Sechstes Kapitel

So hat sich das Märchen, das Anfangs für Lessings Nathan Urstoff war, dem eine Episode anzuschließen wäre, unter der Hand des philosophisch kritischen Dichters in einer Episode zu einem Ganzen umgewandelt. Ich gehe nun zu einer speziellen Würdigung der Charaktere in psychologischer und auch noch in historischer Beziehung derart über, dass dramatische Artisten diese Winke nicht ganz ohne Interesse für ihre Zwecke finden würden. Der Ordnung folgend, wie die Personenliste am Eingang des Nathan aufgestellt ist, wäre zu beginnen, mit:

                              Saladin.


Ein orientalischer Kriegsheld, bei dem die Religion die Triebfeder seines Unternehmungsgeistes ist, der seinen Stolz darauf setzt, Verbesserer der Welt und des Gesetzes zu sein, der es unter einer Würde hält jemanden etwas durch List und nicht durch das Schwert zunehmen. Ein Mann in den besten Jahren, verdankt seine Erhebung sich selber. Er weiß, dass ein Kleid, ein Schwert, ein Pferd und ein Gott hinreichen, um Jemanden auf den Thron zu bringen. In unserem Stücke ist er die Hauptperson und zwar die historische, um die die ganze Nathan-Novelle wie um ihre Axe sich dreht. Aus einem Palast reitet sein Bruder Assad eines schönen Morgens aus, um nicht wieder heimzukehren, nach einem Palast wird zwei Jahrzehnte später Recha, die Tochter dieses Bruders gebracht. Außer diesem Zutun des Dichters ist alles Übrige in der Person Saladins geschichtlich, und findet sich in D’Herbolet's Bibliothèque orientale wieder, wo sogar von seinem Wahlspruch: ein Kleid, ein Schwert, ein Pferd und einem Gott, die Rede ist; wo erzählt wird, dass er seinen Schatz mit jedem Sonnenuntergang trocken legte. Dem Sultan steht zur Seite eine Schwester Namens

                              Sittah.

So hieß die Schwester Saladins in der Geschichte, die der genannte D’Herbolet von ihm nach orientalischen Quellen zu erzählen weiß. Lessing hat sie in einem Stücke zu vielfachen Zwecken nötig. Um sich über die Christen zu ärgern, die ihre Ansprüche auf Richard Löwenherz's Bruder verschmähten, um den Hof Saladins eine Zeitlang aus eigener Schatulle zu bestreiten, ferner da der Bruder fortwährend in Geldnot sich befindet und ehrenhaft genug ist, um das nötige Metall irgend einem seiner Untertanen mit Gewalt nehmen, oder auch nur abborgen zu wollen, um ihn zu Anwendung von List gegen den reichen Nathan zu bereden. Besonders ist sie auf das Kapitel der Mischehen unerbittlich, sie möchte nicht nur für ihre Person den christlichen Prinzen aus der englischen Königsfamilie zum Gemahl haben, sondern sie verspricht auch dem christlichen Tempelherrn, ihm das Judenmädchen auf der Stelle zu schaffen, sobald hier kein anderes Hindernis als das der Religionsverschiedenheit obwaltet. Sie selber ist im Heiratsalter, ihre Worte sind:

      Ja wohl! als wär' von Christen nur als Christen
      Die Liebe zu gewärtigen, womit
      Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet. (Aufz. 2. Auftr. 1)

Sie gleicht hierin der Baronstochter in Lessings Juden, die, als sie wahrnimmt, der Reisende wäre ein Jude, der Stimme der Liebe eher als der der Religion Gehör verleihend ausruft: Ei, was tut das. –

Nach Saladin und Sittah, die die fürstlichen und die geschichtlichen Personen des Stückes sind, kommt

                              Nathan,

ein reicher jüdischer Greis in Jerusalem, soll früher in Gath und Darun gelebt haben. Durch den christlichen Glaubenseifer ruiniert, zog er nach der alten Religionsstadt, wo er wie ein zweiter Hiob wieder zu Vermögen kam. Ein Kind der Weltweisheit, weshalb er der Weise genannt wird, bekennt er sich weder zu dem Philosophen- noch zu dem Gelehrtenstand; er betreibt Handel, und geht öfters auf Reisen, nach Babylon, Damaskus, über den Euphrat, Tygris, Jordan, und wer weiß, was für Wasser all. Was ihn aus den engen Grenzen des auf das Weichbild der Städte gebannten Bürgertums heraustreten und Kosmopolit sein lässt. Er weiß, dass alle Länder gute Menschen tragen; Jude und Christ und Muselmann und Parsi, alles ist ihm eins. Seine Tugenden bestehen im Geben, dem Nathan in der Novelle des Boccaccio, ganz ähnlich, spricht er:

      Ihr gabt ihm doch für’s erste was an Schätzen
      Ich euch gelassen hatte? Gabt ihm alles?
      Verspracht ihm mehr? weit mehr? (Aufz. 1. Auftr. 5)

Nach Nathan folgen die zwei Personen, die einen Haushalt ausmachen, wovon die Eine seine achtzehnjährige Erziehungstochter Namens

                              Recha

ist. Wie diese erzogen ist, haben wir bereits Gelegenheit gehabt nachzuweisen; es sei hier nur noch zuzufügen, dass, ungeachtet sie die Poesie von der Religion entfernt wissen will, ist die Poetin, und es darf ihr in dieser Beziehung Gefühllosigkeit nicht zugemutet werden. Sie will nur die Blumen auf ihrem Boden nicht, wenn von Religion die Rede ist; im weltlichen Umgange hingegen streuet sie dieselben recht häufig und recht gern. Religiöse Poesie war's ja, was sie zur Schwärmerin und, wie sie sich ausdrückt, bald zur Närrin gemacht hätte. Als Beispiel für ihr sonstiges poetisches Gefühl mögen ihre Worte dienen, welche lauten:

      Der Mann will keinen Dank will ihn so wenig,
      Als ihn der Wassereimer will der bei
      Dem Löschen so geschäftig sich erwiesen. (Aufz. 3. Auftr. 2)

Ihre Sprache ist lyrisch genug um keiner dramatischen Person nachzustehen, auch sonst so fein, dass man sie nicht ohne Vergnügen hören kann.

Wie jede andere Natur ihres Geschlechtes ist sie zur Liebe geneigt, verlangt aber von ihrem Mann reine Vernunft, und zuvorkommende Manieren. Sobald sie in dem Templer den Christen zu viel und der besseren Manieren zu wenig wahrnimmt, wird sie in der Liebe lau und wie sie sagt beruhigt.

Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt. Die nur Vernunft sein wollende Recha wird von einer Frau behelliget, bei der Phantasie, Verstand und Poesie Überzeugung ist. Ihre Pflegemutter, die Witwe

                              Daja,

ist eine Christin, und nur eine Christin, so dass über ihr außerchristliches Betragen fast nichts mehr zu berichten übrig bleibt, als dass ihr Geist ungewöhnlich knechtisch sei. Sie handelt nicht ganz ohne Interesse, und verliert schon ihr eigenes ich niemals aus den Augen. Sie nimmt Geschenke an, und indem sie im Interesse des Himmels zu wirken gedenkt, vergisst sie nicht dem Templer zu sagen: Wenn ihr aber dann sie nach Europa führt, so lasst ihr doch mich nicht zurück. *) Recha nennt sie im Gespräche mit Sittah, die gute böse Daja. Nach dieser ist in der Personenliste der

                              Tempelherr

verzeichnet, der etwas mehr als nur Christ sein möchte; nur weiß er nicht recht, wie das anzufangen wäre, und ist daher im steten Kampfe mit sich selber. Dazu ist er nicht alt genug um Entschluss zu fassen. Mit seinem Mönchsstande unzufrieden, ohne jedoch die Möglichkeit zu sehen, aus demselben je herauszukommen, überlässt er sich schon in sehr jungem Mannesalter einem Leben, das dem eines Einsiedlers gleicht. Die in ihm auf einmal aufgeloderte Liebesglut scheint ihm neuen Mut und frische Lebenslust zu bringen. Und soll er darüber Muselmann werden müssen, er müsse die Person besitzen, für die allein sein Leben für ihn noch welchen Wert hat. Sein weißer Mantel ist durch die Regel seines Ordens bedingt, worin aber ein besseres Naturell sich nicht recht wohl befindet. „Wer kennt sich recht?“ – spricht er von sich selber. Was habe ich Querkopf gestiftet! Sobald es zum Handeln kommt, so tut er das Böse sehr zögernd und wenn's noch so christlich wäre, oder er tut's gar nicht, das Gute hingegen tut er rasch und entschlossen. Sein im Drama antizipierter Sprung ins Feuer, um ein Menschenleben da zu retten, wo es von Anderen aufgegeben wird, ist die leibhaftige Menschenliebe. Sein Soldatencharakter verpflichtet ihn zwar hierzu – er ist Mönch und Soldat – die Tat selber ist aber deshalb nicht minder anerkennenswert und erwirbt ihm unsere Achtung. Dazu will er für diese Tat weder Vermögen noch Dank einernten; und gleicht hierin dem Reisenden in Lessings Juden, der eine im Sinne der Menschlichkeit begangene Handlung eine Schuldigkeit nennt. Im Betragen ist er sonst barsch und sogar rau, so dass die so christliche Daja dem Mann im weißen Mönchsmantel nachruft:

      So geh’ du deutscher Bär, so geh, und doch
      Muss ich die Spur des Tieres nicht verlieren. (Aufz. 1. Auftr. 6)

Lessings Tempelherr ist also ein Deutscher, er könnte, da seine Person nur noch seinem Orden nach geschichtlich sei, jeder anderen Nationalität so gut als der deutschen angehören. Allein Lessing vergaß nicht sein Lieblingsthema, durch das Theater auf die Sitten seines Volkes zu wirken. Wir hatten bereits die Gelegenheit gehabt zu bemerken, dass er schon sehr frühe vor Begierde brannte, ein deutscher Molière zu werden.

Nach diesem wäre vom

                              Klosterbruder

zu sprechen; eine alte Bekanntschaft des Juden, eilt er zu demselben hin, um ihn auf die Gefahr, die ihm droht aufmerksam zu machen.

„Wenn sonst nur niemand um die Sache weiß, so hat es gute Wege“ lässt er Nathan wissen und übergibt ihm ein Büchlein, das er Brevier nennt, und das er, wie er behauptet, seinem Herrn – dem Vater des Mädchens – aus der Brusttasche gezogen habe, als er ihn, wie er sich ausdrückt, bei Askalon verscharrte, wodurch Nathan aus aller Verlegenheit kommt. Nathan nennt ihn die gute Haut, die fromme Einfalt. Der Templer hält ihn anfangs für verschmitzt, dann aber für die dümmste Einfalt, die je einen Mönch und sei's nur ein Laienbruder, auszeichnete. Und dennoch ist der Mann nicht so dumm, wie er scheint, um nicht zu sagen, wie er sich stellt. Er ist die witzigste und nach Nathan die geistreichste Person des Stückes. Er ist's, welcher von dem Prunk des Patriarchen spricht: Ihr sollt ihn erst sehn nach Hofe sich erheben, jetzt kommt er von einem Kranken. Die Ironie sagt der Patriarch, meint der Patriarch, bedünkt den Patriarchen, die eigentlichen Possen, die der Dichter versprochenermaßen den Herren Theologen spielt, kommen von dem Klosterbruder. Dass man ihn für die Einfalt, ja für die dumme Einfalt hält, kommt davon, dass er zu aufrichtig ist, was man bei einem nicht ganz blöden Mönch selten vermutet. Unser Klosterbruder ist aber aufrichtig, ohne blöde zu sein, er ist ja nur Laienbruder und in die Ordensgeheimnisse nicht eingeweiht, noch hat er seine Seele dem Ultramontanismus nicht verpfändet, um nicht mit dem Ungehorsam des Templers gegen die Befehle des Patriarchen recht herzlich zufrieden zu sein. Er hat übrigens nicht einmal die Bibel gelesen – er kann ja nicht lesen – ein Name ist Bonafides, was die gute fromme Einfalt oder der Rechtgläubige bedeutet. Ein Seiten-Stück zum Klosterbruder ist in der mahomedanischen Gruppe ein moslemischer Mönch, ein

                              Derwisch,

schlicht und aufrichtig, wie jener, ist in diesem die Schlichtheit Zynismus und die Aufrichtigkeit Weltverachtung. Für die Gesellschaft wenig tauglich, schickt ihn Lessing zu den Guebern am Ganges, um dort unter Feueranbetern den heißen Sand barfuß zu treten. Sein Name ist Al-Hafi, was der Barfüßler bedeutet. Er begibt sich nach der Wüste, ohne von einem Monarchen, der ihm das Portefeuille der Finanzen vertraute, Abschied zu nehmen. Wo ist, wo steckt, wo bleibt Al-Hafi, fragt man allemal im Hofe. Nun noch ein Wort über den

                              Patriarchen,

ein dicker, roter, freundlicher Prälat, und welcher Prunk! – der Mann versteht sein Amt, um freundlich und zuvorkommend gegen Personen zu sein deren Dienste er brauchen kann, dem Patriarchate wie keiner gewachsen täuscht er sich jedoch gewaltig im Bruder Bonafides; er scheint noch keinen Bruder kennen gelernt zu haben, bei dem der Buchstabe nicht der Geist und die Bibel nicht die Religion sei.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lessings Verdienste um das Judentum