Vorwort

Wenn man „Gelehrsamkeit“ und Wissen, so viel man eben für die „Konversation“ braucht, aus einem „Lexikon“, aus einem Sammelwerk sich aneignen kann, warum sollte man nicht „Witz“ und „Scherz“, das heißt Witz und Scherz als „fait accompli“, als „Lagerartikel“ zum Detail-Ausverkauf nach Bedarf des Momentes aus einem „Lexikon“, aus einem Magazin von aufgespeichertem „Witz“ und „Scherz“ als „fertige Herren- und Damenputzartikel“ sich aneignen können?!

Warum sollte für Reisende in das Land der Gesellschaft nicht ein Flaschenkeller angefertigt werden, in welchen sie von jeder Sorte gesellschaftlichen Weines, Mostes, Pfeffer und Salzes in Flaschen und Fläschchen zum beliebigen Gebrauch nach Zeit, Ort und Umständen greifen können? Ist doch bei den meisten lebendigen Tafelaufsätzen zur Zierde des Tisches, ist doch bei den meisten Chorführern im Revier der Konversation die „Erinnerung“ ein solcher „Flaschenkeller“, aus dem sie bei passender Gelegenheit den „Mousseux“ und „Non moussoux“ des „Witzes“, der „Laune“ und der „Anekdote“ herausziehen und wie Professor Herrmann aus seiner „unerschöpflichen Flasche“ dem lüsternen Publikum zurufen: „Befehlen Sie ein Gläschen Kümmel? Maraschino? Anisette? Vanille? Cognac? Fusel?“ u. s. w. u. s. w.


Was ist die Gabe der Unterhaltung?! Was braucht der Mensch um „amüsant“ zu sein?! Blutwenig: Gebt dem dümmsten Kerl eine gute, wenn auch noch nicht gehörte Anekdote und jagt ihn damit in eine unserer besseren Gesellschaften und der dumme Kerl macht Furore. Steckt einem Eberskopf von Menschen die Zitrone eines bitteren Witzes auf eine lebende Berühmtheit in den Mund und der Eberskopf wird Glück machen?

Ein lustiger Einfall zur rechten Zeit hat schon Vielen das Leben gerettet — z. B. der lustige Einfall, dass schon mancher Tyrann viel früher gestorben ist, bevor er noch einige Hundert hat hinrichten lassen, — eine schlagfertige Antwort ist oft wirksamer als eine schlagfertige Armee und kostet auf jeden Fall weit weniger) und gar die „Anekdoten“! die unser lieber Herrgott erschaffen hat, als er sah, dass der Mensch hat „Sprache“ und „Vernunft“ und ist doch langweilig; als er gesehen hat, dass der Mensch sogar ein Philosoph ist, vom Baum der Erkenntnis und langweilt sich doch; da schuf der liebe Herrgott die „Anekdote“! Er schuf sie wie den lieben Adam aus „Lehm“, er blies ihm keinen Geist ein, weder in die Nase noch in den Bauch, aber er sagte zu ihnen wie zu Adam: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde!“ und die Anekdoten gehorchten und sind fruchtbar und furchtbar, und sie vermehren sich wie Sand am Meer, wie die Philosophen an der Spree, wie die Belagerungszustände in Deutschland und wie die Konversationslexikone seit Gutenbergs Erfindung.

Rabbi Gamliel hat gesagt: durch drei Dinge erhält sich die Welt, durch Arbeit, Wissenschaft und Barmherzigkeit. Rabbi Gamliel aber war ein Jude, der darf nicht Recht haben; die Welt erhalt sich durch Kartoffeln, Papiergeld und Anekdoten!

Wenn es keine Kartoffeln gäbe, könnte kein Mensch mehr Ananas essen, wenn es kein Papiergeld gäbe, würde kein Mensch mehr seinen Kindern einen Begriff von Papiergeld hinterlassen können, und wenn es keine Anekdoten gäbe, so würde kein Mensch auf der Welt mehr zum „Speisen“ eingeladen werden!

So viel Anekdoten der Mensch weiß, so viel Mal ist der Mensch Mensch!

Eine Anekdote gut erzählen, dazu gehört Talent, aber eine Anekdote schlecht erzählen, dazu gehört mehr als Talent, dazu schon Unverschämtheit, eine Mördernatur!

Anekdoten und Spiegelkarpfen sind nur gut, wenn sie kurz sind, und sie müssen schön angerichtet werden, der Vortrag tut Alles!

Aber der Vortrag lässt sich nicht lernen, sagt man? Der Deutsche lernt Alles! Lässt sich denn die Schafsgeduld lernen? Der Deutsche lernt sie doch! Also kann er auch Anekdoten vortragen lernen!

Dieses „Konversationslexikon“ soll also lehren, wie man launig, scherzhaft, spaßhaft, satyrisch, sarkastisch, witzig und Anekdotenartig sein kann, zu jeder Zeit, bei jeder Gelegenheit, in jeder Gesellschaft, an allen Orten, auf alle mögliche Weise, in jeder Gestalt, Morgens, Mittags und Mitternacht, nackt, in Negligé und in Galla, zu Wasser und zu Land und zu Holland, welches beides und keines von beiden ist, in ganz Deutschland inklusive Schleswig-Holstein und Hessen-Kassels Deputiertenkammer; für alle Religionen, für Jud, Christ, Deutschkatholik, Türk und Gemeinderat u. s. w. u. s. w. Der Käufer oder Abonnent wird in ihm viel Altes und sehr viel Neues finden, er wird das Angenehme haben, eine große Klassifikation der Artikel zu finden, die ihm das Ganze als ein Nachschlagwerk für den Bedarf des Augenblicks lieb und nützlich machen wird! Es ist die „Kunst des Amüsierens“ lexikographisch gegeben und es gibt tausend und tausend Käuze in der Welt, die von Anekdotensammeln leben und tausend und tausend, denen Süßigkeit es ist, sie zu lesen, sie zu praktizieren. Für diesen großen Kreis ist in diesem Unternehmen Alles zusammengefasst, was bis jetzt einzeln in mehr oder minder sorgfältiger Auswahl erschienen ist, dabei ist ein Reichtum neuer und neuester Sachen und Pikanterien zugefügt worden, so dass Jeder gewiss etwas Neues und ihn Anziehendes finden dürfte.

Das Material wurde vom Verleger aus der Nachlassenschaft eines Literaten angekauft, und ich beehrt, dasselbe nach Geschmack und Ordnung zu sichten.

Über jeden Buchstaben flechte ich eine humoristische Abhandlung ein und werde ich dieselben, wie alle Artikel, die von mir selbst eingereiht sind, mit meinem Namen bezeichnen.

Wien, am 1. August 1851.

M. V. Saphir.