Afterbrunft der Rehe

Über die rechte Jahreszeit der Rehbrunft sind die Meinungen der Jäger von jeher geteilt gewesen, und noch jetzt sind sie nicht einig. Die Rehböcke verfolgen im August sehr eifrig die Ricken, und besonders die Schmalricken, und beschlagen sie auch. Dessen ungeachtet setzen die Rehe erst im Monate Mai Kälber. Weil man nun glaubte, dass die Rehe nicht länger tragend sein könnten, als die Schafe und Ziegen, so setzte man die Brunft der Rehe in den Dezember, und nannte die Brunft im August: Afterbrunft. Durch viele Beispiele ist nun aber erwiesen, dass die Brunft der Rehe wirklich im August vorfalle. Eingesperrte Rehe, wovon der Bock im September weggenommen wurde, brachten im folgenden Mai ihre Kälber. Unbegreiflich ist es aber, dass ausgezeichnete Anatomen in vielen weiblichen Rehen, die ich im September und Oktober in mehreren Forsten schießen ließ, auch nicht die mindeste Spur der Empfängnis in der Tracht gefunden haben, da doch bei allen übrigen Tieren die Empfängnis schon nach 8 Tagen durch einen roten Fleck sichtbar wird. Dagegen fanden sich in vielen im Januar untersuchten weiblichen Rehen Embryone, die von sehr gelehrten und geübten Anatomen für 10 und 14 Tage alt erklärt wurden. Nach diesen anatomischen Untersuchungen und Resultaten sollte man nicht mehr daran zweifeln, dass die Rehe im Dezember brunften, wenn nicht viele Erfahrungen dies bestritten. — Ich wenigstens glaube, dass die Rehbrunft im August vorfalle; überlasse es aber den Anatomen, zu erklären: woher es komme, dass man das Zeichen der Empfängnis vom August bis Dezember durchaus nicht bemerken kann. — Auch ist es unbegreiflich, daß ein Reh 4 bis 6 Wochen länger tragend sei, als ein bei weitem größeres Stück Edelwild, das im September brunftet und zu Ende Mai oder zu Anfang Juni sein Kalb setzt. Alle größeren Tiere sind sonst länger tragend, als die klemmen. Nur beim Rehwilde macht dann die Natur eine auffallende Ausnahme. Überdies ist es auch merkwürdig und trägt zur Bestätigung der Brunft im August bei, dass man nur zu dieser Zeit die geilen Rehböcke die Ricken eifrig verfolgen und beschlagen sieht, die hingegen im Dezember ganz ruhig mit den Ricken umherziehen. Endlich ist auch noch bemerkenswert, dass alle Cervus-Arten alsdann brunften, wenn sie ein völlig ausgebildetes und verecktes Gehörn tragen, womit der Rehbock im August ebenfalls versehen ist. Im November aber wirft er sein Gehörn ab, und im Dezember hat er nur noch weiche Kolben, womit er, wie es andere Cervus-Arten tun, seine Nebenbuhler nicht bekämpfen kann.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lexikon für Jäger und Jagdfreunde