Livingstone, der Reisende

Aus: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Neue Folge. Band 4
Autor: Redakteur: F. v. Suckow, Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Livingstone, Afrika, Afrikaforscher, Reisebericht, Sklavenhandel, Sklavenhändler, Branntwein, Menschenhandel, Indianer, Farbige, Schwarze, Kolonien,
Die Illustrationen entstammen: The last journals of David Livingstone, in Central Africa. By Horace Waller, F.R.G.S., New York: Harper & Brothers, 1875

Schon vor Jahren ist der Vorschlag gemacht worden, statt vom Norden durch die Wüste oder von Westen den Nigerfluss hinauffahrend in die Mitte Afrikas vorzudringen, diesen Versuch von dem Kaplande aus zu unternehmen; ein Wagnis, das der schottische Missionar David Livingstone bis zu einem gewissen Grade glücklich vollendet hat.

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Jahrelang hat der kühne und unternehmende Mann ruhig unter dem Stamm der Bakuena bei Kolobeng an der Nordgrenze des Kaplandes gewohnt und Christentum und Zivilisation, soweit sein Wort und Wesen es vermochten, unter den rohen, aber gutmütigen Farbigen verbreitet; denn beide Begriffe sind dort noch eins und unzertrennlich. Mit der Bibel kommen nützliche Geräte, Pflüge zum Ackerbau, Flinten zur Jagd in das Land; der Vorzug der protestantischen Missionen in diesen Gegenden vor den katholischen in Loanda und Angola, den Besitzungen der Portugiesen, ist unverkennbar; den Protestanten folgt das englische Gesetz, die Achtung vor der Freiheit eines jeden, sei er weiß oder farbig; noch jetzt wie vor 200 Jahren geht in Loanda, behauptet Livingstone, der Sklavenhändler neben dem Jesuitenpater. Die Stämme des Kaplandes sind mäßiger, verständiger und von edlerer Gesinnung, das Wort natürlich im weitesten Sinne gefasst, als die, welche zwischen der Küste und den Nebenflüssen des Zaire wohnen. Kaum berührte Livingstone ihr Gebiet, als jeder Häuptling für den Durchzug durch sein Dorf und seine Feldmark, für eine Hand voll Wurzeln einen Elefantenzahn, eine Flinte, am liebsten „einen Mann“ forderte. Überall, auf jedem Wege fand er Sklavenhändler, die gefesselten Schwarzen, Mädchen und Knaben hinter sich, seinen eigenen Leuten ward in den Dörfern zugerufen: „In der Stadt wird euch der Doktor alle verkaufen!“ Trotz dieser Warnungen blieben sie ihm unverbrüchlich treu und als er in Loanda am Fieber daniederlag, gingen sie unaufgefordert nach dem Hafen und verdienten sich ihren Lebensunterhalt durch das Ausladen der Schiffe.

Der Gedanke, nach der Westküste zu wandern, ist erst allmählich in Livingstone erwacht. Von seiner Mission zu Koboleng hatte er mit dem Häuptling des Stammes Streifzüge und Jagdfahrten nach dem Norden unternommen; denn er ist, wie gesagt, ein kecker Jäger, der wohl mit einem Löwen zu kämpfen wagt. Die Reden der Bakuena von einem großen Wasser jenseits der Kalahariwüste, die ihre Grenzmarken berührte, von den vielen Elefantenzähnen, die man an seinen Ufern fände, bestimmten Livingstone, mit Weib und Kindern diesen Ausflug zu unternehmen. Eine beschwerliche, mühevolle Fahrt, vor allem wegen der fast gänzlichen Austrocknung des Landes, das erst fußtief unter seiner Oberfläche ein schmutziges, salziges Wasser verbirgt. Gewöhnlich geht der Weg in dem alten Flussbett eines nun ausgetrockneten Stroms; von solchen Rinnsalen ist die ganze Wüste durchzogen. Hier und dort liegen grasreiche Ebenen, einige Bäume und verschlungene Gebüsche, die Wild in Fülle bergen, drüben glänzen meilenweit blauschimmernd große Salzlager, das Auge mit dem Schein eines unermesslichen Wassers täuschend. Die Reisenden erreichten indes glücklich den Ngamisee, der etwa 15 Meilen lang nach der Regenzeit eine breite, schöne Wasserfläche bildet, sonst aber bis zur Mitte einem großen Morast gleicht. Die Ufer, dicht mit Schilf bewachsen, waren der Aufenthalt der Tiere, sonst war die Gegend fast unbewohnt, öde und leer. Der Zweck Livingstones bei all seinen Reisen war, mit der Ausdehnung der geographischen Kenntnis auch zugleich Straßen für den englischen Handel nach der Mitte Afrikas zu finden; er ist ganz vom Sinne unserer Zeit getragen und erfüllt, mit dem geistigen Brot der Gesittung auch das leibliche diesem armen und verachteten Stämmen zu bringen. Nach seinen Darstellungen kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Kaffern, Hottentotten und Betschuanen des Kaplandes einer Entwicklung fähig und nicht nur, wie die australischen und amerikanischen Wilden, bestimmt sind, von der europäischen Kultur wie von einer immer weiter umsichgreifenden Flamme verzehrt zu werden.

Im Jahre 1852 unternahm Livingstone seine zweite größere Reise von der Kapstadt aus nach dem See und dann, vom Verlangen stets weiter gelockt, bis hinauf nach Loanda. Nordwestwärts von Ngami wird das Land stromreicher, vielfach von Bächen zerschnitten, oft so sumpfig und morastig, dass die Fieberluft aus den Niederungen bis zu den Höhen hinaufsteigt. Eine üppige, südamerikanische Waldvegetation bedeckt die Gegend, die Axt muss den Weg durch die Schlinggewächse öffnen, die Viehzucht hat bei den Stämmen aufgehört, das Wild ist verschwunden, denn die Schwarzen tauschen von den Portugiesen gegen Sklaven Flinten ein. Je näher man den portugiesischen Niederungen kommt, desto zahlreicher werden die Spuren und Trümmer der Zivilisation: europäische Wachposten auf den Hügeln, Ruinen ehemaliger Jesuitenklöster und Kirchen, in jedem Dorfe eine Hütte, die den Reisenden wenigstens ein Obdach gegen die Kühle der Nacht gewährt; daneben freilich auch Sklavenhändler, die Portugiesen als despotische Herren auf ihren Besitzungen, freigebig und zuvorkommend gegen die Fremden, ihn gerne bewirtend, mit aristokratischer Höflichkeit, aber hart und willkürlich die Farbigen als eine „schlechtere Art der Menschen“ behandelnd. Alles trägt dazu bei, diese Stämme zu entsittlichen. Ein wilder und trauriger Aberglaube beherrscht sie; überall glauben sie sich im Bereich der Geister und ihrer Häuptlinge, mehr nach dem Inneren hin, wie der Matiamvo oder „große Kaiser“ der Balondas, töten Kinder, um gewisse Zaubereien auszuführen. Dem geistigen Elend fehlt das leiblich nicht; der Branntwein, den die Portugiesen als vorzüglich lockendes Tauschmittel gebrauchen, tötet die Schwarzen wie die Rothäute. Während im Süden die Regierung der Häuptlinge etwas Patriarchalisches hat und in ihrem Wesen wieder an die Indianer gemahnt, hat in der Mitte Afrikas die Herrschergewalt den sultanischen Charakter. Das Land wie das Leben eines jeden seiner Untertanen gehört dem Matiamvo und einer von ihnen ging oft wie ein Wahnsinniger durch die Gassen seiner Stadt und schlug allen, die ihm begegneten, zum — Vergnügen den Kopf ab. Ist es nicht, als läse man ein Blatt aus der Geschichte eines Domitian, Amurad oder Timur?

Die Wurzel dieses Übels steckt im Sklavenhandel. Livingstone erfuhr auf seiner Reise von Loanda nach der Ostküste, dass schon seit Jahrzehnten die Araber von Zanguebar und selbst von den Küsten des Roten Meeres einen weitläufigen und einträglichen Handel mit dem Innern treiben. Zum Teil ist durch sie die mohammedanische Religion in diesen Gegenden verbreitet: es liegt klar, wie sie zur Entsittlichung dieser Wilden beigetragen, die selbst so edle und begabte Stämme wie die Osmanen und Perser bis ins Mark gebrochen hat.

Die Schilderungen Livingstones liegen uns in einer trefflichen Übersetzung von Dr. Hermann Lotze vor: „Missionsreisen und Forschungen in Südafrika“ (zwei Bände, Leipzig, Costenoble, 1858); ein Buch voll Anziehungskraft und Leben, das wir in allem, was Schilderung und Darstellung betrifft, dem berühmten Werke Barths vorziehen. Auf das glücklichste ist jener Reiz und Zauber wieder getroffen, der die Erzählungen von Vasco de Gamals und Columbus’ Reisen in den alten Chroniken auszeichnet, Fehlen auch diesen Wanderungen die großen Gefahren und die Heldentaten, so ist dafür Tier- und Waldleben, die Hütte und die Tagesarbeit der Stämme mit einem hier gewiss ganz vortrefflichen Realismus geschildert. Dabei leuchtet ein edler, menschenfreundlicher Sinn aus jeder Darstellung, ein verständiger Geist und ein Herz, welches das Beste will. Wer diese Blätter Livingstones gelesen, wird die Erbitterung der Engländer gegen den Sklavenhandel, den jetzt sogar der Kaiser der Franzosen unter seinen „allerchristlichen Schutz“ nimmt, teilen.

Einen gut und geschickt für die Jugend nach diesem größeren Werke gearbeiteten Auszug bringt die Buchhandlung von Otto Spamer in „David Livingstones Entdeckungsreisen im Innern Afrikas“, wie immer mit trefflichen Holzschnitten versehen. Wir empfehlen sie für die bevorstehende Weihnachtszeit, wie die vielen anderweitigen Spamer’schen Jugendschriften, die das Originelle haben, immer das Neueste und Interessanteste aus den Erfahrungen der Natur, der Geschichte und der menschlichen Bildung überhaupt in den Kreis der Belehrung für die Jugend zu ziehen.

Livingstone, David (1813-1873) schottischer Missionar und Afrikaforscher

Livingstone, David (1813-1873) schottischer Missionar und Afrikaforscher

Afrika-Karte 1a

Afrika-Karte 1a

Afrika-Karte 1b

Afrika-Karte 1b

Chitapangwa empfangen Dr. Livingstone

Chitapangwa empfangen Dr. Livingstone

Chitapangwa Frauen

Chitapangwa Frauen

Haartrachten und Kopfbedeckungen

Haartrachten und Kopfbedeckungen

Ankunft der Braut

Ankunft der Braut

Angriff eines Leoparden

Angriff eines Leoparden

Dorf am Liemba-See

Dorf am Liemba-See

Chuma und Susi beim Rauchen

Chuma und Susi beim Rauchen

Ameisenfang

Ameisenfang

Affenjagd

Affenjagd

Chitapangwa Männer

Chitapangwa Männer

Der letzte Eintrag im Notizbuch Livingstones

Der letzte Eintrag im Notizbuch Livingstones