Barmherzigkeit
Barmherzigkeit. „Sie haben mir versprochen, Herr Vetter, mir zu helfen, wenn es mir recht schlecht gehe und es auf das Äußerste komme!“ — „Allerdings. Sind Sie, Ihre Frau und 6 Kinder krank?“ — „Ich nicht, — aber meine Frau und alle meine 6 Kinder!“ — „So! Aber weder Ihre Frau, noch Ihre 6 Kinder sind todt! Sehen Sie, Sie sind schon weit weniger unglücklich, als Sie glauben! Denken Sie nun einmal, wenn Sie jetzt schon unglücklich wären, was wären Sie denn dann, wenn Sie 12 Kinder hätten, die alle nebst Ihrer Frau krank — oder gar gestorben wären?! Oder nehmen Sie an, Ihre 12 Kinder wären gestorben, und Ihre Frau wäre mit einem Schauspieler durchgegangen? Oder das wäre Alles so, und Ihre Verwandten säßen im Zuchthause —! Ja, oder nehmen Sie an, das wäre wieder Alles so, und Ihre Schwester wäre auch durchgegangen, und zwar mit zwei Schauspielern, — sehen Sie, und so geht es fort in das Unendliche! Erst derjenige, welcher alles das, was gelitten werden kann, wirklich schon erlitten hat, wäre auf das Äußerste gebracht und könnte sagen, er sei unglücklich, — aber dann dürfte er immer noch keinen Vetter haben, der ihm im alleräußersten Falle Hilfe verspricht. So, ich hoffe, Sie haben mich verstanden — ich meine, ich habe Deutsch mit Ihnen gesprochen! Sie müssten erst das Äußerste leiden, dann könnten Sie Hilfe erwarten. Bis jetzt können Sie so weit zufrieden sein! Guten Morgen, lieber Vetter!“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Konversations-Lexikon für Geist, Witz und Humor - Band 1 - B