Charakteristik verschiedener Nationen

Charakteristik verschiedener Nationen. (Ein Deutscher, ein Franzose und ein Engländer bei einem holländischen Maler.) Ein bekannter niederländischer Landschafts-Maler äußerte vor Kurzem, um Deutsche, Franzosen und Engländer zu charakterisieren, Folgendes: „Ich sitze eines Tages in meinem Atelier; da kommt ein Herr herein mit einer Brille auf der Nase, macht zwei, drei tiefe Bücklinge und sagt: „Guten Morgen, mein Herr!“ Ich mache auch zwei, drei sehr tiefe Bücklinge. Dann sieht der Herr alle meine Bilder an, sehr langsam, sehr bedächtig, und sagt nur leise vor sich hin: „Das ist gut; das ist schön; das ist prächtig.“ Endlich sagt er: „Erlauben Sie, dass ich meinen Freund, Baron von A..., mitbringe?“ — „Mit Vergnügen,“ sage ich. Dann macht der Herr wieder drei Bücklinge, noch tiefer als die ersten, und geht. Am andern Tage kommt er wieder und bringt seinen Freund, den Baron von A., mit. Sie machen nun Beide drei Bücklinge vor mir, und als sie alle Bilder betrachtet haben, sagt der Baron: „Erlauben Sic, dass ich meinen Freund, den Grafen von V., mitbringen darf?“ Sie machen wieder drei tiefe Bücklinge, gehen und lassen sich nie wieder sehen. Das waren deutsche Herren. — Ein anderes Mal kommt ein kleiner Herr eilig herein und sagt: ,,Bon jour, Monsier! Charmé de faire votre connaissance.“ Dann hält er die Lorgnette vor die Augen, sieht mein erstes Bild an und sagt: „Sehr schön! Es ist ein prächtig Stück!“ Dann eilt er zu einem andern und sagt: „Das ist bewundernswert; Sie haben die Natur übertroffen.“ In drei Minuten ist er fertig und hat Alles bewundert. Dann drehet er sein Stöckchen in der Hand, stellt sich vor mir hin und sagt: „Ich mache Ihnen mein Compliment; Sie haben ein großes Talent für Landschaftsmalerei; ich werde die Ehre haben, Sie allen meinen Freunden zu empfehlen. A revoir, Monsieur!“ Ich bekomme ihn aber ebenfalls nie wieder zu Gesicht. Das war ein französischer Herr. — Ein anderes Mal höre ich mit einem Stocke stark an meine Tür pochen; ich rufe: „Herein!“ und es tritt herein ein Herr, sehr steif, der nur etwas mit dem Kopfe nickt, aber den Hut nicht abnimmt. „Kann ich Ihre Bilder sehen?“ fragt er. Ich mache meine Bücklinge und sage: „Mit Vergnügen.“ Er sagt dann gar Nichts mehr und sieht ein Bild sehr lange an. Dann geht er an ein anderes, sieht es auch sehr lange an und sagt wieder kein Wort. Dann tritt er an ein drittes und fragt: „Wie viel?“ — „Vierzig Louisd'or,“ antwortete ich. Er sagt gar Nichts, tritt zu dem vierten, sieht das sehr lange an und fragt endlich: „Wie viel das?“ — „Sechszig Louisd'or.“ Er antwortet gar Nichts, sondern sieht das Bild noch einmal sehr lange an. Dann sagt er: „Feder, Tinte und Papier!“ - Ich bringe es ihm, er setzt sich und fragt: „Wie heißen Sie?“ — Ich gebe ihm meine Karte, und er schreibt eine Anweisung von sechszig Louisd'or auf Hope, gibt sie mir mit seiner Karte und sagt: „Das Bild ist mein; hier meine Adresse; schicken Sie es mir zu. Guten Morgen!“ Darauf nickt er mit dem Kopfe, nimmt den Hut wieder nicht ab und geht. — Das war ein Engländer.“