachte, fragte ihn Jonas, ob er noch Schwachheit empfände? Er erwiderte: „Ach, Herr Gott, wie ist mir so wehe! Ach, lieber Doctor Jonas, ich achte, ich werde hier zu Eisleben, da ich geboren und getauft bin, bleiben!“ Ohne Beihilfe stand er auf, verließ sein Schlafgemach und ging in der Stube einige Male auf und nieder, indem er mehrfach die Worte wiederholte: „In deine Hände befehl ich meinen Geist; du hast mich erlöset, Herr, getreuer Gott!“ Er legte sich aufs Ruhebette und klagte, es drücke ihn sehr hart um die Brust, doch werde das Herz noch verschont.

Man glaubte den Augenblick der Entscheidung nahe, weckte den Wirt, Doktor Trachstets, und dessen Frau und schickte zu dem Grafen und zu den Ärzten. Binnen einer Viertelstunde waren Alle gegenwärtig. Die Gräfin sucht ihn mit allerlei Würze und Labsal, die sie mitgebracht, zu erquicken, und man reibt ihn unausgesetzt mit warmen Tüchern; aber der dem Tode nahe Doctor sprach: „Lieber Gott, mir ist sehr weh und angst; ich fahre dahin; ich werde nun wohl zu Eisleben bleiben!“ Da trösteten ihn die Freunde: „Ehrwürdiger Vater, rufet Euren lieben Herrn Jesum Christum an, unsern Hohenpriester, den einigen Mittler! Ihr habt einen guten Schweiß gehabt; Gott wird Gnade verleihen, dass es besser werden wird.“ Da antwortete er: „Ja, es ist ein kalter Todesschweiß; ich werde meinen Geist aufgeben, denn die Krankheit mehret sich.“

Er fühlte die Nähe des Todes und betete: „O mein himmlischer Vater, mein Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, du Gott alles Trostes, ich danke dir, dass du mir deinen lieben Sohn Jesum Christum offenbaret hast, an den ich glaube, den ich gepredigt und bekannt hab, den ich geliebet und gelobet hab, welchen der leidige Papst und alle Gottlosen schänden, verfolgen und lästern, ich bitte dich, mein Herr Jesu Christi, lass dir mein Seelichen befohlen sein. O, himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib lassen und aus diesem Leben hinweggerissen werden muss: so weiß ich doch gewiss, dass ich bei dir ewig bleiben und aus deinen Händen mich Niemand reißen kann. Weiter sprach er lateinisch: „Also hat Gott die Welt geliebet, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

Einer der Ärzte gab ihm noch einen Löffel sehr stärkender Arznei, aber er sagte: „Ich fahr dahin, meinen Geist werd ich aufgeben“, und wiederholte dreimal eilig die Worte: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Hierauf wurde er still und antwortete nicht mehr. Die Gräfin rieb ihm den Puls mit stärkenden Wassern, welche seine Käthe ihm aus Wittenberg geschickt hatte, weil er sie sonst bei Anfällen von Schwäche zu gebrauchen pflegte; aber es hatte keine Wirkung, Da beugte sich Doktor Jonas über ihn hin und fragte ihn mit starker Stimme: „Ehrwürdiger Vater, wollt Ihr auf die Lehre, die Ihr gepredigt habt, sterben?“ Diese Worte riefen ihn gleichsam wieder ins Leben zurück, und er antwortete ein lautes „Ja!“ Es war sein letztes Wort. Er legte sich auf die Seite und schlief ein. Die Anwesenden, zu denen sich auch noch der Graf von Schwarzburg und seine Gemahlin gesellt hatten, hofften auf Besserung, aber die Ärzte meinten, dem Schlafe sei nicht zu trauen. Nach einer Viertelstunde bemerkte man, dass das Antlitz sehr bleich wurde und Füße und Nase erkalteten. Er holte noch einmal tief, aber sanft Atem, und der Geist verließ seine Hülle. Es war drei Uhr Morgens am 18. Februar 1546, nachdem er 62 Jahre, 3 Monate und 8 Tage gelebt hatte. Die Umstehenden zerflossen in Tränen. Nach einer Stunde kamen der Fürst Wolfgang von Anhalt, die andern Grafen von Mansfeld und allmählich bis neun Uhr Morgens viele vornehme Herren und Bewohner der Stadt Eisleben. Sie weinten bei dem Leichname des großen deutschen Propheten, der seines Nachfolgers noch harrt. Um 9 Uhr bekleidete man ihn mit einem neuen schwäbischen Hemde oder Mantel und brachte ihn in die Kammer auf seine Lagerstätte, bis der zinnerne Sarg für ihn gegossen war. Am folgenden Tage, Nachmittags um 2 Uhr, ward er, begleitet von den Fürsten, Grafen und Herren, in die Pfarrkirche getragen, und Jonas hielt ihm eine tief ergreifende Leichenrede.

Der Graf von Mansfeld hätte ihn gern dort behalten, aber der Kurfürst, dem Jonas und Andre unmittelbar nach dem traurigen Ereignisse Anzeige davon gemacht hatten, befahl, dass seine sterbliche Hülle nach Wittenberg übergeführt werden solle. Dieser Befehl ward mit fürstlichem Gepränge vollzogen. Nachdem am 20. Februar Mag. Cölins noch eine Predigt in Eisleben gehalten hatte, begann der Leichenzug zwischen zwölf und ein Uhr. Es folgten alle anwesenden Fürsten, Grafen und Herren und viele Bürger und Bewohner der Stadt und des Landes. Die älteren Herren kehrten bald zurück, aber ihr berittenes Gefolge begleitete den Zug bis Bitterfeld, und zwei jüngere Grafen von Mansfeld mit fünfzig Reitern bis Wittenberg. Überall auf dem Wege herrschte Trauer und feierliche Stille, und von den Türmen der Dorfkirchen schallte das Geläute der Glocken. Vor dem Tore der Stadt Halle empfing den Zug der Magistrat, die Geistlichkeit und die Schulen. Der Sarg wurde während der Nacht in der Liebfrauen Kirche beigesetzt und das Lied: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“, mehr herausgeweint und geschluchzt, als gesungen. Die folgende Nacht blieb der Leichnam in Kemberg, nachdem er schon auf der Grenze des Kurgebietes den Gesandten des Kurfürsten übergeben worden war, und am 22. Februar kam er vor dem Elstertore in Wittenberg an, wo die ganze Universität, der Rat, die Geistlichkeit, die Schulen und die Bürgerschaft ihn empfingen. In feierlichem Zuge, in dem sich auch seine geliebte Frau und seine Kinder befanden, wurde er nach der Schlosskirche geführt, wo Bugenhagen über 1. Thess. 4. 13, 14. die Leichenpredigt hielt. Öfter konnte er vor Schmerz und Betrübnis kaum weiter reden und wurde außerdem von dem Schluchzen der Tausende, die gegenwärtig waren, unterbrochen. Darnach hielt Melanchthon noch eine lateinische Rede, in welcher er die Verdienste Luthers um die Kirche auseinandersetzte. Er verteidigte ihn auch gegen den Vorwurf zu großer Heftigkeit. Er sei nur erfüllt gewesen von brennender Begierde, die Reinheit der Lehre des Heilandes zu erhalten, und es könnten die Worte auf ihn angewendet werden: Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen. Im Leben sei er nichts weniger als streitsüchtig gewesen, ein sanftmütiger Mann, liebreich, freundlich, würdevoll, ein Herz ohne Falsch, ein holdseliger Mund. Einige Magister senkten den Sarg in die Gruft, und so ward er in derselben Kirche bestattet, an deren Tür er vor neun und zwanzig Jahren seine fünf und neunzig Theses angeschlagen, und in der er so oft seine Stimme zum Ruhme Gottes erhoben hatte. Eine metallene Tafel mit kurzer Angabe einiger Lebensumstände wurde über der Gruft eingelegt.

Als gleich nach seinem Tode der Krieg der Evangelischen gegen den Kaiser und die römisch gesinnten deutschen Fürsten ausbrach und Karl V. im Jahre 1547 als Sieger in Wittenberg einzog und an die Gruft Luthers trat, wurde er von Einigen seiner Umgebung aufgefordert, die Gebeine des Erzketzer verbrennen zu lassen. Der Kaiser erwiderte mit wahrem menschlichen Gefühl: „Ich führe nicht Krieg mit den Toten, sondern mit den Lebenden; lasst ihn ruhen, er hat seinen Richter gefunden.“ — Auch das gehört noch zu Luthers Schicksal! Gott hatte seinen Engeln Befehl über ihn gegeben, dass sein Fuß nicht an einen Stein stieße, weil er auf seinem Wege wandelte, und dieses Wort Gottes musste auch noch seinem Leichnam zu Gute kommen.

Seine Witwe überlebte ihn fast sieben Jahr, während deren sie aus Anlass der öffentlichen Verhältnisse manche Not und Bekümmernis zu überstehen hatte. Vom Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges im Sommer 1546 bis zum Abschluss des Passauer Vertrages am 31. Juli 1552 war das ganze, durch Luther erweckte, junge evangelische Deutschland gleichsam auf der Flucht und sein Bestand in Frage gestellt, was einen nachteiligen Einfluss auf das Ergehen und die Schicksale aller Anhänger des Reformators, aber besonders seiner Frau und Kinder äußern musste. Als aber die öffentlichen Angelegenheiten sich wieder günstiger gestalteten, brach in Wittenberg eine ansteckende Krankheit aus, welche die Witwe Luthers veranlasste, mit ihren beiden Söhnen Martin und Paul und ihrer Tochter Margaretha nach Torgau zu flüchten, wohin sich auch alle Mitglieder der Universität begeben hatten. Unterwegs, aber wurden die Pferde vor ihrem Wagen scheu und gingen durch. Sie sprang vom Wagen herab und stürzte dabei in einen Graben, der mit Wasser angefüllt war. Eine heftige Erkältung zog ihr ein Fieber und nach einigen Monaten die Auszehrung zu. Sie starb in Torgau in ihrem vier und fünfzigsten Jahre am 20. Dezember 1552 und wurde daselbst feierlich bestattet.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther - Ein deutsches Leben