Von den Engeln. Rudolf Löwenstein

Nun lass dir erzählen, mein liebes Kind,
wie schön die guten Engel sind!
Sie sind so hell von Angesicht,
als Erd’ und Himmel im Frühlingslicht,
sie haben Augen gar blau und klar
und ewige Blumen im goldigen Haar,
und ihre raschen Flügelein,
die sind von silbernem Mondenschein,
Bei Tag und Nacht
schweben die Engel in solcher Pracht.

Nun lass dir erzählen, mein liebes Kind,
wie die Englein fliegen leis und lind!
So leis als der Schnee vom Himmel fällt,
so leis als der Mond zieht über die Welt,
so leis als der Keim aus der Erde sprießt,
so leis als der Duft durch die Lüfte fließt,
so leis als vom Baume weht ein Blatt,
so leis als das Licht über Land und Stadt —
so leis und lind
fliegen die Englein, mein liebes Kind!


Nun lass dir erzählen, mein liebes Kind,
wozu die guten Engel sind:
Wo ein Armer betet in seiner Not,
da bringen sie in das Haus ihm Brot,
wo beim kranken Kinde die Mutter wacht,
da nehmen des Kindleins sie in Acht,
und wo in Gefahren ein Guter schwebt,
wo Jemand weinet, Jemand bebt,
dahin geschwind
gehen die Englein, mein liebes Kind.

Und willst du, mein Kind, die Englein sehn —
das kann auf der Erde wohl nicht geschehn;
doch wenn du hier lebest fromm und rein,
wird stets ein Engel um dich sein,
und wenn sich dereinst dein Auge bricht,
du nicht mehr erwachst zum Tageslicht,
dann wirst du ihn schaun: er winkt dir still,
dann folg’ ihm, wohin er dich führen will.
Im Himmelsschein
wirst du dann selber ein Engel sein!

Rudolf Löwenstein (1819-1891) deutscher Schriftsteller jüdischer Herkunft
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust und Freude
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