Ludwig van Beethoven. Zur Wiederkehr seines hundertfünfzigsten Geburtstages.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 6. 1921
Autor: Mainer, H. W., Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Beethoven, Genie, Musiker, Komponist, Taubheit, Gehörlos, Bonn, Mozart, Haydn, Goethe, Ruhm, Eroica, Mondscheinsonate
Es ist über allen Zweifel erhaben, dass die erlauchtesten Meister der Töne aus unserem deutschen Vaterlande — Salzburg als Vaterstadt Mozarts eingeschlossen — hervorgegangen sind. Auch die Franzosen haben niemand, den sie unseren hervorragendsten Geistern, vor allem einem solchen Titanen wie Beethoven, würdig an die Seite stellen könnten. Als im September 1920 Frankreichs Marschall Foch etwa eine Viertelstunde an der Geburtsstätte Beethovens in Bonn weilte, wusste er das Genie dieses großen Deutschen nicht anders zu kennzeichnen, als dass er ihm unter den französischen Genies die —Jungfrau von Orleans entgegenstellte.

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Ludwig van Beethoven wurde am 16. Dezember 1770 zu Bonn am Rhein geboren. Sein Vater wie sein Großvater übten bereits die Beschäftigung mit der Musik beruflich aus, und der Vater zwang auch den jungen Ludwig schon früh ans Klavier, um aus ihm ein Wunderkind in der Art Mozarts zu machen. Trotz dieses Zwanges erstarb in dem jungen Musiker die Liebe zur Kunst nicht. Als er siebzehnjährig sich vor Mozart in Wien hören ließ, hielt der Meister dies Spiel für ein eingelerntes Paradestück und benahm sich kühl; Beethoven, den Grund dieser Zurückhaltung begreifend, bat ihn um Angabe eines Themas zu einer freien Phantasie.

Und wie er stets vortrefflich zu spielen pflegte, wenn er gereizt war, dazu noch angefeuert durch die Gegenwart des verehrten Meisters, begann er nun so zu spielen, dass Mozart, dessen Aufmerksamkeit und Spannung immer mehr wuchs, endlich zu den im Nebenzimmer sitzenden Freunden ging und lebhaft sagte:

„Auf den gebt acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen.“

Als dann Beethoven zweiundzwanzigjährig zum zweiten Male und bis auf kurze Unterbrechungen für dauernd nach Wien übersiedelte, nahm er zunächst bei Joseph Haydn, dem ersten Großmeister der klassischen Musik, Unterricht. Insgeheim arbeitete er schon an seinem ersten Meisterwerk, den drei ersten Klaviertrios, die 1795 erschienen und sogleich Aufsehen erregten. Jedes folgende Werk bot eine neue Überraschung an Charakter, Inhalt und Form. In einem Zeitraum von zweiunddreißig Jahren, bis zu seinem 1827 erfolgten Tode, erschienen nicht weniger als zweihundertfünfundfünfzig Kompositionen von ihm im Druck. In ihnen offenbart sich eine unerschöpfliche, originelle Erfindungskraft, ein alle Herzen ergreifender Gefühlsausdruck, ein unversieglicher Quell der schönsten und edelsten Melodien, ein bezaubernder Wohlklang und Farbenreichtum. Schnell auf den Gipfel des Ruhmes gelangt, droht schon dem Siebenundzwanzigjährigen ein furchtbares Geschick, das schlimmste, das einem Großen im Reiche der Töne beschieden sein konnte, und das sich für ihn 1802 nach vergeblichem Hoffen auf Besserung erfüllte: er wurde fast völlig taub. Sein Leiden, das er vor den Menschen ängstlich zu verbergen suchte, verursachte ihm unsägliche Seelenqual. Von Todesgedanken gepeinigt schrieb der Einsame im Sommer 1802 sein erschütterndes Testament: „O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder weiberfeindlich haltet oder erkläret, wie unrecht tut ihr mir. Ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet.“ Nun folgt das Bekenntnis seiner Taubheit, die bittere Klage um sein verlorenes Gehör. „Verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte. Doppelt weh tut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden muss. Für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergießungen nicht statthaben. . . . Wie ein Verbannter muss ich leben; nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfüllt mich heiße Ängstlichkeit, ich fürchte, in Gefahr gesetzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen. . . . O Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, dass ihr mir Unrecht getan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen seinesgleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen der Natur doch noch alles getan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden.“

Lange glaubte er diesen Schmerz, der ihn beinahe zum Selbstmord trieb, nicht verwinden zu können, und doch schuf er unter Qualen die höchste Verherrlichung der Freude, die tiefst empfundene Mondscheinsonate, die liebliche, von drolligen Scherzen erfüllte Musik der Pastoralsymphonie, die überwältigende Schönheit der Eroica*und die Missa solemnis, die er als sein vollendetstes Werk bezeichnete. Tief litt er darunter, dass ihm sein Leiden das Zusammenkommen mit den geliebtesten Freunden erschwerte und unmöglich machte, dass seine Sehnsucht nach einer gleichgestimmten Seele, nach einer glücklichen Ehe, unerfüllt bleiben musste. Er musste den Schmerz erleben — mehr als einmal —, dass ihn die, die er liebte, und von der er wusste, dass sie ihm Liebe entgegenbrachte, im Stiche ließ, und er schuf in seiner Oper „Fidelio“ ein wahres Hohelied der ehelichen Liebe und Treue. Und weitere herbe Erlebnisse waren für ihn die Auseinandersetzungen mit seiner Verwandtschaft, vor allem mit seinem von ihm adoptierten ungeratenen Neffen, der ihm viel Kummer und Sorge verursachte, und dem zuliebe er sich trotzdem Entbehrungen auferlegte, um ihm ein Kapital von zehntausend Gulden zu hinterlassen. So verschwendete er seine Liebe an Unwürdige, während er wieder — darin liegt eine schwere Tragik seines Lebens —Menschen, die ihm lieb und wert waren, und die er hoch verehrte, in unverständlicher Weise brüskierte. So warf er seinem verehrten Lehrer Haydn Unredlichkeit vor, so machte er sich bei Hofe und bei hochgestellten Personen durch sein absichtlich raues und ungeschliffenes Wesen unmöglich, so war er unhöflich Goethe gegenüber, den er gewiss nicht kränken wollte.

*) https://www.youtube.com/watch?v=fhHcty9OM-0

Aller moderne Singsang, alle Operetten- und Tanzmusik haben seine edle Kunst nicht verdrängen können aus den Herzen und den Musikmappen der Kunstbeflissenen und des Volkes. Zahlreiche Bearbeitungen und Ausgaben seiner Werke liegen in allen Häusern, in denen Musik getrieben wird, und werden gerne vorgenommen. Und so wollen wir es auch weiter halten!


Beethoven. Verkleinerte Wiedergabe nach dem Tondruckbilde in Naumanns Musikgeschichte.
Beethovens Jugendbildnis

Beethofen, Ludwig van (1770-1827) Komponist

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Beethoven 1770-1827

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Beethoven und die Intimen

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Beethovens Geburtshaus in Bonn

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Beethovens Geburtszimmer

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Beethovens Jugendbildnis

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