Erstes Kapitel

Das erste Viertel des achtzehnten Jahrhunderts war längst vorüber; das Jahr 1729 war bereits in Staat und Kirche eingetreten. Das deutsche Volk sah mit Stolz auf seinen wegen seiner Lehre von den gleichen und doch ungleichen Substanzen in den Adelsstand erhobenen Leibnitz; der den holländischen Juden Spinoza, der die Einheit der Substanz lehrte, als einen guten Optiker zu schildern verstand. Der Geschmack Gottscheds herrschte in der Literatur und im Leben; Gottsched, der um sein Liebchen Adelgunde gebührend zu besingen, sich die Leier Opitz’s von Boberfeld erbat, stand auf der Höhe der Zeit; er wurde gerade um jene Zeit zum Senior einer deutschen und zwar Leipziger poetischen Gesellschaft ernannt.*)

*) Man vergl. Wolfs Nationalliteratur der deutschen Art. Gottsched.


In der Wissenschaft war schon die bloße Beschäftigung mit hebräischer Wortklauberei ein Titel auf höhere Gelehrsamkeit. Durch diese gelangte man zu der nicht unbedeutenden Würde eines Doktors der Gottesgelahrtheit. Um wie mehr müssten die Juden selber auf ihre Wissenschaft stolz gewesen sein; ja, sie waren es und bereicherten dieselbe täglich mit zentnerschweren Folianten, zur näheren Erläuterung des Talmuds, der Bibel und der Kabala; was die Mühe der nichtjüdischen Wortklauber nicht wenig erschwerte, die mit aufgerissenen Augen die riesenhafte Literatur angafften.

Ein Professor zu Heidelberg glaubte sogar sein Mütchen kühlen zu müssen, indem er ebenfalls ein sehr dickes Buch gegen die Juden schrieb, das nicht verfehlte ihr Ansehen auf lange Zeit zu gefährden. Die Juden selber spotteten doch einer und glaubten bessere Zeiten abwarten zu dürfen.

So standen die Sachen des guten Geschmackes, der Juden und der Wissenschaft, im protestantischen Deutschland. Im katholischen Frankreich hatte Voltaire bereits ein fünfunddreißigstes Lebensjahr erreicht, und indem er dort den guten Geschmack herzustellen bemüht war, sich vorbereitete den Juden Wunden beizubringen, denen, wie er etwa glaubte, sie erliegen würden. Voltaire wurde später für das geschriebene Gesetz der Hebräer Das, was Eisenmenger für ihr mündliches war. Wie dieser im Talmud, suchte jener in der Bibel nur Das auf, was höchstens beweise, dass Menschen keine Götter sind um nicht auch oft zu irren. Nun hat in der Methode des gelehrten Franzosen die Natur der Sache erfordert, dass bei seiner Anfeindung des Judentums auch das Christentum stark mitgenommen werde, wodurch Voltaire der Sache der Juden eher nützlich als gefährlich wurde.

In Deutschland hingegen fand diese neue Methode Voltaires gar keinen Anklang; wo man noch lange gern beim Alten blieb, die Juden, als die Besitzer des Talmuds, aus der Gesellschaft auszuschließen. Und obgleich der schon damals regierende Friedrich bei dem ganzen Volke als ein Freigeist galt, so standen die Sachen der Juden in Deutschland noch lange nicht besser, denn höher als Voltaire konnte selbst der große Friedrich nicht steigen.

So, sage ich, standen die Sachen eine Zeitlang in Deutschland, als in der kleinen Stadt Kamenz in der oberen Lausitz in Sachsen dem Pastor Primarius ein Knäblein geboren wurde, welches bestimmt war, im deutschen Vaterlande den guten Geschmack zu restaurieren, oder gar neu zu kreieren, in allen Branchen der Literatur die Kritik einzuführen, in der Philosophie den in Deutschland fast gar nicht gekannten Juden Spinoza aufs Tapet zu bringen, französische Freigeisterei in Freiheit des Geistes umzuwandeln, und auf deutschen Boden, und in deutschem Geschmacke, unter dem Namen Aufklärung zu pflanzen; gegen alles. Herkömmliche, wenn es nicht von der Vernunft gerechtfertigt ist, zu protestieren, bei dieser Gelegenheit und als eine Folge davon das deutsche Volk auch in Betreff einer Meinung von den Juden des Besseren zu belehren, und die Juden selber dem allgemeinen Menschenrechte zuzuführen. Dieses Knäblein wurde Gotthold Ephraim Lessing genannt, ein denkwürdiger Geburtstag fällt auf den 22. Januar 1729.

Wie und mit welchem Erfolg Lessing dieser seiner Selbstbestimmung nachgekommen sei, erfährt man am besten aus seinen eigenen Werken. Unterdessen sind auch die vielen Schriften, die über ihn in Umlauf sind, für diese Erfahrung von nicht geringem Wert. Meine Bemühungen werden es jetzt sein, die Verdienste Lessings um das Judentum in einem helleren Lichte zu zeigen.

An der Spitze der theatralischen Arbeiten Lessings steht ein Drama, betitelt: „Die Juden“ mit der näheren Bestimmung, „geschrieben im Jahre 1749“, somit fünf Jahre bevor er die Bekanntschaft des berühmten Moses Mendelssohn machte. Die chronologische Ordnung erfordert, dass „Die Juden“ in Lessings Werken in erster Reihe kommen. Nun war Lessing in diesem Jahre zwanzig Jahre alt, und hat kaum die Schule, die Universität aber noch nicht verlassen. Was war es eigentlich, das ihn veranlasst haben mag, die Juden zum Gegenstande seiner frühzeitigsten Beobachtungen zu machen, und noch dazu, wie wir bald sehn werden, von ihnen so vorteilhaft zu urteilen? Kein Biograph Lessings berichtet, als hätte er sonst in dieser Zeit mit Juden Umgang gehabt, oder als wäre er sogar von diesen in seinen Bedürfnissen, mit denen er viel zu kämpfen hatte, unterstützt worden. Lessing war, wie gesagt, der Sohn eines protestantischen Geistlichen, den ersten Schulunterricht genoss er unter den Augen eines theologischen Vaters. Als er wegen Erweiterung einer Studien das väterliche Haus zu verlassen genötigt war, kam er auf die sogenannte Fürstenschule zu Meißen, die eigentlich eine Klosterschule war. Auf der Universität zu Leipzig war Anfangs ein Endzweck, Theologe zu werden; dazu bezog er noch ein geistliches Stipendium, welches er von dem Magistrate eines Vaterstädtchens, als der Sohn des Ortsgeistlichen, deferiert bekam. Lauter Umstände, die nicht im geringsten geeignet sind, einen christlichen Studiosus zu Gunsten der Juden zu stimmen! Was war es denn, das ihn dennoch dazu stimmte? Lessing war ein frühzeitig reif gewordener Kopf, und schon auf der Fürstenschule zu Meißen nannten ihn eine kleinen Kollegen den admirablen Lessing. Er hat frühzeitig gegen jede Pedanterie geeifert, und auch Spuren der Verachtung gegen jedes unvernünftige religiöse Treiben blicken lassen. In Leipzig geriet er in die Gesellschaft eines Mannes, der sich einen Bekannten mehr durch Talent, als durch anständigen Rock zu empfehlen wusste. Dieser Mann, dem in einer Würdigung Lessings allerdings eine dankbare Anerkennung zukommt, hieß Christlob Mylius, der übrigens als einer der stärksten Freigeister verrufen war. In der Nähe dieses Mannes brachte Lessing die angenehmsten Stunden zu, nichts vermag ihr Freundschaftsbündnis zu lösen. Selbst die strengsten Ermahnungen seines Vaters, begleitet von den Drohungen des Stipendiumverlustes, vermochten nicht die verwandten Geister auf lange Zeit auseinander zu halten. – Als Mylius nach Berlin ging, verließ Lessingplötzlich die Universität und Leipzig, und eilte nach dem Orte, wohin ein Freund sich begeben hat. Dort glaubte er seinen Gedanken Raum geben zu dürfen, und verfertigte in einem und demselben Jahre (1749) zwei theatralische Arbeiten, „Die Juden“ und „Der Freigeist“, die das Publikum um so mehr in Erstaunen setzten, als man solche Arbeiten von einem zwanzigjährigen Jünglinge am wenigsten zu erwarten berechtigt war. Der junge Lessing beabsichtigte durch ein Lustspiel „Die Juden“, das er durch eine wandernde Theatergesellschaft aufführen ließ, einen Druck auf die von den Christen von sich gefasste Meinung auszuüben; die Juden aber, trotz dem gegen die herrschend gewesenen Vorurteile, nicht nur nicht verachtenswürdig, sondern sogar in einem gewissen Grade schätzenswert zu machen. Und weil durch ein solches Urteil über Gegner der christlichen Religion, Lessing leicht für einen Freigeist gehalten werden könnte, wofür er aber dazumal nicht gelten wollte, schrieb er in demselben Jahre ein zweites Drama: „Der Freigeist“ genannt, worin er bemüht ist, einen über alles Religiöse oberflächlich urteilenden Menschen durch einen christlichen Theologen zu beschämen. Er hat also gezeigt, dass die Freiheit des Geistes, mit der er das Vorurteil der Christen gegen die Juden bestritt, nicht mit sogenannter Freigeisterei zu verwechseln wäre, und dass man Vorurteile bekämpfen könne, ohne gerade ein Freigeist zu sein. Nicht Minderes bezweckt die Tendenz seiner zwei theatralischen Arbeiten: „Die Juden“ und „Der Freigeist“, die er zu einer und derselben Zeit der Öffentlichkeit übergab. Auch hatte er schon hierdurch eine Richtung eingeschlagen, die der damaligen französischen diametral entgegenlief; und so die Grundlinien zu einer deutschen Aufklärung gezeichnet. Während die damaligen Rationalisten Frankreichs, indem sie einen Druck auf die stolze Christenheit üben wollten, mit einer Anfeindung des Judentumes, als die Mutter des Christentums, beginnen zu müssen glaubten, meinte der deutsche Lessing dasselbe Ziel auf einem weit liberaleren Wege zu erreichen, und zwar, indem er den Juden im Lichte, den Christen aber im Schatten zeigte, und so die Opposition des Christentums in den Vordergrund drängte. Er musste übrigens in der Personifizierung einer Ideen sowohl in eine „Juden“ als in einem „Freigeist“ nicht ganz uneingehalten sein, denn wenn gleich der große Friedrich das achte Jahr auf einem deutschen Throne saß, so war der böse Genius religiöser Persekution aus dem Vaterlande Luthers noch lange nicht verschwunden. Am wenigsten durfte ein mittelloser junger Mensch, wie Lessing es war, diesen Genius reizen. Er wählte für die Durchführung eines Themas den Weg der Bühne, weil er für diese Art, die Welt zu belehren, schon damals die größte Vorliebe hatte, und später auch in ihr exzellierte. Wie er selbst sich äußerte, brannte er schon damals vor Begierde, ein deutscher Molière zu werden, dem es gelungen sein soll, die Sitten des französischen Volkes durch das Theater zu mildern.

Dass der Ideengang Lessings derjenige war, wie er eben gezeichnet wird, ist leicht erweislich. In einem Briefe an seinen Vater, datiert vom 28. April 1749, schreibt er: „Ein Komödiendichter ist ein Mensch, der die Laster auf „ihrer lächerlichsten Seite schildert, darf denn ein Christ über Laster nicht lachen? „Verdienen Laster soviel Hochachtung? etc.“ Ferner am 30. Mai desselben Jahres eben an seinen Vater: „Die christliche Religion ist kein Werk, das man „von seinen Eltern auf Treue und Glauben annehmen soll. Die meisten erben „sie zwar von ihnen, eben so wie ihr Vermögen, aber sie zeigen durch ihre „Aufführung auch, was sie vor rechtschaffene Christen sind. So lange ich nicht „sehe, dass man eins der vornehmsten Gebote des Christentums, einen Feind „zu lieben, nicht besser beobachtet, so lange zweifle ich, ob diejenigen Christen „sind, die sich dafür ausgeben.“ Ferner wegen Mylius. „Werde ich denn niemals des Vorwurfes los werden können, den Sie mir wegen Mylius machen? Nostra amicitia nihil unquam aliud fuit adhuc est, et in omne tempus erit, quam comunicatio studiorum.“ In der Vorrede zu Mylius vermischten Schriften, die Lessing 1754, nach Mylius Tode, heraus gab, gesteht er der Welt ungeniert, der intimste Freund dieses Mannes, den er einen Philosophen, ein Genie nennt, durch mehrere Jahre gewesen zu sein. Es unterliegt somit keinem Zweifel, dass Mylius es war, der Lessing die freie Geistesrichtung gab, oder was gleich bedeutet, der den in ihm vorgefundenen Keim zur kräftigen Pflanze herausgearbeitet hat. *)

*) Man vergl. Leben Lessing’s von C. G. Lessing.

Wollen wir nun sehn, wie es unserem zwanzig Jahre alten Jüngling gelungen ist, seine Lieblingsidee, den Juden nach der tugendhaften, den Christen aber nach der lasterhaften Seite zu schildern, auf dem Wege des Dramas auszuführen. Die Stellung des Volkes, um das sich der Sohn des Kamenzer Pastors so menschlich interessierte, hat sich seither bedeutend gebessert, und zwar, seitdem er den ersten Impuls dazu gegeben hat. Anders war es aber in derjenigen Zeit, die mit mehr als einem Jahrhundert von uns fern liegt.

Es war einmal in der christlichen Welt nicht selten der Fall, dass Verbrechen, von Nichtjuden begangen, auf Rechnung der Juden gebracht wurden, was oft ganze Gemeinden um ihre Wohnstätte, um ihr Hab und Gut, ja um ihr Leben brachte. Ein Raubmord, der auf einer nahe gelegenen Landstraße sich zutrug, musste die nächste Judenschaft aus ihrer Ruhe aufschrecken. Alldem hat Lessing in seiner genannten Schrift „Die Juden“ sehr geistreich gesteuert. Das Programm dieser kleinen Schrift ist kurz dieses:

Ein deutscher Baron unternimmt eine kleine Reise innerhalb einer Besitzungen; unterwegs wird er von Straßenräubern angefallen und von einem zufällig vorüberreisenden Fremden gerettet. Wer sind diejenigen, die den Baron auf einem harmlosen Ausfluge überfallen? Zwei Christen, die sich als Juden verkappen und Bärte an ihre Gesichter anbringen. Wer der Fremde, der nicht ohne eigene Lebensgefahr dem ihm Unbekannten das Leben rettet? Ein Jude! der sich doch dem in Tausend Danksagungen sich ergießenden Baron nicht sogleich zu erkennen gibt. Nicht etwa, weil der Jude sich einer Religion halber schämt, sagt Lessing, sondern weil er befürchten musste, durch diese Kundgebung sich um die Freundschaft des deutschen Edelmannes zu bringen, um die es ihm doch aus puren humanen Rücksichten gelegen ist. **)

**) Man vergl. Lessings sämtliche Werke: „Die Juden“.

Nach einmal betretener Bahn benutzte Lessing sein Drama, die Tugenden des Juden, so wie die Laster des Christen auch anderweitig hervorzuheben. Die zwei als Juden verkappten Straßenräuber sind die eignen Beamten des Barons, die sein Brot essen, und zu denen er das größte Zutrauen hatte. Diese wollten ihren Herrn meuchlings umbringen, um sich eines Vermögens zu bemächtigen. Und der unbekannte Jude ist es, der den Baron nicht nur von sicherem Tode gerettet hat, sondern auch, nachdem er ein oder zwei Tage im christlichen Hause die Gastfreiheit genießt, in gewohnter Nüchternheit und Klugheit die Täter entdeckt, und auf sie den Baron aufmerksam macht. Während dieser Entdeckung lässt Lessing den reisenden Juden einen Gewissenskampf ausstehen, der darin besteht zu wissen, in wiefern er nicht irre, und ob er nicht etwa von redlichen Leuten Schlechtes argwöhne, was ihm ein Verbrechen zu sein schien. Auch mit seinem Verdachte muss man Niemanden beleidigen, sagt der Reisende in Lessings „Juden“. Ferner lässt der Dichter seinen Juden jede Anerbietung von Belohnung ablehnen, weil eine im Sinne der Menschlichkeit vollbrachte Tat eine Schuldigkeit sei, und somit keine Ansprüche auf Belohnung machen darf.

Der Baron, von lauter Bewunderung hingerissen, bietet zuletzt dem unbekannten Fremden eine einzige liebenswürdige jungfräuliche Tochter zur Frau an, und fügt hinzu, er wolle auf diese Verbindung ein ganzes Vermögen setzen. Jetzt lässt Lessing den Fremden sich zum Judentum bekennen, mit fester Stimme lässt er ihn sagen: Ich bin ein Jude. Die Dankbarkeit des Barons ist in ein Stadium getreten, dass das Bewusstsein des religiösen Bekenntnisses der Person, mit der er Familienbande anzuknüpfen gedachte, weckte, und eine Erklärung nötig machte. Und wenn die unerfahrene junge Baronstochter diese Erklärung mit den Worten Ei was tut das begrüßt, so macht sie doch einen ganz andern Eindruck auf den Vater, der hierüber Grausamer Zufall! ausruft. In der Schilderung des Dichters wird dieses religiöse Bewusstsein sowohl von dem Juden als von dem christlichen Baron als ein Hindernis für eheliche Verbindung aufgefasst; ein Standpunkt, der im Nathan überwunden wird, der aber in einem mehr praktischen als theoretischen Stücke wie „Die Juden“ der Natur der Sache dienlicher erscheint.

Zum Schluss spricht der Jude zum Baron: „Zu aller Vergeltung bitte ich nichts, als dass Sie künftig von meinem Volke etwas gelinder und weniger allgemein urteilen“, worauf der Baron zum Juden: „Ich schäme mich meines Verfahrens“; und mit dieser Erklärung hat das Drama einen Zweck erreicht.

Aber nicht allein die höhere Klasse der Gesellschaft, auch den Pöbel hatte der Dichter im Auge. Der philanthropische Lessing wollte, dass das Volk so gut wie der Adel sich der Vorurteile in Betreff der Juden entäußere, und sich eines Verfahrens schäme. Zu diesem Zwecke lässt er den Juden einen christlichen Bedienten bei sich haben, dessen Verachtung gegen seinen Herrn an Lanzelot in Shakespeares Kaufmann von Venedig erinnert, von dem der Jude viele Grobheiten hören muss, die er aber mit lauter Höflichkeiten und Wohltaten zu begegnen versteht. Ein Gesichtspunkt, den Lessing auch später in seinem Nathan bei Schilderung der Daja nicht aus den Augen verliert.

Dass aber dieser Bediente Namens Christoph ein Christ und nicht ebenfalls ein Jude sei, ist leicht denkbar; denn wollte der Dichter diesen Christoph als einen Juden, der sich als Christ stellt, wissen, so ist nicht einzusehen, warum er in seinem Gespräche mit seinem Herrn zu Geheimtuerei Zuflucht zu nehmen nötig hätte, zumal keiner vom Hause des Barons zugegen ist. Auch wäre sein Mitwirken in der vorletzten Scene nicht recht am Platze, und würde als Muster für das Betragen christlicher Bedienten im Hause jüdischer Dienstgeber wenig dienen, da es von einem Juden käme, der sich als Christ nur stellt.

Die Rolle Christophs wäre übrigens nicht genug ausdrucksvoll, und vielmehr von sehr untergeordneter Bedeutung, als dass sie nötig hätte, auch dann verstellt zu bleiben, nachdem alles vor uns offen liegt. Eine bloß für die Köchin Lisette berechnete Verstellung darf einem Dichter wie Lessing nicht zugemutet werden, hierdurch Jemandens Interesse in Anspruch nehmen zu wollen. Hingegen verleiht seine Haltung, wenn sie eine natürliche ist, dem Bedienten eine recht interessante Rolle im Drama, dessen obwaltender Zweck deutlich genug hervorsieht. Von solchen Grundsätzen war Lessing beseelt, schon in seinem zwanzigsten Jahre.

Im Jahre 1754 wurde er dem damals in Berlin in der allerhöchsten Gesellschaft lebenden Voltaire vorgestellt. Der dem Judentum nicht recht geneigte Franzose hatte sich damals gegen einen wider ihn klagbar aufgetretenen Juden gerichtlich zu verteidigen gehabt, und nahm die Dienste Lessings in Anspruch, seine französisch verfassten Ein- und Widerreden ins Deutsche zu übertragen. Lessing hatte also die Gelegenheit gehabt, von den judenfeindlichsten Ansichten des gefeierten Voltaire praktisch und theoretisch unterrichtet zu sein. Nichtsdestoweniger blieb er seinem Vorhaben treu und fuhr fort, die besten Gesinnungen in Bezug auf Juden und Judentum an den Tag zu legen. Er nahm in demselben Jahre die sich ihm dargebotenen Freundschaft Moses Mendelssohns auf das wärmste auf, und nahm kein Bedenken, ein besprochenes Drama, das bis dahin dem Publikum nur durch ein einmaliges in Szene setzen bekannt war, der Öffentlichkeit auch durch den Druck zu übergeben. Der sechsundzwanzig Jahre zählende Lessing nahm also keinen Anstand, seine Jugendarbeit in Betreff der Juden durch die Kunst Guttenbergs den spätesten Zeiten zu übermachen.

Jetzt erst machte dieses Drama ein wenig böses Blut. Ritter Michaelis, der über das mosaische Recht schrieb, und sich mit jüdischen Dingen viel befasste, glaubte dagegen protestieren zu müssen, und sprach in den Göttingischen gelehrten Anzeigen seine Meinung dahin aus, dass ein Charakter wie der des Reisenden in Lessings Juden eine Unwahrscheinlichkeit sei, indem das jüdische Volk gar nicht fähig wäre, so ein Charakterbild hervorzubringen. Hierauf antwortete Lessing in seiner theatralischen Bibliothek, sagt aber in der Hauptsache nichts Weiteres, als dass er das Dasein eines Mannes wie der eines Reisenden im jüdischen Volke unter gewissen Umständen ja für möglich hält, und dass er auch wirklich vorhanden sei. Er schaltete übrigens gleichsam als Beweis dafür in dieser Antwort das Schreiben eines Juden – der Stil Moses Mendelssohns ist hierin nicht zu verkennen – ein, dass das Drama sowie die Rezension behandelt. Zu bemerken ist, dass Lessing in dieser Antwort behauptet, die Menschenliebe, einer Ehre vorziehen zu müssen. Seine Ehre scheint also durch eine harmlose Parteinahme für die Bedrängten gelitten zu haben; worin auch der Grund vorhanden sein mag, warum Lessing es im Leben weder zu der Würde eines Hofrates in irgend einem kleinen deutschen Staate, noch sonst zu dem Amte eines Finanz- oder Kammeralrätchens bringen konnte. Von dem zu geschweigen, dass sein Drama „Die Juden“ kein Titel auf das so süß klingende Beiwörtchen von war. So schlimm war es damals mit der Sache der Juden im deutschen Reiche. Dem guten Lessing selber entschlüpften die Worte: freilich muss man die Juden näher kennen, als aus dem liederlichen Gesindel, welches auf den Jahrmärkten herumschweift.*) Wir werden dann später sehen, dass Lessing auch in Bezug auf Handelsjuden eines Besseren belehrt wurde; es sei nicht zu vergessen, dass sein Nathan dem Handelsstande angehört.

*) Man vergl. Lessings sämtliche Werke. Die theatralische Bibliothek.

Aus dem liederlichen Gesindel, das sich auf den Jahrmärkten herumtreibt, hat Lessing, wie er selber sagt, seinen Reisenden sich nicht geholt. Aus dem damaligen talmudisch-jüdischen Gelehrtenstande in Deutschland dürfte er es eben so wenig getan haben. Die aus den Talmudakademien hervorgegangenen Lehrer und Rabbinen hatten selten ihr jüdisches Aussehen bis zur Unkennbarkeit verändert und noch seltener zugegeben, auch nur einen Augenblick für einen Nichtjuden gehalten zu werden. Lessings Reisender, wenn er nicht ganz, wie Michaelis meinte, bloß in der Phantasie des Dichters existiert haben soll, hat eine Nachweisung aus der Wirklichkeit nötig. Bei der Unerfahrenheit des jugendlichen Dichters, bei dem völligen Abgang eines solchen Originales im damaligen Deutschland – noch war Mendelssohn zu jung und von Lessing nicht einmal gekannt; auch die jüdischen Ärzte Kisch und Gumperz, die einzigen vielleicht im damaligen Deutschland, hat Lessing erst später in Berlin kennen gelernt; – ferner bei dem Umstande, dass Lessing, wie uns ein zuverlässiger Bruder und Biograph von ihm berichtet, die Urbilder seiner Charaktere für seine ersten Schauspiele aus Büchern entlehnt habe, ist man zu der Vermutung berechtigt, dass er Spinoza vor Augen hatte. Folgende Umstände scheinen dafür zu sprechen:

1. Sagt der Bediente des Reisenden: Wir kommen aus Holland; dieses Land ist wie bekannt die Heimat Spinozas.
2. Er sagt auch: Mein Herr ist vom Adel, Spinoza schrieb sich Baruch oder Benedict von Spinoza.
3. Derselbe Bediente sagt zu seinem Herrn, dem Reisenden, Ihre Philosophie bringt Sie um den Atem. Es ist hier also die Rede von einem Philosophen, dessen Reisegepäck der Dichter mit Büchern gefüllt sein lässt.
4. Von Spinoza wissen wir, dass er, der schon einmal einem Attentate auf sein Leben glücklich entkam, um weiteren Versuchen vorzubeugen, ungekannt unter den Leuten sich zeigte.
5. Spinoza war es, der Anböte von Vermögen und Gehalte, wenn sie noch so bedeutend waren, ablehnte.
6. Ist von demselben bekannt, dass er eine von ihm liebgewonnene Christin deshalb nicht heiraten konnte, weil er ein Jude war. Was mit dem Umstande sehr genau zusammenfällt, dass auch Lessings Reisender die in ihn verliebte und Gegenliebe findende Baronstochter wegen der Verschiedenheit der Glaubensbekenntnisse nicht ehelichen kann.

Und wenngleich der ganze vierzehnte Auftritt, dem diese Merkmale entlehnt sind, von dem Dichter gerne als erlogen hingestellt sein möchte, so gewinnen doch diese Scheinlügen durch die Verlegenheit des Reisenden über dieselben, sowie durch die Worte des Bedienten, welche lauten: Ich will doch nimmermehr glauben, dass ich von ungefähr die Wahrheit sollte gelogen haben, wieder am Werte.

Es wären noch viele andere Beispiele aus der spanisch-jüdischen Welt, die noch lange in Italien und Holland florierte, deren ritterliches Betragen und deren Moral noch heutzutage die Bewunderung der höchsten Klasse der Gesellschaft in Anspruch nehmen, anzuführen. Allein keiner von dieser eben genannten Welt erfreute sich, außer Spinoza, zur Zeit Lessings einer umständlichen Lebensbeschreibung, die der Dichter als Quelle gebrauchen konnte.

Unterdessen durfte Lessing, in seiner Antwort auf die Göttingischen gelehrten Anzeigen, auf Spinoza nicht hinweisen, um nicht in eine Polemik von ganz anderer Natur zu geraten. Im Drama selber gebrauchte er die Vorsicht, seinen Mann nicht zu verraten; er spricht von Alfanzerei und Zeremonialgesetz, die den Rezensenten abhalten dürften, sogleich Spinoza zu erraten.

Dass Lessing schon als sehr früher Bewunderer des jüdischen Philosophen aus Holland, von demselben mit der größten Vorsicht sprach, beweist sein Schreiben an Michaelis*), worin er von Mendelssohn sprechend und denselben als einen zweiten Spinoza im Voraus begrüßend genötigt ist, zuzufügen, dem zur völligen Gleichheit mit Ersterem nichts als seine Irrtümer fehlen würden. Lessing tut dieses auf Gefahr eines Widerspruches in subjecto. Nehmet Spinoza seine Irrtümer und sein Name verliert an Bedeutung, um ihn als Paralelle für Andere aufzunehmen; wer diese Irrtümer nicht besitzt, kann ihm unmöglich gleichen. Die sogenannten Irrtümer und nichts Anderes sind es gerade, die seinem Leben einen sittlichen Charakter verleihen, der zum wahren Rätsel wird, das nur noch etwa durch dessen jüdisches Bewusstsein, nur durch Judentum und ja durch keine der bekannten Religionen und philosophischen Systeme gelöst werden könnte.

*) Man vergl. Lessings sämtliche Werke. Briefe.

Spinoza, höre ich einwenden, war in seiner Nation eine Ausnahme und auch wegen seines ausnahmsweisen Wesens von seinem Volke ausgestoßen, ein Charakter kann daher einem Volke nicht zum Verdienste angerechnet werden. Allein ein Dichter wie Lessing verstand die Gesellschaft nicht sowohl nach ihrer äußeren Gestalt, die dem Wechsel unterworfen ist, als vielmehr nach ihrem inneren und bleibenden Prinzipe, das fähig ist, unerschütterlich auch andere Gestalten anzunehmen, zu beurteilen. Der frühzeitig reif gewordene Geist Lessings wusste sich über den starren Empirismus der Gegenwart zu erheben, um unter gewissen Umständen anders zu erfahren. Schon die Jetztzeit beweiset und die Zukunft wird es unter noch gewisseren Umständen mehr beweisen, dass Lessing recht hatte, und dass seine Opponenten borniert waren.

Noch ist Das nicht alles. Das kleinwinzige einaktige Drama „Die Juden“ gibt. Einem bei einer Prüfung desselben so viel zu schaffen, dass man schon hierin die geistige Erstgeburt (?) des Vaters der deutschen Kritik erkennt. Wer ist eigentlich der Haupt-Charakter, um nicht zu fragen, die Hauptperson des Stückes? Ist's der Reisende? Seine Handlungen scheinen gar nicht geeignet, die Neugierde, die das Publikum in das Schauspielhaus versammelt, zu befriedigen. Dass ein Mensch dem andern auf offener Landstraße gegen Raubmordanfall beisteht, ist etwas Natürliches, das keinen Effekt machen darf und käme es von einem Juden, Türken, Chinesen und sonst wer immer. Auch wird diese Handlung im Stücke vorausgesetzt, und scheint gar nicht auf Effekt berechnet zu sein, da sie von der Szene fehlt. Die Argumentationen des Reisenden spannen zu wenig den Zuschauer, dass er sich darauf bei dem entdeckten Judentume desselben erinnere. Auch ist das Ablehnen der Vermögensannahme Seitens des Reisenden von untergeordneter Bedeutung, und steht vielleicht dem Edelsinne des Barons, der sein Vermögen anbietet, bei weitem nach. Negative Handlungen verleihen überhaupt Niemanden einen Titel auf Adel. Die Handlung des persönlichen Beistandes ist wie gesagt Menschlichkeit und der Jude übertreibt nicht, wenn er diese Handlung eine Schuldigkeit nennt. Wegen dem Charakter des Reisenden allein sei der jüdischen Sache nur mittelmäßig geholfen; auch verdiene das Drama deswegen seinen Namen nicht und konnte eben so gut „Der deutsche Baron“ wie „Die Juden“ heißen. Im Gegenteile, die Tugend des deutschen Edelmannes, der aus purer Dankbarkeit sich eines ganzen Vermögens zu Gunsten eines Wohltäters entäußern und lieber Bettler als undankbar sein will, hat in den Annalen der Menschheit ohne Zweifel mehr Anspruch auf unsere Bewunderung als die nicht ganz ungewöhnlichen Tugenden des Reisenden, und wenn sie auch bei dem Juden sich fänden.

Die wahrhaft Effekt machenden Hauptrollen in unserem Stücke gehören den zwei Leuten, die der Dichter Vogt und Schulze nennt. Sie sind die handelnden und nicht bloß argumentierenden Personen des Drama: ein jedes ihrer Worte verfehlt nicht auf uns einen Eindruck zu machen. Diese zwei bis auf ihren Urstamm verdorbenen Temperamente sind Christen, die von dem Umstande der gegen die Juden vorherrschend gewesenen Vorurteile profitieren, um treulose Verbrechen auf Rechnung der Verrufenen auszuüben. Der Dichter konnte, der selbstgefälligen Meinung, die eine herrschende zum Nachteile einer nicht nur beherrschten, sondern auch unterdrückten Religion von sich hatte, nicht besser begegnen, als wenn er Handlungen beispielloser Treulosigkeit auf der Seite der Herrscherin und Tugend auf der der geknechteten nachweist. Auch glaubt er den Grund verkehrter Meinungen in dem einstigen Verfahren der Geistlichkeit finden zu dürfen, was in der Stelle angezeigt ist, welche lautet: Wenn sie der liebe Gott nicht selber hasste, weswegen wären denn nur vor kurzem, bei dem Unglück in Breslau ihrer bald noch einmal so viel als Christen geblieben, unser Herr Pfarrer erinnerte das sehr weislich in der letzten Predigt usw. Wenn noch heutzutage bei dem Ausbruche einer Krankheit, Feuersbrunst und dergleichen die Phantasie des Pöbels in den minder zivilisierten Ländern sich die Mehrzahl der Opfer auf Seiten der Ungläubigen malt, so scheint zur Zeit Lessings dieses Vorurteil auch bei den Lehrern des Volkes geherrscht zu haben, die, wenn die Geistliche waren, solche von der Kanzel herunter bekannt machten.

Eine bessere Satire, die didaktisch aufzutreten pflegt, wurde zu so bedeutenden Zwecken selten in einem so kleinen Werkchen auf dem Wege der Bühne so populär gemacht.

Wenn auch Ritter Michaelis dennoch recht haben wollte, dass ein Charakter, wie der des Reisenden in Lessings Juden, eine Unwahrscheinlichkeit gewesen wäre, so ist durch ein stillschweigendes Geständnis, dass Charaktere wie die des Vogtes und des Schulze wahrscheinlich wären, der Zweck des Dramas vollkommen erreicht. Der Name des Stückes „Die Juden“ entspricht ganz dem Zweck der Satire. Sehet einmal, will das sagen, wer eure Juden sind, und wer der eigentliche Jude sei. Man erlaube mir ein Résumé des Ganzen im folgenden Stile zu geben:

Ein deutscher Edelmann bereist seine Besitzungen. Zwei seiner Getreuen verkleiden sich als Juden, und stellen ihm auf offener Landstraße nach. Als sie daran sind ihn zu ermorden, kommt ein Unbekannter herbeigefahren, der dem Edelmann beisteht und die Angreifer in die Flucht jetzt. Diese kehren in ihre Heimat zurück, wo sie sich als gute Christen wieder einstellen. Der Edelmann begleitet von dem Fremden kehrt in sein Schloss wieder ein. Seine schöne Tochter verliebt sich in den Gast, bei dem sie Gegenliebe findet. Als es aufs Heiraten ankommt, erklärt der Fremde, er wäre ein Jude; der wahre Jude entdeckt die zwei falschen Juden. Nicht wahr! dieser Stil erinnert an die hundert Novellen des Boccaccio und wenn sich die unsrige unter diesen gerade nicht vorfindet, so ist sie von einem ganz ähnlichen und fast von demselben Geist beseelt; und ich erinnere deshalb darauf, weil Lessing sich an dem Feuer dieses großen Geistes wärmte, und durch ihn für uns das geworden, was er war, was wir sogleich erfahren werden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lessings Verdienste um das Judentum