Die traurige Geschichte vom dummen Hänschen. R. Löwenstein

Hänschen will ein Tischler werden,
ist zu schwer der Hobel,
Schornsteinfeger will er werden,
doch das ist nicht nobel,
Hänschen will ein Bergmann werden,
mag sich doch nicht bücken,
Hänschen will ein Müller werden,
doch die Säcke drücken,
Hänschen will ein Weber werden,
doch das Garn zerreißt er:
immer, wenn er kaum begonnen,
jagt ihn fort der Meister.
Hänschen, Hänschen, denke dran,
was aus dir noch werden kann.

Hänschen will ein Schlosser werden,
sind zu heiß die Kohlen,
Hänschen will ein Schuster werden,
sind zu hart die Sohlen,
Häuschen will ein Schneider werden,
doch die Nadeln stechen,
Hänschen will ein Glaser werden,
doch die Scheiben brechen,
Hänschen will Buchbinder werden,
riecht zu sehr der Kleister:
immer, wenn er kaum begonnen,
jagt ihn fort der Meister,
Hänschen, Hänschen, denke dran,
was aus dir noch werden kann.


Hänschen hat noch viel begonnen,
brachte nichts zu Ende,
drüber ist die Zeit verronnen,
schwach sind seine Hände,
Hänschen ist nun Hans geworden,
und er sitzt voll Sorgen,
hungert, bettelt, weint und klaget
Abends und am Morgen:
„Ach warum nicht war ich Dummer
in der Jugend fleißig?
Was ich immer auch beginne —
dummer Hans nur heiß’ ich.“ —
Ach, nun glaub’ ich selbst daran,
dass aus mir nichts werden kann! —

Rudolf Löwenstein (1819-1891) deutscher Schriftsteller jüdischer Herkunft
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lust und Freude
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