Liebesgeschichten

Neues aus den alten vier Wänden
Autor: Reichenau, Rudolf (1817-1879) westpreußischer Dichter und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1868
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Liebesgeschichten, Liebesorakel, Liebespfand, Liebesschwur, Liebesbriefe, Liebeslied, Liebesgedicht, Liebe, Liebespaare, Liebhaber, Verlobung, Heirat, Zuneigung, Familie,
„Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu.“
Inhaltsverzeichnis
  1. Die Verlobung
  2. Was die Leute dazu sagen
  3. Braut und Bräutigam
  4. Schattenseiten
  5. Die Frühstücksstube
  6. Tanz
  7. Abgeblitzt
  8. Die richtige alte Jungfer
  9. Eveline, vormals Evchen
  10. Margellis
  11. Das Liebesorakel
  12. Der Barankepelz
  13. Spaziergang
  14. Liebesbriefe
  15. Hochzeit und Nachhochzeit
Die Verlobung.

Sehr einfach hatte sich die Sache gemacht und doch wunderbar, höchst wunderbar — wie immer. Justus Alborn, der Sohn des Stadtrats, und unsere Agathe kannten sich von frühester Jugend auf, Ihr Umgangskreis war derselbe, sie trafen sich oft, jeder hörte vom Andern nur Gutes, Justus sprach gern mit Agathe, Agathe rechnete Justus zu der, doch immer nur beschränkten Zahl von Herren, deren Unterhaltung „einem wirklich etwas gewährt“, aber beide dachten nicht daran, sich in einander zu verlieben. Allein da sieht man wieder recht, wie junge Herzen gar nicht genug auf ihrer Hut sein können. Ich sage, beide dachten gar nicht daran, sich zu verlieben — und mit einmal ist’s fertig, sie lieben sich.

Karl, der seit ungefähr einem Jahre ausstudiert hatte, zu uns zurückgekehrt war und wie üblich die Laufbahn, welche im glänzendsten Falle bis zum Präsidenten- oder Ministersessel führt, auf der bescheidenen Referendarienbank begann, brachte eines Tages die Nachricht von „oben“ mit, dass Alborns etatsmäßige Anstellung jetzt fest stehe, das Rescript sei schon da. Agathe sah mit einer ungemein gelassen ausgeführten Kopfwendung erst nach den Bildern über dem Sopha und dann, mit anscheinend eben so großer Seelenruhe, nach den Blumentöpfen am Fenster hin. Darauf sagte sie: „er gilt ja wohl für einen ausgezeichneten Juristen?“ Von Verlegenheit keine Spur für den oberflächlichen Blick, nur die allerschärfste Beobachtung oder bereits vorhandener Argwohn mochten ein ganz leicht nervöses Schwanken in der Farbe und in den Zügen ihres Gesichtes eine gewisse Spannung erkennen, wie denn auch der Mutter die feinen Anzeichen dieser — außerordentlichen Unbefangenheit nicht entgingen.



Wie freute sich Agathe auf morgen! Wir hatten eine Einladung zu Rademachers. und sie nahm mit Recht an, dass Alborn auch da sein würde. Wir waren in frohem Kreise, nur dauerte es wieder viel zu lange, fanden die Eltern. Der „reizende Abend“ dehnte sich allerdings nicht unerheblich über die Mitternachtsstunde aus. Agathe fühlte Tages darauf natürlich keine Müdigkeit, und das eigenartige Gemisch von angenehmer Erregung und ein wenig nicht unangenehmer Mattheit, das sie auch nach Bällen kannte, vertrug sich, wie sie schon öfter, aber noch nie so süß erfahren, auffallend gut mit der — Nachfreude. Was Justus zu ihr gesagt, wusste sie Wort für Wort auswendig. Doch etwas wusste sie nicht bestimmt und wagte, kaum es zu glauben. Oder war es wirklich keine Täuschung, dass er, anscheinend vertieft im Gespräch mit einer sehr beliebten interessanten jungen Frau, doch hinüber lauschte auf ihr eigenes einfältiges Geschwätz? Hätte der Zauber einer schalkhaften Fee all' die glücklichen Träume dieses Morgens mit eingefädelt in Agathes Tapisserienadel und mit verwebt in den Cannevas, der elastisch gespannt im Rahmen, von ihren fleißigen Stichen Ruck um Ruck leise dröhnend erbebte, das würde eine recht farbenreiche Stickerei geworden fein. Aber auch den jungen Rechtsgelehrten umschwebten, sicherem Vernehmen nach, allerhand mehr anmutige, als streng amtliche Gedanken, die sofort „zu den Akten genommen“, diese wunderhübsch illustriert haben würden. Und als der Tag nachdem vergnügten Abend bei Rademachers zu Ende ging, siehe — da waren die zarten Bande der beiden jungen Herzen wieder ein ganzes Teil fester geknüpft. Ja vielleicht trug dies gegenseitige, still innige Gedenken, unter freundlicher Vermittlung der Phantasie — dieser reizendsten, obwohl nicht zuverlässigsten Tochter des Himmels — nicht weniger dazu bei, den holden Knoten unauflöslich zu schürzen, als die unmittelbare Gegenwart des wirklichen Zusammenseins. Gewiss ist, dass sowohl Justus, wie Agathe bei der ersten Anrede des nächsten Wiedersehens sich etwas befangen fühlten und einige Mühe hatten, das reiche „innere Leben“, das sie unterdessen geführt, einander nicht merken zu lassen. Es war im Singverein, der zwar nach dem Statute ausschließlich die klassische Kirchenmusik zu kultivieren bestimmt, doch von jeher auch für die Ausbildung der weltlich lyrischen Empfindungen unserer Jugend nicht unwichtig war.

Am folgenden Vormittage begegneten sich die Beiden auf der Straße. Und selbst bei Alborn, der für einen jungen Mann von Geistesgegenwart und nicht gewöhnlicher, mitunter sogar überspannter Willenskraft galt, hatte die freudige Überraschung im ersten Augenblick eine ganz entfernte Ähnlichkeit mit einem gelinden Schreck. Doch fasste er sich rasch, und wie er den Hut zog, zeigte sich recht, welcher tiefen Gefühlsdurchdringung auch dieses an sich etwas steife Symbol der Ergebenheit fähig ist. Agathe schien ebenfalls ihre ganze Seele in den Gruß zu legen. Es war bei der Post, und am Steueramte, das doch ein Ende weiter ist, wollte der letzte Nachglanz strahlender Freude noch immer nicht aus Justus' Gesicht schwinden. Man kann sich also denken, mit welchen Empfindungen er keine zehn Minuten später der Teuren schon wieder begegnete. Allein diesmal grüßte Agathe zwar auch nicht kalt, aber ungleich gemessener. Kaum schlug sie das Auge auf, wahrend vorhin ihr erhobener Blick, im anmutigsten Gegensatz zur Neigung des Kopfes, so beziehungsreich auf dem Freunde ruhte. Dieser wusste nicht, was er davon halten sollte, auch Agathe selbst wäre am liebsten auf der Stelle umgekehrt und Justus — zufällig zum dritten Male begegnet. Das ging nun freilich nicht, und so vertiefte sie sich mit jedem Schritte, der sie mehr und mehr von ihm entfernte, immer peinlicher in die hochzarte jungfräuliche Gewissensfrage, welche Gefahr wohl größer sei, entgegenkommend unweiblich zu erscheinen, oder in Folge zu weit getriebener Zurückhaltung gänzlich missverstanden zu werden.

Ein ander Mal glaubte Alborn zu bemerken, dass Agathe rasch vom Fenster zurücktrat, als er vorüberging. Es schmerzte ihn. „Weh' tun will sie mir nicht durch dies wechselnde Benehmen — dazu ist sie viel zu gut! Aber ihre Freundlichkeit ist nur Mitleid, jetzt zeigt sich's ja — das war unwillkürlich, instinktiv — sie läuft vor mir, sie hatte mich nicht kommen sehen, sie hatte keine Zeit mehr, ihre natürliche Abneigung zu überwinden.“ Diese liebenswürdige, obwohl allzu große Bescheidenheit war insofern bemerkenswert und rührend, als Justus' aufrichtigste Freunde bisher ein Übermaß von Anspruchslosigkeit nicht zu seinen größten Fehlern rechneten, und Gegner von ihm sogar keinen Anstand nahmen, ihn für „gewaltig arrogant“ zu erklären.

Er eilte nach Hause, und noch mit den Akten unter dem Arm — es war nach der Session — stellte er sich vor den Spiegel, besah sein „altes hässliches Gesicht“ sehr genau, genauer, als sonst seine Art, und sagte traurig: „es ist auch gar nicht anders möglich!“ — Es war wirklich nicht anders möglich, ein zagender Liebhaber von acht und zwanzig Jahren wird allemal viel älter und garstiger sein, als ein munterer Vierziger — selbst ein lediger.



Uneingeweihte begriffen nicht, was den jungen Mann so verstimmen könne. Er lief ja in dieser Zeit herum „rein zum Schrecken von Menschen und Tieren!“ Und wir bekamen ihn gar nicht mehr zu sehen. Die natürliche Folge war, dass Agathe — stark daran dachte, sich ganz dem Jugendunterricht, oder ich weiß nicht mehr, welcher andern nützlichen außerhäuslichen Bestrebung zu widmen. Sie kam sich so unnütz, so überflüssig auf der Welt vor, obgleich die Hausfrau eine entgegengesetzte Ansicht im Briefe an die Freundin aus vollster Überzeugung vertrat: „eine erwachsene Tochter ist doch der größte Schatz der Mutter.“ Auch schien es mit diesen ernsten Plänen noch keine so große Eile zu haben, ja die Gute ließ sich zureden, den Andern zu Liebe doch wieder „etwas mitzumachen“, und bekannte hernach offen: „o ja, ich bin noch recht gern vergnügt,“ gleichsam als hätte sie sich deshalb zu entschuldigen, als sei es streng genommen ein Anachronismus, dass eine junge Dame, „hoch in den Zweiundzwanzigen“, ein vollerblühtes kerngesundes Mädchen noch nicht jeder harmlosen Lebensfreude entsage.

Und noch Eines musste auffallen. Wir kannten Agathe nicht anders als milden Sinnes, stets geneigt, lieber das Beste, wie Schlechtes von ihren Mitmenschen zu denken. Wie ging es nun wohl zu, dass dies so duldsame Gemüt doch eine ganz eigene reizbare Schärfe zeigte, sowie die Rede auf Aurelie Jäscheck kam. Wo sie der einen kleinen Seitenhieb geben konnte, tat sie's nicht mehr wie gerne. Und das Unvorteilhafteste, was sie über Fräulein Jäscheck dachte, behielt die Zartfühlende noch wohlweislich für sich. Sie war fest überzeugt, Aurelie lege es absichtlich darauf an, Justus zu fesseln — durch rein seelische Mittel natürlich. Jene andere Art Gefallsucht, welche den Wünschen des Herzens selbst äußere Reize dienstbar zu machen nicht verschmäht, wäre aber auch ein zu harter und boshafter Vorwurf gewesen, zumal von einer wohlgezogenen Jungfrau gegen die andere. Denn die jungen Männer — selbst bessere — nehmen es leider nicht immer so genau damit. Ferdinand, unser biederer Landwirt, drückte einmal eine ähnliche Wahrnehmung gegen Bruder Karl unbefangen so aus: „du, sieh' doch bloß, wie die Jäscheck Augen schmeißt!“ —

Inzwischen war es Vorfrühling geworden. Auf der Erde lag ein blendender Glanz, der Schnee schmolz und suchte auf seinem Rückzug vergeblich Schutz, hinter jedem vorspringenden Dachfenster, hinter jeder freistehenden Mauer, hinter jedem Baumstamm und Pfahl sich gleichsam verschanzend gegen die Sonnenstrahlen, deren wärmende Kraft von Tage zu Tage zunahm. Alle Abend wurde bestellt, morgen etwas weniger „einzulegen“, und den andern Morgen, wenn die Sonne heraufkam, war es doch wieder überheizt. Dann dufteten Hyacinthen und Goldlack am Fenster fast zu stark, der Kanarienvogel schmetterte, dass einem die Ohren gellten, und draußen im Langrohr der Dachrinne den Gibel hinab träufelte und trommelte es gar fröhlich und doch bedächtig, es klang, als hüpften die Tropfen nach dem Takt — „andante quasi allegretto“, sagte unser Herr Cantor, und sann dabei im Stillen auf eine neue Weise für das alte:

„Schnee im Märzen,
Schmerz im Herzen —
Er zergeht am Sonnenstrahl.
Mag die blaue Luft ihn schicken,
Mag er auch aus blauen Blicken
Fallen in die Brust herein.“


Der Frühling kam, schöner als je, meinten die Liebenden, und mit, ihm neue Hoffnung. Wir machten einen Spaziergang in Gesellschaft einiger anderer Familien. Alborns nahmen auch Theil an der Partie, Justus und Agathe aber — neckten sich bereits wieder. Ja, das heitere Wortgefecht wollte gar nicht enden. Trieben sie's auch nicht zu sehr auf die Spitze? Richtig, da hatte es Justus! Mit eins schien Agathe wirklich ungehalten. „So, meinen Sie? das ist ja recht schön — ich bin anderer Meinung.“ Dabei zuckten ihre Wimpern in raschen Schwingungen, die Wangen zeigten eine bedenkliche Neigung, ihr blühendes Kolorit hastig in ein paar einzelne kleine rote Fleckchen zusammenzuziehen, und selbst die fein geschnittenen Nasenflügel bebten ein wenig von der plötzlichen Aufwallung — die jedoch nicht der Anmut entbehrte. Alborn fand die Gereizte nur noch reizender! Agathe ließ ihn denn auch nicht lange in Zweifel über ihre wahre Gesinnung. Mutter Natur hat die weibliche Grazie so überreich ausgestattet: eine junge Dame, die nicht auf den Kopf gefallen ist, wird nie um Mittel und Wege verlegen sein können, zart anzudeuten, dass sie — nicht zürne, und sie wird meistenteils auch wohl verstanden werden, wenn der junge Mann nicht gar zu schwer von Begriffen ist, Agathe vergab sich nichts, sondern sie streichelte nur ihren Sonnenschirm mit so vieler Herzlichkeit, dass Justus stutzte. Es war, als ob eine gewisse wonnige Bestürzung, die ihn bis ins Innerste durchzitterte, den Schlag seines Herzens auf einen Moment anhielt — dann schlug es wieder in desto volleren Pulsen, und mitten in aller lachenden Fröhlichkeit glitt blitzschnell ein leichter Zug gespannten Aufmerkens über sein Gesicht, wie wenn ihm urplötzlich ein Gedanke von unendlicher Tiefe, von unberechenbarer Tragweite aufging. Justus' Bildung und Wissen beschränkte sich nicht einseitig auf sein Fach, unter Anderem hatte er auch recht hübsche technologische Kenntnisse — war es vielleicht die epochemachende Entdeckung, dass grüner Taffet und Fischbein unmöglich so gefühllos sein könnten, als die exakten Wissenschaften bisher angenommen, was ihm so mächtig an die Seele griff? Auch wechselte Alborn leicht die Farbe, und wie schön stand das seltene Erröten dieser männlich energischen Physiognomie! Doch das Alles war im Augenblick vorüber.



Bald darauf traten die Beiden dicht an eine niedrige Verzäunung, welche den Weg begrenzte, da die Anhöhe hier ziemlich steil abfiel. Die übrige Gesellschaft gewann so einen Vorsprung, und das liebende Paar hätte vollkommen ungestört sein können, wäre nicht Max bei ihnen geblieben — ohne ihre ausdrückliche Aufforderung. Er klebte wie Pech, ahnungslos, wie ungelegen seine Gegenwart unter diesen Umständen sein mußte, und in welcher Gefahr er schwebte. Denn am liebsten hätte Justus allerdings den guten Jungen, seinen baldigen Schwager, beim Kragen genommen und über den Strauchzaun den Lehmabhang hinunter geworfen. Nach der Stadt zurückgekehrt, trennte man sich vor unserm Hause, und Justus war schon darauf und daran, beim Abschiede zu sagen: „leben Sie wohl, liebes Fräulein,“ allein die Besonnenheit verließ ihn nicht, taktvoll empfindend, das sei doch noch nicht an der Zeit, gebot er der Stimme des Herzens Schweigen und ließ es auch diesmal einfach dabei bewenden, sich „bestens zu empfehlen“.

Und Agathe? Agathe sagte: „Gute Nacht.“ Aber wie sagte sie es! So seelenvoll, so ruhig und treuherzig, und vor Allem, sie sagte es mit einer gewissen entzückend kategorischen Bestimmtheit, die im Gegensatz zu Justus erzwungener Förmlichkeit täuschend so klang, als hätte sie frei und frank herausgesagt: „Ach, machen wir doch keine Umstände mehr, wir wissen ja, woran wir mit einander sind!“ Agathe hatte zu Justus „Gute Nacht“ gesagt — es war enorm!

Das war am Mittwoch, und schon Donnerstag Nachmittag hatte Herr Alborn die Freundlichkeit, einen Besuch bei uns zu machen. Er fand Niemand zu Hause als Fräulein Agathe. Ein Wink des Schicksals! Obwohl nicht im schwarzen Frack und weißen Handschuhen, wie jedes gute Komplimentirbuch jungen Männern „mit Absichten“ empfiehlt, besann er sich nicht lange, legte ihr die entscheidende Frage vertrauensvoll ans Herz und erhielt — nicht das Jawort. In tiefer Bewegung reichte ihm das liebe Mädchen still die Hand. Beide zweifelten dessen ungeachtet so wenig an der festen Gewissheit ihrer Verlobung, als hätten sie in aller Form Rechtens vor Notar und Zeugen ihren Willen kund gegeben. Nur Eins fehlte noch, aber ein ernstes Erfordernis. Denn so ist es immer gewesen und wird hoffentlich auch ferner so bleiben - gute Kinder vergeben Herz und Hand nicht ohne des Vaters Einwilligung und der Mutter Segen. Justus wartete die Eltern nicht mehr ab, Agathe wollte zuerst mit der Mutter sprechen.

Endlich, endlich war sie allein mit ihr. „Liebe Mutter, ich muss dir etwas sagen — als ihr fort wart, war Alborn hier, ... und; ... und, ... wir haben uns verlobt.“ Nach der dumpf seligen Spannung vorher, ach wie war das schön, als sie's nun glücklich heraus hatte, und die Mutter war so himmlisch gut! „Beruhige dich jetzt nur, ich werde morgen gleich mit dem Vater reden.“

Heute war es schon zu spät. Die Rückkunft der Eltern hatte sich wider Erwarten sehr verzögert. Sie kamen erst kurz vor der Teestunde, und nach dem Tee musste Agathe auch noch vorlesen. Sie las mit erstaunlicher Geläufigkeit, nur als sie gelegentlich zwei Blätter auf einmal umschlug, merkte sie das Versehen gar nicht, sondern las immer munter weiter, bis wir Übrigen denn doch den wünschenswerten Zusammenhang einigermaßen vermissten.
Am andern Morgen, schon sehr zeitig, hatten die Eltern eine geheime Besprechung. Da brachte der Lohndiener Schipke, der feinste im ganzen Ort, einen Brief. Agathe wurde gerufen, und als sie unerwartet schnell aus des Vaters Stube wieder heraustrat, war es nur gut, dass die Tür nach innen aufging. Ohne diese zweckmäßige Einrichtung hätte die Glückselige leicht jemand hässlich vor den Kopf stoßen können, der allerdings offiziell nichts im Schlüsselloch zu tun hatte. Auf unerklärliche Weise drang eine der Wahrheit ziemlich nahe kommende Ahnung von dem, was vorging, rasch durch das ganze Haus bis in die Gesindestube. Nun wurde die Antwort abgeschickt, und in einer kleinen halben Stunde war Alborn auch schon da. Ich sehe das Paar noch, wie es sich der Familie zuerst als Verlobte vorstellte. Es war in der Wohnstube. Sie standen zwischen der Mutter Schreibtisch und Agathens Nähtischchen, Justus dicht an diesem, Agathe an jenem— sie schienen gleichsam eine befestigte Stellung einzunehmen gegen die natürliche Befangenheit ihrer neuen Würde. Der jungen Braut pochte das Herz so, man konnte die hüpfende Bewegung durchs Kleid sehen. Justus aber hielt sein teures Glück mit starkem Arme fest umschlungen, bis seine Hand von einer andern Hand, die kleiner und weicher, doch nicht viel kälter als seine gewesen sein dürfte, in sanfter Abwehr — einstweilen losgenestelt wurde. Es war dieselbe kleine Hand, die so artig mit dem Sonnenschirm getändelt hatte. „Wir werden uns schon gut vertragen!“ sagte Justus.

— Und das war seine ganze Rede?

In der Tat ich habe früher und später manches Geistreichere von ihm gehört und wieder vergessen, während diese einfachen „sehr gewöhnlichen“ paar Worte sich mir fest einprägten. So ein wunderliches Ding ist's mit dem Gedächtnis.



Justus Alborn war den Eltern ein willkommener Schwiegersohn, auch die Geschwister bezeigten ihre freudige Teilnahme auf das Herzlichste. Nur die Kleinen waren recht unartig. „Nun, wollt ihr mich denn auch zum Bruder haben?“ fragte sie Justus freundlich. „Nein,“ war ihre einstimmige kurz angebundene Antwort. Dann liefen sie aus der Stube und warfen nur so recht die Türe. Zu Mittag kamen sie jedoch ganz sachte wieder, aßen und tranken so viel wie bekamen, und schrieen, was sie nur konnten „Hoch! und abermals Hoch!“, als auf das Wohl des Brautpaars angestoßen wurde. Ja, der denkwürdige Tag sollte nicht zu Ende gehen, ohne dass sich ihnen die beruhigende Überzeugung aufdrängte, der neue Bruder habe Agathe wirklich sehr lieb. Die Schlauen glaubten nämlich zu bemerken, wie die Beiden sich gelegentlich küssten — worin allerdings kein Mensch, der bei gesunden Sinnen ist, einen Akt der Abneigung erblicken wird.

Verliebte Blicke - zarte Bande

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Erste Kontakte, noch trennt der Graben

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Der erste Kuss

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Der Verführer - süßer Wein

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Das Eheversprechen

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Landpartie - was sich neckt, das liebt sich

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Dir die Treue zu halten

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ich will Dich liebe

ich will Dich liebe

In guten und in bösen Tagen

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bis der Tod uns scheidet.

bis der Tod uns scheidet.